Wenn die Geister, die man rief, nicht nur den kleinen Finger, sondern die ganze Hand wollen: Die von den Krankenkassen zu füllenden Fördertöpfe des Bundesgesundheitsministers haben der App-Branche Appetit gemacht

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nicht nur als Kämpfer gegen den Pflegenotstand, sondern auch als der Digitalisierungsinnovator für das ganze Gesundheitswesen in die Geschichtsbücher eingehen. Und besonders die „Digitalisierung“ als Chiffre für total modern hat es ihm angetan. Und wie wichtig ihm das ist, kann man auch so einer Meldung entnehmen: Spahn berichtet zu Digitalvorhaben. Konkret hat er dem Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestages über Digitalvorhaben im Bereich Gesundheit und Pflege berichtet und mit den Abgeordneten diskutiert. Sein Programm ist ambitioniert:

»Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sei die Elektronische Patientenakte. Die Krankenkassen seien an der konkreten Umsetzung, sodass diese ab 2021 zur Verfügung stehen soll … Ein zweiter Baustein sei das E-Rezept, eine der häufigsten Papieranwendungen des Gesundheitswesens, die ins Digitale überführt werden solle. Auch diese soll ab 2021 flächendeckend zur Verfügung stehen … Ein (weiterer) Schwerpunkt liege auf dem Thema Onlinesprechstunden und Telemedizin

Und dann das hier: Persönlich wichtig sei ihm, dass Deutschland das erste Land weltweit werden könnte, das „ein regelhaftes Verfahren gefunden hat, um Apps im Gesundheitsbereich in die Erstattungsfähigkeit des Systems zu bringen“, so wird der Bundesgesundheitsminister zitiert.

Über dieses Thema wurde am 15. Juni 2019 in dem Beitrag „Gesundheits-Apps“ auf Kosten des Beitragszahlers? Jens Spahn tut was für die „Appologeten“. Bezahlen sollen andere bereits ausführlich und kritisch berichtet. Kritisch deshalb, weil der Bundesgesundheitsminister Spahn ein Mann der Tat ist, wenn es um das Verteilen von (scheinbaren) Wohltaten geht – und wenn die Rechnung andere bezahlen müssen. Krankenkassen sollen künftig die Kosten für bestimme Apps übernehmen, so der Plan des Ministers. „Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sinnvolle digitale Anwendungen – z. B. Apps oder Diagnose-Tools – schnell in die Versorgung kommen“, so Spahn auf Twitter. Und damit nicht genug: In dem Beitrag wurde berichtet, dass es nicht nur darum geht, die Krankenkassen Smartphone-Apps finanzieren zu lassen: Oftmals sei die Finanzierung ein Problem für Gesundheits-Startups. Der Entwurf des Digitalisierungsgesetzes sieht deshalb vor, dass Krankenkassen sich nun mit einen kleinen Teil ihrer Rücklagen über Wagniskapital an Unternehmen beteiligen dürfen.

Bei den Startups kommt das – verständlicherweise – gut an. Und sie sehen in dem ambitionierten Minister einen wunderbaren Verbündeten zur Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle. Und hat er nicht im Frühjahr 2019 den „Health Innovation Hub“ ins Leben gerufen? Eine Ideenfabrik für digitale Gesundheitsanwendungen.

Und es ist ja nicht nur der Minister, der sich hier ins Zeug legt. Auch einige Krankenkassen versuchen, einen Fuß in die sich öffnende Tür zu bekommen: Die Techniker Krankenkasse kooperiert mit dem Start-up Ada Health, das eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Diagnose-Anwendung entwickelt hat. Die Barmer bieten ihren Versicherten die App Mimi an, mit der Nutzer ihr Hörvermögen testen können. Um nur zwei Beispiel zu nennen.

Ein überaus günstiges Umfeld, haben sich da wohl die Anbieter bzw. Entwickler im Feld der „Gesundheits-Apps“ gedacht und man kann schon vor der Verabschiedung des Gesetzes, mit denen sie an die Fördertöpfe kommen können, gleich eine ordentliche Schippe nachlegen.

»In einem „Manifest für die Digitalisierung im Gesundheitssektor“ fordern 47 Unternehmen aus der App-Branche, dass sich Deutschland stärker für digitale Innovationen öffnet. Auch die Kassen müssten sich bewegen«, berichtet die Ärzte Zeitung unter der bezeichnenden Überschrift App-Branche macht Spahn Druck. Die Unternehmen haben gleichzeitig einen „Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung“ gegründet.

„Deutschlands digitale Gesundheitsunternehmen brauchen eine Aufsicht mit Augenmaß“, kann man in dem „Manifest“ lesen. Die Krankenkassen müssten sich zu aktiven, schnellen und konsequenten Partnern bei der Digitalisierung entwickeln. Dafür brauche es klare Kriterien, zum Beispiel für den Zugang zur Kassenfinanzierung von digitalen Anwendungen in der Regelversorgung. Es gehe um „Möglichkeiten für die schnelle Skalierung guter Produkte“. Und dann muss man natürlich auch Druck machen: »Der „an sich wichtige und richtige Datenschutz“ dürfe nicht länger als Totschlag-Argument zur Wahrung von Besitzständen dienen. Die Beharrungskräfte des Systems hätten zu lange schon verhindert, dass digitale Lösungen Eingang in den ersten Gesundheitsmarkt fänden. Andere Länder hätten Deutschland deshalb auf diesem Gebiet abgehängt.«

Aber man kann und darf auf den Minister hoffen: »Die Verfasser des Manifests loben dementsprechend den Entwurf des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) und den von Gesundheitsminister Spahn ins Leben gerufenen Health Innovation Hub.«

Eine Kommentierung dieses Vorstoßes – unter der zutreffenden Überschrift Branche auf Werbetour – geht so: »Die Digital-Branche macht manifesten Druck – und droht mit dem Totschlag-Argument, international abgehängt zu werden.«

»Und was ist mit denen, die die kritische Auseinandersetzung um die jüngsten Vorfälle um Datenschutz und -sicherheit suchen? Mit keinem Wort gehen die knapp 50 Unterzeichner des „Manifests“, die von Ada Health bis Vivy reichen, auf das Thema Vertrauen und Verantwortung ein.«

Und dass wir hier an einer richtig sensiblen Stelle angekommen sind, wurde bereits in dem Beitrag Digitalisierung im Gesundheitswesen: Zu den Nebenwirkungen ihrer Daten fragen Sie – wen? Wenn Hilfesuchende im Internet vermarktet werden vom 4. September 2019 mit Beispiele angereichert dargestellt.

Eine weiteres Beispiel wurde in diesen Tagen an die Oberfläche öffentlicher Aufmerksamkeit gespült: »Bei vielen Betreibern von Gesundheits-Apps scheint es erheblichen Nachholbedarf in Sachen Datenschutz zu geben … Hat die Symptom-Checker-App Ada Health personenbezogene Daten an Tracking- und Analyse-Dienstleister wie Amplitude, Adjust und Facebook weitergegeben, und das sogar, bevor ein Einblick in die Datenschutzerklärung für den Nutzer möglich war?« Diese Frage wird in dem Artikel Hat Symptom-Checker Daten weitergegeben? aufgeworfen. Man bezieht sich dabei auf diesen Beitrag des Computermagazin „c‘t“: Massive Datenschutzmängel in der Gesundheits-App Ada. Die Ada Health GmbH sieht in dem Beitrag der „c‘t“ „irreführende Anschuldigungen“ und bestreitet die Vorwürfe.

Wie dem auch sei – hinsichtlich des Memorandums der Unternehmen aus der App-Branche geht es neben einer Schützenhilfe für den Minister und seine Absicht, die neuen Anwendungen besonders fördern zu lassen, auch darum, die mit einer solchen Förderung verbundenen Auflagen möglichst klein zu halten. Denn von anderer Seite werden bereits Forderungen platziert, die zu erheblichen Kostensteigerungen und „Zeitverzögerungen“ führen werden. Dazu als ein Beispiel dieser Bericht aus Hessen: »Die diesjährige Haupt­ver­samm­lung des Marburger Bund (MB) Hessen stand ganz im Zeichen der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Kern der Dis­kussionen waren dabei vor allem digitale Gesundheits-Apps.«

»Nach Ansicht der Ärztegewerkschaft muss bei derartigen Anwendungen sichergestellt wer­den, dass sie Patienten nicht mehr Schaden als Nutzen bringen. Dementsprechend forderten die Delegierten, für Gesundheits-Apps und -software künftig einen Nutzennachweis für die Patienten vorzuschreiben.«

Man möchte also das von Spahn in Aussicht gestellte Geld der Krankenkassen und gleichzeitig die mit Kosten verbundene Nachweisführung, was die Wirkung der Apps angeht, möglichst gering halten. Denn dann könnte es richtig teuer werden.

Und andere Kritiker? Deren Argumentation ist – wie die der App-Unternehmen – vor allem aus institutionenegoistischen Motiven heraus zu verstehen. Beispiel: Die App Ada und die Ärzte. Dazu ein Blick auf die Versichertenseite: »Wenn sie auf diese Weise mehr über die mögliche Ursache vorliegender Symptome erfahren haben, können Patienten dann weitere digitale Angebote der TK nutzen, bis hin zum Videochat mit einem Arzt, der bei der Versicherung arbeitet.« Genau an dieser Stelle kommt massiver Widerstand.

»Von einer „Grenzüberschreitung“ sprach der Hartmannbund-Vorsitzende Dr. Klaus Reinhardt. Das Gesundheitssystem gerate in Schieflage, wenn den niedergelassenen Ärzten und ihren Kollegen in den Kliniken nur die Rolle der Zweitmeinungslieferanten bliebe.«

»Bemerkenswert an der Diskussion: Die Ärzte griffen nicht die technische Innovation selbst, also die App Ada Health, an, sondern nur das Modell, nach dem ein Kostenträger plötzlich die Rolle des Leistungserbringers gleich mit übernimmt. Das sei eine zu enge Verquickung ökonomischer Interessen der Kasse – nämlich die Behandlungskosten zu reduzieren – mit dem Einsatz einer technischen Innovation.«