In den vergangenen Wochen hatte das Thema Pflege Konjunktur in der öffentlichen Berichterstattung. Aus dem Krankenhausbereich wird großer Frust und beängstigende Zustände berichtet – so beispielsweise der Artikel Pflege: „Keine Zeit für Menschlichkeit“: »Zu wenig Personal, Zeitdruck und dazu immer die Angst, wegen dieser Arbeitsbedingungen lebensgefährliche Fehler zu machen: Zeit Online hat Krankenschwestern und Krankenpfleger in deutschen Kliniken gefragt, was sie in ihrem Beruf am stärksten belastet. Fast 3.000 Pflegende haben geantwortet und ihre Situation geschildert. Der Personalmangel führe dazu, dass selbst der minimale Grundsatz „satt, sauber, schmerzfrei“ oft nicht mehr zu gewährleisten sei. Davon, Kranken und ihren Angehörigen in der belastenden Situation beizustehen, sie zu beraten und ihnen zuzuhören, könne längst keine Rede mehr sein. Viele sind zudem der Meinung, dass das Gesundheitssystem die falschen Anreize setzt. Sie fühlen sich ausgenutzt und dazu gezwungen, ihre Ideale zu verraten. Sie fürchten, dass die Patienten mehr Leid als Hilfe erfahren.« Und nun wirklich unübersehbar sind die Berichte über die teilweise desaströsen Bedingungen der Arbeit für die Pflegekräfte- und für die betroffenen Pflegebedürftigen – in der Altenpflege.
Dort hatte die Formulierung im Koalitionsvertrag, man wolle den mehr als 13.000 Altenpflegeeinrichtungen 8.000 zusätzliche Stellen (für die „medizinische Behandlungspflege“, damit gleich klar ist, wer das zu bezahlen hat) spendieren, nicht für Begeisterung, sondern eher für Fassungslosigkeit, Spott, Verzweiflung und Aggression gesorgt angesichts des derzeit schon bestehenden und absehbar weiter ansteigenden Personalbedarfs in den Heimen und gerade auch in der ambulanten Pflege, die oftmals im Windschatten der Berichterstattung segeln muss.
Zugleich hat die zukünftige neue alte Bundesregierung angekündigt, man wolle die Altenpflegekräfte besser bezahlen und vor allem eine flächendeckende tarifliche Vergütung in diesem Bereich herbeiführen. Das hat vor allem zwei gewichtige Folgefragen aufgeworfen: Wer soll die mit einer von allen Sonntagsrednern geforderte bessere Bezahlung der Altenpflegekräfte finanzieren (im bestehenden System der Teilleistungsversicherung müssten die zusätzlichen Kosten alleine von den Pflegebedürftigen getragen werden) und wie will man denn eine flächendeckende Tarifbindung in der Altenpflege hinbekommen, wo Tarifverträge eher die Ausnahme sind und die beiden Kirchen in ihrer eigenen Welt der Arbeitsvertragsrichtlinien unterwegs sind?
Nun haben heute die SPD-Mitglieder ganz offiziell nach der Mitgliederbefragung den Weg frei gemacht für die Neuauflage der alten Regierungskonstellation. Voraussichtlich am 14. März wird Angela Merkel erneut zur Bundeskanzlerin gewählt und das Kabinett wird endlich die Arbeit aufnehmen. Im Pflegebereich erwartet die GroKo ein richtig dickes Aufgabenpaket und man darf gespannt sein, ob, wie und welcher Geschwindigkeit das angegangen wird.
Nehmen wie zu den angesprochenen Baustellen willkürlich eines der vielen Beispiele aus der Medienberichterstattung: Tarifabschluss erhöht Platzkosten. Hier kann man wie in einem Lehrbuch studieren, mit welchen Konsequenzen im bestehenden System eine an sich frohe Botschaft einhergeht:
»Beschäftigte in Senioreneinrichtungen der AWO-Brandenburg Ost erhalten seit Anfang Februar mehr Lohn. Nach fünf Jahren Verhandlungen erzielten die Gewerkschaft Verdi und AWO Brandenburg im vergangenen September eine Einigung. Mit dem neuen Entgelt-Tarifvertrag sind die Gehälter in der Pflege um 15 bis 35 Prozent gestiegen. Inzwischen haben die Bewohner die Rechnungsbescheide erhalten. Ab März sollen die Eigenanteile für einen Heimplatz je nach Pflegestufe um etwa 700 Euro auf 2000 Euro steigen. Viele Senioren in der stationären Pflege müssten somit deutlich mehr zahlen und seien auf den Sozialhilfeträger angewiesen, so Sebastian Gütschow, Abteilungsleiter Altenhilfe beim AWO-Bezirksverband auf Nachfrage.«
Das Grunddilemma, das man hier erkennen kann, also die einseitige Kostenverlagerung auf die Pflegebedürftigen, ist bereits an anderer Stelle in diesem Blog ausführlich erläutert worden, vgl. dazu die Beiträge Eine bessere Bezahlung der Altenpflegekräfte und mehr von ihnen. Alle wollen das, alle versprechen es. Dann muss man aber auch Konsequenzen ziehen. Im System. Umfassend und schnell vom 28. Januar 2018 sowie Eine teure Angelegenheit und eine mehr als problematische Lastenverteilung. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege und die Rolle der „Investitionskosten“ vom 18. Februar 2018. Insofern überrascht das nicht: »Die derzeitige Pflegeversicherung halte lediglich einen festen Zuschussbetrag für die Versicherten bereit, der im Pflegefall sich nicht an steigende Kosten für Pflege und Unterkunft anpasse. Die Folge sei eine zunehmende finanzielle Mehrbelastung der Betroffenen mit dem Ergebnis der Altersarmut und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe.«
Wir dürfen gespannt sein, wie die neue Bundesregierung mit der Frage nach einer Weiterenwicklung der Pflegeversicherung oder der Frage einer alternativen Steuerfinanzierung oder welcher Lösung auch immer umgehen wird.
Und hinsichtlich der in Aussicht gestellten flächendeckenden tariflichen Vergütung der Pflegekräfte wurden hier schon richtig große Fragezeichen in den Raum gestellt: Tariflohn für alle Pflegekräfte in der Altenpflege: SPD und Union sagen: kommt. Die anderen fragen sich: wie denn?, so ist der Beitrag vom 24. Februar 20918 dazu überschrieben.
Aber man ist ja angesichts der Zustände gewillt, alle Zeichen der Hoffnung, die an die Wand gemalt werden, zur Kenntnis zu nehmen und wie einen Strohhalm zu ergreifen: Erfreulicher Sinneswandel, so ist eine Pressemitteilung der Gewerkschaft ver.di überschrieben: »ver.di begrüßt Bereitschaft des privaten Arbeitgeberverbandes bpa zu Tarifverhandlungen in der Altenpflege«, kann man da lesen. Also doch endlich Bewegung? Was ist passiert – oder fragen wir mit der gebotenen Distanz, was soll passiert sein?
»Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die Ankündigung des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), mit ver.di Verhandlungen über einen Flächentarifvertrag in der Altenpflege führen zu wollen. Das hatte bpa-Präsident Meurer gegenüber Journalisten erklärt. „Der Weg, über die Presse mit diesem Ansinnen an uns heranzutreten, ist etwas ungewöhnlich. Aber der Sinneswandel des bpa ist erfreulich. bpa-Präsident Brüderle hatte Verhandlungen bisher abgelehnt. Unsere offizielle Aufforderung zu Tarifverhandlungen habe ich soeben unterschrieben, sie ist unterwegs. Wir freuen uns, mit dem bpa über die Angleichung der Arbeitsbedingungen an das Niveau des öffentlichen Dienstes zu verhandeln“, erklärt Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für das Gesundheits- und Sozialwesen.«
Nun sollte man nicht zu früh in den Jubelchor einsteigen. Diese Skepsis wird dann durch solche Meldungen bestätigt: Tarifvertrag mit Verdi kein Thema meldet die Zeitschrift „Wohlfahrt Intern“, die sich auf diese kurze Mitteilung der privaten Betreiber bezieht: „Unsere Haltung hat sich nicht geändert“:
»Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) dementierte die Aufforderungen zu Tarifgesprächen mit Verdi. Die Interessenvertretung lehnt einen einheitlichen Tarifvertrag weiterhin ab. Der bpa-Präsident Bernd Meurer bekräftigt die Absicht, Mitarbeiter in der Pflege besser zu bezahlen. „Nicht umsonst hat der bpa-Arbeitgeberverband sich mit eigenen Arbeitsvertragsrichtlinien auf den Weg gemacht“, unterstreicht Meurer in einer Pressemitteilung.«
Man achte auf die Formulierung der privaten Betreiber von Pflegeheimen und -diensten: Man habe sich mit eigenen „Arbeitsvertragsrichtlinien“ auf den Weg gemacht. Das erinnert nicht nur an die Terminologie, die wir aus dem kirchlichen Bereich mit dem dortigen „dritten Weg“ kennen, das ist auch bewusst so gewählt: Die Arbeitgeber wollen keine Beteiligung der Gewerkschaft. Und der bpa bringt das auch auf den Punkt: Es sei doch klar, so Bernd Meurer, »dass der Organisationsgrad bei ver.di nicht dafür spricht, dass sie wirkungsmächtig die Interessen der Beschäftigten in der Pflege vertreten können.«
Auch hier dürfen wir also mächtig gespannt sein zu erfahren, wie die neue alte GroKo, nunmehr mit Jens Spahn als neuem Bundesgesundheitsminister, diese Kuh vom Eis zu bringen gedenkt. Und das dürfte ja eigentlich kein Problem sein, wenn man den öffentlichen Aussagen der früheren Bundesarbeitsministerin und jetzigen Fraktions- und demnächst Parteivorsitzende der SPD, Andrea Nahles, folgt, nach der man eine Lösung gefunden habe. Ich bin ja so gespannt, wie das aussehen soll.
Gerade für die Altenpflege wird es in den kommenden Wochen und Monaten entscheidend darauf ankommen, dass es gelingt, den durchaus vorhandenen öffentlichen Druck in dieser Frage zu verstetigen und am Laufen zu halten – um nicht in die gleiche „Falle“ zu laufen wie die Erzieher/innen im Bereich der Kindertageseinrichtungen. Deren Situation und der offensichtliche Mangel an Plätzen und Kräften war 2013 ein großes Thema, als im August dieses Jahres der individuelle Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz eingeführt worden ist. Das Thema war voll in den Medien und viele Menschen wurden sensibilisiert für die Sorgen und Nöte der Hunderttausenden, die in diesem Bereich arbeiten. Mittlerweile, so muss konstatiert werden, sind die Probleme an vielen Orten des Landes ganz erheblich und immer öfter zeigt sich, was von einem „Rechtsanspruch“ in praxi zu halten ist – aber die Berichterstattung darüber erschöpft sich wenn, dann in Artikeln in der Lokalpresse über das, was vor Ort (nicht) passiert. Aus der großen politischen Debatte ist es jedenfalls fast vollständig verschwunden.