Keine Frage – der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn holt quantitativ gesehen mächtig was raus aus der Gesetzgebungsmaschinerie. Und bleibt mit seinen zahlreichen Aktivitäten und Vorstößen immer irgendwie im Gespräch. Zudem hat er ein feines Gespür für publikumswirksame, dabei zielgruppenotimierte Aktivitäten, die zugleich den Vorteil haben, dass die ihm nichts kosten bzw. die Rechnung von Dritten bezahlt werden soll.
Das medienwirksame Vorgehen von Spahn kann man diese Tage erneut studieren: Spahn plant Verbot von „Konversionstherapien“: »In Deutschland gibt es bis heute Geistliche, Psychotherapeuten, Ärzte oder Coaches, die Menschen ihre sexuelle Orientierung ausreden wollen … Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) (will) Versuche, Homosexualität wie eine Krankheit zu „heilen“, verbieten.« Der Minister hat sogar zwei Gutachten erstellen lassen, die – nicht überraschend – im Zusammenspiel mit einer Fachkommission, die Spahn Anfang April einberufen hat, zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Strafen für diese sogenannten Konversionstherapien verfassungsrechtlich machbar und medizinisch geboten sind. Aber das soll hier nicht weiter behandelt werden. Sondern ein anderes Spielfeld, das der Herr Minister zielgruppengerecht und imagefördernd zu beackern versucht: „Gesundheits-Apps“. Dass die in der heutigen Zeit – vergleichbar mit den Arzt- und Krankenhausserien im Fernsehen – boomen, wird hier keinen wirklich überraschen.
Die angesprochene Studie aus dem Jahr 2016 gibt es hier im Original:
➔ Urs-Vito Albrecht (Hrsg.) (2016): Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA), Hannover: Medizinische Hochschule Hannover, 2016
Beerheide hat einige wichtige Befunde aus der Studie (dazu auch die Seite www.charismha.de) so zusammengefasst: »In dem umfangreichen Überblick identifizieren die Autoren um Albrecht mehrere Handlungsfelder für künftige Forschung sowie Kriterien und Verfahren, um die Entwicklung und Nutzung von Apps im medizinischen Umfeld sicherer zu gestalten. Denn spätestens mit dieser Studie ist auch wissenschaftlich dokumentiert, wovon viele Start-up-Gründer und App-Anbieter berichten: Es fehlt an einheitlichen Qualitätskriterien sowie an einer Verpflichtung der Hersteller für eine qualitätsgesicherte Entwicklung bei Angeboten im sensiblen Bereich der Medizin. Weiteres Ergebnis der Studie: Das Potenzial für Apps in der Medizin ist da – für jede bislang bekannte Anwendung fehlt allerdings die wissenschaftliche Evidenz. Bislang ist nicht erforscht worden, ob und wie sich das Gesundheitsverhalten der Menschen durch Apps verbessert.«
Und das Ministerium selbst berichtete im April 2016 aus der Studie: »Ob und ggf. wie Apps in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden sollen, muss, so die Studie, grundsätzlich überprüft werden. Hierzu sollte auch geklärt werden, ob die Wirksamkeit von Apps in den heute üblichen klinischen Studien evaluiert werden kann oder spezielle Anforderungen formuliert werden müssten.«
Seit 2016 ist nun einiges Wasser den Rhein runtergeflossen und aus der aktuellen Berichterstattung kann man entnehmen: »Der E-Patient-Survey, die nach eigenen Angaben größte Onlinebefragung zu Digital Health im deutschsprachigen Raum, weist wachsende Nutzerzahlen aus. So habe sich die Nutzung von Medikamenten-Apps innerhalb eines Jahres von elf auf 18 Prozent erhöht«, so beispielsweise Gregor Waschinski unter der Überschrift Immer mehr Patienten nutzen Gesundheits-Apps. »Mit den Anwendungen können sich Patienten über Wechselwirkung von Arzneimitteln informieren oder die Einnahme ihrer Medikamente planen. Die Nutzung von Diagnostik-Apps verdoppelte sich … von sechs auf zwölf Prozent. Die Online-Terminbuchung habe ihre Verbreitung von 24 auf 28 Prozent ausbauen können. Weiterhin kaum genutzt werden demnach digitale Gesundheitsakten mit aktuell vier Prozent.« Weitere Informationen zum EPatient Survey 2019 findet man in dieser Pressemitteilung der EPatient Analytics GmbH.
Die Zahlen werden dem Bundesgesundheitsminister gefallen. Der hat die Sache mit seinem guten Gespür als Feld der Innovation und Modernität für sich entdeckt. Dazu Gregor Waschinski: »Mitte April steht Jens Spahn in einem Ladenlokal in der hippen Torstraße in Berlin-Mitte. Die Räumlichkeiten sollen eine Art Brückenkopf seines Ministeriums in die Digitalszene werden. „Health Innovation Hub“ hat der CDU-Politiker das Projekt getauft, eine Ideenfabrik für digitale Gesundheitsanwendungen. Die Einrichtung ist karg, die Wände strahlend weiß, unter den hohen Decken verlaufen unverkleidete Heizungsrohre. Spahn sagt bei der Eröffnungsveranstaltung, das an sein Ministerium angedockte Expertenteam solle zum „Impulsgeber“ werden. „Wir wollen bahnbrechende Technologien schneller erkennen und besser bewerten können.“ Impulse sind bei Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland dringend nötig.« Vgl. auch die Pressemitteilung Health Innovation Hub startet des Bundesgesundheitsministeriums vom 11. April 2019.
Und auch das sollte man zur Kenntnis nehmen: Die Krankenkassen, so Waschinski, setzen »verstärkt auf Gesundheits-Apps. Die TK kooperiert etwa mit dem Start-up Ada Health, das eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Diagnose-Anwendung entwickelt hat. Die Barmer bieten ihren Versicherten die App Mimi an, mit der Nutzer ihr Hörvermögen testen können. Auch der E-Patient-Survey zeigt, dass die Kassen zunehmend für Gesundheits-Apps werben. Unter den Teilnehmern der Umfrage hatten demnach 16 Prozent von ihrer Krankenversicherung eine digitale Gesundheits- und Therapieempfehlungen erhalten, eine Zunahme um elf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Patienten, die von ihren Ärzten App-Empfehlungen bekamen, sei von drei auf neun Prozent gestiegen.«
Waschinski berichtet: »Spahn lädt regelmäßig Firmengründer aus dem Bereich Digital Health in sein Ministerium, die Treffen laufen unter dem Motto „Innovation trifft Politik“. Auf einer der Veranstaltungen sagte Spahn, dass sich die Politik der Start-up-Szene „noch stärker öffnen“ müsse.« Man ahnt schon, auf was für eine Idee die Politik da kommen könnte: »Im Gesundheitsministerium wird über Möglichkeiten nachgedacht, wie digitalen Anwendungen der Weg in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geebnet werden kann.«
Und Spahn ist ein Mann der Tat, wenn es um das Verteilen von (scheinbaren) Wohltaten geht – wenn die Rechnung andere bezahlen müssen. Insofern überrascht dann eine solche Meldung vom 15. Mai 2019 nicht: »Onlinetagebuch für Diabetiker oder digitale Hilfen für Schwangere: Krankenkassen könnten künftig die Kosten für bestimme Apps übernehmen. Zumindest wenn es nach Gesundheitsminister Jens Spahn geht«, kann man diesem Artikel entnehmen: Ärzte sollen Apps verschreiben dürfen.
»Verschreibt der Arzt bald nicht mehr nur Tabletten oder Krücken, sondern auch mobile Anwendungen für Smartphones, Smartwatches oder Tablets? Genau das sieht ein Entwurf für ein neues Digitalisierungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor. Die Kosten sollen von den Krankenkassen übernommen werden. „Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sinnvolle digitale Anwendungen – z. B. Apps oder Diagnose-Tools – schnell in die Versorgung kommen“, schreibt der CDU-Politiker auf Twitter.«
Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sinnvolle digitale Anwendungen – z. B. Apps oder Diagnose-Tools – schnell in die Versorgung kommen. Deshalb haben wir heute den Entwurf für ein neues Digitalisierungsgesetz vorgestellt. #Digitalisierung pic.twitter.com/bn7NSsPKV2
— Jens Spahn (@jensspahn) 15. Mai 2019
Interessant sind auch die Ausführungen von Sarah Heuberger zu der geplanten Kostenübernahme für digitale Anwendungen unter der Überschrift Apps auf Rezept – so reagieren Gründer auf Jens Spahns Vorschlag: »Krankenkassen sollen in Zukunft die Kosten für bestimmte Gesundheits-Apps übernehmen. Denn wer nicht in das Erstattungssystem der Kassen komme, der habe es in Deutschland schwer, so der Minister. „Hier ist man es nicht gewohnt, für medizinische Produkte selbst zu bezahlen“, sagt Spahn beim Gründerfrühstück.« Und hier erfahren wir, dass es nicht nur darum geht, die Krankenkassen Smartphone-Apps finanzieren zu lassen: Oftmals sei die Finanzierung ein Problem für Gesundheits-Startups. »Der Entwurf des Digitalisierungsgesetzes sieht deshalb vor, dass Krankenkassen sich nun mit einen kleinen Teil ihrer Rücklagen über Wagniskapital an Unternehmen beteiligen dürfen. Bei den Startups kommt das gut an. Das könnte ihnen den Zugang zum komplexen deutschen Gesundheitssystem erleichtern.« Mit Beitragsgeldern versteht sich. Und vor diesem Hintergrund es ist mehr als bezeichnend, wo man noch Bedenken hat angesichts des in der Gründerszene natürlich mehr als wohlwollend aufgenommenen Vorstoßes des Ministers. Dazu dieses Beispiel:
»Carol Wildhagen ist Ärztin und Gründerin des Startups Ariana Health, das einen Chatbot zur Diagnose von Krankheiten entwickelt. Sie lobt Spahn für seinen Vorstoß. Den einzigen Haken sieht sie in der geplanten Klassifizierung der Apps. Die könne zu einer „Innovationsbremse“ werden, sagt Wildhagen.«
Dahinter steht ein Problem, das bereits in der Studie aus dem Jahr 2016 angesprochen wurde: Wie ist es mit der Wirksamkeit der Anwendungen bestellt und vor allem – wie mit den Risiken? Das ist selbst dem Minister bewusst: »Der Vorschlag von Spahn bezieht sich zunächst nur auf Anwendungen mit sehr geringem Risiko für die Patienten wie etwa digitale Tagebücher für Menschen mit Depressionen.« Spahn verteidigt »die Klassifizierung. Manche Apps könnten potenziell großen Schaden anrichten. So wie etwa eine Anwendung, die automatisch den Insulinhaushalt von Patienten misst und reguliert.«
Da kommt jetzt offensichtlich Bewegung und am Ende des Gesetzgebungs-Tunnels winkt eine ordentliche Stange Geld. Vor diesem Hintergrund und angesichts der völlig berechtigten Frage nach der Wirksamkeit (und den Risiken) der Apps interessant ist ein Interview mit dem Verfasser der bereits zitierten Studie über „Gesundheit-Apps“ aus dem Jahr 2016, Urs-Vito Albrecht. Das steht unter dieser Überschrift: „Es lässt sich kaum beurteilen, ob ein Gütesiegel tatsächlich etwas wert ist“. Seine Sichtweise auf das Thema:
»Der Markt ist so dynamisch wie eh und je, insgesamt hat sich die Marktsituation kaum geändert. Eine genaue Zahl von Gesundheits-Apps zu benennen ist heute genauso schwer wie zu Zeiten unserer CHARISMHA-Studie. Die Zahlen schwanken nicht zuletzt da die Store-Betreiber auch immer wieder Aufräumaktionen starten, denen dann veraltete oder anderweitig problematische Apps zum Opfer fallen, andererseits auch ständig neue Apps auf den Markt drängen … Wie viele Menschen tatsächlich Gesundheits-Apps nutzen, ist schwer feststellbar, die Konzerne legen hierzu keine Zahlen offen. Auch muss zwischen „Herunterladen“ und „Tatsächlich-Nutzen“ unterschieden werden. Viele Apps verschwinden, wenn die erste Begeisterung abgeflaut ist und die App keinen wesentlichen Nutzen bringt, irgendwo in den Tiefen des Smartphones und werden dann oft nur noch sporadisch eingesetzt.«
Die CHARISMA-Studie von 2016 kam zu dem Ergebnis, dass Gesundheits-Apps zwar ungemein viel Potenzial, aber wenig nachweisbaren Nutzen bieten. Und heute? »Wesentlich verbessert hat sich die Situation nicht.« Es sei aber, so der Hinweis von Albrecht, grundsätzlich schwer, bei Apps und anderen digitalen Applikationen belastbare Evidenz nach hergebrachten Mustern zu generieren: »Wo nicht-digitale Interventionen wie etwa Arzneimittel oft über längere Zeiträume und mit entsprechenden Studiendesigns untersucht werden können, ändern sich digitale Angebote oft so schnell, dass dann schon kaum noch gesagt werden kann, ob nun diese oder jene Änderung, die eventuell schon durch ein Betriebssystem-Update bedingt sein kann, einen positiven oder negativen Effekt ausgelöst hat. Auch eine in vielen Studien sonst übliche Verblindung ist im digitalen Umfeld schwer bis gar nicht umsetzbar.«
Wie dem auch sei: Das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (kurz: Digitale Versorgung Gesetz) ist bereits auf den Weg gebracht worden, zumindest liegt ein Gesetzentwurf vor:
➔ Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit: Entwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG), Stand: 15.05.2019
Das Ministerium schreibt dazu unter der Überschrift Ärzte sollen Apps verschreiben:
»Viele Patienten nutzen schon jetzt Gesundheits-Apps, die sie zum Beispiel dabei unterstützen, ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen. Künftig können sie sich solche Anwendungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung von ihrem Arzt verschreiben lassen. Dafür wird ein zügiger Zulassungsweg für die Hersteller geschaffen: Nach einer ersten Prüfung der Sicherheit und von Qualitätskriterien wie Datenschutz, Transparenz und Nutzerfreundlichkeit wird eine Anwendung ein Jahr lang vorläufig von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. In dieser Zeit muss der Hersteller beim BfArM nachweisen, dass das Angebot positive Effekte für die Versorgung hat. Wie viel Geld der Hersteller erhält, verhandelt er dann selbst mit dem GKV-Spitzenverband.«
Und: »Krankenkassen können sich künftig mit Kapital an der Entwicklung digitaler Innovationen beteiligen. Dafür dürfen sie bis zu zwei Prozent ihrer Finanzreserven aufwenden.«
Es ist ganz offensichtlich, an welche Zielgruppen sich das Vorhaben richtet: Neben den die Apps produzierenden Unternehmen, die mit deutlich höheren Entwicklungskosten konfrontiert sein werden, wenn sie die Vorgaben erfüllen wollen, was natürlich dann die Preise für die Inanspruchnahme der Apps im Vergleich zu heute erheblich nach oben treiben wird, sind es vor allem die Menschen, die sowieso schon Stunden ihres täglichen Lebens mit dem Smartphone und Tablet verbringen und die begeistert sein werden, dass ihnen nun der Preis für das Herunterladen bestimmter Apps – die deutlich teurer sein werden als das, was sie bislang gewohnt warfen – auch noch erstattet wird. Aber immer gibt es dieses Aber, in diesem Fall zwei Haupteinwände:
➔ Ist es wirklich Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, ihren Mitgliedern Apps zu bezahlen? Vor allem Apps, deren Nutzen und Wirksamkeit in vielen Fällen mehr als zweifelhaft, wenn nicht fragwürdig bleiben muss? Und selbst wenn man sich grundsätzlich eine solche Aufgabe für Krankenkassen vorstellen kann – wäre es dann nicht sinnvoller und angesichts der realen Bedarfe auch angezeigter, erst einmal die realen und die Lebenslagen vieler Menschen erheblich belastender Versorgungslücken zu schließen? Viele Normal- und Gutverdiener können sich nicht vorstellen, zu welchen Dramen sich die gedeckten Zuzahlungsregelungen beispielsweise bei Brillen oder Zahnersatz für Menschen mit niedrigen Einkommen auswachsen in der Praxis.
➞ Die Frage der Versorgung mit Sehhilfen ist aktuell ein Thema aufgrund eines Vorstoßes der Grünen: „Man muss heute fast blind sein, um eine Unterstützung für die Brille durch die gesetzliche Krankenkasse zu bekommen. Die Zuschüsse sind mickrig und mit einem unverhältnismäßig großen bürokratischen Aufwand verbunden“, so Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis90/DieGrünen. Die schlagen in einem Antrag vor, die Erstattungsfähigkeit für medizinisch nötige Gläser schrittweise voll wieder herzustellen. Die war 2004 deutlich eingeschränkt worden. Zunächst sollten die Kassen Gläser ab fünf Dioptrien komplett bezahlen und ab zwei Dioptrien zur Hälfte.
➔ Und der zweite Einwand kommt von einem Teil der Kassenseite selbst, denn die sollen ja als Finanzier herangezogen werden: AOK rechnet mit Milliardenkosten durch verordnete Gesundheits-Apps, so die Überschrift eines Artikels aus dem Deutschen Ärzteblatt. Es geht dabei nicht um eine fundamentale Ablehnung des Ansatzes: Es sei richtig, dass digitale Gesundheitsanwendungen in die Patientenversorgung aufgenommen werden, wird der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, zitiert. Aber: »Kritisch zu sehen sei …, dass digitale Gesundheitsanwendungen in Zukunft ohne ausreichende Überprüfung ihres Gesundheitsnutzens ohnehin von den Kassen übernommen werden müssten – und das zu einem vom Hersteller frei gesetzten Preis.« Dieser Freifahrtschein nach Vorbild des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) habe „schon bei den Arzneimitteln zu überhöhten Preisen geführt“, so die Sorge der AOK.
Und wie immer sollte man bei geplanten Maßnahmen auch an mögliche ungeplante Nebenfolgen des Handelns denken: »Hinzu komme, dass die Hersteller angesichts beliebig wählbarer Produktzyklen für Gesundheitsanwendungen jedes Jahr „neue“ Produkte auf den Markt bringen und damit den Preisvereinbarungen auch komplett ausweichen könnten.«
Durch die im DVG-Entwurf vorgesehenen Finanzierungsregelungen entstehe ein erhebliches Kostenrisiko für die gesetzlich Versicherten, beklagt die AOK. Das hört sich abstrakt an und deshalb eine Beispielkalkulation:
„Schon bei einer stichprobenartigen Betrachtung des Angebotes von drei Anbietern und einer geschätzten Verschreibungsquote von 25 Prozent kommen wir auf geschätzte Mehrkosten für die GKV von jährlich 2,5 Milliarden Euro.“
Solche Nicht-Peanuts-Beträge verstärken die bei ersten Einwand vorgetragene Frage: Wäre es nicht Aufgabe der Krankenkassen, erst einmal und gerade bei den Menschen, die nur über geringe Einkommen verfügen, reale Versorgungsmängel abzubauen, was deren Lebensqualität deutlich verbessern würde? So im Sinne einer „solidarischen Krankenversicherung“? Wäre das nicht sinnvoller, als über die Kassenbeiträge eine klassische Branchenförderung zu betreiben, die den Beitragszahlern teuer zu stehen kommen wird?