Minister brauchen Bilder. Am besten beeindruckende Bilder, die Tatkraft symbolisieren sollen. Das mag, wer weiß das schon, Motiv gewesen sein für diesen „Einsatz“ des Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD), kraft seines Amtes auch zuständig für den Zoll und damit für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Und dann können schon mal solche Berichte rauskommen: Olaf Scholz bei Baustellen-Razzia in Frankfurt: »Der Zoll durchkämmt eine Baustelle in der Frankfurter Bürostadt unter den Augen von Finanzminister Olaf Scholz.« Ein schöner Außentermin auch und gerade für die Pressevertreter, die gerne Bilder brauchen. Dabei war der Anlass ein ernster: »In einer bundesweiten Razzia hat der Zoll am Donnerstag in den Ballungsräumen Berlin, Hamburg, München, Ruhrgebiet, Stuttgart und Rhein-Main Baustellen durchsucht, um gegen illegale Beschäftigung und Mindestlohnverstöße vorzugehen. In Frankfurt fiel die Wahl auf die Großbaustelle Mainwald. Auf dem ehemaligen Woolworth-Gelände in Niederrad lässt ein Immobilienunternehmen 700 Wohnungen bauen. Es handle sich um eine Routinekontrolle ohne Verdachtsmomente und Vorermittlungen, sagt ein Sprecher des Zolls.«
Und »die Fahnder sind noch mitten in der Arbeit, als Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit großem Gefolge die Baustelle betritt.«Und dann wird Bericht erstattet: »Zollamtsrat Martin Kern informiert seinen obersten Dienstherrn über den Stand der Razzia. Laut Auskunft des Bauleiters sollten an diesem Donnerstag 51 Arbeiter auf der Baustelle sein, die für vier verschiedene Subunternehmen tätig sind. Etwa zwei Stunden werde es dauern, bis die Beamten die Papiere aller Arbeiter kontrolliert hätten. Dann muss geklärt werden, welcher Lohn den Arbeitern gezahlt wird und welches Subunternehmen für mögliche Verstöße verantwortlich ist. Der Mindestlohn im Bauhauptgewerbe liegt derzeit bei 11,75 Euro.«
Wie wichtig solche Kontrollen neben den Marketingaspekten für irgendwelche Politiker sind, verdeutlicht ein derzeit vor dem Landgericht Frankfurt laufender Prozess: »Bei einer Routinekontrolle auf der Baustelle eines Krankenhauses in Bad Homburg stellte sich heraus, dass eine Firma ihre Bauarbeiter seit längerer Zeit mit falschen Personalpapieren ausstattete und obendrein mit Scheinrechnungen arbeitete. Dadurch soll bei Sozialversicherungen und Finanzämtern ein Schaden in Höhe von 9,2 Millionen Euro entstanden sein.«
Allein im Jahr 2017 deckte der Zoll bundesweit Steuerbetrug in Höhe von einer Milliarde Euro auf, obwohl nur 2,4 Prozent der Betriebe überhaupt kontrolliert werden konnten. Der Bundeszollminister verspricht seiner Behörde auch mehr Personal. Die Zahl der Mitarbeiter bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll von derzeit 6.800 auf knapp 8.500 wachsen. Aber er will zugleich auch mehr Gesetze und mehr Kompetenzen für den Zoll.
Da wird der eine oder andere an den Mindestlohn denken, denn für die Kontrolle der ordnungsgemäßen Zahlung des gesetzlichen bzw. des Branchen-Mindestlohns ist ebenfalls die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls zuständig. Und allein die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 hat dem Zoll eine erhebliche Erweiterung seiner Aufgaben beschert, ohne das bislang der Personalausbau auch nur annähernd hat Schritt halten können (vgl. dazu Wie sieht es aus mit der Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns? Aus der Welt der Mindestlohnvermeider, der bereits am 9. Juni 2017 veröffentlicht wurde oder speziell aus den Untiefen der deutschen Fleischindustrie der Beitrag Billig-Schlachthaus Deutschland: Vertrauen mag gut sein, Kontrollen wären besser. Oder: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht vom 16.Dezember 2018).
Wenn die denn mal die Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen prüfen und das dann auch noch in bestimmten Branchen erfolgt, dann ist die Trefferquote meistens sehr hoch. Über ein aktuelles Beispiel berichtete der WDR am heutigen Tag unter der Überschrift Paketzusteller überprüft: Viele Hinweise auf Mindestlohnverstöße: »Bei einer bundesweiten Aktion hat das Hauptzollamt Köln … Paketzusteller und Kurierdienste überprüft. Bei 540 überprüften Personen gab es 220 Hinweise auf Mindestlohnverstöße. Die Zollbeamten standen vor Postdepotzentren in Leverkusen, Bergisch Gladbach, Siegburg, Bornheim, Hürth und Köln, sagte ein Sprecher des Hauptzollamts Köln. „Wir haben insgesamt mit knapp 100 Kolleginnen und Kollegen 540 Personen befragt.“ Dies seien überwiegend Fahrer gewesen – aus 147 verschiedenen Firmen: „Das zeigt, dass da sehr viele Nachunternehmer tätig sind“, so der Sprecher. 220 mal habe es Hinweise auf Mindestlohnverstöße gegeben. Dabei seien zum Beispiel Anfahrts- und Ladezeiten vom Arbeitgeber nicht als Arbeitszeit angerechnet worden.«
Und da haben wir sie, die Arbeitszeit. In diesem Blog wurde gerade im Schlachtlärm kurz vor und nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 in zahlreichen Beiträgen darauf hingewiesen, dass der Widerstand in nicht wenigen Unternehmen gegen den Mindestlohn weniger gespeist wurde aus der in der öffentlichen Diskussion so umstrittenen Höhe des Mindestlohnes von anfangs 8,50 Euro pro Stunde, sondern aus der „pro Stunde“. Anders formuliert: Der Mindestlohn wurde als Stundenlohn in die Welt gesetzt und das hat nun unvermeidlich zur Folge, dass man das geleistete Entgelt auf die geleisteten Arbeitsstunden beziehen können muss. Man braucht also Zeitangaben.
Bereits am 22. April 2015 wurde hier in dem Beitrag (Schein-)Welten des gesetzlichen Mindestlohns nach seiner Geburt am Beispiel von wütenden Protesten bayerischer Hoteliers und Gastronomen darauf hingewiesen, dass der eigentliche Grund des Protests das Arbeitszeitgesetz sei, wobei die Verstöße gegen dieses Gesetz in der Vergangenheit oftmals und in der Regel kaschiert werden konnten (und außerdem wurde die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes Fürher so gut wie nie kontrolliert), nunmehr aber durch die Stundendokumentation der beschäftigten Arbeitnehmer offensichtlich werden, wenn es denn mal eine Kontrolle geben sollte. Es gehe den Hoteliers und Wirten weniger um die 8,50 Euro, sondern vielmehr um die Pflicht, die geleistete Arbeitszeit minutiös Woche für Woche aufzulisten und gleichzeitig um die Arbeitszeitgrenzen nach dem schon viel länger geltenden Arbeitszeitgesetz, das maximal zehn Stunden Arbeit pro Tag festschreibt.
»Ganz offensichtlich ist es so, dass das Mindestlohngesetz mit der aus ihm resultierenden Verpflichtung, die Arbeitszeiten der Beschäftigten zu dokumentieren, vor allem deshalb als Problem wahrgenommen wird, weil dadurch gleichsam offensichtlich wird, dass man gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt.
In der Praxis führt dass natürlich dazu, dass man gerade bei den Arbeitszeiten tricksen muss – das aber ist eine seit langem bekannte Strategie der Umgehung von Mindestlöhnen, denn wir haben ja nicht erst seit dem 1. Januar einen Mindestlohn, sondern in mehreren Branchen bereits seit Jahren branchenbezogene Mindestlohnregelungen, beispielsweise bei den Gebäudereinigern. Und da gab es bei den schwarzen Schafen immer wieder den Versuch, die Mindestlöhne faktisch durch unbezahlte Mehrarbeit zu unterlaufen.« So schon der Befund im Jahr 2015.
Und gerade aus der Gastronomie sind die Stimmen gegen das bestehende Arbeitszeitgesetz, das erst mit dem Mindestlohngesetz zum wirklichen Problem wurde, seit 2015 nicht verstummt, sondern immer wieder versucht man das strategische Ziel nicht nur dieser Branche in den politischen Raum durchzustoßen: Abschaffung der Regulierung einer maximalen täglichen Arbeitszeit und hin zu einer Wochenarbeitszeit ohne Vorgabe dessen, was man pro Tag darf bzw. nicht darf. Und wenn man schon dabei ist, dann fordert man auch gleich ein Aufbrechen von Regelungen der Dauer der Ruhepausen zwischen zwei Arbeitseinsätzen. Explizit nicht angestrebt wird die Anhebung der individuellen Arbeitszeit in ihrer Gesamtheit, sondern „nur“ eine „Flexibilisierung“ der Stunden-Verfügbarkeit der Mitarbeiter. Letztendlich geht es um die Ermöglichung von „Gummi-Arbeitszeiten“, die natürlich den Arbeitgeberbedürfnissen erheblich entgegen kommen würde. Es geht vor allem um die im bestehenden Arbeitszeitgesetz normiert Begrenzung des Arbeitstages auf acht, in Ausnahmefällen zehn Stunden. Pro Tag. Das soll bis auf 12 Stunden ausgeweitet werden und zugleich soll auch die bisherige Vorschrift mit einer zusammenhängenden Ruhezeit von 11 Stunden zwischen den Arbeitseinsätzen abgesenkt werden, damit man die Leute noch schneller in den nächsten Arbeitseinsatz schicken kann.
Im März 2017 hat beispielsweise der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA Bundesverband) die Kampagne „Höchste Zeit für Wochenarbeitszeit“ gestartet. Auch aus anderen Branchen kommen immer wieder Forderungen in diese Richtung. Das hat seinen Niederschlag in der (partei)politischen Sphäre gefunden – vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Ins Uferlose oder nur eine Anerkennung der Realitäten? Nicht nur die FDP will eine „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes vom 29. März 2018.
Mittlerweile haben wir 2019 – und immer noch steht die Arbeitszeit und deren Dokumentation im Gefolge des Mindestlohngesetzes im Zentrum politischer Vorstöße zugunsten wehklagender Branchen und Unternehmen. Und in diesen Tagen hat die FDP dieses Anliegen (erneut) aufgegriffen und im Bundestag diesen Antrag eingebracht:
➔ Mindestlohndokumentation vereinfachen – Bürokratie abbauen, Antrag der FDP-Fraktion, Bundestags-Drucksache 19/7458 vom 30.01.2019.
Die Argumentation der FDP geht so: »Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 hat insgesamt zu erheblichen bürokratischen Belastungen für die Wirtschaft geführt … Besonders aufwändig und bürokratisch ist die Dokumentation der Arbeitszeit. So sind nach § 17 Mindestlohngesetz (MiLoG) für alle Arbeitnehmer nach § 8 Abs. 1 SGB IV (geringfügig Beschäftigte oder „Minijobber“) sowie für Beschäftigte in den Wirtschaftszweigen nach § 2a Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) der Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen.«
Und was für ein Anliegen haben die Antragsteller? Ihrer Meinung nach müsse »es im Rahmen des § 17 Abs. 1 MiLoG ausreichend sein, die Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen. Schon aus der Dauer und dem ausgezahlten Lohn lässt sich ohne Weiteres errechnen, ob der Mindestlohn gezahlt wurde oder nicht. Beginn und Ende sind hierfür nicht notwendig und belasten die Betriebe mit unnötiger Bürokratie.«
Und für wen will man das machen? »Nach geltender Rechtslage muss die Aufzeichnung … bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages erfolgen. Die Dokumentation ist anschließend mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Von der Dokumentationspflicht betroffen sind unter anderem große Branchen wie das Baugewerbe, die Gebäudereinigungsbranche oder das Gaststätten- und Hotelgewerbe. In diesen Branchen gibt es besonders viele kleine und mittlere Betriebe, die nicht nur sehr personalintensiv arbeiten, sondern auch seltener über eine elektronische Zeiterfassung oder gar Personalabteilungen verfügen. Sind die Aufzeichnungen nicht korrekt, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfolgt oder werden die Dokumente nicht vollständig bereitgehalten, kann dies mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro geahndet werden.« Und die sollen nun erheblich entlastet werden: »Die Aufzeichnungsfrist sollte daher auf einen Monat verlängert werden und zugleich eine monatliche Erfassung der Dauer der Arbeitszeit im Zusammenhang mit der monatlichen Lohnabrechnung ausreichend sein. Eine davon gesonderte wöchentliche Dokumentation ist aus Sicht der Antragsteller nicht erforderlich.«
Nun gibt es doch schon heute Ausnahmen von der Dokumentationspflicht. Nach § 1 Abs. 1 der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLo-DokV) gilt die Dokumentationspflicht nicht für Arbeitnehmer, deren verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt 2.958 Euro brutto übersteigt.
Das sei viel zu hoch, so die FDP. Deshalb findet man im Antrag die Forderung: »Diese Grenze wird auf 2.000 Euro herabgesetzt, wenn der Arbeitgeber dieses Monatsentgelt für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt hat.« Die FDP beklagt zudem, dass die derzeitige Regelung keine Unterscheidung zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften mache. »So fallen Teilzeitkräfte, deren monatliches Bruttoentgelt häufig unterhalb der definierten Schwellen liegt, unter die Aufzeichnungspflicht, obwohl ihr Stundenlohn in der Regel deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Hier würde das Abstellen auf einen Stundenlohn die Teilzeitbeschäftigten besser abbilden«, meinen die Antragsteller.
Ach ja – und bei den Minijobs, die in bestimmten Branchen eine überaus gewichtige Rolle spielen, sollen die Unternehmen auch befreit werden von den „Fesseln der Dokumentation“: »Es ist nicht ersichtlich, weshalb geringfügige Beschäftigung, die nach § 2 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz als normale Teilzeittätigkeit einzuordnen ist, anders als eine Vollzeittätigkeit behandelt werden sollte. Geringfügig Beschäftigte sollten daher nur dann einer Dokumentationspflicht unterliegen, wenn sie in den in § 2a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt sind. Eine darüber hinausgehende gesetzliche Sonderbehandlung ist nicht nötig.« Aber gerade bei den Minijobs wird immer wieder und noch über erhebliche Verstöße gegen unterschiedliche gesetzliche Vorschriften festgestellt und bei dieser Beschäftigungsform sind ausweislich von Studien die Mindestlohnverstöße mit am größten.
Das alles liest sich erst einmal nur sehr technisch – aber die Arbeitgeber hätten bei dem von der FDP beantragten Änderungen, die man gleichzeitig im Zusammenhang mit den Vorstößen hinsichtlich einer anzustrebenden Deregulierung der täglichen Arbeitszeit-Höchstgrenzen und der Dauer der Ruhepausen die Möglichkeit sehen muss, die vorhandenen Beschäftigten wesentlich flexibler einzusetzen, ohne Gefahr laufen zu müssen, im Rahmen von Mindestlohn-Kontrollen das Problem zu bekommen, dass ein Verstoß gegen das geltende Arbeitszeitgesetz aufgedeckt wird, selbst wenn man den Mindestlohn ordnungsgemäß geleistet hat.
Was das für den Bereich derjenigen schwarzen Schafe, die sich beim Mindestlohn nicht regelkonform verhalten, für Folgen haben könnte, wenn man sich diese Vorschläge zu eigen machen würde? Ohne die Aufzeichnungspflicht in der gegenwärtigen Form werden Manipulationen bei der Arbeitszeiterfassung erheblich vereinfacht, weil die Mitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nahezu keine Möglichkeit mehr haben, tagesgenau die tatsächliche Vergütung der Beschäftigten gegenüber den Betrieben und Gerichten nachzuweisen. Das muss man wissen – aber vielleicht ist ja auch genau das ein zentrales Anliegen der Antragsteller. Natürlich alles unter dem Segel der „Entlastung“ und „Flexibilisierung“.