Ein Stärkungsgesetz für Betriebsrenten als totes Pferd. Nahles ist weg und die „Nahles-Rente“ auch? Keine Überraschung bei den Ungleichgewichten im Bauplan

Jeder, der heutzutage neben der gesetzlichen Rente Zahlungen aus einer Betriebsrente bekommt, kennt deren entlastende Funktion für das im Alter geschrumpfte Haushaltsbudget. Und gerade die Risikogruppen für Altersarmut zeichnen sich leider dadurch aus, dass bei ihnen neben den zumeist niedrigen Leistungen aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung kaum oder gar keine anderen Einkommensquellen im Alter vorhanden sind. Vor einer solchen Kulisse sind erst einmal alle Bemühungen, mehr Arbeitnehmern den Zugang zu einer zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung zu ermöglichen, mit Wohlwollen zu betrachten. Insofern könnte man rückblickend durchaus zu dem bereits in der Wortwahl vergifteten Fazit „Sie war bemüht“ kommen, wenn es um eine der letzten rentenpolitischen Vorstöße der früheren Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geht, die nach einem Ausflug an die SPD-Spitze mittlerweile die politische Bühne vollständig verlassen hat. Denn Nahles hat das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ auf den Weg gebracht. In diesem Gesetz enthalten war und ist sogar eine weitere, eine neue Form der betrieblichen Altersvorsorge – die zwischenzeitlich als „Nahles-Rente“ bezeichnet wird (was vor dem Hintergrund der Wahrnehmung personenbezogener Rentenvorgänger wie „Riester-Rente“ oder „Rürup-Rente“ nicht gerade optimistisch stimmen sollte). Um was genau geht es hier?

Eine zentrale Komponente des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist die verschleiernd „Zielrente“ im „Sozialpartnermodell“ genannte Variante einer im Ergebnis „entkernten“ Betriebsrente: Der Arbeitgeber muss seinen Beschäftigten damit nicht mehr eine bestimmte Rentenhöhe zusagen, sondern nur sicherstellen, dass die Sparbeiträge ordnungsgemäß zurückgelegt und verwaltet werden. Die gerade in der Niedrigzinsphase oft drückenden Kapitalmarkt- und Haftungsrisiken sind die Unternehmen im Modell der Zielrente los. Eingeführt wird also die Möglichkeit einer reinen Beitragszusage ohne weitere Verpflichtungen – für die Arbeitgeber besonders attraktiv, folgt das doch dem Modell „pay and forget“. Gerade durch die Enthaftung erhöht man ohne Zweifel die Anreize für die Unternehmen. Man muss sich klar machen, dass die Haftungsfreistellung der Arbeitgeber bei der „Zielrente“ im „Sozialpartnermodell“ erfolgen muss – das bedeutet im Ergebnis: Zu den fünf bisher existierenden Modellen der Betriebsrente (Direktzusage, Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds) wird ein weiterer Weg hinzugefügt und die anderen Wege bleiben bestehen, was das „System“ der betrieblichen Altersvorsorge – nun ja – nicht gerade übersichtlicher macht, um das nett zu formulieren.

Nun hat jede Medaille zwei Seiten und auf der anderen Seite, bei den Arbeitnehmern, sieht die Bilanz dann schon anders aus, denn die werden eigentlich doppelt in die Mangel genommen – zum einen haben sie keine Garantie mehr, was sie später mal für eine Betriebsrente bekommen werden und im schlimmsten Fall kann es sogar sein, dass eine Teil der eingezahlten Beiträge unterwegs verloren geht, denn man öffnet zugleich diese Form für risikoreichere Anlageentscheidungen (die eine höhere Rendite ermöglichen können, aber eben immer auch mit dem Risiko eines Vermögensverlustes verbunden sind). Zum anderen verlagert man die konkrete Finanzierung der „Betriebsrenten“ immer stärker auf die Arbeitnehmer allein – durch deren Entgeltumwandlung.

So die Bilanzierung der Änderungen durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in dem Beitrag Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017. Und in diesem Beitrag finden wir dieses aufschlussreiche Zitat von Frank Oliver Paschen, Vorstandsvorsitzender Dresdener Pensionskasse VVaG:

»Ein Novum ist sicherlich, dass mit Frau Nahles ausgerechnet eine Sozialdemokratin durch das Zielrentensystem bewährte Garantien für Arbeitnehmer abschafft und so sämtliche Risiken auf diese überwälzt. Nicht erkennbar ist, welches Interesse Gewerkschaften daran haben sollten, diese verschlechterte Position ihrer Mitglieder bzw. Arbeitnehmer durch tarifvertragliche Regelungen zu ermöglichen.«

Das müsste doch zwischenzeitlich auch bei den angesprochenen Gewerkschaften angekommen sein. Ist es offensichtlich auch, denn nun erreichen uns solche Meldungen: »In das Gesetz zur Stärkung der Betriebsrenten hat die Koalition große Hoffnungen gesetzt. Bislang ist es allerdings ein Ladenhüter. Vor allem Gewerkschaften kritisieren seine Unverbindlichkeit. Diese Woche könnte entscheidend sein«, so Philipp Krohn in der FAZ am 8. Oktober 2019 unter der Überschrift Warum die Zukunft der „Nahles-Rente“ auf dem Spiel steht. Denn in »dieser Woche könnte sich entscheiden, ob die „Nahles-Rente“, das tarifvertragliche Modell in der betrieblichen Altersversorgung mit einer garantiefreien Zielrente, noch eine Zukunft hat. Denn für die meisten Arbeitnehmervertretungen dürfte es Signalwirkung haben, wie sich die drei größten Gewerkschaften IG Metall, Verdi und IG BCE zu dem Modell verhalten.« Und derzeit läuft noch der Gewerkschaftstag der mächtigen und hier höchst relevanten IG Metall in Nürnberg. Und Krohn hat einen Blick in die vielen Anträge geworfen, die dort verhandelt werden: »Geht man die 108 Anträge zum Thema Alterssicherung durch, fällt auf, dass die meisten dafür werben, die gesetzliche Rente zu stärken … Zu Betriebspensionen nehmen deutlich weniger Anträge Stellung. Meist lautet der Tenor, sie sollten als Ergänzung zur gesetzlichen Rentenversicherung dienen. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz wird überwiegend kritisch beleuchtet. Es treibe „die Demontage der Betriebsrenten auf die Spitze, indem die Firmen völlig aus der Haftung genommen werden und statt einer garantierten Rente nur noch eine völlig unverbindliche Zielrente versprochen werden muss“, schreibt die IG Metall Kiel-Neumünster. Vier weitere Anträge führen aus, das Sozialpartnermodell sei nicht geeignet, eine verlässliche Rente zu befördern.«

Nur einen Abweichler hat er identifiziert: »Einzige Ausnahme ist der Antrag der IG Metall Stuttgart, der offensiv dafür wirbt, eine gemeinsame Einrichtung mit den Arbeitgebern zu schaffen, in der „ohne die Versicherungswirtschaft und unter Nutzung einer nachhaltigen Anlagepolitik mit ausreichenden Sicherungselementen ein existenzieller Beitrag zur Altersversorgung unserer Mitglieder geleistet werden“ kann.«

Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer „gemeinsamen Einrichtung“ wird der Finger auf eine ziemlich große offene Wunde gelegt, denn »seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2018 haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf kein einziges Sozialpartnermodell geeinigt. „Es herrscht weiterhin Argwohn gegen ein Modell ohne Zinsgarantien und gegen eine Anlage in Aktien, obwohl man sie als eine Beteiligung an Betriebsvermögen verstehen kann“, sagt Marco Arteaga von der Rechtsanwaltskanzlei DLA Piper, der mit einem Rechtsgutachten wesentliche Impulse zu dem Gesetz gegeben hat.«

An anderer Stelle wurde das sich andeutende Fazit schon deutlicher formuliert: Betriebsrente: Nahles-Rente vor dem Aus, so hat Mirko Wenig seinen Artikel dazu überschrieben: »Das Betriebsrentenstärkungsgesetz sollte dafür sorgen, dass speziell kleine und mittlere Unternehmen verstärkt die betriebliche Altersvorsorge anbieten. Aber ein wichtiger Baustein könnte sich nun als Totalflop erweisen: das Tarifpartnermodell. Die Gewerkschaften haben keine Lust darauf, denn sie sehen für Arbeitnehmer wenig Vorteile.« Die Bestandsaufnahme auch hier: »Die Nahles-Rente droht … zu scheitern, bevor sie überhaupt richtig gestartet ist. Zwar gibt es mittlerweile mehrere Versicherer, die eine solche Betriebsrente anbieten: oft als Konsortium, also Zusammenschluss mehrerer Anbieter. Aber noch immer ist kein Fall bekannt, indem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich auf eine gemeinsame Betriebsrente geeinigt haben.«

Und er bringt das absehbare Dilemma für die Gewerkschaften auf den Punkt: »Viele Gewerkschaften können nicht erkennen, welchen Vorteil die Nahles-Rente für Arbeitnehmer haben soll. Garantien zur Betriebsrente sind ihnen nach wie vor wichtig. Sie fürchten, dass die tatsächlich gezahlte Rente letztlich deutlich niedriger ausfällt als die unverbindlich versprochene Zielrente.«

Und der Vollständigkeit halber sollte man darauf hinweisen, dass offensichtlich nicht nur viele in den Gewerkschaften keine Lust haben auf diese windige Angelegenheit. Auch auf der Arbeitgeberseite gibt es kein sonderlich großes Interesse, gerade bei den Arbeitgeber, die überwiegend kleine und mittlere Unternehmen vertreten, für die das neue Modell angeblich gerade geplant war. So zitiert Krohn in seinem Artikel eine Stimme aus dem Bereich der Gastronomie-Arbeitgeber:

„Das Sozialpartnermodell stand für uns nicht zur Debatte. Ein Verband kann keine Verantwortung für die Anlagepolitik übernehmen“, sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Gaststättenverbands Dehoga, der mit der Gewerkschaft NGG in der vergangenen Woche einen Abschluss verkündet hat. „Das Sozialpartnermodell verbietet zudem Beitragsgarantien und Garantiezinsen und kam auch aus diesen Gründen für uns nicht in Betracht. Das Gesetz war blauäugig.“

Was hat beim Abschluss mit der Gewerkschaft tatsächlich vereinbart? »Statt einer tarifpartnerschaftlichen Einrichtung übernimmt der Versicherer Signal Iduna die Kapitalanlage und garantiert zu Rentenbeginn die Auszahlung der geleisteten Beiträge. Vor 15 Jahren hätte man eine solche abgespeckte Garantie nicht akzeptieren können, aber diese Konzession an den Niedrigzins habe man machen müssen, sagt Hartges.«

Mirko Wenig weist zudem auf grundlegende Konstruktionsmängel hin – ausgehend von dem Anspruch, durch das neue Modell gerade in den Kleinbetrieben die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu befördern: Der Gesetzentwurf von Andrea Nahles »zielte darauf, gerade in kleinen Betrieben mehr Betriebsrenten zu verbreiten. Diese sind aber oft gar nicht tariflich organisiert, speziell in Ostdeutschland. Und haben folglich auch keine Mitsprache bei der Nahles-Rente. Zwar können sie sich an bestehende Modelle in ihren Branchen anschließen: Sind aber außen vor, wenn die Bedingungen hierfür zwischen Tarifpartnern ausgehandelt werden.«

Ein solches durchaus nachvollziehbares Verhalten stößt bei denen, die große Hoffnungen haben hinsichtlich der vom Gesetzgeber möglich gemachten neuen arbeitgeberorientierten Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung, auf Empörung. So kommentiert Philipp Krohn in der FAZ unter der Überschrift Garantiert kein Zins für die Altersvorsorge: »Das ganze Land empört sich über die Ungleichheit. Jetzt hätten Gewerkschaften und Arbeitgeber die Chance, mit Betriebsrenten für eine bessere Verteilung der Vermögen zu sorgen. Doch sie kneifen.« Seiner Meinung nach sei es »offensichtlich, dass ihr Festhalten an Garantien in der Altersvorsorge Aktieninvestitionen unmöglich macht und bei fortgesetztem Niedrigzins zu mickrigen Betriebspensionen führen wird.« Über die Risiken dessen, was er da vor Augen hat, verliert er „natürlich“ kein Wort. In seinem Artikel Warum die Zukunft der „Nahles-Rente“ auf dem Spiel steht findet man diesen aufschlussreichen Passus: »Mit einer Beitragsgarantie sind Kapitalanleger in der Geldanlage unflexibel, sie müssen einen Teil der Beiträge in festverzinslichen Wertpapieren anlegen – paradoxerweise einen umso höheren Anteil, je niedriger der Kapitalmarktzins ist. Die Zielrente würde es erlauben, stärker in etwas riskantere Wertpapiere wie Aktien zu investieren. Weil den Tarifparteien die Expertise in der Geldanlage fehlt, hätten sie Spezialisten wie Versicherer oder Fondsgesellschaften mit dieser Aufgabe betrauen können.« Man achte auf die Formulierungskapriolen: „etwas riskantere Wertpapiere wie Aktien“ oder die bekanntlich besonders tollen „Sozialisten wir Versicherer oder Fondsgesellschaften“.

Und man findet in seinem Bericht über die Widerstände gegen das neue Betriebsrentenmodell auch den Versuch einer Drohung, zu was eine Verweigerung führen könnte. Dazu bedient er sich der Ausführungen von Marco Arteaga von der Rechtsanwaltskanzlei DLA Piper: »Aus seiner Sicht dürfte sich in den kommenden Tagen entscheiden, ob die Bundesregierung an der Nahles-Rente festhält oder doch ein staatliches Obligatorium einführt. Denn während Tarifparteien zurückhaltend auf das neue Modell reagieren, berät die Regierungskommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ über den künftigen Rentenkonsens. „Mitglieder dieser Kommission vertreten die Auffassung, dass ein Pflichtsystem nötig ist, weil die Rentenkürzungen alle betreffen, der Ausgleich aber freiwillig erfolgen soll“, sagt Arteaga. Ein Obligatorium sei die einfachste Möglichkeit, die Verbreitung von Betriebsrenten schnell auszubauen.«

Unabhängig von der Tatsache, dass selbst wenn die Regierungskommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ein Obligatorium empfehlen sollte, damit keinesfalls eine entsprechende Regelung seitens des Gesetzgebers kommen muss: Gerade die Möglichkeit, dass es zu einer solchen Empfehlung kommen könnte, sollte neben der Sozialdemokratie vor allem die Gewerkschaften dazu antreiben, eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen, wie man zu dem ganzen Weg, manche Kritiker würden sagen Irrweg bei den Betriebsrenten, steht. Und dabei sollte es eigentlich und selbstverständlich um die Interessen der Arbeitnehmer gehen. Und wem bzw. was man diese über Jahrzehnte (nicht) ausliefern will.

Nachtrag: Das Thema „Betriebsrenten“ war wie angesprochen Gegenstand durchaus strittiger Diskussionen auf dem 24. Gewerkschaftstag der IG Metall, der derzeit in Nürnberg stattfindet. Wer die Debatte über die dort verhandelten Anträge nachvollziehen möchte, der kann das auf den Seiten 99 ff. im Tagungsprotokoll 10.10.2019 nachlesen.