Die Zustände in Schlachthöfen und anderen Betrieben der deutschen Fleischindustrie sind stark in Verruf geraten – seit Monaten häufen sich die kritische Berichte in den Medien über unerträgliche Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Nicht umsonst hat es Deutschland geschafft, zum „Billigschlachthaus“ Europas zu werden. Einen wesentlichen Beitrag zur „Effizienz“ der deutschen Schlachthöfe leistet der Einsatz billigste Arbeitnehmer aus den Ostgebieten der EU, die im Regelfall auf Basis von Werkverträgen tätig werden. Zu Löhnen, die man wirklich nur noch als eine riesengroße Schweinerei bezeichnen muss und oft untergebracht in völlig überlegtem Wohnraum, für den sie dann auch noch teilweise Wucher-Mieten zahlen müssen.
Doch endlich kann und darf berichtet werden: Es bewegt sich was. „Dumpinglöhne durch den Wolf gedreht„, so die Überschrift eines Artikels in der taz. »Die großen Fleischkonzerne in Deutschland wollen mit einem Mindestlohn ihren schlechten Ruf abschütteln.« Und die Tarifverhandlungen dafür sollen jetzt beginnen. Die Vertreter der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der Fleischindustrie (VDEW) werden sich zum ersten Mal in Hannover an einen Tisch setzen.
»Ziel der Verhandlungen sei ein Mindestlohn für alle Beschäftigten in der Fleischwirtschaft, sagt Michael Andritzky, Hauptgeschäftsführer des … VDEW … Damit solle es den „schwarzen Schafen“ in der Branche „unmöglich“ gemacht werden, „Dumpinglöhne zu zahlen und das Ansehen der Branche weiter zu beschädigen“. Andritzky verhandelt im Auftrag der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) und ihren regionalen Branchenverbänden. Damit sind die vier großen Schlachtkonzerne Tönnies, Vion, Danish Crown und Westfleisch sowie die großen Geflügelschlachtereien Wiesenhof und Heidemark alle vertreten – genauso wie die überwiegend mittelständischen Verarbeitungsbetriebe.«
Der Hinweis auf die Einbindung von Tönnies, der größte deutsche Schlachtkonzern, ist von besonderer Bedeutung. Noch Anfang September berichtete DER SPIEGEL im Heft 37/2013 unter der Überschrift „Nur ohne Gewerkschaft„: Der Fleischkonzern Tönnies blockiert die Einführung eines Tarif-Mindestlohns auf Schlachthöfen. Danach hatten sich bereits im Juli Manager der großen vier Fleischkonzerne in Deutschland – Danish Crown, Tönnies, Vion und Westfleisch – mit dem Verband der Ernährungswirtschaft in Bonn getroffen und »die vier Konzerne (einigten sich) in der Sitzung auf einen Mindestlohn, der sich an der Zeitarbeitsbranche orientieren sollte – aktuell 8,19 Euro im Westen. Und auch die Kollegen vom „Weiß-Fleisch“, Hähnchenschlachter wie Wiesenhof, ließen sich mitreißen. Wer dann aber ausscherte, war der Tönnies-Konzern.« Als Argument wurde von Clemens Tönnies angeführt, er sei nicht gegen den Mindestlohn, sehr wohl aber gegen eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft NGG und man wolle in Eigenregie die Bedingungen verbessern.
Vor diesem Hintergrund ist dann diese aktuelle Meldung interessant: „Arbeitsminister Schneider und Tönnies über Mindestlohn einig„, kann man in der Online-Ausgabe der WAZ lesen. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) erwarte nach einem Gespräch mit Fleischunternehmer Clemens Tönnies, dass es bald einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde geben werde. Laut Minister Schneider sollen Werkvertrags-Arbeitnehmer dabei genauso behandelt werden wie Festangestellte. Dem habe Clemens Tönnies, Chef des größten deutschen Schlachtkonzerns, vor Beginn der Tarifverhandlungen zugestimmt.
Das sind alles sehr positive Signale. Natürlich hat die Branche primär aus Sorge um ihr zunehmend ramponiertes Image in Verhandlungen über einen Mindestlohn eingewilligt – aber wenn es denn zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für einen Teil der Beschäftigten beitragen kann, dann ist die Ausgangsmotivation nicht entscheidend.
»… derzeit klaffen die Löhne weit auseinander: Während ein deutscher Facharbeiter nach Angaben der Gewerkschaft einen Stundenlohn von rund 15 Euro erhält,bekommen ausländische Werkvertragsleute für das Schlachten, Zerlegen und Weiterverarbeiten von Schweinen, Rindern und Geflügel oft nur drei bis sechs Euro pro Stunde. In Einzelfällen liegen die Löhne laut NGG sogar noch niedriger«, kann man dem taz-Artikel entnehmen. »Die Fleischindustrie habe jahrelang auf das lukrative Geschäftsmodell aus Werkverträgen und Subunternehmerketten gesetzt und sich vehement gegen Änderungen gewehrt … Die Spitze bildeten die Schlachthöfe, in denen unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 50 und 80 Prozent der Beschäftigten Werkvertragsarbeitnehmer sind.«
Die erfasste Zahl der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten in der Branche lag im Jahr 2012 bei 181.000 – sie hat in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent abgenommen, während gleichzeitig Umsatz und Produktion der Branche angestiegen sind.
Sollten die Verhandlungen eine Einigung auf einen Mindestlohn bringen, muss eine weitere Hürde genommen werden: Denn damit der Mindestlohn auch für ausländische Werkvertragsnehmer gelten kann, muss die Fleischbranche in das sogenannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Dies müssen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite beantragen. Die Allgemeinverbindlichkeit ist deswegen so wichtig, weil nur dann auch die Arbeitgeber den Mindestlohn zahlen müssen, die ihren Sitz im Ausland haben.
Wie gesagt, positive Signale, aber erst einmal müssen die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Und auch hier treffen wir auf ein Argument, dass diese Tage immer wieder im Kontext der allgemeinen Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn im Kontext der Mitte dieser Woche beginnenden Koalitionsverhandlungen vorgetragen wird: Ob sich die Arbeitgeber auf die geforderten 8,50 Euro einlassen werden, ließ Andritzky, der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, mit Verweis auf die Lohnsituation in Ostdeutschland offen.
Nur selten haben sich so viele über Ostdeutschland Gedanken gemacht, wie in diesen Tagen der Mindestlohn-Diskussion. Natürlich immer nur mit dem guten Ansinnen, Millionen Arbeitslose in den Niedriglohnreservaten Deutschlands zu verhindern, die es geben muss, wenn die nicht mehr für sechs Euro oder weniger in der Stunde arbeiten dürfen. Ironie aus.
Manche glauben das sogar, obgleich sie es nicht wissen, sondern vermuten. Und manchen ist das egal, die behaupten das aber auch einfach mal so, weil sie Angst und Schrecken säen wollen unter den „risikoaversen“ Deutschen. Und das sind die Schlimmsten. Nicht selten beginnen die dann ihre Sätze mit „Studien haben gezeigt …“ oder „Top-Ökonomen befürchten …“. Aber das macht ein ganz großes Fass auf. Für heute bleibt der Deckel drauf.