Hört sich nett an, wird kaum in Anspruch genommen, soll aber so bleiben: Ein zinsloses Darlehen für pflegende Angehörige, die zweitweise aus der Erwerbsarbeit aussteigen

Angesichts der Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen in unserem Land von ihren Angehörigen betreut werden, entweder vollständig allein oder mit Unterstützung von ambulanten Pflegediensten bis hin zu Betreuungskräften aus Osteuropa, verdeutlicht den Stellenwert, den die pflegenden Angehörigen eigentlich haben müssten, würde doch ohne sie das Pflegesystem innerhalb von Minuten kollabieren.

Nun wird man immer wieder mit solchen Meldungen konfrontiert, wie die hier vom Sozialverband Deutschland (SoVD): »Die häusliche Pflege eines Angehörigen bedeutet eine hohe Belastung und oft auch finanzielle Einschränkungen. Rund 2,5 Millionen Menschen pflegen hierzulande zu Hause ihre Angehörigen. Etwa 1,65 Millionen davon sind Frauen. Nach Ansicht des SoVD besteht ein großer Handlungsdruck, die Lage pflegender Angehöriger zu verbessern. „Wir sind alarmiert, denn die Zahl der pflegenden Angehörigen, die sich an uns wenden, steigt“, so der Verbandspräsident Adolf Bauer gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Aus vielen Gesprächen in den Beratungsstellen des SoVD werde deutlich, dass insbesondere die finanzielle Belastung pflegende Frauen in die Armut treibt.« Das alles unter der Überschrift SoVD kündigt Gutachten zur pflegebedingten Armut an: »Das Gutachten soll eine verlässliche Datengrundlage liefern und eine Basis für zielgerichtet Hilfsmaßnahmen bilden.« Nun ist es aber wahrlich nicht so, dass wir nichts oder zu wenig über die pflegenden Angehörigen wissen. Auch die Politik weiß, dass es einen nicht kleinen Teil der pflegenden Angehörigen gibt, die in mehrfacher Hinsicht enorme unter Druck stehen und von denen viele durch die Pflege in finanziell überaus prekäre Verhältnisse geraten.

Das weiß die Politik seit Jahren. Und auch hier wurde immer wieder darüber berichtet. Beispielsweise im Jahr 2015. Pflegende Angehörige … und Hartz IV, so ist ein Beitrag vom 13. März 2015 überschrieben. In dem wurde darauf hingewiesen, dass es eine Menge pflegende Angehörige gibt, denen es materiell so schlecht geht, dass sie auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Also auf Leistungen, die viele Bürger normalerweise (nur) mit Arbeitslosigkeit verbinden. In dem damaligen Beitrag wurde von 280.000 Hartz-IV-Empfängern berichtet, die zugleich Angehörige gepflegt haben.

Am Ende des Beitrags findet sich dann ein Hinweis auf die pflegenden Angehörigen, die nicht im Hartz IV-Bezug sind, aber auch von den Untiefen der bei uns vorherrschenden Systemlogik betroffen sind, denn »die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die immer öfter beschworen wird, ist nur embryonal aufgegriffen worden in unserem Sozialsystem, man denke hier an die Verrenkungen mit der zehntägigen Pflegezeit, die mit einer Lohnersatzleistungen verbunden wurde, oder die sogenannte „Familienpflegezeit“ für bestimmte Arbeitnehmer, also eine bis zu sechs Monate umfassende volle Auszeit oder eine über zwei Jahre laufende Reduzierung der Arbeitszeit, für die man den Betroffenen, die sich für die Pflege der Angehörigen engagieren, dann ein „zinsloses Darlehen“ anbietet, dass nach der Pflegezeit wieder an den Staat zurückgezahlt werden muss. Es bleibt noch eine Menge zu tun.«

Da hatten wir es also damals und mit skeptischem Unterton versehen schon, das „zinslose Darlehen“, um das es in diesem Beitrag ebenfalls in aktualisierter Form gehen soll. Fast keiner nutzt das Pflegedarlehen, so ist ein Artikel von Marie Rövekamp überschrieben. Bereits am 19. Juli 2019 hatte Henrike Roßbach darüber berichtet: Darlehen sollen Pflege erleichtern – werden aber kaum beantragt. Den wichtigsten und angesichts der Größenordnung erschütternden Befund muss man sich vor Augen führen: »Seit 2015 haben nur insgesamt 921 Personen ein sogenanntes Pflege-Darlehen beantragt, das die Betreuung Angehöriger finanziell erleichtern soll.« Wohlgemerkt, bezogen auf Deutschland.

Die Zahlen sind der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP im Bundestag entnommen. Vgl. dazu: Wirksamkeit des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, Bundestags-Drucksache 19/11550 vom 12.07.2019.

»Wenn Eltern die Pflege ihrer Kinder benötigen, fehlt meistens die Zeit dafür. Deswegen haben Familienmitglieder seit vier Jahren nicht nur einen Anspruch auf bis zu zehn Tage Auszeit vom Job, samt Pflegeunterstützungsgeld. Sie können ihrem Arbeitsplatz auch länger fern bleiben oder ihre Wochenstunden für eine Weile verringern. Damit sie sich das leisten können, leiht der Staat ihnen Geld, und zwar zinsfrei. Der Betrag soll die Hälfte des Nettogehalts abdecken, das durch die Arbeitsreduzierung und das geringere Gehalt fehlt. „Pflege-Darlehen“ heißt dieses Mittel«, so Rövekamp in ihrem Artikel. Das Problem ist nur: Kaum jemand scheint das Darlehen zu nutzen, so die Erkenntnis aus den Zahlen, die von der Bundesregierung geliefert wurden. »Die Nutzung sei deutlich hinter den Annahmen zurückgeblieben, schreibt Stefan Zierke, Parlamententarischer Staatssekretär von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in seiner Antwort … In der Tat lässt sich im Gesetzentwurf nachlesen, dass die Regierung von 2015 bis 2018 mit gut 9.700 Anträgen gerechnet hatte. Das sind zehn Mal so viele, wie es in Wirklichkeit geworden sind.«

Und wie sieht es mit den Freistellungen insgesamt aus? Nichts genaues weiß man nicht, nur so in etwa: »Die genaue Zahl aller Arbeitnehmer, die sich wegen eines Pflegefalls haben freistellen lassen, ist nicht bekannt. Die Inanspruchnahme ist nicht meldepflichtig. Dass sie aber deutlich höher sein muss als die Zahl jener, die ein Darlehen zur Überbrückung ihrer Auszeit nutzen, ist sehr wahrscheinlich. Eine repräsentative Befragung vor drei Jahren ergab, dass sich seit Einführung des Gesetzes mindestens 70.000 pflegende Angehörige haben freistellen lassen. Für 2017 gibt es eine Schätzung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes, die von 82.000 ausgeht. Viele Menschen nehmen sich hierzulande also eine Auszeit – aber ohne finanzielle Unterstützung des Staates.«

Das ist alles nicht wirklich überraschend – wenn man nur einen Moment nachdenken würde. Warum soll jemand, der sich um seinen pflegebedürftigen Angehörigen kümmert, seine Erwerbsarbeitszeit und damit sein Lohneinkommen reduzieren, um dann ein Darlehen in Anspruch zu nehmen, um über die Runden kommen zu können, das allerdings wieder zurückgezahlt werden muss – offensichtlich aus einem später wieder einsetzenden Erwerbseinkommen, das allerdings so niedrig ist, dass man bei einem teilweisen oder vollständigen Ausfall auf eine Darlehenssumme angewiesen ist?

Die geringe Inanspruchnahme der Darlehen sei zwar bekannt, trotzdem ziehe die Bundesregierung keine Konsequenzen, so die Kritik.

Es ist doppelt peinlich: Das Bundesfamilienministerium unter Leitung von Franziska Giffey (SPD) meint, dass Neuregelungen erfahrungsgemäß eine Weile brauchen würden, bis sie ihre „volle Wirksamkeit“ entfalten. Na klar, seit 2015 ist es ja auch ein viel zu kurzer Zeitraum. Und dann irgendwie konsequent in Zeiten des „Wir tun (irgend)was“-Politikansatzes (und lasst uns dann in Ruhe): »Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit keine Gesetzesänderung«, so die Antwort des Ministeriums auf die Anfrage. Aber die Leistung taucht dann in allen Textbausteinen auf, bei denen es darum geht, was man nicht alles zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen so tut.

An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass man ja tatsächlich scheinbar eine Menge tut, dabei aber nicht nur mit dem hier am Beispiel des Pflege-Darlehens beschriebenen Phänomen der Nicht-Inanspruchnahme konfrontiert wird, sondern auch mit einer hoch problematischen Ausformung des Sozialstaates, der dazu führt, dass man ein Studium absolvieren muss, um die Zugangsvoraussetzungen und konkreten Leistungen bestimmen zu können. Dazu am Beispiel der Absicherung der pflegenden Angehörigen in der Rentenversicherung der Beitrag Wieder einmal: Von gut gemeinten Verbesserungen für pflegende Angehörige, diesmal bei der Rente. Und einem nicht nur rechnerischen Irrgarten als Folge bürokratischer Differenzierung vom 15. April 2018. Der Beitrag endet mit diesem Fazit: »Und wieder hatten wir eine weitere Lehrstunde in praktischer Sozialpolitik in Zeiten der sich selbst überschlagenden Differenzierungssucht.«

Abschließend und mit Blick auf das in diesem Beitrag thematisierte Darlehens-Angebot der Bundesregierung: Patientenschützer: Darlehen für Pflege gescheitert. »Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat staatliche Darlehen für die Pflege von Angehörigen als gescheitert kritisiert. „Kein Mensch nimmt einen Kredit, um weniger arbeiten zu müssen und dafür Angehörige zu pflegen“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Brysch forderte stattdessen die Einführung eines Pflegezeitgelds ähnlich dem Elterngeld. Dies solle eine staatlich finanzierte Lohnersatzleistung sein, sagte er.« Das wird auch von anderen gefordert und auch hier muss man genauer hinschauen, vgl. dazu den Beitrag Ein Elterngeld für die Kindererziehung, dann auch ein Pflegegeld für pflegende Angehörige als Lohnersatzleistung? Der Sozialverband VdK fordert das neben anderen Maßnahmen vom 13. Juli 2018.

Aber wie bereits ausgeführt: Die derzeitige Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. Man hat ja noch Zeit, sich das alles anzuschauen. Und immer gut macht sich dann der Hinweis auf ein (wahrscheinlich) sachkundiges Gremium, das einen Bericht verfasst hat und aus dem sich dann – möglicherweise, denn gut Ding will Weile haben – Änderungen am bestehenden System ergeben könnten. So auch im vorliegenden Fall, wie man der Antwort der Bundesregierung entnehmen kann: »Nach § 14 Absatz 3 FPfZG legt der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dem BMFSFJ alle vier Jahre einen Bericht vor; hierin können Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden (§ 14 Absatz 3 FPfZG). Der erste Bericht des Beirats wurde am 20. Juni 2019 offiziell an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) übergeben … Die Diskussion um die Weiterentwicklung des Familienpflegezeitgesetzes soll auf der Grundlage des Berichts des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf erfolgen.« Na also, wird schon kommen, die Diskussion. Nur nicht hudeln.