Der eine oder andere wird denken: Wie man es macht, man macht es falsch. Früher wurden die staubtrockenen Juristen der Ministerialbürokratie kritisiert für die technokratischen Wortungetüme, mit denen sie ihre Gesetzesvorlagen überschrieben haben. Dann haben wie in den meisten anderen Bereichen des menschlichen Daseins die Betriebswirte und von ihnen die Fraktion der Marketingleute Einzug gehalten in die heiligen Hallen der Gesetzgebung und seitdem werden wir zunehmend beglückt mit Namens-Kapriolen, denen man – wenn es nicht so ein ernstes Thema wäre – einen gewissen Unterhaltungswert zuschreiben könnte: Das „Gute-Kita-Gesetz“ ist so ein Beispiel, gleichsam abgerundet durch das „Starke-Familien-Gesetz“, beide von der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lässt sich nicht lumpen beim Framing-Wettbewerb mit seinem „Faire-Kassenwahl-Gesetz“. Und selbst der Horst Seehofer (CSU) beglückt uns mit einem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. Da will der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht in die zweite Liga fallen und kündigt ein „Respekt-Rente-Gesetz“ an – und nun ein „Arbeit-von-morgen-Gesetz“, wobei er hier doch erkennbar schwächelt, denn nach der sozialdemokratischen Verlautbarungslogik müsste es eigentlich heißen: „Gute-Arbeit-von-morgen-Gesetz“.
Nun kann das schon mal in der Hektik des Tagesgeschäfts vergessen werden, wenn es nur darum geht, schnell irgendwelche Effekte zu erzielen, vor allem, wenn man in wenigen Tagen die ersten beiden der drei Landtagswahlen in Ostdeutschland vor der Tür stehen hat und zugleich die SPD in den Umfragen bei deutlich unter 15 Prozent verharrt und weiter an Rest-Boden zu verlieren scheint. Insofern könnte man das als ein reines Werbemanöver abbuchen, so auch der Impuls aus den Reihen des eigenen Koalitionspartners, also der Union (vgl. zu dieser Verkürzung als ein Beispiel das Interview „Ein Akt verzweifelter Wahlpropaganda“ mit dem CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach).
Aber so einfach darf und sollte man es sich nicht machen. Vor allem nicht angesichts des allgemeinen und immer stärker werdenden Rauschens in den Medien über einen konjunkturellen Einbruch in Verbindung mit der seit langem laufenden und überaus strittigen Debatte über – mögliche – negative Folgen des grundsätzlichen Strukturwandels für die Arbeitsmärkte (Stichworte Digitalisierung, Roboterierung usw.). Denn die Vorschläge des Bundesarbeitsministers versuchen, genau an diesen beiden sehr unterschiedlichen Risiko-Dimensionen der Arbeitsmarktentwicklung anzusetzen.
Hinsichtlich eines Anstiegs der Arbeitslosigkeit aufgrund der sich verschlechternden konjunkturellen Entwicklung (so meldet das Statistische Bundesamt am 14. August 2019: »Das reale (preisbereinigte) Bruttoinlandsprodukt in Deutschland war im 2. Quartal 2019 saison- und kalenderbereinigt um 0,1 % niedriger als im 1. Quartal 2019 … Im 1. Quartal 2019 hatte es noch einen Anstieg von 0,4 % zum 4. Quartal 2018 gegeben«) zeigen die Daten, dass die Zugänge in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung im 1. Arbeitsmarkt im Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019 um fast 20 Prozent angestiegen sind im Vergleich zu der entsprechenden Vorjahresperiode – vor allem aus der Industrie, Verkehr und Lagerei sowie Leiharbeit speisen sich die deutlich erhöhten Zugänge. Vgl. dazu den Beitrag Arbeitsmarkt: Winter is coming? Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik vom 8. August 2019. Dort wurde aber auch drauf hingewiesen, dass wir derzeit eine Gleichzeitigkeit von steigender „neuer“ Arbeitslosigkeit und einer – wenn auch an Dynamik verlierenden – weiterhin zunehmenden Beschäftigung insgesamt sehen. Der steigende Bestand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten geht einher mit einer weiterhin hohen Personalnachfrage, wenn man diese an der Zahl der offenen Stellen bemisst, deren Größenordnung vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) berechnet wird:
Zu den aktuellen hochgerechneten Werten berichtet das IAB: »Im zweiten Quartal 2019 gab es bundesweit rund 1,39 Millionen offene Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Gegenüber dem ersten Quartal 2019 stieg die Zahl der offenen Stellen um rund 9.000, gegenüber dem zweiten Quartal 2018 um 175.000.«
Das muss kein Widerspruch sein zu der sich ausweitenden Berichterstattung über eine möglicherweise bevorstehenden Rezession und damit einhergehender ansteigender Arbeitslosigkeit, die vor allem das verarbeitende Gewerbe und industrienahe Segmente treffen wird, während der Personalbedarf weiterhin hoch bleiben wird in den Dienstleistungsbereichen, die schon seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der Fachkräftemangeldebatte stehen wie beispielsweise der Pflege und andere personenbezogene Dienstleistungen.
Dass sich die konjunkturelle Situation weiter verschlechtern wird, ist kein unrealistisches Szenario. So berichtet das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): »Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland in den nächsten drei Monaten eine Rezession erlebt, hat sich weiter erhöht. Sie stieg von 36,6 % im Juli 2019 auf aktuell 43 %. Der Anstieg ist vor allem auf ein Zusammenspiel schlechterer Produktionszahlen für das Verarbeitende Gewerbe und einer weiteren Eintrübung der Stimmungsindikatoren zurückzuführen.«
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus ehrenwert, wenn man sich im Vorfeld Gedanken macht, mit welchen Instrumenten man auf einen möglicherweise anstehenden stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit reagieren kann – und hierbei der Frage nachgeht, ob man den Absturz der betroffenen Arbeitnehmer in die formale Arbeitslosigkeit verhindern oder zumindest aufhalten kann. Da wären wir dann bei dem arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium der Kurzarbeit.
Kurzarbeitergeld ist eine Lohnersatzleistung, durch die Arbeitslosigkeit vermieden werden soll. Den Arbeitnehmern sollen ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben, den Betrieben die eingearbeiteten Arbeitnehmer. Wenn wir von der Sonderform des Saison-Kurzarbeitergeldes absehen (das wird in der Zeit vom 1. Dezember bis zum 31. März (Schlechtwetterzeit) geleistet, aber nur für Betriebe aus der Baubranche oder einem Wirtschaftszweig, der von saisonbedingtem Arbeitsausfall betroffen ist), dann gibt es zwei hier besonders relevante Formen dieser Leistung:
➔ Konjunkturelles Kurzarbeitergeld (§ 96 SGB III) aus wirtschaftlichen und konjunkturellen Gründen kann gewährt werden, wenn ein vorübergehender erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt.
➔ Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) kann zum einen zur Vermeidung von Entlassungen beantragt werden, zum anderen zur Verbesserung der Vermittlungschancen bei Betriebsänderungen, die einen Personalabbau nach sich ziehen. Voraussetzung ist jeweils ein dauerhafter unvermeidbarer Arbeitsausfall.
Und nun zu dem, was der Bundesarbeitsminister im Sinn hat: »Mit neuen Regeln für Kurzarbeit und mehr Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf die schwieriger werdende Wirtschaftslage reagieren. Am Rande einer arbeitsmarktpolitischen Reise durch Rheinland-Pfalz kündigte Heil an, dazu im Herbst seinen Entwurf für ein Gesetz unter dem Titel „Arbeit von morgen“ vorzulegen«, berichtet die FAZ unter der Überschrift Was Heil mit seinem neuen Arbeitsmarkt-Gesetz plant. Aber was genau schwebt dem Minister vor? »Zu diesem Zweck will er die Bedingungen des Zugangs zu Kurzarbeitergeld für kriselnde Unternehmen und ihre Beschäftigten lockern – ähnlich, wie dies schon in der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren vorübergehend galt … In der Konjunkturkrise von 2009 hatte die Regierung vorübergehend festgelegt, dass Betrieben auch die normalerweise auf das Kurzarbeitergeld zu zahlenden Sozialbeiträge erlassen werden, falls sie ihre Mitarbeiter in diesen Zeiten weiterbilden. Dies will Heil nun in ähnlicher Form wieder einführen – unter der Bedingung, dass betroffene Betriebe mit ihrem Betriebsrat dazu eine förmliche Vereinbarung mit einem Qualifizierungsplan schließen.«
An dieser Stelle könnte man aufhören, wenn es einem nur darum geht, dass dieser Teil des Vorschlags von Hubertus Heil nicht nur von den Gewerkschaften begrüßt wird, sondern auch die Arbeitgeberseite mit großem Wohlwollen die Sache bewerten, geht es hier doch um eine nicht unerhebliche Kostenentlastung der Unternehmen. „Wenn der Arbeitsminister dafür sorgt, dass der Kurzarbeit-Werkzeugkasten aus der Krise dann bereitsteht, wenn eine Krise eintritt, ist das sehr zu begrüßen“, so wird Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander zitiert. Und das Arbeitgeber-Institut der deutschen Wirtschaft sekundiert unter der Überschrift Gute Idee mit Schwächen: »In der Krise 2009 hatte sich das Instrument bewährt und dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit kaum zunahm – obwohl das Wirtschaftswachstum deutlich eingebrochen war. Dafür hatte die Bundesregierung seinerzeit die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld verlängert, die Bundesagentur für Arbeit übernahm neben dem Kurzarbeitergeld einen Teil der Sozialabgaben. Das kostete zwar viele Milliarden Euro, bewahrte aber viele Arbeitnehmer vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes.« Das wird ausdrücklich begrüßt und auch die Finanzierung einer solchen Erleichterung für die Unternehmen sei kein Problem, denn mit Blick auf die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit wird ausgeführt: »Inzwischen hat sie rund 23,5 Milliarden Euro für den Fall eines Arbeitsmarktabschwungs auf die Seite gelegt. Die Initiative des Arbeitsministers geht also in die richtige Richtung.«
Nun muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass über eine Absicht des Bundesarbeitsministers berichtet wird, es gibt noch keinen Gesetzentwurf, sondern es wird aus einer Art Bekenntnisschreiben des Ministers zitiert, in dem er ein „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ in Aussicht stellt, so dass man derzeit nicht im Detail beurteilen kann, an welchen Detailschrauben genau gedreht werden soll. Es wird berichtet, dass der Minister das Gesetz um eine sogenannte Verordnungsermächtigung ergänzen will, mit der die Regierung im Ernstfall ohne längeres Gesetzgebungsverfahren weitere Lockerungen in Kraft setzen könnte – sie könnte dann etwa die Höchstbezugsdauer des Kurzarbeitergelds von bisher im Regelfall 12 Monaten verlängern oder auch die Anforderungen an einen Erlass der Sozialbeiträge lockern.
Die aktuellen Daten die Kurzarbeit betreffend zeigen derzeit keinen massiven Anstieg der geplanten oder realisierten Kurzarbeit. Dazu ein Blick auf die Zahlen:
Nun muss man wissen: Ein direkter zeitlicher Bezug der Anzeigen zum Beginn der tatsächlichen Kurzarbeit besteht nicht, möglicherweise findet die Kurzarbeit überhaupt nicht statt. Daher sind Anzeigen nur eingeschränkt als Indikator für potentielle Zugänge in Kurzarbeit zu interpretieren. Relevant ist die tatsächlich realisierte Kurzarbeit. Auch dazu gibt es Zahlen von der BA, die zugleich erläutert: »Daten über realisierte Kurzarbeit werden mit einer Wartezeit von fünf Monaten veröffentlicht, da hiermit eine sichere Statistik auf vollzähliger Basis mit hoher Datenqualität gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von konjunkturell bedingter Kurzarbeit (§ 96 SGB III) ist ein wichtiger Frühindikator für die künftige konjunkturelle Entwicklung am Arbeitsmarkt. Um möglichst zeitnah Zahlenmaterial zur Verfügung stellen zu können, werden am aktuellen Rand Hochrechnungen auf Basis der vorläufigen Daten … vorgenommen.« Und wenn man sich die anschaut, dann bekommt man das folgende Bild:
➔ Um die Zahlen einordnen zu können, lohnt gerade in Zeiten, in denen man den jeweils aktuellen Themen tagesbezogen hinterherhechelt, ein Blick zurück: Das Instrument der Kurzarbeit hat Anfang der 1990er Jahre in einer erheblichen Größenordnung zur Abfederung der arbeitsmarktlichen Folgen der Wiedervereinigung beigetragen: Zeitweise befanden sich 2 Millionen Personen, damals rund ein Viertel aller Erwerbstätigen der neuen Bundesländer, in Kurzarbeit mit durchschnittlich über 50 % Arbeitsausfall. Nach der Finanzkrise zahlte die BA für bis zu zwei Jahre Kurzarbeitergeld; zudem wurden die Arbeitgeber bei den Sozialabgaben deutlich entlastet. Im Mai 2009 waren fast 1,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit.
Die Diskussion über das, was der Minister jetzt offensichtlich aufgegriffen hat und zu seiner Sache macht, wurde von den Arbeitgebern im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften(die noch darüber hinausgehende Forderungen haben) vorher vorangetrieben. So berichtete beispielsweise Alexander Hagelüken unter der Überschrift Eine Idee aus der Finanzkrise kehrt zurück Ende Juli 2019: »Die deutschen Arbeitgeber bekommen Unterstützung für ihre Forderung, angesichts der Konjunkturflaute das Kurzarbeitergeld auszuweiten. „Es ist richtig zu prüfen, ob im Fall eines deutlichen konjunkturellen Abschwungs die vereinfachten Kurzarbeiter-Regeln aus der Zeit der Finanzmarktkrise reaktiviert werden sollten“, sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).« Der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer an die Praxis nach der Krise 2008 erinnert. Und in dem Artikel wird noch von einer eher zögerlichen Haltung des Ministeriums berichtet: »Das Arbeitsministerium reagierte allerdings verhalten. Mit der Bezugsdauer von bis zu zwölf Monaten, die seit Anfang 2016 gilt, bestehe „ausreichend Spielraum, um auch auf schwierige Arbeitsmarktsituationen reagieren zu können“, sagte eine Sprecherin von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Zudem habe das Ministerium die Möglichkeit, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes in bestimmten Situationen auf bis zu 24 Monate zu verlängern.«
Auch bei Hagelüken wird die große Erzählung angesprochen, die diese Tage wieder aufgerufen wird: Der massive Einsatz der Kurzarbeit habe dazu geführt, dass Deutschland arbeitsmarktlicht gesehen so viel besser, also mit deutlich weniger Arbeitslosen, durch die Krise gekommen sei: »Die großzügige Regelung gilt als einer der Gründe dafür, warum Deutschland damals im Vergleich zu anderen Staaten schnell aus der Krise kam. Der Vorteil für die Unternehmen war, dass sie im einsetzenden Aufschwung sofort mit eingearbeitetem Personal voll produzieren konnten.« Er weist allerdings auch darauf hin, dass diese Interpretation nicht unumstritten ist: »Manche Ökonomen halten … dagegen, die Kurzarbeitsregelung habe nach der Finanzkrise auch nicht viel mehr bewirkt als in früheren Rezessionen. Zentral seien die Flexibilität der Unternehmen und die Nutzung von Arbeitszeitkonten gewesen, die es früher nicht gegeben habe. Großzügige Kurzarbeit sei nur etwas für echte Konjunkturkrisen, andernfalls verzögere sie den nötigen Strukturwandel.« Eine andere skeptische Stimme gegen die Verselbständigung des Arguments von der besonderen und eigenen Bedeutung der Kurzarbeit für die Krisenbewältigung: »… die – größtenteils von den Beschäftigten selbst finanzierte – Überbrückung durch Kurzarbeitergeld und vorübergehende Arbeitszeitverkürzung funktionierte vor zehn Jahren nur deshalb, weil auf den Absturz sehr schnell ein fulminanter Boom folgte. Die Nachfrage aus China riss insbesondere die deutschen Auto- und Maschinenbauer rasch aus dem Tal der Tränen«, so Daniel Behruzi in seinem Kommentar Schöner Name reicht nicht.
Und Hagelüken hat diese Debatte in seinem Kommentar Wann Kurzarbeit nötig ist so aufgegriffen: In einer tiefen Rezession ist Kurzarbeit besonders notwendig und auch sinnvoll. Und heute? »Momentan erlebt die Bundesrepublik erst eine Konjunkturdelle.« Und zum Instrument selbst merkt er an: »Was die Kurzarbeit angeht, hat die Regierung den Zeitraum ohnehin vor einigen Jahren auf zwölf Monate ausgedehnt. Eine weitere Verlängerung sollte es erst in einer schweren Krise geben. Kurzarbeit kommt die Allgemeinheit teuer. Die Ausdehnung nach der Finanzkrise kostete fast zehn Milliarden Euro. Die Unternehmen dürfen sich nicht einfach darauf verlassen, dass der Staat ihr Personal bezahlt. Zuvor sollten sie selbst zeigen, dass Beschäftigte für sie nicht austauschbar sind wie Druckerpapier. Es hat für die Firma einen Wert, eingearbeitete Kräfte zur Verfügung zu haben, sobald die Konjunktur wieder anspringt. Viele kleinere und mittlere Betriebe gehen da gerade mit gutem Beispiel voran. Sie halten die Mitarbeiter, auch wenn es gerade nicht so boomt.«
Und dann erweist er den in diesem Fall kritischen marktliberalen Ökonomen seine Referenz: »Einem Trugschluss sollte niemand erliegen: Klassische Kurzarbeit hilft zwar gegen Konjunkturkrisen, nicht aber gegen den Strukturwandel. Das zeigt das Beispiel der Autoindustrie. Wenn künftig vor allem Elektroantriebe gebraucht werden, schadet es, bei der Produktion von Verbrennungsmotoren ausdauernd kurzarbeiten zu lassen. Liberale Ökonomen argumentieren zu Recht, dass ein solches Vorgehen den Strukturwandel unnötig teuer verzögert.«
Hier liegt der Hund begraben: Was kann Kurzarbeit, was kann sie aber auch nicht leisten. Begreift man das Instrument als eines, das in einer kurzzeitigen Rezession eine Überbrückungshilfe zur Verfügung stellt bis die Konjunktur wieder anspringt, dann ist ein Zeitraum von 12 Monaten, der sogar auf 24 Monate ausgedehnt werden könnte, absolut ausreichend.
Die Ankündigung von Minister Heil eine „Arbeit-für-morgen-Gesetz“ betreffend bleibt aber nicht bei der Laufzeitfrage der Lohnersatzleistung Kurzarbeitergeld betreffend stehen, sondern verbindet sie mit der Qualifizierungsfrage. Heil strebt eine Verknüpfung mit dem seit Jahresbeginn geltenden Qualifizierungschancengesetz an. »Dieses beinhaltete schon damals einen Ausbau von Zuschüssen für Arbeitnehmer, die – unabhängig von konjunkturellen Flautezeiten – während einer bestehenden Beschäftigung eine Weiterbildung machen. Je nach Betriebsgröße werden damit zwischen 25 und 75 Prozent des Lohns für die ausfallende Arbeitszeit und zwischen 15 und 100 Prozent der Kursgebühren von der Arbeitslosenkasse übernommen. Diese Förderung will Heil nun für solche Betriebe weiter erhöhen, die von technologischer Transformation besonders betroffen sind – etwa weil mehr als ein Zehntel ihrer Mitarbeiter eine Weiterbildung benötigt«, so Dietrich Creutzburg in seinem Artikel über die Pläne des Bundesarbeitsministers. »Ein weiterer Baustein des Vorhabens sind Änderungen am bestehenden Instrument des Transferkurzarbeitergelds für Beschäftigte, die sich nach Entlassungen in einer Transfergesellschaft für neue Berufsperspektiven qualifizieren. Hier will Heil unter anderem bestehende Begrenzungen der Förderung auf jüngere und geringqualifizierte Beschäftigte lockern. Außerdem will er mit dem geplanten Gesetz einen Baustein umsetzen, auf den sich die Koalition schon vor einigen Wochen verständigt hatte: Arbeitslose und auch Beschäftigte, die bisher keinen qualifizierten Berufsabschluss haben, sollen künftig einen Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung durch die Arbeitsagentur bekommen, wenn sie einen solchen Abschluss nachholen. Derzeit haben laut Arbeitsministerium insgesamt 1,3 Millionen Arbeitskräfte im Alter zwischen 20 und 30 Jahren keinen Berufsabschluss.«
An dieser Stelle kann man erkennen, dass Heil weiterführende Ansätze aus dem Gewerkschaftslager aufzugreifen versucht. Bereits im Mai dieses Jahres wurde unter der Überschrift Gewerkschaften fordern neue Form des Kurzarbeitergelds über einen Vorstoß aus den Reihen der IG Metall berichtet – Ausgangspunkt ist der historische Umbruch in der Automobilindustrie mit ihren noch mehr als 800.000 Beschäftigten: »Die größte Hoffnung trägt einen sperrigen Titel: Transformations-Kurzarbeitergeld. Es solle „eine Brücke bauen in einer Phase, in der Unternehmen in einem technologischen Umbruch stehen oder neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen“, sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann … In dieser Phase falle erst einmal Arbeit weg, das Transformations-Kurzarbeitergeld verhindere aber Entlassungen, verringere die Gehaltsverluste für die Mitarbeiter und ermögliche notwendige Qualifizierungen … Es geht diesmal nicht um eine Konjunkturschwäche. Laut Hofmann drohen „strukturelle Umbrüche“. Dabei allerdings könnte das Mittel der Kurzarbeit nach bisherigem Muster nicht greifen, weil es um längere Zeiträume und Probleme abseits der Konjunktur geht.« Erkennbar ist das Ziel der IG Metall, die Menschen in den Betrieben und den betrieblichen Strukturen, zu denen natürlich auch die dort vorhandene ausgeprägte betriebliche Mitbestimmung gehören, zu halten. Und sicher würde das den Betroffenen eine gewisse Übergangssicherheit geben können, die sie so nicht haben, wenn man sie ins Begfreie fallen lassen würde.
Letztendlich berührt das vorgeschlagene Transformations-Kurzarbeitergeld eine ganz entscheidende Grundsatzfrage: Wenn es richtig ist, dass zwar viele heute bestehende Arbeitsplätze wegfallen werden aufgrund der technologischen Entwicklung im Zusammenspiel mit der Verschiebung von Produktlinien, gleichzeitig aber auch zahlreiche neue Jobs entstehen, dann muss man das Problem lösen, die (Noch)Beschäftigten in die neuen Tätigkeitsfelder zu qualifizieren und sie dann dort auch zu platzieren. Aber ob das in einem über die neue Leistung aus öffentlichen Mitteln subventionierten Teil des bisherigen Unternehmens gelingen wird und kann, ist eine offene und zu diskutierende Frage. Und die damit verbundene Frage wird noch weiter angereichert, wenn man zu bedenken gibt, dass überhaupt erst einmal klar sein müsste, wohin man denn die Betroffenen qualifizieren soll und kann. An dieser Stelle kann man derzeit zahlreiche skeptische Fragezeichen anbringen. Summa summarum wird das Instrument der Kurzarbeit hier – möglicherweise – deutlich überdehnt und man könnte die erheblichen öffentlichen Mittel anders einsetzen.
Und nicht nur für die historisch Interessierten: EIne kritische Auseinandersetzung mit der Ambivalenz der Kurzarbeit gab es auch bei der letzten Hochphase ihrer Inanspruchnahme. Dazu diese Veröffentlichung – der man entnehmen kann, dass vieles, was in diesen Tagen als Neuigkeit diskutiert wird, damals schon Thema war:
➔ Stefan Sell (2009): „Wo gehobelt wird, fallen auch Späne“. Zur Ambivalenz der Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 05-2009, Remagen 2009
In dieser Veröffentlichung aus dem Jahr 2009 findet man folgende Anmerkungen zur Kurzarbeit, die durchaus passend sind für die aktuelle Debatte:
»Wir haben es … gleichsam mit einem „Wettmodell“ auf einen nur temporären Einbruch der Konjunktur zu tun, den es zu überbrücken gilt, in der Hoffnung, dass mit einem irgendwann wieder beginnenden Aufschwung die gleiche Zahl (und die gleiche Qualität) an Beschäftigten in den Unternehmen gebraucht wird. In diesem Kontext macht die massive Nutzung der Überbrückungsfunktion der Kurzarbeit durchaus Sinn, vermeidet sie doch die mit Entlassungen (und später wieder notwendigen Einstellungen) verbundenen Kosten, sowohl auf der betrieblichen wie auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene.
Damit keine Missverständnisse aufkommen – hier wird ausdrücklich die volks- und betriebswirtschaftlich innovative Doppelfunktionalität der Kurzarbeit gesehen und betont, die zudem die einzelnen Betroffenen zumindest eine Zeit lang vor dem Sturz in die formale Arbeitslosigkeit bewahrt. Insofern handelt es sich um ein wichtiges und sinnvolles Instrument der Arbeitsmarktpolitik zur Vermeidung von (offener) Arbeitslosigkeit mit der durchaus selten anzutreffenden Kombination, dass die Wirkungsvorzeichen positiv sind sowohl auf Seiten der Betriebe wie auch bei den betroffenen Arbeitnehmern.« (S. 3). Soweit die eine Seite. Die andere Seite liest sich dann so:
»Was in den vergangenen Monaten und derzeit rund um das eigentlich sinnvolle und wichtige arbeitsmarktpolitische Instrument Kurzarbeit passiert ist wie eine „Rutschbahn nach unten“ in dem Sinne, dass die steigende Inanspruchnahme und deren Förderung durch immer attraktivere Rahmenbedingungen für die Arbeitgeber zwangsläufig zu steigenden Mitnahmeffekten und Funktionsverfehlungen führt … Was ist die Erkenntnis aus diesem Befund? Zum einen die nicht oft genug zu wiederholende Erkenntnis, dass arbeitsmarktpolitische Instrumente im engeren Sinne eine wichtige Funktion haben, dass sie aber auch nicht überdehnt werden dürfen, weil sie grundsätzlich ambivalent angelegt sind. Mit Blick auf das Instrument Kurzarbeit wird hier für eine realistische Wieder-Engführung der Ziele, die mit der Nutzung von Kurzarbeit verbunden werden, plädiert. Es geht um eine sinnvolle Überbrückungsfunktion für einige Monate. Das ist wichtig und das macht Sinn. Grundsätzlich sollte das alte Format der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme Bezugspunkt für die Ausgestaltung sein – eben auch zur Vermeidung von missbräuchlicher Inanspruchnahme durch Unternehmen, die das ansonsten nicht gemacht hätten. Das begrenzt notwendigerweise die Reichweite des Instruments. Praktisch bedeutet das aber auch eine Umkehr auf dem bisherigen Weg der Schaffung immer besserer Rahmenbedingungen für die Unternehmen bei Nutzung der Kurzarbeit.« (S. 11 f.).