Wer kennt das nicht, den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis? Wir haben zahlreiche Menschen, die zu uns gekommen sind und von den viele auch längere Zeit, vielleicht sogar für immer hier bleiben werden. Und wir nehmen nicht erst seit einem Jahr Flüchtlinge auf, wir haben jahrzehntelange Erfahrungen mit der Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern, mit einer anderen Sprache, aus anderen Kulturen und teilweise auch ganz anderen religiösen Prägungen. Und wenn man in vielen Dingen unterschiedlicher Auffassung sein kann – eines haben diese Erfahrungen doch teilweise sehr schmerzhaft ans Tageslicht gefördert: Ein Schlüssel für einen möglichst konfliktarmen Umgang mit größeren Zuwanderungswellen ist eine möglichst gelingende Integration in das lokale Gemeinwesen und in den Arbeitsmarkt. Gerade hier hat sich die ehemals primär auf Abschreckung ausgerichtete „Ausländerpolitik“ in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt hin zu einer Öffnung im Sinne der gut begründeten Leitlinie einer möglichst schnellen Integration der Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt – statt ihre teilweise jahrelange Exklusion wie in der Vergangenheit – bewegt. Seit November 2014 dürfen Asylsuchende unter bestimmten Voraussetzung schon nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland arbeiten (allerdings gibt es in der Praxis ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der grundsätzlichen Arbeitserlaubnis, denn die bildet lediglich einen „nachrangigen Arbeitsmarktzugang“ für Flüchtlinge ab, vgl. hierzu beispielsweise den Artikel über die Situation in Berlin: Asylbewerber und Firmen verzweifeln gemeinsam am Gesetz). Unabhängig von diesen Querelen: Halbwegs ausreichende Sprachkenntnisse gelten als zentrale „Eintrittskarte“ in den Arbeitsmarkt.
Selbstverständlich ist es unabdingbar, dass die Betroffenen in der Lage sind, sich auch sprachlich in unserer Gesellschaft zu bewegen, mit den Menschen aus dem Aufnahmeland zu kommunizieren und einen Job anzunehmen. Wer kann das heute noch bestreiten? Aber das Lernen der deutschen Sprache fällt nicht vom Himmel, sondern man muss das – wie auch die gesellschaftlichen Werte und die Umgangsformen in unserer Gesellschaft – vermittelt bekommen. Genau dazu gibt es Sprach- und Integrationskurse. Also eigentlich.
Denn unter der trockenen Überschrift Geld für Deutschkurse fehlt berichtet Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung, »obwohl die Zahl der Asylsuchenden steigt, steht für entsprechende Sprachkurse immer weniger Geld zur Verfügung. Auch bei Integrationskursen für in Deutschland lebende Ausländer sieht die Bundesagentur für Arbeit … erhebliche Finanzierungslücken.«
Um wen geht es hier besonders? Sie kommen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak und dürfen hier bleiben, obwohl ihr Asylantrag vergeblich war. Ende 2014 lebten 533.000 abgelehnte Asylsuchende in Deutschland, 85 Prozent von ihnen haben „einen dauerhaften oder zumindest befristeten Aufenthaltstitel“, so die Bundesregierung. Und in Zukunft dürften es noch weit mehr werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rechnet für das laufende Jahr mit 300.000 neuen Asylsuchenden, einige Bundesländer halten das für eine Untertreibung und gehen von bis zu 500.000 neuen Asylbewerbern aus. »Trotzdem gibt es für Deutschkurse, von denen auch Flüchtlinge profitieren können, derzeit nicht mehr, sondern weniger Geld.«
Faktisch wird gegenwärtig der Zugang von Flüchtlingen zu Deutschkursen erschwert – und wie immer muss man auch hier konstatieren: Am Gelde hängt’s:
»Erst hat die Europäische Kommission ihre Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für Deutschland gekürzt. Dann hat die Bundesregierung ihr ESF-Budget für Sprachkurse von 310 auf 180 Millionen Euro für 2015 bis 2017 reduziert, ohne dass es bislang einen Ersatz aus nationalen Mitteln gibt. Geld für sogenannte „Vorschaltkurse“, der erste Schritt auf dem Weg zu Deutsch-Kenntnissen bis zur Stufe A1, ist aus diesem Topf deshalb keines mehr da. Die ESF-Mittel wolle die Bundesregierung „auf die Personen konzentrieren, die für eine Förderung berufsbezogener Sprachkenntnisse erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen“ … Asylbewerber dürften dabei meist leer ausgehen.«
Und eine weitere beliebte Frage in unserer Geld-Gesellschaft lautet bekanntlich: Was würde es denn kosten? Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schätzt hier die nötigen zusätzlichen Mittel in einem internen Papier auf 100 Millionen Euro pro Jahr, „um den Bedarf von allen Zugangsberechtigten sowie den Asylbewerbern und Geduldeten mit einer hohen Bleiberechtsquote zu decken“, so Öchsner in seinem Artikel.
Und nicht nur bei den Sprachkursen klemmt es:
»Auch bei den Integrationskursen für in Deutschland lebende Ausländer sieht die BA in ihrer internen Analyse, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, erhebliche Finanzierungslücken: Die Mittel in Höhe von 244 Millionen Euro reichten für 150.000 Teilnehmer. Zusätzlich nötig seien jährlich aber mindestens 300 Millionen Euro, um 80.000 Geduldete und 130.000 Asylbewerber mitaufzunehmen.«
Es ist vollkommen richtig, was die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz dazu sagt: „Es ist absurd, die Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen, dann aber unerlässliche Sprach- und Integrationskurse unterfinanziert zu lassen.“ Und weiter: „Wir sollten nicht die Fehler der Gastarbeiterzeit wiederholen.“
Die Bundesagentur für Arbeit bringt es in ihrer Bewertung auf den Punkt, vor allem für die, die es gerne in Geldeinheiten brauchen:
»Die Bundesagentur fürchtet enorme Folgeausgaben, wenn nichts passiert: Gebe es hier keine Lösungen, „drohen hohe Kosten für die Allgemeinheit, die Beitrags- und die Steuerzahler.“ Gelinge auf Grund fehlender Sprachkenntnisse nicht der Einstieg in den Arbeitsmarkt, sei die Alternative „häufig dauerhafter Bezug von Arbeitslosengeld II“.«
Und dann gibt es ganz sicher wieder eine Debatte über die Asylbewerber, die eine große finanzielle „Last“ darstellen, die man den steuer- und beitragszahlenden Bürger/innen nicht mehr zumuten könne.
Fazit: Möglicherweise hat sich der Apparat verstrickt in die eigenen unübersichtlichen Finanzierungstöpfe, von denen einige gerade leer sind. Das ist aber keine Entschuldigung für ein Verhalten, das im Ergebnis nur als eine „vorsätzliche Gesellschaftsschädigung“ bezeichnet werden kann und muss. Das wird sich ohne schnelle Korrektur bald bitter rächen und wieder einmal mehr wünscht man sich ein Haftungsprinzip für Entscheidungen, die sehenden Auges gemacht werden (bzw. die man unterlässt), also wohl wissend, was man damit mittel- und langfristig anrichten wird. Aber vielleicht kommt ja noch der heilige Geist der Erkenntnis über die, die Verantwortung tragen in unserem Land.
Übrigens: Auch die aktuelle Berichterstattung ist nicht wirklich neu, schon seit längerem kann man, wenn man denn will, zur Kenntnis nehmen, was hier durch „unterlassenes Tun“ passiert und in welche Probleme wir sehenden Auges hineinlaufen. Vgl. nur als ein Beispiel meinen Blog-Beitrag Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner vom 27. Februar 2015. Es steht zu befürchten, dass wir es hier mit einer Fortsetzungsgeschichte zu tun haben. Leider.