Da ist er wieder – pünktlich im medialen Getümmel um „10 Jahre Hartz IV“. Der Namensgeber Peter Hartz. Es handelt sich sozusagen um einen Wiederholungstäter, denn er ist heute ehrenamtlich für die von seinem Sohn geleitete Stiftung „Saarländer helfen Saarländern“ tätig. Dort entwickelt er arbeitsmarktpolitische Konzepte, zuletzt für arbeitslose Jugendliche in Europa. Jetzt hat er ein Interview gegeben. Und wie immer muss man genau hinschauen – die Überschrift wird auf den ersten Blick vielen Kritikern gefallen: Hartz findet Grundsicherung bis heute viel zu niedrig. Und dann kommt: »Der hält seine Reform zehn Jahre nach Einführung für einen Erfolg, gibt aber Fehler zu. Langzeitarbeitslosen empfiehlt er eine Gruppentherapie.«
Erst einmal zur Frage der Höhe der Grundsicherung. Dazu Peter Hartz:
»Wir hatten eine höhere Grundsicherung vorgeschlagen, auf dem Niveau der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe, die damals 511 Euro betrug. Beschlossen wurden dann 359 Euro.«
Allerdings taucht dieser Betrag von 511 Euro in den mir bekannten Dokumenten der Kommission nicht auf. Jedenfalls nicht im Abschlussbericht der „Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, wie die Gruppe um Hartz offiziell betitelt war.
Vor dem Hintergrund der langjährigen Auseinandersetzungen über die Frage, wer denn die Grundsicherungsempfänger betreuen soll, also Bundesagentur für Arbeit versus Kommunen und dem letztendlichen Kompromiss eines zweigeteilten Systems mit „gemeinsamen Einrichtungen“, wo BA und Kommunen zusammen die Jobcenter bestücken, sowie den Jobcentern in alleiniger kommunaler Trägerschaft, sehr interessant ist auch der folgende Passus aus dem Interview:
»Wir hätten Jobcenter und Arbeitsagenturen bei der Bundesagentur für Arbeit in einer Hand gelassen. Dass ein Teil der Jobcenter von den Kommunen betrieben wird, ist ineffizient.«
Auf die Frage nach dem expandierenden Niedriglohnsektor im Gefolge der „Hartz-Reformen“ hat er eine klare Antwort:
»Es war notwendig. Neue Arbeitsplätze bringt ja nicht der Weihnachtsmann.«
Und dann baut er wieder einen für sich angenehmen Mythos auf:
»Jeder Mensch sollte aber ein menschenwürdiges Einkommen haben. Ein Mindestlohn, so wie er jetzt eingeführt wird, ist ein möglicher Weg, das zu sichern. Wir hatten ja auch 2002 einen geplant.«
Ach ja – und wo steht das in den damaligen Veröffentlichungen? Behaupten kann man viel. Andere Mitglieder der Kommission waren da ehrlicher und haben rückblickend geäußert, dass man einen solchen hätte einführen müssen gleichsam als Gegengewicht zu den erheblichen Verschlechterungen der Bedingungen für die Arbeitslosen, Stichwort Beseitigung der Zumutbarkeitsschutzbestimmungen.
Aber Hartz äußert sich auch zur aktuellen arbeitsmarktpolitischen Problemlage. Und da wird man dann noch unruhiger:
»Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist entschieden zu hoch. Hier sollte die Bundesregierung neue Wege beschreiten. Sie sollte die Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung der letzten zehn Jahre anwenden.«
Ah, die Verhaltensforscher. Sollte er es etwa nicht lassen können mit der Psychologisierung und radikalen Individualisierung von Arbeitslosigkeit? Nein, kann er nicht.
Aber lesen wir, was er dazu sagt:
»Man muss Langzeitarbeitslose in einer Gruppe betreuen und sie dazu bringen, sich selbst wieder zu einem Projekt zu machen. Sie müssen zu der Überzeugung kommen: „Ich will es, ich kann es“. Die Leute müssen den Kopf frei bekommen zur Aufnahme von neuen Dingen.«
An dieser Stelle ist dann selbst die Interviewerin, Flora Wisdorff, etwas skeptisch und wirft ein: »Das klingt ein bisschen nach Gehirnwäsche.«
Aber Hartz lässt sich nicht beirren: »Die Bereitschaft zur Aufnahme einer Arbeit muss entwickelt werden.« Wir wollen an dieser Stelle nicht über die Annahmen diskutieren, die hinter solchen Aussagen stehen. Die Interviewerin hakt nach:
»Und das macht man dann in einer psychologischen Gruppentherapie?«
Jetzt kommt der alte Hartz wieder zum Vorschein – schöne neue Begriffswelten schaffen (wie war das noch einmal – „Ich-AG“ oder ganz besonders pikant „familienfreundliche Quick-Vermittlung“):
»Ja, bis der Einzelne bereit ist, wieder in den Arbeitsprozess einzusteigen, wird er dort betreut. Dann kommen unsere Talentdiagnostik und unser Beschäftigungsradar ins Spiel.«
Und dann hebt er in bekannter Manier ab:
»Wir finden heraus, welche besonderen Talente jemand hat. Und dann suchen wir einen Job, den er als Kleinunternehmer, als „Minipreneur“ ausüben kann. Mit Hilfe von Big Data. Damit kann man nämlich nicht nur überwachen, sondern auch die Bedürfnisse für Dienstleistungen bis in die Nachbarschaft hinein messen.«
Auf seiner Website nennt er sogar Beispiele, was einem da drohen würde als motivationsgedopter Arbeitsloser: „Baumhaus-Bauer“ oder einen „Blog- und Twitter Ghostwriter“, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Bevor man sich jetzt anfängt aufzuregen: Bisher hat die BA das Konzept noch nicht übernommen, was Herr Hartz sehr schade findet. Andere sicherlich nicht.