Am Gelde hängt es, wie so oft. Die eigentlich von allen gewollte Entlastung doppelverbeitragter Betriebsrentner im Schwebezustand

Erst am 22. Januar 2019 wurde hier unter der Überschrift Schwarzer-Peter-Spiel oder das Hoffen auf den Reise-nach-Jerusalem-Effekt? Die Große Koalition und die Entlastung der doppelverbeitragten Betriebsrentner über die sich zäh wie Kaugummi gestaltende Behandlung des Problems der „Doppelverbeitragung“ von Betriebsrenten berichtet. Endlich scheint Bewegung in die Sache zu kommen und eigentlich sind sich alle darüber einig, dass eine Korrektur dieser 2004 – damals als klassischer Verschiebebahnhof zur Stabilisierung der klammen Krankenkassen in die Welt gesetzten – Regelung längst überfällig ist. Nicht nur zum Abbau einer teilweise erheblichen Zusatzbelastung der Betriebsrentner, sondern auch mit Blick auf das Ziel, die Säule der betrieblichen Altersvorsorge stärken zu wollen.

Aber der letzte Beitrag zu diesem Thema endet so: »Bleibt weiter die offene Finanzierungsfrage. Also muss man sich auf den Verschiebebahnhöfen umschauen: »Als mögliche Kompromisslinie gilt, die Mindereinnahmen der Krankenkassen bei den Betriebsrenten mit zusätzlichem Steuergeld für die Versorgung von Hartz-IV-Empfängern auszugleichen. So würden Union und SPD auch einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag abräumen: Die Bundesregierung hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, die bislang nicht kostendeckenden Beiträge für die Krankenversicherung von Hartz-IV-Beziehern zu erhöhen.« Dass nun das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, wird offensichtlich auch in der GroKo so gesehen und für problematisch erachtet. Wie es weitergeht? Wir wissen es (noch) nicht.« Da können und müssen wir nun nahtlos anschließen.

Am Anfang auch hier wieder für alle Nicht-Insider ein kurzer Blick zurück: Um die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren, verfügte 2004 die damalige rot-grüne Bundesregierung, die Rentner stärker zur Kassen zu bitten. Auf Betriebsrenten wird der volle Krankenkassenbeitrag fällig – nachdem bereits beim Ansparen auf die entsprechenden Einkommensbestandteile Beiträge gezahlt wurden. Weil die gesetzlichen Krankenkassen in den roten Zahlen waren, beschloss die Regierung damals, dass Rentner fortan auf alle Formen der betrieblichen Altersversorgung den vollen Beitragssatz für die gesetzliche Krankenversicherung zahlen müssen, also den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil. Zuvor war auf Betriebsrenten nur der halbe Satz fällig. Einmalauszahlungen waren ganz beitragsfrei. Schätzungen gehen von rund sechs Millionen Menschen aus, die seitdem höhere Beiträge abführen müssen. Das können insgesamt mehrere Zehntausend Euro sein. Das gilt auch für Verträge, die vor dem Gesetzesbeschluss abgeschlossen wurden – was auch die große Empörung der Betroffenen erklärt, die bis heute die Politik erreicht.

➞  Das ist auch bei Politikern der regierenden Koalition schon seit längerem angekommen, vgl. nur als ein Beispiel das Interview mit der CSU-Politikerin Emmi Zeulner über hohe Abgaben auf die Betriebsrenten, das am 26.11.2018 veröffentlicht wurde: „Grobe Ungerechtigkeit“, so ist das überschrieben. Darin führt sie aus, »die Menschen sind zu Recht empört. Da wird ihnen jahrelang gepredigt, dass sie für das Alter vorsorgen sollen. Sie schließen eine Betriebsrente ab, weil die Politik ihnen zusichert, dass die Auszahlungen begünstigt sind und nicht mit dem vollen Krankenkassenbeitrag belegt werden. Aber dann wird 2004 aus Kostengründen dieses Versprechen einfach wieder einkassiert – und zwar auch rückwirkend für bereits laufende Verträge. Die Betroffenen verlieren dadurch tausende Euro, die nun im Alter fehlen. Diese grobe Ungerechtigkeit müssen wir so schnell wie möglich korrigieren.« Und bei ihren Ideen schimmert es auch mehr als nur in Umrissen durch, warum man hier besonderen Handlungsbedarf erkennt: Zeulner und andere Unionsabgeordnete wollen, »dass künftig auf Betriebsrenten wie vor 2004 nur der Arbeitnehmeranteil entrichtet werden muss, also der halbe Beitragssatz. Der bisher zu zahlende Arbeitgeberanteil soll also wieder entfallen. Denkbar wäre auch, statt der heutigen Freigrenze einen Freibetrag von 152 Euro einzuführen. Das heißt, dieser Betrag bleibt für jeden beitragsfrei, auch wenn seine Betriebsrente höher ist. Damit wollen wir die betriebliche Altersvorsorge, die durch den damaligen Eingriff erheblichen Schaden genommen hat, wieder stärken.« Das ist der besonders relevante Punkt im Kontext der Strategie einer Stärkung der zweiten (und dritten) Säule des Altersvorsorgesystems im Zusammenspiel mit den Kürzungen bei der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente. Das soll hier nicht weiter vertieft werden, sie hat aber damals schon denn Finanzierungsknoten angesprochen, um den es jetzt (immer noch) wieder geht: »Klar ist doch, dass die Einnahmeausfälle von 2,7 Milliarden Euro nicht allein von der Krankenversicherung geschultert werden können. Deshalb brauchen wir höhere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Olaf Scholz muss sich daher bewegen und den Worten Taten folgen lassen.«

Man kann das damalige Interview mit der CSU-Bundestagsabgeordneten nahtlos in die Gegenwart verlängern: »Mit der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten soll nächstes Jahr Schluss sein. Doch wer kommt für die Einnahmeausfälle auf?«, fragt sich – nicht nur – Rainer Woratschka in seinem Artikel Koalition uneins über Entlastung bei Betriebsrenten. Er verweist auf eine – mit Blick auf die sonst übliche Gefechtslage tatsächlich – „eigentümliche Konstellation“ bei der Frage, wie die Entlastung finanziert werden kann und soll:

»Während der CDU-Politiker und Gesundheitsminister Jens Spahn dafür den Steuerzahler zur Kasse bitten möchte, warnen die Sozialdemokraten vor Steuererhöhungen und Gefährdung der Schwarzen Null. Sie drängen darauf, das nötige Geld aus Sozialbeiträgen abzuzwacken.«

Der Bundesgesundheitsminister hat einen – gerade aufgrund der hier im Mittelpunkt stehenden Finanzierungsfrage noch nicht abgestimmten – Referentenentwurf auf den Weg gebracht, in dem die Kosten auf drei Milliarden Euro im Jahr taxiert werden. 500 Millionen könnten von den Beitragszahlern aufgebracht werden, schlägt Jens Spahn (CDU) vor. »Der happige Rest von 2,5 Milliarden solle aber aus dem Steuertopf kommen – mittels Erhöhung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Kassenleistungen von 14,5 auf 17 Milliarden Euro.«

Und die „andere“ Seite? »Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnt das ab. Spahns Finanzierungsvorschlag sei „nicht überzeugend“, ließ er einen Sprecher mitteilen. Das Projekt sei im Koalitionsvertrag „nicht als prioritär hinterlegt“. Deshalb seien im Bundeshaushalt dafür keine zusätzlichen Mittel vorhanden. Und, kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Die Finanzlage der Krankenkassen sehe „deutlich besser aus“.« Man muss natürlich auch den Kontext sehen, in dem der Bundesfinanzminister hier abzublocken versucht, denn er müsste ja ansonsten bislang nicht eingeplante 2,5 Milliarden Euro suchen – und dabei dürfte Scholz schon Mühe haben, den beschlossenen Kohleausstieg zu stemmen. Allein bis 2022 würden hierfür zusätzlich zehn Milliarden Euro benötigt. Um nur eine der anderen ausgabenträchtigen Baustellen zu nennen.

Und wieder bricht sie sich Bahn, die Verengung auf die jeweils aktuelle Kassenlage, das war 2004 das Motiv für den Raubzug bei den Betriebsrentnern und das gilt jetzt für die Finanzierungsrechnung, nur in anderer Richtung, denn die interessierten Kreise verweisen darauf, dass die Krankenkassen derzeit auf Reserven in Höhe von 21 Milliarden Euro „sitzen“. Dazu berichtet Woratschka in seinem Artikel:

»… deshalb ist für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach die Sache klar. „Betriebsrentner können aus Überschüssen der Krankenkassen entlastet werden“, twitterte er gleich nach Bekanntwerden des Spahn’schen Vorstoßes. „Steuererhöhungen brauchen wir für diese überfällige Reform nicht.“ Die sozialdemokratisch gefärbte Begründung lieferte Lauterbach später nach: Wenn man das Projekt aus Beiträgen finanziere, hätten die Arbeitgeber für die Hälfte der Kosten aufzukommen. Bei einer Finanzierung aus Steuern sei das nicht der Fall.« Das muss man erst einmal sacken lassen.

Und der Bundesgesundheitsminister? »Das Hauptargument für seinen Wunsch, das Projekt zum Großteil aus Steuern finanziert zu bekommen, findet sich aber in seinem Entwurf. Die Rücknahme der Doppelverbeitragung diene „der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die betriebliche Altersvorsorge zu fördern und Altersarmut in Deutschland zu bekämpfen“, heißt es darin. Und dass die gesetzliche Krankenversicherung ohnehin schon mit Einnahmeausfällen von rund 1,3 Milliarden Euro durch Entgeltumwandlung für Betriebsrenten „einen erheblichen finanziellen Beitrag zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge“ leiste.«

In dem Artikel Es kommt Bewegung zur Beendigung der Doppelverbeitragung von Manfred Brüss vom 31.01.2019 wird zudem darauf hingewiesen: »Eigentlich hätten gestern der federführende Gesundheitsausschuss sowie der Ausschuss für Arbeit und Soziales im Bundestag abschließend über den Antrag der Linksfraktion „Gerechte Krankenversicherungs-Beiträge für Betriebsrenten – Doppelverbeitrag abschaffen“ (Bundestagsdrucksache 19/242) abstimmen sollen. Der Antrag datiert vom 12. Dezember 2017. Die Koalition von CDU/CSU und SPD nahmen den Antrag aber jetzt bereits zum vierten Mal von der Tagesordnung.«

Und der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion Matthias W. Birkwald wird mit zwei Kritikpunkten an dem nunmehr vorliegenden Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium zitiert, die über die Finanzierungsfrage des konkreten Entlastungsbetrags hinausgehen, zugleich aber logischerweise mit der Finanzierung zusammenhängen (denn eine Berücksichtigung würde die Sache natürlich noch teurer machen):
➞  Zum einen, dass die Freigrenze von 152,25 Euro im Monat nicht in einen Freibetrag umgewandelt werden solle.
➞  Und zum anderen dürften viele Betriebsrentner, die seit 2004 den vollen Beitragssatz bezahlen müssen, enttäuscht sein, weil keinerlei rückwirkende Entschädigung vorgesehen sei.