Toilettenfrauen sind Reinigungskräfte – ja klar, wird man jetzt denken. Aber so einfach ist es dann doch nicht, wie so oft, wenn wir es mit Rechtsprechung zu tun haben.
Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 9 KR 384/12): Die Richter haben entschieden, dass angestellte Toilettenfrauen nach Tarif bezahlt werden müssen. Das LSG hat eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin bestätigt, nach der angestellte Toilettenfrauen keine „Trinkgeldbewacherinnen“, sondern Reinigungskräfte sind mit der Folge, dass für sie der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks gilt.
Über den zugrundeliegenden Sachverhalt erfahren wir aus der Pressemitteilung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg:
»Im September 2009 führte die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Betriebsprüfung bei einem Berliner „Reinigungsservice“ durch, der sich auf die Betreuung von Kundentoiletten in Einkaufszentren, Warenhäusern und ähnlichen Einrichtungen spezialisiert hat. Im Ergebnis forderte die Rentenversicherung für den Prüfzeitraum 2005 bis 2008 rund 118.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nach. Der Betrieb habe zahlreichen bei ihm angestellten Toilettenfrauen nicht den laut Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks geschuldeten Mindestlohn von rund 6 bis 8 Euro gezahlt, sondern lediglich zwischen 3,60 und 4,50 Euro. Für die Lohndifferenz müssten die Versicherungsbeiträge nachgezahlt werden.«
Die Begründung des LSG für diese – allerdings noch nicht rechtskräftige – Entscheidung:
»Ein Betrieb, der sich verpflichte in Warenhäusern und Einkaufszentren Kundentoiletten sauber zu halten und hierbei Trinkgelder einnehme, sei ein Reinigungsbetrieb, so das Landessozialgericht. Die bei ihm angestellten Toilettenfrauen seien schwerpunktmäßig Reinigungskräfte und nicht lediglich (wie behauptet) Bewacherinnen von Trinkgeldtellern. Für sie gelte daher der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks. Die Höhe der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge berechne sich deshalb nach den tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindestlöhnen und nicht nach den erheblich niedrigeren tatsächlich gezahlten Löhnen.«
Und das Gericht geht noch einen Schritt weiter:
»Nach Auffassung des Landessozialgerichts spricht viel dafür, dass in der Geschäftspraxis … auch ein Betrug gegenüber dem Toilettennutzer und „Trinkgeldspender“ liege; denn dieser gehe regelmäßig davon aus, das Trinkgeld unmittelbar der anwesenden Reinigungskraft zukommen zu lassen, die es tatsächlich aber vollständig an den Toilettenpächter abzuführen habe.«
Bevor man sich zu früh freut über diese Entscheidung, die wie gesagt noch nicht rechtskräftig ist, denn die Revison beim BSG wurde zugelassen, sei an dieser Stelle auf eine andere Schlagzeile hingewiesen, der man eine ganz andere Sichtweise entnehmen kann: „Eine Toilettenfrau ist keine Putzfrau„, so die zusammenfassende Bewertung eines anderen Urteils im März dieses Jahres: Damals hatte das Hamburger Arbeitsgericht geurteilt: Nur eine Toilettenfrau, die tatsächlich auch den Großteil ihrer Arbeitszeit mit Reinigungsarbeiten zubringt, hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn als Putzfrau. Die Klage einer Toilettenfrau auf Zahlung des Mindestlohns wurde abgewiesen. Die Frau habe nicht beweisen können, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Reinigung von WC-Räumen beschäftigt gewesen sei.
»Die 58-jährige Klägerin hatte dem Subunternehmen eines Hamburger Kaufhauses Lohndumping vorgeworfen und gefordert, dass ihr früherer Arbeitgeber sie im Nachhinein als Reinigungskraft anerkennt. Damit hätte ihr rückwirkend der tarifliche Mindestlohn zugestanden. Einschließlich Prämien habe seine Mandantin in manchen Monaten lediglich etwa 4,30 Euro pro Stunde verdient, erklärte der Anwalt der Frau … Sie hatte ein halbes Jahr lang in Vollzeit bei der Servicefirma gearbeitet. Fast die ganze Zeit über habe sie dabei die Toiletten eines Kaufhauses gereinigt. Für 40 Stunden wöchentlich erhielt sie von dem Subunternehmen einen vereinbarten Grundlohn von 600 Euro brutto im Monat.«
Bei dieser Entscheidung ist also ein anderes Gericht zu einer anderen Auffassung gekommen als nun das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Und die Problematik ist auch Gegenstand anderer Verfahren gewesen. Im Februar dieses Jahres wurde auf der Facebook-Seite von Aktuelle Sozialpolitik über diesen Beitrag berichtet: Interclean: Schmutziger Krieg im Centro Oberhausen. Daraus das folgende Zitat:
»Erst im Januar stand Barkowski vor Gericht, weil eine “Toilettenfrau”, die den von Barkowski kreierten Beruf der “Trinkgeldaufsicht”, auch “Sitzerin” genannt, ausübte, einen Anteil am Trinkgeld einklagte … “Sitzer” werden eigens eingestellt, um den Teller mit dem vermeintlichen Trinkgeld zu bewachen. Sie erhalten 5,20 Euro die Stunde, während das Personal, das tatsächlich die Toiletten reinigt 9,31 Euro pro Stunde erhält. So muss für die “Sitzer” nicht der Mindestlohn in der Gebäudereinigung bezahlt werden (z.Z. in NRW 9,31 Euro). Die Einnahmen vom Teller (das sollen pro Tag bis zu 300,- Euro, vor Weihnachten aber auch schon mal 8000,- Euro sein) fließen zu 100% an Interclean. Die Beschäftigten sehen davon nichts. Lediglich im Eingangsbereich wird mit einem Schild darauf aufmerksam gemacht, dass das “Tellergeld” zum Unterhalt der Toiletten diene. Die meisten Kunden dürften aber trotzdem davon ausgehen, dass es sich um ein Trinkgeld handelt, das unmittelbar den Reinigungskräften zugute kommt.«
„Trinkgeldaufsicht“, auch „Sitzerin“ genannt – die Phantasie mancher Arbeitgeber bei der Konstruktion von Bypass-Strategien zur Umgehung minimaler Auflagen scheint grenzenlos, der semantische Schwachsinn auch.
So bleibt zu hoffen, dass die klare Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg Bestand behalten wird. Aber wie heißt es auch im Volksmund: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.