Rechtsanwälte müssen vom Jobcenter ihr Geld bekommen. Das Bundessozialgericht beendet eine umstrittene Praxis – zum Schutz der „typischerweise unbemittelten“ Hartz IV-Bezieher

Bezieher von Hartz IV-Leistungen haben die Möglichkeit, gegen Entscheidungen ihres zuständigen Jobcenters Widerspruch einzulegen oder zu klagen. Im Jahr 2019 gab es mehr als 577.000 neue Widersprüche und über 95.000 Klagen vor den Sozialgerichten des Landes. Und wenn die Betroffenen Widerspruch einlegen oder gar klagen, dann haben sie nicht selten Erfolg gegenüber der Behörde. 2019 wurde über einem Drittel aller Widersprüche (teilweise) stattgegeben.

Die Abbildung vermittelt den Eindruck, dass die Erfolgsquote bei den Klagen deutlich geringer ist als bei den Widersprüchen – sie wird für das vergangene Jahr in Höhe von 8,2 Prozent ausgewiesen. Gleichzeitig wird eine ganz andere Quote in den Raum gestellt: Rund 34 Prozent der Widersprüche und knapp 40 Prozent der Klagen wurde teilweise oder völlig stattgegeben. 40 oder 8,2 Prozent? Die erhebliche Lücke lässt sich erklären: »So werden in der BA-Statistik für das Jahr 2019 knapp 9.000 (teilweise) stattgegebene Klagen von Hartz-IV-Empfängern ausgewiesen. Nach dieser Zählweise läge die Erfolgsquote aus Sicht der Kläger im Jahr 2019 bei 8,2 Prozent. Diese Angabe bezieht sich allerdings nur auf die Verfahren, in denen die Entscheidung mit einem gerichtlichen Urteil oder Beschluss herbeigewirkt wurde. Allerdings wurden weitere knapp 33.000 Klagen im Jahr 2019 außergerichtlich (teilweise) im Sinne des Klägers entschieden. Bei Berücksichtigung der außergerichtlichen Einigungen lag die Erfolgsquote im Jahr 2019 aus Sicht der Kläger bei knapp 40 Prozent und damit sogar über der Erfolgsquote für Widersprüche.«

Wie dem auch sei – ob erfolgreich oder nicht: Die Betroffenen, die sich gegen Entscheidungen der Jobcenter wehren, sind oftmals auf Rechtsanwälte angewiesen, die ihre Fälle übernehmen. Und die arbeiten verständlicherweise nicht für Gottes Lohn. Allerdings: Widerspruchsverfahren gewonnen, aber auf den Kosten sitzen geblieben – Rechtsanwälten, die Hartz-IV-Empfänger vertreten, konnte das bisher leicht passieren. Wie das?

»Die Jobcenter hatten eine klare Anweisung der Bundesagentur für Arbeit: Bevor die Behörden die Kosten für das Widerspruchsverfahren übernehmen, sollten sie prüfen, ob eine Aufrechnung in Betracht kommt – und zwar auch dann, wenn einerseits der Rechtsanwalt Erstattung seiner Kosten verlangt und andererseits der Hartz-IV-Empfänger dem Jobcenter noch Geld schuldet.« Das berichtet Annelie Kaufmann in ihrem Artikel Jobcenter dürfen nicht mehr gegen Rechts­an­wälte auf­rechnen, dessen Überschrift bereits andeutet, dass sich hier jetzt höchstrichterlich reingegrätscht wurde.

Konkret geht es um den Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X. Dieser Paragraf sieht vor, dass die Behörde nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren die Kosten übernimmt. Wenn es erforderlich war, einen Anwalt einzuschalten, gilt das auch für die Anwaltskosten. Die Jobcenter sollten in diesen Fällen allerdings prüfen, ob eine Aufrechnung in Betracht kommt, so eine Arbeitshilfe der Bundesagentur für Arbeit für die Jobcenter. »Ausdrücklich genannt wird auch der Fall, dass der Rechtsanwalt einen Kostenerstattungsanspruch geltend macht, das Jobcenter aber aus ganz anderen Gründen von dem jeweiligen Leistungsberechtigten noch Geld bekommt. Ob die Forderung des Jobcenters in direktem Zusammenhang mit dem Widerspruchs- oder Klageverfahren steht, sei unerheblich.«

Theoretisch blieb einem Rechtsanwalt, der so einen Fall übernimmt, zwar der Anspruch auf seine Vergütung – dann aber eben gegenüber dem Leistungsberechtigten. In der Praxis hilft das aber wenig, wenn der Leistungsberechtigte nicht zahlen kann: „Die Rechtsanwälte gehen leer aus, wenn die Jobcenter mit eigenen Erstattungsansprüchen aufrechnen“, so wird Martin Schafhausen, Fachanwalt für Sozialrecht und Vizepräsident des Deutschen Anwaltverein (DAV) zitiert. So war es auch in den vier Verfahren, die vor dem BSG landeten. »Die Jobcenter hatten Kostenerstattungsansprüche in Höhe von 595 Euro, 243,95 Euro, 380,80 Euro und 52,60 Euro anerkannt, aber die Zahlung wegen anderweitiger Ansprüche gegen den Leistungsberechtigten ganz oder teilweise verweigert.«

Das Bundessozialgericht (BSG) hat dieser Praxis nun ein Ende gemacht. Es gilt ein Aufrechnungsverbot (Urt. v. 20.2.2020, B 14 AS 17/19 R, B 14 AS 4/19 R, B 14 AS 3/19 R). „Wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II im Widerspruchsverfahren gewinnt, muss das Jobcenter die ihm entstandenen Rechtsanwaltskosten übernehmen. Dieser Anspruch darf nicht dadurch entwertet werden, dass das Jobcenter mit Gegenansprüchen aufrechnet“, so zitiert Kaufmann einen Sprecher der BSG. Warum das so bedeutsam ist? „Anderenfalls würde der Anwalt in vielen Fällen leer ausgehen und sich beim nächsten Mal gut überlegen, ob er noch einmal einen Leistungsberechtigten im Widerspruchsverfahren gegenüber dem Jobcenter vertritt.“ Ein schriftliches Urteil liegt noch nicht vor, aber das Gericht stellt in seinem Bericht über die Entscheidungen fest: „Die Aufrechnung betrifft … die Rechtsschutzgleichheit von Unbemittelten und Bemittelten insbesondere im Bereich des SGB II, in dem Widerspruchsführer typischerweise unbemittelt sind. Denn Rechtsanwälte müssen aufgrund der großen Anzahl von Erstattungsbescheiden im Bereich des SGB II … befürchten, ihre Vergütung nicht über den Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X zu erhalten, und es besteht die Gefahr, dass sie die Übernahme entsprechender Mandate ablehnen.«

Die Bundesagentur für Arbeit erklärte, man werde die Arbeitshilfe in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales anpassen, sobald das Urteil schriftlich vorliege. Man kann schon mal damit anfangen.