Sie kamen mit Trillerpfeifen, Vuvuzela-Tröten und gelben Luftballons mit der Aufschrift „Kita-Krise“: Einige tausend Eltern und Kinder gingen am 26. Mai 2018 in Berlin auf die Straße, um gegen den Mangel an Kitaplätzen und eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf zu demonstrieren. Zur Zeit fehlen weit mehr als 3.000 Kita-Plätze in der Hauptstadt.
»Eine der Demonstrierenden ist Corinna Mehling. Sie ist in der 36. Schwangerschaftswoche nach Berlin gezogen. Als ihr Sohn sechs Wochen alt war, begann sie mit der Suche nach einem Kitaplatz. Zu spät, wie sie merkte: jetzt ist der Kleine ein Jahr alt und Mehling immer noch auf der Suche. Andere Eltern suchten wohl bereits während der Schwangerschaft.«
In den vergangenen Jahren hat sich der Kita-Mangel in Berlin drastisch zugespitzt, viele Eltern – vor allem Mütter – sind dadurch vor allem in ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Eine Ursache liegt auch in fehlendem Personal, so Helena Pointe in ihrem Bericht Tausende Demonstranten fordern mehr Kitaplätze in Berlin. Neben dem Mangel an Fachkräften sind es aber noch weitere Baustellen, die das Leben der Eltern in Berlin zur Belastungsprobe machen. Dazu auch schon der Beitrag Von einer „Kita-Pflicht“ als Papiertiger bis hin zu einem Mangel an normalen Kita-Plätzen – ein „Staatsversagen“ in Berlin? vom 6. April 2018.
Selbst wenn neue Kitas und mehr Plätze in Sicht sein könnten, gibt es Schwierigkeiten von denen, die an den Schalthebeln sitzen: »Ungeachtet des Mangels an Betreuungsplätzen blockieren Senat und Kitaaufsicht freie Träger, die ihre Kapazitäten erweitern oder Neugründungen auf den Weg bringen wollen: Die baulichen Anforderungen für die Einrichtung neuer Kitas wurden noch weiter verschärft«, berichtet Susanne Vieth-Entus in ihrem Artikel Vorschriftendschungel lässt Kitagründer verzweifeln: »Plötzlich muss die Küche größer sein, und ohne Gäste-WC geht nichts: Träger Berliner Kitas sind empört über die Regelungswut des Senats – und die Behandlung als Bittsteller.«
Nun werden wir erneut Zeuge einiger besonderer Berliner Eigenschaften, aber man kann die für Eltern entnervende Problematik, dass sie trotz eines formalen Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz (wobei auch die Tagespflege dazu gehört) ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gegen Wände laufen müssen, sicher auf viele andere Regionen in Deutschland übertragen.
Und selbst wenn man das Glück hatte, einen Kita-Platz zu bekommen, dann werden viele Eltern mit teilweise gravierend schlechten Rahmenbedingungen der so wichtigen frühkindlichen Bildung und Betreuung in den Einrichtungen konfrontiert, weil auch hier die schlechte und nicht selten in den relativ kleinen Kitas durch Erkrankungen oder andere Ausfälle besonders fragile Personalausstattung auf Kante genäht ist und dadurch immer wieder Fehler passieren (müssen).
Die Bertelsmann-Stiftung, die seit Jahren in diesem Politikfeld mit einem Monitoring der Entwicklungen in den Bundesländern und Studien unterwegs ist, hat eine neue Veröffentlichung vorgelegt, die auf breite Resonanz in den Medien gestoßen ist: »Der eine zahlt Hunderte Euro im Monat, der andere überhaupt nichts: In Deutschland entscheidet vor allem der Wohnort, wie viel ein Kitaplatz kostet«, so Julia Klöppe in ihrem Artikel So ungerecht sind Kitagebühren in Deutschland:
»Mehr als 600 Euro zahlen Sabine und Ben, damit ihre zwei Söhne tagsüber betreut werden. Allein für den Krippenplatz ihres Jüngsten werden knapp 400 Euro fällig. Die vier wohnen in einem Vorort von Kiel. Nirgendwo sonst zahlen Familien im Schnitt so viel für die Kinderbetreuung wie in Schleswig-Holstein.
Demnach gehen dort im Schnitt neun Prozent des Nettoeinkommens pro Haushalt für die Kita drauf. Nur hundert Kilometer weiter in Hamburg sieht es ganz anders aus. In der Hansestadt können Eltern seit August 2014 ihr Kind fünf Stunden pro Tag kostenlos betreuen lassen. Soll das Kind länger bleiben, müssen die Eltern zahlen – jedoch maximal 200 Euro monatlich für einen Achtstunden-Platz. Im Schnitt gibt eine Hamburger Familie nur 4,4 Prozent ihres Einkommens für die Kita aus.
Am wenigsten zahlen Eltern laut der Studie in Berlin. Hier zahlen Familien im Mittel gerade einmal 1,8 Prozent des Nettoeinkommens für die Kita. Ab dem Sommer sind die Kitas in der Hauptstadt sogar komplett kostenfrei. Nur das Geld für das Essen müssen Eltern dann noch selbst bezahlen – wenn sie einen Platz finden.«
Die Daten sind einer Elternumfrage der Bertelsmann-Stiftung entnommen. Im Herbst vergangenen Jahres führte die Bertelsmann Stiftung zum zweiten Mal die bundesweite Elternbefragung ElternZOOM durch. In Kooperation mit infratest dimap wurden insgesamt 10.491 Eltern von KiTa-Kindern befragt. Dabei wurde eine „Quotenstichprobe auf Basis repräsentativer Merkmale“ sowie eine „Interessierten-Stichprobe“ durchgeführt. Im Mittelpunkt der Fragestellungen stand diesmal die Finanzierung. Die Ergebnisse findet man in dieser Veröffentlichung:Bertelsmann-Stiftung (2018): ElternZOOM 2018. Schwerpunkt: Elternbeteiligung an der KiTa-Finanzierung, Gütersloh 2018
Die Stiftung berichtet über die Befunde unter der Überschrift Mehr Kita-Qualität und Beitragsfreiheit kosten jährlich 15 Milliarden Euro. Ein wichtiger Befund der Studie betrifft die Ungleichheit der Belastungen der Eltern mit Zuzahlungen:
»Die finanzielle Belastung durch Kita-Beiträge ist ungerecht verteilt: Haushalte unterhalb der Armutsrisikogrenze müssen einen fast doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für den Kita-Beitrag ihrer Kinder aufbringen wie wohlhabendere Eltern – trotz einer vielerorts gültigen Sozialstaffel. Denn Eltern, die über weniger als 60 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens verfügen, zahlen monatlich durchschnittlich 118 Euro und damit zehn Prozent ihres Einkommens für den Kita-Besuch ihres Kindes; bei Eltern oberhalb der Armutsrisikogrenze sind es hingegen nur rund fünf Prozent des Einkommens, im Durchschnitt 178 Euro. Zudem gibt es erhebliche regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern.
Darüber hinaus belasten Zusatzkosten – etwa für Ausflüge, Verpflegung oder Bastelmaterialen – ärmere Haushalte mehr als doppelt so stark als wohlhabendere Haushalte: Sie zahlen dafür 3,3 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens – wohlhabendere Familien dagegen nur 1,4 Prozent. Bei diesen Zusatzgebühren – monatlich rund 45 Euro – spielt die finanziellen Lage der Familie bisher keine Rolle.«
Nun muss man berücksichtigen, dass es in Deutschland nicht „das“ Kita-System gibt, sondern wir haben 16 teilweise ganz unterschiedliche Kita-Systeme (und den Bund als eigenen Akteur, dessen Bedeutung in den vergangenen Jahren gewachsen ist). Die Finanzierungssysteme unterscheiden sich ganz erheblich, was man bei den hier interessierenden Elternbeiträgen auch daran erkennen kann, dass die Spannweite von Beitragsfreiheit bis hin zu sehr hohen Zuzahlungen reicht, je nach Wohnort. Im politischen Raum gibt es nun seit vielen Jahren eine Diskussion und in einigen Bundesländern auch schon entsprechende Maßnahmen in Richtung auf eine generelle Gebührenfreiheit für die Eltern.
Um was für Größenordnungen würde es hierbei gehen? Auch damit hat sich die Bertelsmann-Stiftung beschäftigt:
»Für eine generelle Beitragsfreiheit müsste der Staat unseren Berechnungen zufolge jährlich rund 5,7 Milliarden Euro aufbringen, für Zusatzgebühren weitere 1,6 Milliarden Euro.«
Das ist nun eine ordentliche Hausnummer. Aber das Ziel der Gebührenfreiheit für die Eltern steht ja nicht singulär in der Kita-Welt, sondern zugleich wird seit Jahren darauf hingewiesen, dass es endlich eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Einrichtungen geben muss, wobei die Fachdiskussion vor allem auf Parameter der Strukturqualität wie dem Fachkraft-Kind-Schlüssel und dem daraus abzuleitenden Personalschlüssel abstellt oder der Freistellung der Kita-Leitungen. Dass wir hier ganz erhebliche Probleme haben, kann man auch diesem Beitrag vom 7. März 2018 entnehmen: Die Vergessenen in real existierenden Kita-Welten. Von einem löchrigen Rechtsanspruch, schon heute und demnächst so richtig fehlenden Fachkräften und ja, dem Kindeswohl.
Bei den Rahmenbedingungen besteht ein mindestens vierfacher Handlungsbedarf, denn
➔ zum einen sind gemessen an den fachwissenschaftlichen und fachpolitischen Vorstellungen überall die tatsächlich vorfindbaren Ausstattungen zu schlecht, es müsste also überall eine Verbesserung beim Personalschlüssel geben, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Kinder in den Einrichtungen immer jünger werden und immer länger in den Kitas bleiben,
➔ zum anderen werden wir mit krassen Unterschieden zwischen den Bundesländern konfrontiert, so müssen die Fachkräfte in vielen ostdeutschen Bundesländern teilweise doppelt so viele Kleinkinder betreuen wie in einigen westdeutschen Bundesländern (wobei die Elternbeitragsbelastung nicht mit der Qualität gemessen an den Personalschlüsseln korreliert: »In Baden-Württemberg sind die Personalschlüssel demgegenüber bundesweit die Besten, hier beteiligen sich Eltern mit rund sieben Prozent eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens an der Kita-Finanzierung. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Personalschlüssel bundesweit mit die ungünstigsten, gleichwohl müssen Eltern mehr als acht Prozent ihres Haushaltseinkommens für Kita-Beiträge und Zusatzgebühren zahlen«)
➔ und außerdem müsste man dem Grundsatz „Ungleiches ungleich behandeln“ folgend aufgrund der sozialräumlichen Verankerung der meisten Kitas und damit der Tatsache einer höchst ungleichen Zusammensetzung der Kinder die Kitas, in denen die Mehrheit der Kinder aus einem schwierigen und belasteten Umfeld kommen, eigentlich um ein Mehrfaches besser behandeln als andere Einrichtungen.
➔ Schlussendlich sollte man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass man dringend weitere Verbesserungen bei der Vergütung der Fachkräfte sowie massive Verbesserungen hinsichtlich der Ausbildung zukünftiger Fachkräfte braucht, um den heute schon vorhandenen und in den kommenden Jahren massiv zunehmenden Fachkräftemangel anzugehen.
Man kann schon an dieser nur grobschlächtigen Aufzählung der Handlungsbedarfe erkennen, dass damit ein weiterer Finanzbedarf entstehen würde, den man den mit einer Elternbeitragsfreiheit verbundenen Kosten hinzuzählen muss.
Die Bertelsmann-Stiftung hat das gemacht für den Aspekt der Qualitätsverbesserungen. Darunter versteht die Stiftung Maßnahmen in drei Bereichen: Personalschlüssel, Leitungsausstattung sowie Mittagessen.
»Für einen kindgerechten Personalschlüssel müssen bundesweit zusätzlich 4,9 Mrd. Euro auf- gewendet werden … Für eine angemessene Leitungsausstattung sind weitere 1,3 Mrd. Euro … sowie für ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder jährlich zusätzlich 1,8 Mrd. Euro erforderlich … Demnach entstehen für den Qualitätsausbau jährlich mindestens zusätzliche Kosten in Höhe von 8 Mrd. Euro.« (Bertelsmann-Stiftung 2018: 11 f.)
Auf der Grundlage dieser Berechnungen kosten eine komplette Beitragsfreiheit für den KiTa-Besuch sowie die benannten Maßnahmen für den Qualitätsausbau jährlich insgesamt 15,3 Mrd. Euro. Hier nun ergibt sich das Problem, dass der Bund zwar mehr Geld für den Ausbau der Qualität in der Kindertagesbetreuung in Aussicht gestellt hat, die dafür vorgesehene Summe allerdings weit hinter den Bedarfen zurückbleibt: Während sich die zusätzlichen Kosten auf mehr als 15 Mrd. Euro belaufen und das jährlich, stehen für die gesamte Legislaturperiode insgesamt 3,5 Mrd. Euro im Raum, die der Bund nach dem Koalitionsvertrag zusätzlich für die Finanzierung der Kindertagesbetreuung bereitstellen will.
Es ist unschwer zu erkennen, dass eine gleichzeitige Verfolgung der für sich genommen gut begründeten Ziele zu enormen Mehrkosten für die Bundesländer und vor allem für die Kommunen führen würde, da die geplanten zusätzlichen Bundesmittel nur einen geringen Anteil abdecken könnten.
Was also tun? Offensichtlich muss man Schwerpunkte setzen, will man nicht im illusionären Raum der Forderung, alles gleichzeitig zu bekommen, hängen bleiben. Die Bertelsmann-Stiftung formuliert ihre Agenda hinsichtlich der Elternbeiträge so:
»Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt … zunächst alle Eltern unterhalb der Armutsrisikogrenze sowohl von den Ki-Ta-Beiträgen als auch von den Zusatzgebühren zu befreien. Insgesamt würde dies 730 Mio. Euro jährlich kosten, davon 495 Mio. Euro für die KiTa-Beiträge sowie 235 Mio. Euro für Zusatzgebühren.
Auch bei den Eltern mit höheren Einkommen ist eine Staffelung zu empfehlen. Damit die regionalen Unterschiede nicht fortbestehen, empfiehlt sich bundesweit eine einheitliche Regelung. Als wesentlicher Bestandteil wird vorgeschlagen, dass sich der Beitrag prozentual am Äquivalenzeinkommen orientiert. Dabei sollte nur das Einkommen berücksichtigt werden, welches oberhalb der Armutsrisikogrenze liegt.«
Das liest sich systematisch, wird aber im gegebenen föderalen Durcheinander hinsichtlich einer möglichen Umsetzung auf zahlreiche Widerstände stoßen. Hinzu kommt natürlich eine Kollision mit der empirisch zu beobachtenden Auseinanderentwicklung zwischen den Bundesländern, denn dort reicht das Spektrum ja von Beitragsfreiheit für alle Eltern bis hin zu hohen Beitragsbelastungen je nach Wohnort. Im Ergebnis würde der Vorschlag der Stiftung für die Bundesländer, in denen wir heute schon Beitragsfreiheit bedeuten, erneut eine anteilige Beitragsfinanzierung der Eltern, wenn auch auf Basis einer konsequenten Sozialstaffelung, einzuführen. Einen solchen Schritt kann man aus unterschiedlichen Perspektiven für eine „mutige“ bzw. von vornherein zum Scheitern verurteilte Empfehlung halten.
Wie dem auch sei – die Stiftung legt mit ihrem Vorschlag den Finger auf eine ziemlich komplizierte Wunde. Der konzeptionelle Ansatz wurde in den Medien von einigen zustimmend aufgegriffen. Beispielsweise von Parvin Sadigh in ihrem Kommentar Kostenfreie Kitas sind ungerecht: »Mehr Qualität in den Kitas verspricht Familienministerin Franziska Giffey. Das sollte endlich Priorität haben, statt weiterhin die gut verdienenden Familien zu entlasten.« Man muss allerdings darauf hinweisen, dass es aus bildungsökonomischer Sicht sehr gute Gründe für eine vollständige Steuerfinanzierung der frühkindlichen Bildung und Betreuung gibt, wenn man den Befunden der Forschung Glauben schenkt, dass die gesamtgesellschaftlich positiven Effekte in diesem Bereich mit Abstand am größten sind. Allerdings würde diese Argumentation dann auch für eine anteilige Mitfinanzierung der Hochschulausbildung plädieren, denn hier sind die persönlichen Nutzen deutlich ausgeprägter als im vor- und grundschulischen Bereich. Man kann erkennen, in welchem Minenfeld man sich hier bewegt.
Die Bertelsmann-Stiftung verfolgt offensichtlich das Anliegen, eine (reformierte) Zuzahlung der Eltern zu verteidigen, um dadurch finanziellen Spielraum zu gewinnen für die als notwendig erachteten Qualitätsverbesserungen und führt dafür die befragten Eltern selbst ins Feld:
»Mehr als die Hälfte der Eltern sind bereit, für eine höhere Qualität mehr zu bezahlen. Sowohl 59 Prozent der Eltern oberhalb der Armutsrisikogrenze, als auch 53 Prozent der Eltern unterhalb der Armutsrisikogrenze können sich dies vorstellen. Dies zeigt deutlich, dass den Eltern die KiTa- Qualität für ihr Kind sehr wichtig ist … Die zusätzlichen Gelder sollten nach Meinung der Eltern insbesondere in zusätzliches Personal investiert werden. 42 Prozent der Eltern wünschen sich zudem eine bessere Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher. Fast ein Drittel der Eltern wünschen sich außerdem eine bessere Ausstattung der KiTas sowie flexiblere bzw. längere Öffnungszeiten.« (Bertelsmann-Stiftung 2018: 15)
Auch hier könnte man jetzt wieder eine nicht nur operative, sondern grundsätzliche Skepsis notieren – denn die Elternbeiträge dienen im bestehenden System der anteiligen Finanzierung der tatsächlichen Betriebskosten. Wenn man nun also Elternbeiträge so verwenden will wie die Stiftung, dann müsste man im Ergebnis dafür sorgen, dass die Einnahmen aus den Beiträgen eben nicht (mehr) für die Mitfinanzierung der laufenden Kosten der Kitas verwendet werden, sondern mit ihnen die zusätzlichen Kosten aufgrund der Qualitätsverbesserungen. Das nun aber stößt aus zweierlei Hinsicht auf Probleme:
➔ Zum einen müssten die anderen Kostenträger den ausfallenden Finanzierungsanteil der Elternbeiträge gegenfinanzieren, denn das Geld muss ja irgendwo herkommen.
➔ Zum anderen muss man angesichts des erheblichen sozialökonomischen Gefälles zwischen den Kommunen davon ausgehen, dass gerade in den wirtschaftlich schwächeren Gebietskörperschaften, wo zugleich viele Kitas einen eigentlich noch deutlich höheren Finanzbedarf haben, die Einnahmen aus sozial gestaffelten Elternbeiträgen deutlich unter denen liegen, die in den wohlhabenderen Kommunen realisiert werden können.
Man kann förmlich spüren, dass wir uns in einem höchst komplex strukturierten Politikfeld bewegen. Erkennbar ist derzeit, dass man im Zusammenspiel zwischen Bund und Bundesländern versucht, an einigen Stellen gemeinsame Fortentwicklungen im bestehenden System anzustoßen und dafür auch zusätzliche Mittel bereitzustellen. Aber nicht nur das Volumen ist angesichts der tatsächlichen Herausforderungen viel zu gering dimensioniert, aufgrund der föderalen Besonderheiten kann man eben auch nicht eine zentrale Vorgabe machen, sondern die Bundesländer können sich aus einer Karte der Möglichkeiten das heraussuchen, was ihnen besonders gefällt oder geeignet erscheint.
Dazu hat die zuständige Bundesfamilienministerin ein „Gute-Kita-Gesetz“ auf den Weg gebracht. Aus der Berichterstattung darüber beispielsweise die Meldung Giffey will Gesetz für bessere Kitas auf den Weg bringen: „Das Gesetz enthält neun verschiedene Instrumente, um die Länder bei der Verbesserung der Kita-Qualität zu unterstützen – von der Gebührenbefreiung über den Betreuungsschlüssel bis zur Sprachförderung“, so wird die Ministerin Franziska Giffey (SPD) zitiert.
Man sollte sich an dieser Stelle erinnern, was Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag als Absichtserklärung festgeschrieben haben:
»Wir wollen die bestmögliche Betreuung für unsere Kinder und die bessere Vereinbar- keit von Familie und Beruf. Dazu unterstützen wir Länder und Kommunen weiterhin beim Ausbau des Angebots und bei der Steigerung der Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen und dem Angebot an Kindertagespflege sowie zusätzlich bei der Entlastung von Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfreiheit. Dafür werden wir jährlich laufende Mittel zur Verfügung stellen (2019 0,5 Milliarden, 2020 eine Milliarde, 2021 zwei Milliarden Euro). Hierbei wollen wir sowohl die Vielfalt der Betreuungsangebote beibehalten als auch die Länderkompetenzen wahren. Die Beschlüsse der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK) werden wir hierzu entsprechend umsetzen … Wir werden einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter schaffen. Dabei werden wir auf Flexibilität achten, bedarfsgerecht vorgehen und die Vielfalt der in den Ländern und Kommunen bestehenden Betreuungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und die schulischen Angebote berücksichtigen. Für die Ausgestaltung wollen wir das Sozialgesetzbuch VIII nutzen. Um diesen Rechtsanspruch bis 2025 zu verwirklichen, bedarf es konkreter rechtlicher, finanzieller und zeitlicher Umsetzungsschritte, die wir in einer Vereinbarung von Bund und Ländern unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände festlegen werden. Dabei wird der Bund sicherstellen, dass insbesondere der laufenden Kostenbelastung der Kommunen Rechnung getragen wird.« (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 2018: 20).
Dieser Hinweis ist auch deshalb wichtig und zugleich brisant, weil man hier eine weitere Großbaustelle serviert bekommt, die demnächst aufgemacht werden soll: nach dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr soll es nun weiter gehen mit einem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Wenn man das wirklich angehen sollte, dann hätte das in dem hier relevanten Kontext nicht nur zur Folge, das weitere große Finanzbedarfe entstehen, sondern man muss zur Kenntnis nehmen, dass es vor allem Erzieherinnen und Erzieher sind, die hier im Betreuungsbereich der Schulen arbeiten (werden). Und das vor dem Hintergrund eines zunehmende Personalmangels in den Kitas schon heute (vgl. dazu auch das Interview mit Anke König vom Deutschen Jugendinstitut: Prognose zur Kita-Entwicklung: Bis 2025 fehlen 300.000 Erzieherinnen und Erzieher).
Aber zurück zu dem angekündigten „Gute-Kita-Gesetz“. Ein erster Referentenentwurf für ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung (Gute-Kita-Gesetz) vom 24. April 2018 liegt mittlerweile vor.
Im § 2 des Entwurfs sind die mit den avisierten Bundesmitteln „förderfähigen Maßnahmen“ aufgelistet. Man erkennt bereits beim ersten Durchlesen, dass wir es hier gleichsam mit einem Potpourri aller irgendwie möglichen und für den einen oder anderen wünschenswerten Verwendungen der Gelder seitens der Länder zu tun haben. Jeder nach seiner Façon, so kann man die Architektur zusammenfassen. Ein nur annähernd kohärenter Ansatz ist hier nicht zu erkennen. Hinzu kommt: Bei allem Verständnis für die Forderung nach Beitragsfreiheit – wie um alles in der Welt soll Elternbeitragsfreiheit die Qualität einer Kita steigern? Ganz offensichtlich wird das hier als Hülle benutzt, um das eigene Ziel einer Gegenfinanzierung von Beitragsfreiheit unterzubringen. Aber das hat nun wirklich nichts mit dem zu tun, was man normalerweise unter Qualitätsverbesserungen diskutiert. Im Zusammenspiel mit dem bereits eingeordneten niedrigen Volumen an zusätzlichen Mitteln kann man sich an fünf Fingern ausrechnen, was das bringen wird. Nicht viel, um das nett zu formulieren.
Insofern kann und muss man an dieser Stelle derzeit nur mit einer ziemlich frustrierenden Analogie enden: Die Kitas und die dort arbeitenden Menschen laufen in eine Situation hinein, die der in der Pflege immer vergleichbarer wird. Und aus der Pflege wissen wir: man kann eine Zeit lang kontinuierlich von der Substanz leben, aber irgendwann bricht einem das System unterm Hintern weg.