In den zurückliegenden Monaten gab es eine durchaus intensiv zu nennende Diskussion über die Situation sowohl in der Krankenhaus- wie vor allem in der Altenpflege. Allerdings kann man derzeit schon ein gewisses Abflauen der Berichterstattung erkennen, nachdem sich die meisten Medien – und darunter nicht wenige effektheischend mit skandalisierend daherkommenden Reportagen – über den Pflegenotstand ausgelassen haben. Es ist sicher nicht völlig weltfremd, wenn man den Pflegekräften und den betroffenen Pflegebedürftigen zuruft, dass sie aufpassen müssen, nicht in die gleiche Falle zu laufen wie man das in einem benachbarten Feld der „personenbezogenen Dienstleistungen“ erleben musste. Gemeint sind hier die Kindertageseinrichtungen und die (nicht nur) pädagogischen Fachkräfte, die dort arbeiten.
Wir erinnern uns – vor allem seit 2007 wurde in Westdeutschland das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen für Kinder auch unter drei Jahren ausgebaut. In Ostdeutschland gab es noch als Folge der ehemaligen DDR auch nach der Wiedervereinigung eine ganz andere Struktur und vor allem eine deutlich besser ausgebaute Infrastruktur. Und damals hatte man in das hier einschlägige Gesetz – dem SGB VIII – einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr geschrieben, allerdings mit einer mehrjährigen Übergangsperiode, damit die dafür zuständigen Kommunen genügend Zeit hatten, die erforderlichen Kita-Plätze zu organisieren. Ab dem 1. August 2013 sollte dann der Rechtsanspruch scharf gestellt werden. Manche westdeutsche Kommune hat im Vorfeld darauf spekuliert, dass das schon nicht so heiß gegessen wird und man den Rechtsanspruch verschieben wird, wenn klar wird, dass das Angebot an Betreuungsplätzen für die unter dreijährigen Kinder nicht ausreichen wird. Das allerdings ist nicht geschehen, der Rechtsanspruch wurde ins Leben gerufen – und rund um den August 2013 gab es eine intensive öffentliche Diskussion über den „Kita-Notstand“ angesichts der vielerorts fehlende Kita-Plätze. Dann aber wurde das Thema schnell wieder aus dem Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt, nicht wegen einer erfolgreichen Umsetzung des Rechtsanspruchs für die Eltern, die einen Bedarf haben. Sondern weil es sich bei der Frage, ob man einen Kita-Platz bekommt oder eben nicht, um eine individualisierte Frage handelt, die zwar Hunderttausende oder gar mehr betrifft, die aber keine kollektive Größe darstellen, da es keine Interessenvertretung der betroffenen Eltern mit ihren Kindern gibt, sondern jeder sehen muss, wie er und sie damit klar kommt, wie man das vor Ort organisiert bekommt. Oder eben nicht.
Und es ist nun wahrlich nicht so, als sei in den Jahren seit 2007 nichts passiert. Tatsächlich wurden gerade im Westen Deutschlands hunderttausende neuer Kita-Plätze geschaffen. Die gewaltige Expansion der Kindertagesbetreuung kann man sich mit einem Blick auf die Beschäftigtenzahlen verdeutlichen. 2006 arbeiteten 415.018 Beschäftigte in den deutschen Kindertageseinrichtungen – 2017 waren es bereits 692.643. Das ist ein Anstieg von fast 70 Prozent. Hinzu kommen – was oft in der „Kita“-Debatte vergessen wird – die Kindertagespflegepersonen. 2006 waren das 30.427. Deren Zahl stieg bis 2014 auf 44.860 und geht seitdem leicht zurück, auch aufgrund der teilweise nur als desaströs zu bezeichnenden Vergütungsverhältnisse in diesem Bereich.
Aber es ging und geht nicht nur darum, einen vor Jahren bestehenden und damals nicht ausreichend gedeckten Bedarf an zusätzlicher Kindertagesbetreuung zu decken, sondern wir sprechen von einem „beweglichen Ziel“, denn der Bedarf und die tatsächliche Nachfrage der Eltern entwickelt sich weitaus dynamischer, als man das vor einigen Jahren noch angenommen hat (bzw. annehmen wollte). Hinzu kommt ein grundsätzliches Dilemma: Die Kindertagesbetreuung kann man zwar national diskutieren, man muss aber wissen, dass jedes Bundesland sein eigenes „Kita-System“ hat (damit verbunden sind ganz unterschiedliche Formen der Finanzierung und der Personalvorgaben) und aus Sicht der betroffenen Eltern mit ihren Kindern ist Kindertagesbetreuung immer eine lokale Angelegenheit, die vor Ort erfüllt werden muss. Also Eltern in Ludwigshafen oder Frankfurt nutzt es nichts, wenn im Westerwald oder in der Eifel freie Kita-Kapazitäten vorhanden sind oder wären. Und gerade in den (groß)städtischen Räumen war und ist die Nachfrage nach Kita-Plätzen weit überdurchschnittlich. Zugleich haben diese Kommunen nicht nur ein finanzielles Problem mit der Ausweitung der Kita-Angebote – selbst wenn sie wollten stoßen sie häufig an systematische Grenzen, beispielsweise finden sie keine geeigneten Grundstücke für den Bau neuer oder keine entsprechenden Immobilien für die Errichtung von Kitas, die nah bei den Menschen mit Kindern sind.
Und selbst wenn sie Räumlichkeiten haben oder bekommen können, brauchen sie Personal für den Betrieb der Einrichtungen. Und gerade aus den (groß)städtischen Regionen wird hier schon seit Jahren Land unter gemeldet, also von einem real existierenden Fachkräftemangel berichtet. Wohlgemerkt, schon im bestehenden System, geschweige denn, wenn man berücksichtigt, welchen zusätzlichen Bedarf wir haben angesichts der heutigen Unterdeckung der Nachfrage und der steigenden Bedarfe aufgrund von Zuwanderung, aber durchaus auch aufgrund steigender Geburtenzahlen. Und dann kommt last but not least der Tatbestand dazu, dass die Personalausstattung der Kitas seit Jahren völlig zu Recht als zu niedrig und aus fachlicher Sicht teilweise sogar als kindeswohlgefährdend bezeichnet werden muss.
Dann muss man sich über solche Meldungen auch nicht wundern: Erziehermangel führt zu Kündigung, wird beispielsweise aus Brandenburg berichtet. »Vor Weihnachten musste die Arbeiterwohlfahrt in Fürstenwalde rund zehn Betreuungsverträge für Kinder in einer ihrer Kitas kündigen. Der Grund: Fachkräftemangel. Für acht Kitas, von Schöneiche bis Briesen, sucht die AWO derzeit Erzieher. Auch andere Träger haben das Problem.« Und selbst die Tagesschau berichtet unter der Überschrift Notstand befürchtet: Erzieher verzweifelt gesucht.
Und das muss eben auch vor dem Hintergrund solcher Meldungen trotz alles Ausbau-Bemühungen gesehen werden: Es fehlen immer noch fast 300.000 Plätze für unter Dreijährige, so das Institut der deutschen Wirtschaft.
»Anders als die Versorgungssituation wird die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für unter Dreijährige in der amtlichen Statistik nicht erfasst. Daher muss für die Ermittlung der Betreuungsbedarfe auf die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Familien zurückgegriffen werden, die zuletzt im Jahr 2016 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführt wurde … Ihr zufolge wird für 46 Prozent der unter Dreijährigen eine staatliche oder staatlich geförderte Betreuung benötigt, was hochgerechnet mit der Kinderzahl einem Bedarf von rund 1,06 Millionen Plätzen entspricht. Zieht man hiervon die Zahl der Kinder in Betreuung ab, kommt man auf eine Lücke von rund 296.000 Plätzen oder 12,8 Prozentpunkten.«
Nun kann und muss man an dieser Stelle anmerken, dass solche Zahlen nicht nur deshalb mit Samthandschuhen anzufassen sind, weil es sich um hochgerechnete Werte handelt. Weitaus schwieriger gestaltet sich das Problem, dass bundesdeutsche Werte nicht wirklich helfen angesichts der lokalen Dimension des Bedarfs und der Nachfrage, die eben teilweise ganz erheblich differiert.
Mit diesem Problem ist man auch konfrontiert bei der Frage nach dem Personalbedarf. Medien wollen immer wieder gerne wissen, wie viele Kita-Plätze fehlen und wie viele Erzieher/innen fehlen. Die Antwort darauf muss notgedrungen unvollkommen ausfallen und beim Personal kommt außerdem erschwerend hinzu: Kommt darauf an, was für Verhältnisse man denn haben möchte. Sollen die bestehenden Strukturen fortgeschrieben werden – oder darf es ein wenig bis ordentlich mehr sein? Muss es sogar, wie die fachliche Diskussion hervorhebt, ordentlich mehr sein, weil die in vielen Bundesländern vorhandenen Personalschlüssel unterirdisch schlecht sind?
Außerdem muss man bei der Abschätzung des Personalbedarfs nicht nur berücksichtigen, von welchen Standards der Personalausstattung man auszugehen hat, sondern auch, wie sich die Inanspruchnahmequoten entwickeln werden und wo es neue, zusätzliche Bedarfe geben wird, man denke hier nur an den Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen, wo es sogar nach dem Willen der neuen alten Großen Koalition demnächst auch einen Rechtsanspruch, in diesem Fall für eine Ganztagsbetreuung geben soll.
Die zahlreichen methodischen Probleme einer Vorausberechnung des Personalbedarfs und was aus dem Ausbildungssystem zu erwarten ist, sollen hier nicht weiter vertieft werden. Im Rahmen des von der Weiterbildungsinitiave Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF), die am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München angesiedelt ist, herausgegebenen Fachkräftebarometers Frühe Bildung wurde vor kurzem eine Abschätzung des Personalbedarfs und der zu erwartenden Personaldeckung veröffentlicht (vgl. ausführlicher Matthias Schilling: Künftiger Personalbedarf – eine Projektion bis 2025): Bis zu 329.000 pädagogische Fachkräfte werden in Krippen, Kindergärten und in der Grundschulbetreuung bis zum Jahr 2025 zusätzlich gebraucht – wird der Geburtenanstieg, die Zuwanderung, nicht erfüllte Elternwünsche und ein verbesserter Personalschlüssel zugrunde gelegt. Im Zeitraum bis 2025 münden voraussichtlich etwa 274.000 einschlägig ausgebildete Nachwuchskräfte in das Arbeitsfeld ein. Sie können lediglich die ausscheidenden Fachkräfte ersetzen sowie den Mehrbedarf aufgrund von Geburtenanstieg und Zuwanderung auffangen. Für einen weiteren Ausbau von Betreuungsplätzen sowie Qualitätsverbesserungen fehlen dann noch etwa 309.000 Kita-Fachkräfte, 15.000 Tagespflegepersonen sowie 5.000 Stellen in der Ganztagsschule.
Man muss sich die Größenordnungen deutlich machen: Die Berechnungen von Schilling und anderen gehen davon aus, dass wir bis 2025 insgesamt einen Personalbedarf von 603.000 Beschäftigten haben werden (siehe die Abbildung am Anfang dieses Beitrags). Aus dem bestehenden Ausbildungssystem, also vor allem den Fachschulen, aber auch die immer noch überschaubaren Absolventen aus den Hochschulen mit kindheitspädagogischen Studiengängen, erwartet man eine Personaldeckung in der Größenordnung von 274.000. Das bedeutet aber eben auch auch eine „Deckungslücke“ in der Größenordnung von 329.000 Fachkräften. Wo sollen die herkommen?
Vor diesem Hintergrund sind dann solche Meldungen weitaus weniger überraschend – ausgehend von der Überlegung, die der eine oder andere anstellen wird: Wir haben aber doch einen individuellen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz, schon ein 2013. Den kann man doch einlösen oder einfordern. Leider werden wir an dieser Stelle eines besseren belehrt: Kein Kitaplatz – Berliner Eltern scheitern vor Gericht, so hat Susanne Vieth-Entus ihren Artikel überschrieben.
„Wir sind fassungslos über die Entscheidung des Gerichts“, sagt Louisa Sombart. Die Kreuzbergerin hatte nicht damit gerechnet, dass das Berliner Verwaltungsgericht trotz des bundesweit gültigen Rechtsanspruchs ihren Eilantrag auf einen Kindergartenplatz zurückweisen würde … Als Ersatz wird ihr und ihrem Partner angeboten, dass sie die Kosten für eine selbstorganisierte private Betreuung nachträglich einfordern können. Das allerdings bringt ihnen nichts, weil sie keine Betreuung finden. Nun bangt Sombart um ihren Arbeitsplatz … die Kulturmanagerin (wollte) nach ihrer Elternzeit wieder arbeiten und hatte zum 1. Februar einen attraktiven Posten bekommen. Auch ihr Partner ist berufstätig. Als die beiden nach monatelanger Suche keinen Kitaplatz für ihren einjährigen Sohn fanden, zogen die Großeltern vorübergehend aus Hamburg nach Berlin. Ende März entfällt diese Möglichkeit aber. Damit stehen die Eltern ab 1. April ohne Alternative da. Denn auch auf Anzeigen hat sich bislang niemand gemeldet, der ihren Sohn hätte betreuen können.
Nun werden an dieser Stelle viele einwenden, dass es doch eben einen individuellen Rechtsanspruch gibt nach dem SGB VIII, der genau so eine Situation verhindern soll. Aber wieder einmal lernen wir, dass es Rechtsansprüche gibt, die eben nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Man möge die Argumentation des Gerichts genau inhalieren:
»Die Richter wiesen zwar auf den gesetzlich zugesicherten Anspruch auf einen Betreuungsplatz hin. Der zuständige Träger der Jugendhilfe, das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, müsse daher sicherstellen, dass es für jedes Kind einen Betreuungsplatz gebe. Allerdings könne das Bezirksamt diesen Anspruch wegen fehlender Kapazitäten derzeit nicht erfüllen. Es habe zwar „im Rahmen seiner unbedingten Garantie- und Gewährleistungshaftung“ die Pflicht, „neue Dienste sowie Einrichtungen zu schaffen und damit das unzureichende Angebot zu erweitern“. Das sei aber nicht so kurzfristig umzusetzen, dass das Kind der Kläger davon noch profitieren könnte. Einen Rechtsanspruch auf Schaffung neuer Plätze gebe es nicht, der Anspruch auf eine Betreuung laufe „ins Leere“, denn der Grund für die aktuelle Lage sei der nicht kurzfristig zu beseitigende Fachkräftemangel.«
Das ist zwar nett für die hier beklagte Seite des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, aber lässt die Betroffenen natürlich am ausgestreckten Arm verhungern. Der Rechtsanspruch für Berliner Eltern besteht im Zweifel lediglich in der Theorie.
Um die kommunale Seite zu illustrieren, sei hier ein Blick in diesen Artikel empfohlen: Kitaplatzmangel in Berlin: Die Quadratur des Kita-Kreises:
»Sie wolle ja keine Hysterie verbreiten, betont Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) … immer wieder – aber die Berliner Eltern hätten „schlicht keine Vorstellung, wie schwierig die Lage bei der Kitaplatzversorgung inzwischen ist“. Rund 400 Plätze könnten die Träger im Bezirk derzeit nicht anbieten: weil Fachkräfte fehlen oder weil Kitas nicht rechtzeitig fertiggebaut werden können. Gleichzeitig stünden 350 Eltern auf der zentralen Warteliste des Bezirksamts, denen man kein Angebot machen könne.
Besserung sei zudem nicht in Sicht, sagt Herrmann voraus: Rund 1.650 Plätze will man bis 2022 in Abstimmung mit den Trägern schaffen – eigentlich. Zahlreiche Planungen seien bereits verzögert, weil ErzieherInnen schlicht nicht aufzutreiben seien. In einer neuen Kita habe ein Träger dreimal die Aufträge für die Elektrik ausschreiben müssen, denn auch die Handwerksbetriebe leiden unter Fachkräftemangel.«
Nun könnte man hinsichtlich des hier im Mittelpunkt auch der gerichtlichen Argumentation eines Fachkräftemangels durchaus noch argumentieren, dass das hausgemacht ist in Berlin (was wiederum eigentliche eine rechtsprechungsbedingte Entlastung Berlins an dieser Stelle absurd erscheinen lässt): »Viele ErzieherInnen wandern nach der Ausbildung ins benachbarte Brandenburg ab, weil dort nach einem anderen Tarifvertrag um einige Hundert Euro pro Monat besser bezahlt wird. Auch an den Schulen verdienen ErzieherInnen mehr. Laut des Paritätischen Wohlfahrtsverband, der viele Kitas in Berlin betreibt, kommt rund ein Viertel der ausgebildeten ErzieherInnen nicht in den Kitas an.«
Aber man sollte sich an dieser Stelle keinen falschen „Hoffnungen“ hingeben. Der beschriebene Mangel an Personal (und Plätzen) ist kein isoliertes Berliner Problem (vgl. dazu aber auch den Kommentar Sozialpolitik in Berlin: Berliner Versprechungen sind das Papier nicht wert von Gerd Nowakowski: »Ob Kitaplatz oder günstige Wohnung: Berlin verteilt gern Anspruchsscheine, leider sind sie vom Angebot nicht gedeckt. Zur Politik des schnöden Scheins«). Das erleben viele Eltern tagtäglich an ganz unterschiedlichen Orten in diesem Land.
Und wohlgemerkt – die Personalprobleme gibt es bereits unter den herrschenden Bedingungen, die aber völlig zu recht aus der Fach-Community als zu schlecht und teilweise, gerade bei den überaus vulnerablen Kindern unter drei Jahren, als kindeswohlgefährend eingestuft werden. Man bräuchte also erkennbar bessere Personalschlüssel, was natürlich auch dem Personalbedarf nach oben treiben würde. Hierzu erneut am Beispiel Berlins: Vorschrift wird missachtet: Jeder dritte Kita-Betreiber spart Personal ein: »Viele Berliner Kitas beschäftigen zu wenig Erzieher und unterlaufen damit den offiziell festgelegten Betreuungsschlüssel. Das geht aus einer Vorlage der Bildungsverwaltung an den Hauptausschuss hervor. Demnach haben 31 Prozent der Kita-Betreiber viel weniger Erzieher als vorgeschrieben. Ein Erzieher muss deshalb deutlich mehr Kinder betreuen, oft müssen Gruppen zusammengelegt werden … Nach den Kriterien der Verwaltung darf die Personalausstattung von rechnerisch 100 Prozent in einer Kita um höchstens fünf Prozent unterlaufen werden. Das war zum Stichtag der Erhebung bei 17 Prozent der Kita-Träger der Fall. 31 Prozent hingehen verletzten diese Toleranzgrenze.« Die Bertelsmann-Stiftung liefert seit Jahren mit dem Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme eine zahlenmäßige Übersicht über die Situation in allen Bundesländern.
Schaut man sich den Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2017 aus dem vergangenen Jahr an, dann werden solche Befunde präsentiert: Um bundesweit einen „qualitätssichernden“ Personalschlüssel von einer Fachkraft für drei Kinder in Krippengruppen und 7,5 in Kindergartengruppen zu erreichen, müssten 107.000 zusätzliche Fachkräfte in Vollzeit eingestellt werden. Dort wird auch die enorme Spannweite allein schon auf der sehr großen Ebene der Bundesländer erkennbar. Mit Blick auf die Personalsituation 2016 schreibt die Stiftung: Führend ist Baden-Württemberg mit drei Kindern pro Fachkraft in der Krippe und 7,2 in der Kita. Schlusslicht ist Sachsen, wo 6,5 Krippen- und 13,4 Kitakinder auf eine Fachkraft kommen. Die Bertelsmann-Stiftung hat erstmals auch Daten zu den 402 Kreisen und kreisfreien Städten ausgewertet. Dabei zeigt sich etwa, dass die von einer Kraft betreuten Gruppen in einigen Gebieten Brandenburgs drei Mal so groß sind wie in bestimmten Kreisen in Baden-Württemberg.
„Die Bildungschancen von Kindern hängen heute erheblich von ihrem Wohnort ab“, wird Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, in diesem Artikel zitiert: Qualität der Kita-Betreuung hängt stark vom Wohnort ab. Bund und Länder müssten deshalb für eine „verlässliche Kita-Qualität“ in ganz Deutschland sorgen – mit einheitlichen Standards, so die Forderung.
Erkennbar wird beim Platzangebot insgesamt eine sozialpolitisch hoch problematische Spaltungslinie, die man so formulieren kann: »Ob Eltern einen Kita-Platz bekommen oder nicht, hängt auch vom Wohnort ab. Daten des NRW-Familienministeriums zeigen: Je höher die Pro-Kopf-Verschuldung einer Stadt ausfällt, desto weniger U3-Plätze in Kitas bietet sie an.« So Christopher Ophoven in seinem Beitrag U3-Betreuung: Verschuldete Städte mit Problemen. Aber gerade in diesen Städten gibt es neben dem „normalen“ einen besonderen Bedarf an einer qualitativ guten Kita-Versorgung, die eben über eine reine Betreuungsfunktionalität hinausgeht und ein ganz zentraler Anker für die Bildungsbiografien der Kinder darstellt bzw. darstellen könnte. Dann aber müssten nicht nur ausreichend Plätze vorhanden sein, sondern die Einrichtungen in Städten oder Stadtteilen, in denen beispielsweise die große Mehrheit der Kinder aus einkommensarmen Familien kommen und einen nicht-deutschsprachigen familiären Hintergrund haben, müsste um ein Mehrfaches besser sein als in anderen Wohngebieten.
Der aufmerksame Leser wird sie an dieser Stelle erkannt haben, die Analogien zum aktuellen Pflege-Thema. Im Grunde stehen die Pflegekräfte vor dem gleichen Problem wie die Erzieher/innen in den Kitas. Aber über die Kitas diskutiert die Republik schon seit langem nicht mehr. Es bleibt zu hoffen, dass das den Pflegekräften erspart bleibt und dass sich für die Beschäftigten in den Kitas doch noch was ändert.