Derzeit geistert immer wieder die angebliche Botschaft durch die Medienwelt, der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wolle die Leiharbeit in der Pflege „verbieten“. Da geht allerdings einiges durcheinander.
Eine nüchterne Bestandsaufnahme der Daten zur tatsächlichen Bedeutung von Leiharbeit in der Pflege wie auch der unterschiedlichen Motive für entleihende Unternehmen wie auch für die Leiharbeiter selbst zeichnet ein differenziertes Bild, dahingehend, dass man zum einen die quantitative Bedeutung der Leiharbeit nicht überschätzen sollte, zum anderen aber tatsächlich vielfältige praktische Probleme mit dem Rückgriff auf dieses personalpolitische Instrument verbunden sind (vgl. dazu den Beitrag „Gute Leiharbeit“? Zur medialen und tatsächlichen Bedeutung der Leiharbeit in der Kranken- und Altenpflege vom 23. September 2019). In diesem Beitrag findet man auch einen Passus, der sich mit der (angeblichen) Forderung nach einem Verbot der Leiharbeit in der Pflege beschäftigt.
So wurde der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits im Sommer des vergangenen Jahres mit diesen vorsichtigen Worten zitiert: »Die Leiharbeit im Pflegebereich mache die Dinge nach Spahns Auffassung angesichts der aktuellen Probleme mit der Stellenbesetzung eher schwieriger als leichter. „Ich hätte lieber weniger Leiharbeit in der Pflege und mehr Festangestellte“, sagte Spahn.« In einem anderen Bericht heißt es: »Es müsse dringend jetzt etwas getan werden, vor allem gegen die Leiharbeit. Denkbar wäre, überlegte Spahn, ein Verbot von Leiharbeit in unterbesetzten Facharbeitsbereichen – auch wenn dies einen ziemlichen Eingriff bedeuten würde.« Wobei die dazu gehörende Überschrift des Artikels – Jens Spahn spricht sich für ein Verbot von Leiharbeit aus – dann angesichts der konkreten Formulierung des Ministers eine nun ja, sehr weit ausgreifende Interpretation ist. Der Mann weiß sicher, warum er semantisch so herumeiert bei dem Thema „Verbot der Leiharbeit“ in der Pflege.
Doch diese Debatte geht offensichtlich weiter: Gesetzgeber will Leiharbeit in der Pflege weitgehend verhindern, meldet nun die Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts, die Ärzte Zeitung berichtet dazu unter der Überschrift Spahn gegen Leihkräfte in Kliniken. Aber wie will er das hinbekommen? Von einem Verbot, auf Leiharbeit, von anderen auch als Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet, ist schon in der Überschrift keine Rede (mehr). „Weitgehend verhindern“ – was muss man sich darunter vorstellen?
»Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will bei der geplanten besseren Vergütung der Pflege in den Krankenhäusern ein Ausweichen auf Leiharbeiter verhindern.« Das ist das Ziel. Und wie kann man das erreichen? Dazu bekommen wir diese „Aufklärung“:
»Konkret sollen höhere Kosten, die bei Leiharbeitskräften anfallen können, nicht von den Krankenkassen refinanziert werden, wie Spahn erläuterte. Dafür soll ein Änderungsantrag an einem anderen Gesetz angehängt werden, das in dieser Woche in den Bundestag eingebracht wird. Über die tarifvertragliche Vergütung hinausgehende Zusatzkosten und Vermittlungsprovisionen bei Leihpersonal sollen demnach nicht im künftigen „Pflegebudget“ berücksichtigt werden, das die Kassen zahlen.«
Anders ausgedrückt: Es geht eben nicht um ein wie auch immer formuliertes explizites Verbot der Leiharbeit in der Pflege, sondern man will deren Inanspruchnahme eindämmen, in dem man auf der Kosten- und Finanzierungsseite bei den (potenziellen) Entleihunternehmen anzusetzen versucht. Nur könnte hier der Eindruck erweckt werden, dass das heute anders ist, also eine Refinanzierung der höheren Kosten erfolgt. Dem ist aber nicht so, sondern die tatsächlich deutlich höheren Kosten (für den Bereich der Altenpflege vgl. beispielsweise bpa-Befragung zur Zeitarbeit: 89 Prozent Zusatzkosten) müssen aus dem operativen Geschäft erwirtschaftet werden. Der Rückgriff auf die aus Sicht vieler Kliniken und Pflegeheime sehr teure Notlösung Leiharbeit potenziert sie sowieso schon vorhandene Unterfinanzierung der Pflege im Ergebnis.
Und Spahn argumentiert nach den vorliegenden Berichten mit dem kommenden „Pflegebudget“, in dem die höheren Kosten der Leiharbeit in der Pflege nicht abgebildet werden sollen. Nun sind die angesprochenen Pflegebudgets (die betreffen die Krankenhäuser, nicht die Altenpflege) an sich schon ein mehr als große Herausforderung, die ab dem kommenden Jahr auf die Kliniken zukommen wird: Es geht hier um die geplante Herausnehme der Pflegekosten aus dem auf DRGs basierenden Fallpauschalensystem an. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz hat die Bundesregierung ab dem Jahr 2020 die Einführung eines Pflegebudgets vorgesehen, bei dem die Krankenhäuser hausindividuell die Pflegepersonalkosten mit den Krankenkassen vor Ort verhandeln. Das hört sich einfacher an als es sein wird. Die bislang in den Diagnosis Related Groups (DRG; diagnosebezogene Fallgruppen) eingepreisten Pflegepersonalkosten sollen zuvor in einem aufwendigen Verfahren aus den einzelnen Fallpauschalen herausgerechnet werden. Da jedes Krankenhaus ein anderes Leistungsportfolio anbietet, ist jedes Haus von dieser Maßnahme in unterschiedlichem Maß betroffen. Für die Übergangszeit, in der die Verhandlungen über das Pflegebudget noch nicht abgeschlossen sind, sollen die Krankenhäuser 130 Euro* je vollstationärem Belegungstag erhalten. Dadurch sollen Liquiditätsprobleme der Krankenhäuser im kommenden Jahr verhindern werden – aber viele Klinikdirektoren befürchten, dass es im kommenden Jahr zu einer gigantischen Unterdeckung der Personalkosten kommen wird, denn der Pauschalbetrag sei keinesfalls kostendeckend. Vgl. dazu ausführlicher bereits den Beitrag Krankenhäuser zwischen Volksbegehren gegen den Pflegenotstand und unsicheren Pflegebudgets im kommenden Jahr vom 18. Juni 2019.
Hinzu kommt mit Blick auf die Personalbeschaffung ein weiterer Aspekt, der aus Sicht der Kliniken und Pflegeeinrichtungen nicht unterschätzt werden sollte: Neben der sehr teuren Leiharbeit gab es in der Vergangenheit immer auch die Option, sich Personal auf dem Markt der „selbstständigen“ Pflegekräfte zumindest günstiger als über den Weg eines Verleihunternehmens zu besorgen. Doch dieser Weg ist durch die Rechtsprechung mittlerweile weitestgehend blockiert. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Kein Honorar mehr. Das Bundessozialgericht hat eine grundsätzliche Sozialversicherungspflicht der Arbeit von Honorarärzten festgestellt. Das wird auch selbständige Pflegekräfte treffen vom 5. Juni 2019. Das wiederum hat Auswirkungen auf das hier interessierende Thema Inanspruchnahme der Leiharbeit. Dazu die Analyse von Frank Osterloh unter der Überschrift Honorar- und Zeitarbeit: Der Markt verändert sich. Auslöser war die angesprochene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts:
»Lange Zeit haben … Unternehmen in erster Linie Honorarärzte und -pflegekräfte vermittelt. Lange war dabei allerdings auch unklar, ob es sich bei diesem Arbeitsverhältnis um eine Scheinselbstständigkeit handelt. In zwei Urteilen hat das Bundessozialgericht (BSG) diese Unklarheit Anfang Juni beendet. „Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht“, heißt es in dem Urteil vom 4. Juni (Aktenzeichen B 12 R 11/18 R als Leitfall) … Ein analoges Urteil wurde am 7. Juni für Honorarpflegekräfte gefällt (Aktenzeichen B 12 R 6/18 R als Leitfall).«
Das wird Folgen haben. Dazu Osterloh in seinem Artikel: „Für die Krankenhäuser wird es jetzt teurer werden“, zitiert er den Vorsitzenden des Bundesverbands der Honorarärzte (BV-H), Dr. med. Nicolai Schäfer. Denn viele der heutigen Honorarärzte werden künftig als Zeitarbeiter tätig sein. „Dann müssen die Krankenhäuser nicht mehr nur das Honorar für die Ärztinnen und Ärzte zahlen, sondern quasi auch die Lohnnebenkosten, die die Zeitarbeitsfirmen, bei denen die Ärzte angestellt sind, auf die Preise für die Tätigkeit der Ärzte aufschlagen werden.“ Mit Blick auf die Zukunft: Das System wird sich in Richtung Leiharbeit entwickeln. Was man übrigens in den vergangenen Jahren schon beobachten konnte, in denen die Nachfrage nach Honorarkräften bereits auf dem Rückzug war.
Fazit: Natürlich gibt es viele und gute Argumente gegen die Nutzung von Leiharbeit in der Pflege – aber ein „Verbot“ dieser mehr als umstrittenen Beschäftigungsform wird es auch mit Herrn Spahn nicht geben (können). Man wird („nur“) die Inanspruchnahme dieser Notnagel-Lösung weiter verteuern können (dazu dient dann der vom BMG angeblich geplante explizite Ausschluss der Möglichkeit einer Finanzierung der höheren Kosten von Leiharbeitern). Der immer größer werdende Mangel aber bleibt.
*) Zu den (ursprünglich geplanten) 130 Euro je vollstationären Belegungstag als Übergangsregelung, bis die Pflegebudgets ausgehandelt sind – da ist dem Gesetzgeber wohl selbst mulmig geworden. Dieser Betrag soll nun auf 160 Euro pro Belegungstag angehoben werden. Das sieht der Entwurf eines Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vor, der am 27. September 2019 im Bundestag in erster Lesung behandelt wird (BT-Drs. 19/13397 vom 23.09.2019). Dort eingebaut ist eine Änderung des § 15 Absatz 2a Satz 1 Krankenhausentgeltgesetzes. In der Begründung zu der Änderung finden wir diese Erläuterungen: »Das Pflegepersonalstärkungsgesetz führt in § 15 Absatz 2a KHEntgG eine Regelung für ein vorübergehendes, pauschales vollstationäres Pflegeentgelt in Höhe von 130 Euro pro Tag und ein pauschales teilstationäres Pflegeentgelt in Höhe von 65 Euro pro Tag ein. Dieses Entgelt ist als vorläufiger Abschlag unabhängig vom konkreten Pflegebedarf zu vergüten, wenn im Jahr 2020 die Bewertungsrelationen für die DRG-Fallpauschalen um die Kosten für das Pflegepersonal in der Patientenversorgung abgesenkt worden sind, die Vertragsparteien des konkreten Krankenhauses vor Ort jedoch noch kein Pflegebudget vereinbart haben.Krankenhäuser, Krankenhausträger und die DKG befürchten, dass der im Gesetz vorgesehene Pauschalbetrag von 130 Euro für die vollstationäre Pflege sowie korrespondierend 65 Euro für die teilstationäre Pflege – insbesondere in pflegeintensiven Bereichen – die Kosten nicht deckt. Aufgrund der sich abzeichnenden Verzögerungen der Budgetverhandlungen 2020 infolge der Komplexität der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten und ihrer Abgrenzung ist davon auszugehen, dass diese Regelung zunächst flächendeckend Anwendung finden wird. Für Krankenhäuser mit hohen Pflegeanteilen, wie beispielsweise Kinderkliniken beziehungsweise pädiatrische Abteilungen oder geriatrische Krankenhäuser beziehungsweise geriatrische Abteilungen, steht zu befürchten, dass die Regelung zu ernsthaften Liquiditätsproblemen führen kann. Nach Einschätzung von Vertretern von Krankenhäusern und Krankenhausträgern kann das Liquiditätsproblem der Kliniken durch eine Anhebung des Abschlags pro Belegungstag auf 160 Euro vollstationär und 80 Euro teilstationär gelöst oder doch deutlich abgemildert werden. Es handelt sich dabei lediglich um eine leicht erhöhte Liquiditätshilfe für die Krankenhäuser für einen auf ein Jahr begrenzten Übergangszeitraum, um den Übergang zum neuen Pflegebudget besser bewältigen zu können. Höhere Kosten entstehen nicht, da die tatsächlichen Finanzierungsansprüche aus dem Pflegebudget unberührt bleiben.« (BT-Drs. 19/13397, S. 121/122).