„Ökonomisierung“ ist bekanntlich zu einem bei vielen Menschen negativ besetzten Begriff geworden. Dabei ist der wie so viele andere Begriffe auch erst einmal mindestens ambivalent, nicht nur einseitig schlecht. Wenn damit ausgedrückt wird, dass angesichts knapper Ressourcen etwas besser, schneller und günstiger gemacht wird als bislang, dann ist das durchaus positiv und Verbesserung. Und uns fallen sicher viele Beispiele ein, wo der Schlendrian haust und gerne Mittel, die andere aufbringen müssen, also Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, verpulvert werden.
In vielen sozialpolitischen Bereichen hingegen ist der Terminus „Ökonomisierung“ zu einem Schreckensbegriff mutiert, wird er doch verbunden mit Arbeitsverdichtung, Controlling-Wahn und immer wieder auch Lohndumping. Ein genauerer Blick auf die Sachverhalte würde aufzeigen können, dass es dabei in aller Regel gar nicht um Ökonomisierung im eher technisch-prozeduralen Sinne einer Effizienzsteigerung geht, sondern schlicht um die Tatsache, dass budgetierte Systeme mit einem sehr hohen Personalkostenanteil und einer inneren Rationalisierungsbremse – man denke hier an die Pflege oder die Bildungs- und Betreuungsleistungen in Kitas und Tagespflege oder die Familienberatung, um nur einige wenige Beispiele zu nennen – konfrontiert sind mit zumeist planwirtschaftlich daherkommenden Steuerungsversuchen, die dann oftmals im Ergebnis nicht nur zu weniger „Qualität“ führen, sondern zuweilen den ganzen Gegenstand zerstören.
Wie in einem Lehrbuch kann man das, was damit gemeint ist, studieren an einem Bereich, an den die wenigsten Menschen denken, wenn sie über Lohndumping nachdenken (müssen): Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft mit ihren mehr als 150 öffentlich-rechtlichen Häusern.
»Mit immer weniger Personal wird, bei immer weiter sinkenden Honoraren für die Künstlerinnen und Künstler, immer mehr produziert. Konkret wurden über 6000 Stellen abgebaut. Der Reallohn eines Schauspielensemblemitglieds hat sich nahezu halbiert. Gleichzeitig hat sich die Zahl der freien Verträge verdreifacht. Die Spirale des Gagen-Dumpings dreht sich immer weiter.«
So kompakt hämmert Daniel Ris den Befund in die Tasten. Er hat den Beitrag In der Spirale des Gagen-Dumpings veröffentlicht, dem diese Zeilen entnommen sind. Daniel Ris ist Schauspieler, Regisseur und Autor. Er hält einen „Executive Master in Arts Administration“ der Universität Zürich und hat vor kurzem die Arbeit „Unternehmensethik für den Kulturbetrieb“ veröffentlicht.
Lesen wir weiter in den Ausführungen von Daniel Ris:
»Der Mindestlohn den der Deutsche Bühnenverein mit der Gewerkschaft der Deutschen Bühnenangehörigen ausgehandelt hat, beträgt 1650 Euro brutto. An vielen Häusern ist dieser Mindestlohn mittlerweile der Einheitslohn für alle außerhalb der Kollektive von Chören und Orchestern künstlerisch Tätigen geworden.«
Er weist darauf hin, dass auch auf der kulturpolitischen Seite die Ökonomisierung angekommen ist, allerdings in einer sehr reduzierten Art und Weise, die wir auch in vielen sozialpolitischen Handlungsfeldern tagtäglich erleben müssen:
Die »Kulturpolitik beschäftigt sich in ihren Zielvereinbarungen vielerorts ausschließlich mit ökonomischen Parametern; mit Besucherzahlen, der Anzahl der zu produzierenden Premieren und der Aufforderung zur Steigerung des Eigenfinanzierungsanteils der Theater. Das ist nichts anderes als eine Kommerzialisierungsforderung. Und vielen Häusern bleibt ohnehin gar nichts anderes übrig. Denn bei eingefrorenen Etats und gleichzeitig steigenden Tariflöhnen der im öffentlichen Dienst befindlichen nichtkünstlerischen Mitarbeitenden entsteht ein sogenanntes “strukturelles Defizit“.«
Die Folgen sind fatal wie unausweichlich in der Systemlogik begründet:
»Die Theater müssen also einerseits an der Kunst sparen, denn nur dort geht es ja, und andererseits die Einnahmen erhöhen. Oder man baut, wie derzeit in Rostock, gleich ganze Sparten ab.«
Aber Daniel Ris geht in seiner Argumentation einen Schritt weiter und seziert die Theater- und Orchesterlandschaft: Er diagnostiziert eine tiefe Verwurzelung des Prinzips “Vorne hui – hinten pfui“, das man ja auch aus anderen Handlungsfeldern und Institutionen zur Genüge kennt.
»Die auf der Bühne oft nachdrücklich eingeforderten Grundwerte von Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit werden im streng hierarchischen Theaterbetrieb kaum in ausreichendem Maß gelebt. Konkret gilt beispielsweise seit 2006 das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Aber an vielen Theatern verdienen gleich qualifizierte Mitarbeiterinnen, auf und hinter der Bühne, immer noch deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen.«
Die Theater und Orchester stecken im »Hamsterrad der zunehmenden Ergebnisorientierung ihrer Arbeit«. In der Angst davor sich angreifbar zu machen, und am Ende dann vielleicht doch ganz weggespart zu werden, kämpfen die Theater um den Erhalt des Systems – ein System, das sie aus einer ganz zwangsläufigen Logik heraus immer stärker in eine strukturelle Schieflage bringen muss und eine seit Jahren beobachtbare Auszehrung der Substanz zur Folge hat. Dem etwas entgegenzusetzen – Daniel Ris spricht hier von „Kulturpolitik muss wieder als Gesellschaftspolitik verstanden werden“ – kann nur dann funktionieren, wenn sich Politik, in diesem Fall Kulturpolitik aus den systematischen Fängen einer Reduktion von Ökonomisierung auf Kennzahlenklamauk und aus der Umarmung durch die Kommerzialisierung befreien würde – mit einer politischen Entscheidung für oder gegen etwas. Die Chancen dafür sind überschaubar, um optimistisch zu enden.