Gerade in diesen Tagen kann man wieder einmal erleben, wie gerne und lauthals einige Politiker dem geneigten Publikum ein energisches Durchgreifen „des Staates“ in Aussicht stellen bzw. dieses einfordern. Derzeit an vorderster Front dabei der Tausendsassa Jens Spahn (CDU), offiziell nach längeren Geburtswehen neuer Bundesgesundheitsminister, der aber bislang nicht etwa durch mutige und innovative Vorschläge zur Bekämpfung des grassierenden Pflegenotstands auf sich aufmerksam macht, sondern – wie die Tagesschau in ihrer Online-Ausgabe unter der Überschrift Spahn geht fremd zutreffend vermerkt – auf fremden Hochzeiten zu tanzen versucht: »Während sich die Arbeit im Gesundheitsministerium stapelt, beschäftigt sich Minister Spahn lieber mit anderen Themen … Nach Hartz IV, Frontex und Twittern unter Journalisten geht es dieses Mal um die Handlungsfähigkeit des Staates.« Der Herr Minister wird mit den Worten zitiert, »dass der Staat in den vergangenen Jahren nicht mehr ausreichend für „Recht und Ordnung“ habe sorgen können. „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen“, so der CDU-Politiker.« Nicht nur die Wiederauferstehung der Arbeiterviertel wird uns hier en passant ins Nest gelegt – auch das partielle Staatsversagen von einem Politiker, dessen Partei seit ziemlich vielen Jahren das Land regiert. Man könnte das kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen und dann zu den Akten legen, aber das ist alles nur ein Beispiel für die anfangs angesprochene Aktivitätssimulationsmaschine, der die Menschen an vielen Stellen ausgeliefert sind.
Und Jens Spahn ist wahrlich nicht allein. Man nehme als weiteres Beispiel diese Meldung: Chef der Polizeigewerkschaft fordert in Antisemitismus-Debatte härteres Durchgreifen: »Nach antisemitischen Vorfällen und religiösem Mobbing in Schulen hat die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ein härteres Einschreiten der Jugendämter bis zur Inobhutnahme der Kinder aus den betroffenen Familien gefordert.« „Wenn Kinder zu Antisemiten erzogen werden, darf man nicht davor zurückschrecken, sie aus ihren Familien herauszunehmen“, wird der Gewerkschaftschef Rainer Wendt zitiert. Und auch das überrascht nicht: »Wendt begrüßte den Vorstoß des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) für ein bundesweites Melderegister antisemitischer Vorfälle an Schulen.« Das wird vielen gefallen. Endlich mal durchgreifen, Kinder aus den antisemtischen Familien holen. Was für eine Übergriffigkeit, werden die denken, die sich nur ein wenig in der hier relevanten Materie des Familienrechts und der Jugendhilfe, vom Verfassungsrecht mal ganz zu schweigen, auskennen. Ganz unabhängig von der Frage der (Nicht-)Praktikabilität eines solchen Ansatzes. Aber egal. Am Stammtisch kann man damit punkten.
Nur der Vollständigkeit halber diese Information, die dann weniger stammtischtauglich daherkommt: »Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, ist ohne jede Rechtsgrundlage elf Jahre lang bei fortlaufender Bezahlung vom Dienst freigestellt worden. Das hat das NRW-Innenministerium nach Informationen unserer Redaktion im Abschlussbericht eines internen „Verwaltungsermittlungsverfahrens“ erstmals offiziell eingeräumt … Wendt hat den Ermittlungen zufolge seit 2006 keinen Dienst mehr als Polizist versehen, obwohl es für eine vollständige, bezahlte Freistellung keinerlei Handhabe gab. Zudem soll Wendt Anfang 2010 rechtswidrig auf eine neu geschaffene Stelle der höheren Besoldungsgruppe A12 beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg befördert worden sein. Er sei ohne entsprechenden Leistungsnachweis sehr gut beurteilt worden, fanden die Ermittler heraus«, kann man diesem Artikel von Tobias Blasius entnehmen: Ministerium räumt Rechtsbruch ein. Man soll jetzt aber nicht erwarten, dass der Mann zwischenzeitlich zurückgetreten ist. Das mit Recht und Ordnung ist wie fast alles relativ.
Nun ist die Fixierung auf Zwangsmaßnahmen des Staates nur die eine Seite der Medaille. Es gibt auch eine andere – und die kommt erst einmal in warmen, angenehmen Farben daher. Der Staat gibt seinen Bürgern Rechtsansprüche auf Leistungen. Nur stellt sich hier ein strukturell vergleichbares Problem wie für die (angebliche) „law-and-order“-Fraktion: man muss das auch durchsetzen (können), man muss das mit Leben füllen. Sonst bleibt das nur ein Versprechen, eine leere Hülle.
Schauen wir uns das an konkreten Beispielen an. Die findet man in Berlin – das damit angesprochene Grundproblem ist aber nicht auf die Hauptstadt begrenzt, um das gleich am Anfang der Ausführungen hervorzuheben. Allerdings bündeln sich viele Probleme in Berlin wie unter einem Brennglas, denn die Hauptstadt ist nicht nur groß, sie wächst auch von Jahr zu Jahr und das „von oben“ wie „von unten“, also durch den Zuzug materiell gut und schlecht gestellter Menschen.
Beginnen wir mit diesem frustriert daherkommenden Kommentar von Gerd Nowakowski: »Ob Kitaplatz oder günstige Wohnung: Berlin verteilt gern Anspruchsscheine, leider sind sie vom Angebot nicht gedeckt. Zur Politik des schnöden Scheins«, schreibt er unter der Überschrift Sozialpolitik in Berlin: Berliner Versprechungen sind das Papier nicht wert:
»… der Wohnberechtigungsschein. Wegen der steigenden Mieten erhalten nun neben Geringverdienern auch Menschen mit mittlerem Einkommen einen WBS, um eine Sozialwohnung zu beziehen. Der Senat macht damit freilich Politik auf dem Rücken der Bezirke. Die fürchten eine Antragswelle, wenn nun jeder zweite Berliner Anspruch auf das begehrte Papier hat – ohne dass es in den Bezirksämtern dafür genug Personal gibt. Das ist das Elend der zweistufigen Verwaltung: Oben bestimmt, unten darf ausführen. Vollends absurd wird es, weil die Zahl der Sozialwohnungen schrumpft. Den fast 50.000 Berechtigungsscheinen, die 2017 ausgestellt wurden, stehen nur 3000 neue Sozialwohnung gegenüber. Statt mehr zu bauen, werden wertlose Papiere verteilt.«
Und für unser Thema hier besonders relevant:
»Da freuen sich Eltern in Berlin. Klingt prima, was der Senat beschlossen hat. Seit dem 1. Januar gibt es einen Betreuungsanspruch von täglich sieben Stunden – ohne Prüfung des Bedarfs. Die Realität sieht anders aus. Zwar hat Berlin in den vergangenen Jahren die Kitas enorm ausgebaut; es fehlen trotzdem tausende Plätze. Ein Witz, dass in der Handreichung der Senatsverwaltung Eltern geraten wird, mit dem Kita-Gutschein zwei Monate vor dem gewünschten Termin bei der Einrichtung vorzusprechen. Wer nicht bereits als Schwangere nach einem Kitaplatz sucht, gilt an der Spree als hoffnungslos naiv. Dabei gibt es den Anspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag schon seit 2013. Der Kitaplatz-Mangel beschäftigt schon die Gerichte. Was also nützt Eltern die verbriefte tägliche Betreuung von sieben Stunden?«
Nun wurde vor kurzem über die desaströse Situation für viele Eltern in Berlin berichtet, was die Suche nach einem „normalen“ Betreuungsplatz angeht: So viele Kitaplätze fehlen im „Platzdelta“ Berlin:
»Bisher waren es nur Schätzungen, jetzt ist es offiziell: Für rund 2.500 Kinder gibt es in Berlin momentan keinen Kitaplatz, obwohl ihre Eltern einen Gutschein dafür haben … Im Februar hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband die Versorgungslücke auf „mindestens 3.000 Plätze“ geschätzt … Diese Lücke könnte bis zum Ablauf des Kitajahres 2017/18 Ende Juli noch weiter steigen. Denn bis dahin werden zahlreiche weitere Kinder das erste Lebensjahr vollenden und haben ab dann einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz.«
Damit wird hier ein Problem in bestimmten, vor allem städtischen Regionen unseres Landes angesprochen, das zwar in der öffentlichen Aufmerksamkeit kaum noch auftaucht, aber für unzählige Betroffene ein echtes Problem darstellt: der Widerspruch zwischen einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die unter dreijährigen Kinder und der Wirklichkeit. Vgl. dazu auch grundsätzlich den Beitrag Die Vergessenen in real existierenden Kita-Welten. Von einem löchrigen Rechtsanspruch, schon heute und demnächst so richtig fehlenden Fachkräften und ja, dem Kindeswohl vom 7. März 2018.
Aber das geht in Berlin noch weiter. Denn dort gibt es eine „Kita-Pflicht“. Da wird sich der eine oder andere verwundert die Augen reiben und einwerfen, dass es eine vom Staat ausgehende Verpflichtung doch nur für die Schule gibt, nicht aber für die Kita. Bezogen auf Berlin muss man vor diesem grundsätzlich richtigen Einwand darauf hinweisen, dass wir es damit zu tun haben: Keine allgemeine, sondern eine ganz spezielle Kitapflicht gibt es in Berlin, so hat Holger Klaus seinen Beitrag überschrieben:
»Eine allgemeine Pflicht zum Besuch einer Krippe oder eines Kindergartens gibt es Berlin nicht … Und doch gibt es sozusagen eine “kleine” bzw. indirekte Kitapflicht in Berlin: Der Grund hierfür findet sich im Berliner Schulgesetz. Denn wird bei einem Kind eine gewisse Zeit vor der Einschulung ein Sprachförderbedarf festgestellt, so wird es verpflichtet, für eine Zeit von 1,5 Jahren vor der Einschulung im Umfang von 5 Tagen in der Woche während 5 Stunden an einer Sprachförderung im Kindergarten / Kita teilzunehmen. Damit soll nachvollziehbar verhindert werden, dass Kinder mit gewissen Sprachdefiziten in die Schule kommen und dort praktisch vom ersten Tag an benachteiligt sind, da sie bereits mit einem Rückstand gegenüber ihren kleinen Mitstreitern starten.«
Die genaue Rechtsgrundlage kann man im § 55 Schulgesetz Berlin finden und dort im Absatz 2. Die Eltern haben dafür Sorge zu tragen, dass ihre Kinder dieser „kleinen“ Kitapflicht nachkommen. Diese Vorgabe kann bei Versäumnissen sogar mit Bußgeldern geahndet werden.
Soweit die Theorie. Holger Klaus hat in seinem im November 2015 veröffentlichten Beitrag allerdings schon notiert: »Aber leider und vor allem befremdlicherweise scheint auch das eine gewisse steigende Zahl von Eltern nicht zu bewegen.«
Das nun ist (wieder) Gegenstand der aktuellen Berichterstattung: »Sie bereiten den Grundschulen die größten Probleme und haben die schlechtesten Chancen auf eine erfolgreiche Schullaufbahn: Kinder, die ohne Deutschkenntnisse eingeschult werden. Nun stellt sich heraus, dass die eigens für diese Gruppe eingeführte 18-monatige Kitapflicht nicht umgesetzt wird: Fast 90 Prozent der betroffenen Kinder bleiben bis zur Einschulung zu Hause.« So beginnt Susanne Vieth-Entus ihren Artikel Kitapflicht wird in Berlin weitgehend ignoriert. Die Zahlen aus Berlin, über die sie berichtet, sind mehr als ernüchternd:
Es geht »um eine Gruppe von rund 2.000 Familien, die angeschrieben wurden, weil ihre Kinder keine Kita besuchen. Nur 650 dieser Kinder nahmen am verpflichtenden Sprachtest teil, den 470 nicht bestanden. Von diesen 470 landeten aber nur 50 in der Kita. Ob die anderen Eltern sich den Aufforderungen der Schul- und Jugendämter entzogen oder ob die Ämter mangels personeller Kapazitäten oder mangels Kitaplätze nichts ausrichten konnten, ist unklar. Auch über etwaige Bußgelder in diesem Zusammenhang fehlt eine berlinweite Übersicht. Unklar blieb ebenso, wie mit den 1.350 Kindern verfahren wird, die noch nicht einmal zum Sprachkurs erschienen waren.«
Eine Steilvorlage für die Opposition: »Die CDU-Bildungspolitikerin Hildegard Bentele sprach …von „Staatsversagen“. Sie erinnerte daran, dass die Kitapflicht für diese Kinder extra von 15 auf 25 Stunden pro Woche und von zwölf auf 18 Monate ausgedehnt wurde.«
Interessant auch die Reaktionen aus den Reihen der regierenden rot-rot-grünen Regierung: »Marianne Burkert-Eulitz von den Grünen erinnerte daran, dass ihre Fraktion damals bei der Einführung gegen die „Kitapflicht durch die Hintertür“ war. Aber sie betont, es gehe nicht an, dass ein Gesetz einfach nicht umgesetzt werde.«
Offensichtlich handelt es sich hier nicht um eine einmalige Sache: »Das Problem, dass die bestehende Kitapflicht für diese Risikogruppe nicht umgesetzt wird, ist nicht neu: Schon im Vorjahr landete kaum ein Nicht-Kita-Kind mit festgestelltem Förderbedarf in der Kita.«
Das ist besonders vor diesem Hintergrund bitter: Berlins Bildungsdesaster gefährdet den sozialen Frieden. In diesem Artikel werden die aktuellen Ergebnisse der Vergleichsarbeiten für die Berliner Drittklässler (Vera 3) ins Visier genommen: »Wenn man alles zusammennimmt – die miserable Rechtschreibung, die fehlende Lesefähigkeit und die Mängel beim Rechnen – müsste man rund ein Drittel der Berliner Grundschüler zu Risikokandidaten erklären. Denn die Forschung zeigt, dass diese frühen Defizite – vor allem in der Alphabetisierung – kaum noch aufzuholen sind. Und in der Folge fehlt die Basis, auf der alles Weitere aufbauen müsste.« Und die Reaktion der Regierung?
»Der Senat kann viel zur Begründung dieses desaströsen Befundes anführen. Zum Beispiel, dass jedes fünfte Kind von bildungsfernen und/oder arbeitslosen Eltern großgezogen wird. Sprachprobleme kommen hinzu. Diese Risikolagen sind doppelt so stark ausgeprägt wie im Bundesschnitt. Als Schlussfolgerung müsste Berlin alles tun, um diese Risiken abzufedern.
Tatsächlich wurde viel versucht – mit kostenlosen Betreuungsplätzen, mit dem erhöhten Kita-Rechtsanspruch, mit Ganztags- und Bonusprogrammen, mit rund 1000 Stellen – etwa 70 Millionen Euro pro Jahr – für die Sprachförderung.«
Dennoch sind die erkennbaren Wirkungen bislang überschaubar bzw. sie werden durch die Nicht-Umsetzung von so etwas wie der „kleinen Kita-Pflicht“ sicher nicht befördert. Das muss man auch vor dem Hintergrund dieser Anmerkung von Susanne Vieth-Entus sehen:
»Noch wird Berlin sozial zusammengehalten von den gut ausgebildeten Jahrgängen der Babyboomer, die sich aber langsam in den Ruhestand verabschieden. Damit entfällt nicht nur ihre Kompetenz, sondern auch ihr Steueraufkommen, aus dem die Transferleistungen jener bezahlt werden, die nicht mithalten können oder wollen. Diese Gruppe wird so mit jedem Jahr im Verhältnis größer.«
Die Dinge hängen halt zusammen. So auch die beiden Tatbestände, dass zum einen die „Kita-Pflicht“ für eine ganz bestimmte „Risikogruppe“ offensichtlich Makulatur geblieben ist wie auch dem erheblichen Mangel an „normalen“ Betreuungsplätzen, bei dem es auch um Kinder geht, deren Eltern alles in die Waagschale werfen, um ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Um deren Bedarfe zu befriedigen, wird man dann mit solchen offensichtlichen Notüberlegungen konfrontiert, die ihrerseits Rückwirkungen auf die besondere Förderung „schwieriger“ Kinder haben würden bzw. bereits haben:
»Senat und Bezirke greifen angesichts des Engpasses wie berichtet zu Notmaßnahmen. Als „Ultima Ratio“, so heißt es in dem Schreiben, können unter bestimmten Voraussetzungen übergangsweise private Betreuungskosten erstattet werden. Zuvor aber müssen die Bezirke alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu gehöre auch, dass die Jugendämter eine zeitweise Überbelegung prüfen sollen.«
Dieser Weg würde dann ganz sicher nicht helfen, die besonderen Herausforderungen zu meistern, die mit Kindern verbunden sind, die gar kein Deutsch sprechen (können) und eben nicht die erforderliche Unterstützung in ihren Elternhäusern erfahren, weil die Eltern, selbst wenn sie wollen (und da gibt es auch viele) gar nicht in der Lage wären, die damit verbundenen Aufgaben zu stemmen, weil sie selbst in einer ganz anderen Realität leben.
Damit schließt sich der Kreis wieder, denn manch einer wird hier nach „dem“ Staat und der Durchsetzung von Recht und Ordnung rufen. In diesem Fall wären die Jugendämter am Zug. Aber da muss man dann solche Tatsachen zur Kenntnis nehmen: »Wegen Personalmangels werden in Berlins Jugendämtern immer mehr Aufgaben nicht oder nur zeitweise wahrgenommen. In vielen Bezirken arbeiten die Stellen am Rande der Rechtmäßigkeit«, so Robert Ide und Sigrid Kneist in ihrem Artikel Berlins Jugendämter kämpfen mit Personalmangel – »wegen Personalmangels werden immer mehr Aufgaben nicht mehr oder nur noch zeitweise wahrgenommen. Berlinweit sollen 120 Stellen nicht besetzt sein.« Oder wie wäre es damit: »Ein Berliner Jugendstadtrat gesteht ein, dass sein Bezirk nicht allen gesetzlichen Verpflichtung nachkommen kann«, kann man diesem Artikel entnehmen: Berliner Jugendämter sind nur bedingt arbeitsfähig:
»In der vergangenen Woche waren die Sozialarbeiter des Jugendamtes in Tempelhof-Schöneberg für den normalen Publikumsverkehr nicht zu erreichen. Nur der Notdienst für Kinderschutzfälle wurde aufrechterhalten. Seit Jahren ist es das Gleiche: Die Mitarbeiter kommen mit dem Aufarbeiten der Aktenrückstände nicht hinterher, dann wird das Amt geschlossen. Die Arbeit soll so – ohne Störung von außen – erledigt werden. Nur in besonders dringenden Fällen bekommen Familien Hilfe, ansonsten müssen sie später wiederkommen. Schulen oder freie Träger bleiben ohne Ansprechpartner.«
Und nein, das ist keine neuere Entwicklung: Berliner Jugendämter sind überfordert: Sozialarbeiter betreuen teils 100 Familien, so ein Artikel aus dem Januar 2015.
Und man muss diese offensichtliche Unterausstattung der Jugendämter vor dem Hintergrund sehen, dass gleichzeitig der Problemdruck auf der Ebene der Familien und der betroffenen Kinder (immer mehr Kinderschutzfälle) wie auch auf der gesellschaftlichen Ebene steigt. Dazu muss man nur solche Meldungen zur Kenntnis nehmen: Fast jedes dritte Berliner Kind ist auf Hartz IV angewiesen: »Insgesamt lebten im Juni vergangenen Jahres in der Hauptstadt 175.341 Minderjährige in Familien, die wegen Jobverlusts oder zu geringen Lohns von der staatlichen Grundsicherung abhingen. Damit lag die Hilfequote mit 30,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen doppelt so hoch wie Bundesdurchschnitt mit 14,6 Prozent.« Zum Vergleich: In Bayern lag diese Quote bei 6,8 Prozent.
Und das alles ist nicht nur, aber eben auch eine finanzielle Frage: Das Land Berlin ist natürlich völlig überfordert mit den Reparaturarbeiten, die hier notwendig wären. Das können die nicht alleine stemmen. Und dann gibt es auch noch solche restriktiven Rahmenbedingungen wie Schuldenbremsen, die den öffentlichen Haushalten, selbst wenn sie wollten, im Zusammenspiel mit der sowieso schon aufgelaufenen Verschuldung die Hände binden. Gibt es auf dieser Ebene keinen Systemwechsel oder wenigstens ein nationales Programm, dann wird das alles weiter auseinanderlaufen müssen.
Unabhängig davon – vor dem beschriebenen Hintergrund erscheinen dann die wohlfeilen Forderungen nach einem harten und entschlossenen Durchgreifen des Staates (selbst wenn man das aus anderen Gründen in Zweifel ziehen würde), als das, was sie sind: heiße Luft. Aber immerhin konnten einige auf diesem Ticket dicke Backen machen und sie bleiben irgendwie im Gedächtnis hängen. Was sich dann bei den nächsten Wahlen rentieren kann. Oder eben auch nicht, wenn die Menschen begreifen, was hier für ein Spiel gespielt wird.
Foto: © Stefan Sell