Die Pflege von Angehörigen trifft überwiegend Frauen und die werden dann oft nicht nur doppelt, sondern mehrfach getroffen. Was tun?

»Frauen sind mit 70 % nach wie vor Hauptverantwortliche, wenn es zu einem Pflegefall in der Familie kommt. Sie leisten durchschnittlich 21 Stunden pro Woche unbezahlte Sorgearbeit und kombinieren diese in 65 % der Fälle mit Berufstätigkeit. Hierbei kommt es zu den bekannten Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was zum einen die hohe Teilzeitquote von Frauen belegt, und sich zum anderen in der geringen Inanspruchnahme gesetzlicher Maßnahmen wie Pflege- und Familienpflegezeit zeigt. In der Konsequenz kommt es zum Teil zu einem Rückzug aus dem Arbeitsleben, mit nicht selten negativen Effekten auf das Alterseinkommen.« (Knauthe/Deindl 2019: 3)

Diese Ausführungen finden sich in einer neuen Studie, die im Auftrag des Sozialverbands Deutschland (SoVD) erstellt wurde:

➔ Katja Knauthe und Christian Deindl (2019): Altersarmut von Frauen durch häusliche Pflege. Gutachten im Auftrag des Sozialverband Deutschland, Berlin: Sozialverband Deutschland, Oktober 2019

Der Anspruch, der von die Autoren vorgetragen wird, ist mehr als ambitioniert. Sie konstatieren hinsichtlich der Problemstellung: »Die These, dass häusliche Pflege zur Altersarmut von Frauen beiträgt, liegt zwar nahe, ist aber in der deutschsprachigen Literatur bisher nicht hinreichend betrachtet und somit nicht umfassend beantwortet. Viele vorliegende Publikationen entsprechen keinen wissenschaftlichen Standards und haben entweder einen Berichts- oder Nachrichtencharakter. Bisher wurden nur sehr wenige Studien veröffentlicht, die sich ausschließlich mit Armut häuslich pflegender Frauen beschäftigen … Es kann also von einem „weißen Fleck“ in der Forschungslandschaft gesprochen werden.« Diese Lücke will man mit der neuen Studie schließen.

Was man – um das hier gleich anzumerken – in dieser Studie nicht schafft, denn dazu hätte man in einem ganz anderen Umfang und vor allem selbst empirisch arbeiten müssen. Und wäre dabei hinsichtlich der sehr heterogenen Gruppe der pflegenden Angehörigen auf zahlreiche Datenrestriktionen gestoßen. Tatsächlich handelt es sich bei allen von Knauthe/Deindl präsentierten Zahlen um Angaben, die aus anderen bereits veröffentlichten Arbeiten entnommen sind.

Unter der sehr zuspitzenden Überschrift Gutachten: Häusliche Pflege führt Frauen in die Altersarmut merkt der Sozialverband Deutschland in seiner Pressemitteilung an:

»Das Gutachten kommt weiter zu dem Ergebnis, dass in Deutschland weitaus mehr Menschen pflegebedürftig sind, als die bisher angenommene Zahl von 3,4 Millionen. „Wir müssen von einer Dunkelziffer von rund 5 Millionen ausgehen“, sagte Katja Knauthe, Gutachten-Autorin von der Hochschule Zittau/Görlitz.«

Und wie kommen die auf so eine Zahl? Dazu findet man dann einen Hinweis auf der S. 41 des Gutachtens: »2017 sind 3,4 Millionen Menschen der deutschen Bevölkerung nach den Krite- rien der Pflegeversicherung im SGB XI pflegebedürftig. In häuslicher Pflege befinden sich davon 76 %.« Soweit die allen bekannten offiziellen Zahlen aus der Pflegestatistik. Dann wird ausgeführt, dass es eben auch Pflegefälle geben kann und wird, die nicht offiziell als solche erfasst werden. »Schätzungen auf Basis von EU-SILC-Daten des Jahres 2011 gehen von insgesamt bis zu 5,4 Millionen Menschen mit Pflege- und Hilfebedarf in häuslichen Pflegesettings aus (Tesch-Römer & Hagen, 2018; Geyer & Schulz, 2014: 295).«

In dem Gutachten für den Sozialverband Deutschland werden die allgemeinen bekannten Einflussfaktoren herausgestellt, von denen wir (schon seit langem, weil systembedingt) wissen, dass sie bei bestimmten Personen und in bestimmten Kombinationen zu Altersarmut führen können/werden:

»Frauen, die Sorgearbeit leisten und dadurch ihre Erwerbsarbeit unterbrechen oder im Stundenumfang reduzieren, werden dauerhaft finanziell benachteiligt. Sie zahlen entweder geringere Beiträge in das Sozialversicherungssystem ein oder sind nur über ihren Partner abgesichert … Frauen verdienen deutlich weniger als Männer, was auch an ihrer Hauptverantwortung für unbezahlte Sorgearbeit liegt.«

Das ist dann die mindestens doppelte Belastung der pflegenden Angehörigen und darunter eben mehrheitlich Frauen – sie leisten die oftmals viele Jahre dauernde Pflege des Angehörigen, haben dann erhebliche materielle Einschränkungen während der Pflegezeit und aufgrund der systematischen Verkoppelung von Leistungsansprüchen in der Gesetzlichen Rentenversicherung mit (Vollzeit-)Erwerbsarbeit kommt es zu entsprechenden Sicherungslücken bei den eigenständigen Rentenansprüchen (was aber, darauf sei hier der Vollständigkeit halber hingewiesen, nicht zwangsläufig Altersarmut bedeuten muss, denn die manifestiert sich wenn, dann auf der Haushaltsebene unter Berücksichtigung aller – möglicherweise – vorhandenen Alterseinkommen). Und eine weitere Belastung pflegender Angehöriger wird oftmals vergessen: Viele pflegende Angehörige opfern sich dermaßen auf in den langen Jahren der Sorgearbeit, dass sie selbst eine im Vergleich zu anderen, die das nicht gemacht haben, deutlich erhöhte Pflegebedürftigkeit aufweisen.

»Die mangelnde finanzielle Honorierung häuslicher Arbeit führt zu einem erhöhten Armutsrisiko für Frauen. Eine existenzsichernde Lohnersatzleistung inklusive ihrer Anrechnung auf die Rentenanwartschaft besteht aktuell nicht, wird jedoch breit diskutiert.« (Knauthe/Deindl 2019: 4). An dieser Stelle sind wir angekommen bei dem Interesse des Auftraggebers des Gutachtens, also dem Sozialverband Deutschland.

Nach Ansicht des SoVD besteht ein großer Handlungsdruck, die Lage pflegender Angehöriger zu verbessern. Aus vielen Gesprächen in den Beratungsstellen des SoVD werde deutlich, dass insbesondere die finanzielle Belastung pflegende Frauen in die Armut treibt.« Das alles unter der Überschrift SoVD kündigt Gutachten zur pflegebedingten Armut an: »Das Gutachten soll eine verlässliche Datengrundlage liefern und eine Basis für zielgerichtet Hilfsmaßnahmen bilden.« Das findet man in diesem am 6. August 2019 veröffentlichten Beitrag: Hört sich nett an, wird kaum in Anspruch genommen, soll aber so bleiben: Ein zinsloses Darlehen für pflegende Angehörige, die zweitweise aus der Erwerbsarbeit aussteigen. In der Pressemitteilung des SoVD zum neuen Gutachten wird der Verbandspräsident Adolf Bauer zitiert: „Für uns gilt: Häusliche Pflege muss endlich besser anerkannt werden. Nötig ist insbesondere eine Aufwertung der unbezahlten Sorgearbeit“, forderte Bauer. Konkret müsse dies durch einen finanziellen Ausgleich erfolgen.

Einen solchen „finanziellen Ausgleich“ fordern auch andere – beispielsweise der Sozialverband VdK Deutschland. Dazu der Beitrag Ein Elterngeld für die Kindererziehung, dann auch ein Pflegegeld für pflegende Angehörige als Lohnersatzleistung? Der Sozialverband VdK fordert das neben anderen Maßnahmen vom 13. Juli 2018. Die Forderung nach einer Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige – analog der Ausgestaltung des Elterngeldes – wird schon seit längerem vorgetragen. Neben ganz grundsätzlichen Anfragen an die Sinnhaftigkeit eines solchen Modells (man denke hier nur an die zwangsläufigen Folgen einer sehr unterschiedlichen Absicherung je nach dem vorangegangenen Erwerbsarbeitseinkommen, was man ja auch beim Elterngeld immer wieder mal kritisch diskutiert), könnte man darauf hinweisen, dass das in absehbarer Zeit sowieso nichts wird:

Die derzeitige Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf hinsichtlich des von mehreren Seiten geforderten Pflegegeldes. Man hat ja noch Zeit, sich das alles anzuschauen. Und immer gut macht sich dann der Hinweis auf ein (wahrscheinlich) sachkundiges Gremium, das einen Bericht verfasst hat und aus dem sich dann – möglicherweise, denn gut Ding will Weile haben – Änderungen am bestehenden System ergeben könnten. So auch im vorliegenden Fall, wie man einer Antwort der Bundesregierung entnehmen kann: »Nach § 14 Absatz 3 FPfZG legt der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dem BMFSFJ alle vier Jahre einen Bericht vor; hierin können Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden (§ 14 Absatz 3 FPfZG). Der erste Bericht des Beirats wurde am 20. Juni 2019 offiziell an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) übergeben … Die Diskussion um die Weiterentwicklung des Familienpflegezeitgesetzes soll auf der Grundlage des Berichts des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf erfolgen.« Diskussion sicher, aber die Bundesfamilienministerin hat bereits vor Hoffnungen gewarnt, dass da noch was kommen wird in dieser Legislaturperiode.

Und selbst wenn man den nun auch vom SoVD geforderten „finanziellen Ausgleich“ wie auch immer ausgestaltet beginnt, umzusetzen: Von vielen pflegenden Angehörigen werden oftmals ganz handfeste praktische Verbesserungen ihrer Lebenslage vor Ort gewünscht. Und da besteht ein erheblicher Investitions- und Entwicklungsbedarf. Oder in den abschließenden Worten des Beitrags Ein Elterngeld für die Kindererziehung, dann auch ein Pflegegeld für pflegende Angehörige als Lohnersatzleistung? vom 13. Juli 2018, die nichts an ihrer Bedeutung verloren haben:

»Wenn das System der Altenpflege nicht kollabieren soll – und das droht uns derzeit unterm Hintern wegzubrechen -, dann muss die Verantwortung für die Sorge um die alten Menschen vor Ort gebündelt werden und endlich eine die Pflegenden unterstützenden Infrastruktur verbindlich ausgebaut werden – mit Tageseinrichtungen für Ältere, Kurz- und Nachtpflegeplätzen, mit kommunalen Helfern, die unterstützend eingreifen können. So, wie das in Skandinavien erfolgreich funktioniert. Die geben allerdings auch bis zu drei Mal so viel Geld für Altenpflege aus wie wir. Das sollte unsere Zielgröße sein – und da hätte eine ordentlich ausgestaltete Pflegezeit ihren Platz neben anderen Bausteine für eine humane Altenpflege. Eine wahrhaft herkulische Aufgabe.«