Erst vor kurzem wurde wieder einmal mit den Hoffnungen vieler Menschen, wenn man zu Hause arbeiten kann und darf, dann wird das schön, gespielt: Die SPD fordert einen Rechtsanspruch auf Homeoffice. Hört sich nur im ersten Moment toll an. Unabhängig von den praktischen Umsetzungsschwierigkeiten eines solchen Rechtsanspruchs und den inneren Begrenzungen auf einige ganz bestimmte Jobs (denn beispielsweise die Pflege alter Menschen lässt sich nicht von zu Hause erledigen), muss man sehen, dass diese Forderung, die explizit mit angeblichen Vorteilen für die Frauen und darunter die Mütter kleiner Kinder im Werbeblock verpackt wird, unterm Strich genau die gegenteilige Wirkung entfalten kann. Dazu ausführlicher bereits der Beitrag Homeofficeritis zwischen rosarotem Marketing und einem Desaster gerade für Frauen vom 10. März 2019.
Die dort vorgetragene Skepsis an dem emanzipatorischen Gehalt der Arbeit im Homeoffice wird durch solche Meldungen zusätzlich unterstrichen: Auch Arbeit im Homeoffice kann krank machen: »Arbeitsweg gespart, nebenbei die Wäsche gemacht – zu Hause arbeiten erscheint praktisch. Für Körper und Psyche kann es aber Nachteile haben, besagt eine neue ILO-Studie.«
➔ International Labour Office (2019): Safety and Health at the heart of the Future of Work: Building on 100 years of experience, Geneva 2019
Es handelt sich um einen Bericht über alle Aspekte des „Occupational safety and health (OSH)“, also der gesundheitlichen Gefährdungen der Arbeitnehmer und des Arbeitsschutzes: »Insgesamt werden nach ILO-Angaben weltweit rund 370 Millionen Menschen jedes Jahr durch die Arbeit krank oder verletzen sich bei Arbeitsunfällen. Jeden Tag sterben nach Schätzungen 6.500 Menschen an Krankheiten, die durch ihre Arbeit verursacht wurden, und 1.000 Menschen kommen bei Arbeitsunfällen ums Leben«, so die Meldung Auch Arbeit im Homeoffice kann krank machen, die dann aber im weiteren nicht mehr aus dem ILO-Report zitiert, sondern deutsche Experten zu Wort kommen lässt.
Schaut man in den ILO-Report im Original, dann findet man dort diese Hinweise:
»With the emergence of new technology, working- time arrangements such as telework, ICT-mobile work (ICTM) and flexitime have become more common. While employers often require a more flexible workforce, changing lifestyles and family structures have meant many workers also demand more flexible working arrangements. Flexible working arrangements can help workers to find a better work-life balance, particularly for women and men with families, and help workers to remain economically active who may not be able to do so otherwise, including older workers or workers with disabilities. However, they often result in the erosion between the borders of work, leisure and other activities, can intensify work and time-related stress and lead to psycho-social health risks.
Telework work often leads to higher levels of intensity of work and the increased likelihood of work-family conflict. This in turn can have well-being effects on workers and increase their stress levels. In fact, 41 per cent of workers doing high mobile ICTM report high levels of stress, compared to 25 per cent working from the employer’s premises. This is particularly significant where workers are obliged to work from home beyond their normal working hours. Telework and ICTM are also associated with sleeping disorders, which are in turn related to stress levels …« (ILO 2019: 54)
Zu Deutschland kann man der Meldung Auch Arbeit im Homeoffice kann krank machen mit Bezug auf Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund entnehmen: »Nach nationalen und internationalen Befragungsdaten sei Homeoffice in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie beispielsweise in den Niederlanden oder Dänemark. EU-weit liege Deutschland im unteren Mittelfeld, berichtete der Forscher. Am schwierigsten seien sicherlich Jobs, die komplett von zu Hause erledigt würden. Hier sei die Gefahr der sozialen Isolation am höchsten, auch ergeben sich Probleme in Betrieben, die noch eine ausgeprägte Präsenzkultur pflegten. Die Chance, Beruf und Privates zu vereinen, berge auch die Gefahr, die beiden Bereiche zu sehr zu vermischen, sagte Backhaus. Im Homeoffice würden die Menschen zudem häufig länger arbeiten und die arbeitsmedizinisch sinnvollen Ruhepausen seltener einhalten.«
Das kann also im wahrsten Sinne des Wortes ein Schuss ins eigene Knie sein für die Arbeitnehmer.
Aber auch die Arbeitgeber sollten sich das genau überlegen. Denn auch bei Homeoffice bleiben zahlreiche Arbeitgeberpflichten zu beachten. Dazu ausführlicher mit Blick auf den Arbeitsschutz dieser Beitrag von Kerstin Gröne: Arbeit im Home Office: Arbeitsschutz und Gefährdungsbeurteilung. »In der praktischen Umsetzung von Arbeit im Home Office liegt der Fokus oft auf der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), den Kosten (etwa hinsichtlich der technischen Ausstattung des Arbeitnehmers) oder sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Fragen. Die Frage des Arbeitsschutzes findet kaum Beachtung: dabei gelten für Arbeitnehmer, die in ihrer eigenen häuslichen Umgebung tätig sind, in gleicher Weise auch alle arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften wie für Beschäftigte vor Ort im Betrieb des Arbeitgebers.«
Aspekte der Arbeitssicherheit werden vernachlässigt,
➞ weil Mitarbeiter im Home Office des öfteren nicht mehr als vollständige Betriebsangehörige wahrgenommen werden,
➞ aber auch, weil die praktische Umsetzung schwierig ist: der Arbeitgeber hat kein Recht auf Zugang zu den privaten Räumlichkeiten des Arbeitnehmers – weder bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes noch zwecks einer später durchzuführenden (arbeitssicherheitsrechtlichen) Kontrolle.
Kerstin Gröne führt dann weiter aus: Sämtliche Arbeitsschutzvorschriften gelten auch für die Arbeit im Home Office. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Arbeitsstättenverodnung( ArbStättV) ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen (Gefährdungsbeurteilung). Dazu hat er den Schutz seiner Beschäftigten durch geeignete technische, organisatorische oder persönliche Maßnahmen zu gewährleisten.
Daraus leitet Gröne ab: »Eine Gefährdungsbeurteilung nach den §§ 5 und 6 ArbSchG ist also auch für Arbeitsplätze im Home Office durchzuführen. Dies bedeutet zum einen die Pflicht zur Ermittlung der notwendigen Maßnahmen für die sichere Bereitstellung und Benutzung der arbeitgeberseitig überlassenen Arbeitsmittel (§ 3 I Betriebssicherheitsverordnung, BetrSichV) … Die konkrete Beurteilung am avisierten Arbeitsplatz des Arbeitnehmers daheim ist die Grundlage für die konkret zu treffenden Maßnahmen. Bei der Einrichtung eines Bildschirmarbeitsplatzes ist auch die Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) zu beachten ist, woraus insbesondere die Pflicht zur ergonomischen Ausstattung eines Arbeitsplatzes folgt.«
Hier ergeben sich ganz praktische Schwierigkeiten für den Arbeitgeber, denn »der Arbeitgeber hat kein Zugangsrecht zu den privaten Räumlichkeiten des Arbeitnehmers (grundgesetzlich normierte Unversehrtheit der Wohnung, Art. 13 GG). Wie soll der Arbeitgeber also seine ihm gesetzlich auferlegten Schutzpflichten erfüllen?« Dazu Kerstin Gröne weiter:
»Natürlich könnte arbeitsvertraglich oder in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden, dass der Arbeitnehmer sein Büro nach bestimmten Vorgaben einrichten muss, ggf. bestimmte Einrichtungsgegenstände des Arbeitgebers zu nutzen hat. Dies geht aber an der Realität vorbei: welcher Arbeitnehmer möchte anstelle des nach eigenem Geschmack eingerichteten Arbeitszimmers das Einheitsmobiliar des Arbeitgebers haben? Wie will der Arbeitgeber kontrollieren, dass die Einrichtungsgegenstände tatsächlich genutzt werden? Und wieviele Arbeitnehmer arbeiten vom Esstisch oder Sofa aus?
Ansatzpunkt kann nur die in den §§ 15 und 16 ArbSchG normierte Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers sein: Nach § 15 ArbSchG sind die Beschäftigten verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Sie müssen nach § 16 ArbSchG jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich melden.
Doch der Arbeitgeber darf es sich nicht zu leicht machen: er muss die Arbeitnehmer detailliert bzgl. der Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit unterweisen (§ 12 ArbSchG). Er tut gut daran, eine Begehung und Bewertung des Home Office- Arbeitsplatzes anzubieten. Stets sollte er umfangreich dokumentieren und seiner Kontrollpflicht durch Nachfragen bezüglich etwaiger Veränderungen – ebenfalls dokumentiert – nachkommen.«
Man sieht schon, wie das Pflichtenheft für den Arbeitgeber wächst. Und der Betriebsrat sollte auch nicht vergessen werden. Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz ist mitbestimmungspflichtig.