Beamte, die freiwillig auf Beihilfe plus private Krankenversicherung zugunsten der Absicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse verzichten? Erste Befunde aus Hamburg

Gleich am Anfang dieses Beitrags ein Warnhinweis: Der folgende Beitrag beschäftigt sich a) mit Beamten und b) mit dem Beihilfeanspruch plus ergänzender privater Krankenversicherung, was diese Berufsgruppe vor den (angeblichen) Niederungen der gesetzlichen Krankenversicherung bewahren. Also bislang jedenfalls. Und der Beitrag berichtet von Alternativen zum bestehenden Sondersystem für Beamte – und allein das Ansprechen der Sondersysteme, in denen sich die Beamten normalerweise bewegen, genügt in vielen Fällen, um eine reflexhafte Schnappatmung bei einem Teil der Beamtenschaft auszulösen, die dann gerne wütende Leserbriefe und E-Mails verfassen, in dem sie sich gegen jeden „Angriff“ auf die Beamten verwahren.

Und deren Wucht kann einen schon treffen, wie der Verfasser selbst erfahren musste, wenn man lediglich eine Beschreibung und generelle Einordnung vornimmt, wie am Anfang des Beitrags Neue Studie: Beamte in die Gesetzliche Krankenversicherung?, der hier vor über zwei Jahren am 10. Januar 2017, veröffentlicht wurde: »Aus sozialpolitischer Sicht sind die Beamten ein echter „Fremdkörper“. Sie sind nicht in die normale Sozialversicherung integriert, zahlen keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung, haben ihr eigenes Alterssicherungssystem, aus dem sie keine Rente bekommen, sondern nach dem Alimentationsprinzip eine dem Amt, das sie vorher mehr oder wenig ausgefüllt haben, angemessene Pension. Und auch die Absicherung im Krankheitsfall weicht ab von dem der normalen Arbeitnehmer. Denn sie bekommen zum einen von ihrem „Dienstherrn“ Beihilfeleistungen, mit den anteilig die tatsächlich angefallenen Kosten erstattet werden (im Regelfall übernimmt die Beihilfe 50 Prozent, bei Pensionären sogar 70 Prozent der Krankheitskosten). Und den Rest sichern sie über eine private Krankenversicherung ab, womit sie auch in den Genuss der meisten Besonderheiten des Privatversicherungssystems kommen.« Wer lesen kann, ist klar im Vorteil – der erste Satz lautete unter Verwendung von Anführungszeichen: Aus sozialpolitischer Sicht sind die Beamten ein echter „Fremdkörper“. Daraufhin erreichten den Verfasser wütende Rückmeldungen vor allem von Beamten-Funktionären, wie man Beamte als Fremdkörper bezeichnen könne. Na ja, sozialpolitisch aus Sicht von mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind es eben. Aber geschenkt. Hier geht es speziell um die Absicherung im Krankheitsfall, wie sie in dem Zitat beschrieben wurde.

In dem zitierten Beitrag wurde dann von einer Studie berichtet, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde und die der Frage nachgegangen ist, ob es möglich wäre, die Beamten in die GKV zu integrieren und welche möglichen Auswirkungen damit verbunden sein könnten. Es handelt sich dabei um diese vom IGES-Institut erarbeitete Studie:

➔ Richard Ochmann, Martin Albrecht und Guido Schiffhorst (2017): Krankenversicherungspflicht für Beamte und Selbstständige. Teilbericht Beamte, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, Januar 2017

Die gleiche Fragestellung war bereits vorher für die Selbstständigen bearbeitet worden:

➔ Martin Albrecht, Richard Ochmann und Guido Schiffhorst (2016): Krankenversicherungspflicht für Beamte und Selbstständige. Teilbericht Selbstständige, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2016

Dazu auch dieser Beitrag vom 12. Juli 2016: Eine „integrierte Krankenversicherung“ als Zwischenschritt auf dem Weg zur Bürgerversicherung? Jenseits der alten Welt von privat oder gesetzlich. Am Beispiel der Selbständigen gerechnet.

Aber wieder zurück zu den Beamten, denn bei der Frage, ob man denen nicht zumindest die Möglichkeit, in der GKV zu bleiben bzw. sich dort abzusichern, eröffnen sollte im Sinne einer echten Wahlfreiheit (die sie derzeit nicht haben, weil sie bei einer freiwilligen Versicherung den gesamten Krankenversicherungsbeitrag tragen müssten), hat es zwischenzeitlich Bewegung gegeben. Kern dieser Bewegung ist der Stadtstaat Hamburg. Darüber wurde am 29. Dezember 2018 in diesem Beitrag berichtet: Arme Kassenpatienten, gepamperte privat Krankenversicherte? Eine Studie behauptet das Gegenteil. Aber die eigentliche Problematik ist eine andere. Darin findet man diesen Hinweis:

»Erste vorsichtige Schritte im Sinne einer Auflockerung der faktischen „PKV-Pflicht“ für Beamte lassen sich beobachten, beispielsweise in Hamburg: »Seit August haben Beamte in Hamburg nicht nur formell die freie Wahl der Krankenversicherung. Sie können einen hälftigen Zuschuss zu ihren GKV-Beiträgen erhalten. Das Modell zieht mittlerweile in anderen Bundesländern Kreise«, so Florian Staeck in seinem Artikel Beamte und GKV – Hamburgs Reform prägt aus dem August 2018. »Seit August zahlt das Land Hamburg Neu-Beamten oder Beamten, die bereits GKV-versichert sind, eine „pauschale Beihilfe“. Diese wird ausdrücklich als eine „neue Form der Beihilfe“ deklariert. Dabei erstattet das Land den Beamten, die ihr Wahlrecht ausüben, 50 Prozent der nachgewiesenen Kosten für eine Krankenvollversicherung, und zwar inklusive der Kosten für den kassenindividuellen Zusatzbetrag in der GKV.« Und Staeck bringt den grundsätzlichen Aspekt auf den Punkt, wenn er schreibt: »De facto kappt das Hamburger Modell eine Lebensader der privaten Krankenversicherung. Entsprechend aufgeregt hat die Branche die Gesetzgebung begleitet.« Allerdings – der Beobachter der Versicherungsszene wird wissen, dass es keinen begeisterten Nachahmer-Effekt in anderen Bundesländern gegeben hat. Also bislang zumindest. Zu groß ist neben praktischen Fragen einer Änderung auch die Angst vor der Systemfrage, die sich unausweichlich stellen würde. Und vor den schweren Geschützen, die nicht nur Beamte und ihre Interessenvertreter, sondern auch die im derzeitigen System von den privatversicherten Patienten durchaus erheblich profitierenden Anbietern im Gesundheitssystem bis hin zur Pharmaindustrie auffahren werden.«

Nun aber wird über erste Ergebnisse des Vorpreschens in Hamburg berichtet – und die Überschriften der Artikel dazu werden den einen oder anderen überraschen: Zahlreiche Hamburger Beamte haben sich für gesetzliche Kran­ken­ver­siche­rung entschieden, so das Deutsche Ärzteblatt oder die Ärzte Zeitung, die ihren Bericht so überschrieben hat: Hamburger Modell wird gut angenommen. Schauen wir uns die erste Zwischenmeldung einmal genauer an. Dazu eine wichtige Hintergrundinformation: Die Wahlmöglichkeit zwischen Privatversicherung über die Beihilfe und pauschaler Beihilfe mit gesetzlicher Krankenversicherung steht nur neuen Beamten beziehungsweise schon gesetzlich Versicherten offen, also nicht den „Bestandsbeamten“. Hamburg hat diese Wahlmöglichkeit im August 2018 als erstes Bundesland geschaffen.

»Insbesondere Beamte der unteren Besoldungsgruppe nutzen nach Angaben der Hamburger Gesundheitsbehörde das neue Modell. Von ihnen entscheidet sich jeder zweite für die GKV, in den höheren Besoldungsgruppen wie etwa bei Lehrern dagegen nur rund 20 Prozent. Für Berufe wie Polizisten oder Feuerwehrleute, die freie Heilfürsorge erhalten, besteht keine Veranlassung, die pauschale Beihilfe zu nutzen.
Insgesamt hat Hamburg bislang eine Million Euro für pauschale Beihilfen aufwenden müssen. Damit werden die Kosten voraussichtlich deutlich unter den veranschlagten 5,8 Millionen Euro für das Gesamtjahr bleiben.«

Seit Anfang August 2018 haben sich 1.015 Beamte der Hansestadt dafür entschieden. Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) wird mit diesen Worten zitiert: „Dass sich gerade in den unteren Besoldungsgruppen überproportional viele neue Beamte für die pauschale Beihilfe entscheiden verdeutlicht, dass wir eine sozial gerechte Alternative zur bisherigen Beihilfe geschaffen haben.“

Offensichtlich haben auch andere Bundesländer ein Auge auf Hamburg geworfen – jedenfalls hinsichtlich des Modells einer Wahlmöglichkeit zwischen dem klassischen und dem GKV-Modell: „In der Umsetzung“ sei das Hamburger Modell in Berlin, Brandenburg und Thüringen. Diskutiert wird es in den Parlamenten von Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. In grün-schwarz regierten Baden-Württemberg hingegen wird mit zahlreichen skeptischen Einwänden geblockt, wie man diesem Artikel entnehmen kann: Beamte in die GKV? Landesregierung sieht Hürden.

Nun könnte man annehmen, dass alle, die eine Bürgerversicherung als mittel- und langfristiges Ziel vor Augen haben, die ersten Ergebnisse des Hamburger Modells als positiv und als Bestätigung für den Weg hin zu einem integrierten Krankenversicherungssystem wahrnehmen werden.

Dann stören aber solche Bewertungen: »Sollte sich durchsetzen, dass vor allem Beamte aus den unteren Besoldungsgruppen die „pauschale Beihilfe“ nutzen, wäre das für die Krankenkassen eine schlechte Nachricht.« So Peter Thelen in seinem Artikel Beamte mit niedrigeren Bezügen bevorzugen die gesetzliche Kasse. Wieso „schlechte Nachricht“ für die gesetzlichen Kassen? Das »Umlagesystem der gesetzlichen Kassen ist darauf angewiesen, dass auch Gutverdiener sich mit ihren entsprechend höheren Beiträgen am Solidarausgleich beteiligen.« Er stellt offensichtlich auf den berichteten Befund ab, dass vor allem in den unteren Besoldungsgruppen sich viele Beamte für die gesetzliche Kasse entscheiden – während das in den höheren Besoldungsgruppen, also den „guten Risiken“ aus versicherungsökonomischer Sicht, nur eine kleine Minderheit sei. Das führt dann dazu, dass aus Sicht der Krankenkassen eben nicht eine gut durchmischte Gruppe an Beamten zu ihnen kommt, sondern sie es mit einer verzerrten Auswahl zu ihren Ungunsten zu tun haben, da die Beitragseinnahmen aus dieser Teilgruppe der Beamten überschaubar bleiben werden, hingegen auch die Beamten in den unteren Besoldungsgruppen a) viele in der GKV anders als in der PKV beitragsfrei mitversicherbare Kinder und nicht-erwerbstätige Ehepartner haben und b) im Vergleich zu den vielen „normalen“ Arbeitnehmern eine überdurchschnittliche Lebenserwartung haben, die kostenseitig relevant werden wird bzw. werden könnte (vgl. dazu auch den Beitrag Jenseits des gewöhnlichen Rentners: Die mit einem statistisch langen Leben beglückten Beamten und ihre Pensionen). Insofern könnten wir hier, sollten sich die ersten Ergebnisse des Hamburger Modells strukturell stabilisieren, sicher ungeplant mit einem weiteren Kapitel der „Rosinenpickerei“ konfrontiert werden. Und da ist sie wieder, die bereits zitiert wurde: Die Angst vor der Systemfrage, die sich unausweichlich stellen würde.