Viele kennen das immer wiederkehrende Muster: Man hat eine gut gemeinte Absicht, macht sogar einen gesetzgeberischen Vorstoß – und nach einiger Zeit zeigt sich, das hinten was ganz anderes herausgekommen ist. Das bekommen wir derzeit mit Blick auf die deutsche Fleischwirtschaft serviert.
Über die zahlreichen und massiven Missstände auf den deutschen Schlachthöfen ist nun wirklich in den vergangenen Jahren immer wieder berichtet worden, so dass keiner sagen kann, es sei überraschend, mit welchen Arbeitsbedingungen man dort konfrontiert wird. Der vor allem durch die öffentliche Berichterstattung ausgeübte Druck hat 2015 zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung eines Teils der Unternehmen der deutschen Fleischindustrie geführt und angesichts der weiter anhaltenden gravierenden Ausbeutung gerade osteuropäischer Billigarbeiter zu einem an sich beeindruckenden gesetzgeberischen Vorstoß, der im Sommer 2017 in einer parlamentarischen „Nacht- und Nebel-Aktion“ zu einem „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ geführt hat, der die Branche kalt erwischt hat. Vgl. dazu den Beitrag Der Fleischindustrie in einer parlamentarischen Nacht-und-Nebel-Aktion ans Leder gehen: Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen in den deutschen Billig-Schlachthöfen vom 2. Juni 2017. Nun also wird endlich alles besser, so die Hoffnung.
Diese Hoffnung findet man auch in dem zitierten Blog-Beitrag aus dem Juni 2017: »Glückwunsch an die Abgeordneten … Vor (dem) Hintergrund eines lange bekannten und immer wieder beklagten Missbrauchs von Werkverträgen ist es auch einfach mal angenehm, wenn man von einem Fortschritt berichten kann.« Hintergrund dieser Vorschusslorbeeren war die Tatsache, dass mit dem GSA Fleisch, so das Kürzel für das neue Gesetz, in der Fleischindustrie die Generalunternehmerhaftung eingeführt wurde: Zahlt ein Subunternehmer seinen Schlachtern weniger Lohn als ihnen zusteht, soll dafür künftig der Schlachthofbetreiber verantwortlich gemacht werden. Damit soll in der Verantwortung bleiben, wer Arbeit auslagert. Arbeitsmaterialien wie Schlachtermesser dürfen dann zudem nicht länger vom Lohn abgezogen werden. Darüber hinaus soll das Gesetz auch zu einer exakten Erfassung der Arbeitszeit führen und die Umgehung des Mindestlohns erschweren.
Allerdings wurde bereits am 22. Juni 2017 dieser Beitrag nachgereicht, der das positive Fazit des ersten Berichts etwas relativiert hat: Wieder einmal von Billig-Schlachthöfen, fehlenden Kontrollen und einem gesetzgeberischen Vorstoß zwischen Theorie und Praxis. Dort wurde über die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Deutschen Bundestag berichtet (Bundestags-Drucksache 18/12726 vom 14.06.2017, Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischwirtschaft).
Die reinen Zahlen verweisen auf eine beeindruckende ökonomische „Erfolgsgeschichte“ der deutschen Fleischwirtschaft: Allein »die Einfuhr von Lebendgeflügel in den vergangenen 20 Jahren um fast 260 Prozent angestiegen ist. Wurden 1996 noch 11 Millionen Hühner, Enten oder Gänse importiert, waren es im vergangenen Jahr 39,5 Millionen Stück Federvieh. Fast jedes zweite Tier kam dabei aus Dänemark. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der eingeführten Schlachtschweine laut Bundesagrarministerium um 61 Prozent von 2,7 auf zuletzt 4,4 Millionen Tiere. Hauptherkunftsland mit fast vier Millionen Schweinen waren 2016 die Niederlande.« Aber – das hat alles seinen Preis, den andere zahlen müssen. Das immer mehr Tiere aus dem Ausland hierzulande geschlachtet werden, „geht nur mit Fremdpersonal und mit einem harten Wettbewerb um die billigsten Löhne“, so wird die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke zitiert.
Und besonders ernüchternd vor dem Hintergrund der an sich positiven gesetzgeberischen Aktivitäten: Die Bundesregierung räumte auf Anfrage der Grünen ein, dass sie nicht wisse, wie viele Schlachter oder Zerleger von Subunternehmern in deutsche Schlachthöfe entsandt werden. Es ist natürlich schon problematisch genug, wenn man nicht einmal weiß, wie viele entsandte Arbeitnehmer auf den Schlachthöfen herumlaufen. Das sollte einen misstrauisch stimmen. Aber es kommt noch schlimmer.
Dazu muss man dann solche Meldungen aus dem Dezember 2018 zur Kenntnis: Schlachthof-Kontrollen nehmen rapide ab, so Markus Balser: »Ein Gesetz zur Stärkung der Rechte von Schlachthof-Arbeitern tut genau das Gegenteil von dem, was es soll: Es schwächt sie. Kontrolliert wird nun noch seltener als zuvor und teils so, dass man gar keine Verstöße finden könne, so die Kritik. Dabei sind die schlechten Arbeitsbedingungen auf Schlachthöfen bekannt: Experten beklagen teils sklavenähnliche Zustände.«
Auch Balser rekapituliert die Gesetzgebung aus dem vergangenen Jahr unter hoffnungsvollen Vorzeichen: »Tausende von ihnen arbeiten in Bayern, im Oldenburger Land oder im Emsland. Sie kommen aus Bulgarien, Rumänien oder der Ukraine, arbeiten in Schlachthöfen, zerlegen im Akkord Schweine oder Rinder. Mit der Armee von Lohnarbeitern ist das reiche Deutschland zum Billigland für Schlachter geworden. Die Arbeitsbedingungen sind nach Ansicht von Experten oft miserabel. Überzogene Mieten für Unterkünfte, Versuche, den ohnehin niedrigen Mindestlohn zu umgehen: Experten beklagen teils sklavenähnliche Zustände.
Eigentlich sollte ein Gesetz die Probleme eindämmen. Mitte des vergangenen Jahres hatte der Bundestag die Rechte von Arbeitern in Schlachthöfen gestärkt – aus Angst vor dem Widerstand der Branche in einer Nacht- und Nebelaktion. Die Industrie konnte sich demnach bei Verstößen gegen Arbeitsgesetze nicht mehr auf Subunternehmer berufen. Sie sollte selbst haften. Die zuständige Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) sprach von einem Meilenstein. Schließlich würden Kontrollen leichter, wenn die Arbeitsstunden aufgezeichnet werden müssen.«
Und jetzt das Aber: »Doch nun macht sich Ernüchterung breit. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen … zeigt: Die nötigen Kontrollen haben mit dem Gesetz nicht etwa stark zu-, sondern sogar rapide abgenommen. Den Daten des Bundeslandwirtschaftsministeriums zufolge führte die zuständige „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ 2017 bundesweit nur noch 233 Kontrollen in der Fleischwirtschaft durch. 2015 waren es noch 445.«
Balser bezieht sich hier auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen: Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischwirtschaft, Bundestags-Drucksache 19/6323 vom 04.12.2018. Das Fazit ist mehr als eindeutig:
»Für Fachleute im Bundestag ist das ein Fiasko. „Es ist nicht akzeptabel, dass die Kontrollen um 50 Prozent zurückgegangen sind, obwohl die schlechten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischbranche doch bekannt sind“, kritisiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte sowie aktive Arbeitsmarktpolitik. „Damit läuft auch das Gesetz, das extra für diese schwierige Branche gemacht wurde, ins Leere.“ Auch die Gewerkschaft übt Kritik: „Die Arbeitsbedingungen allen voran in der mittelständischen Wirtschaft haben sich in den vergangenen fünf Jahren nicht gebessert“, sagt Thomas Bernhard von der NGG. Teils werde so selten kontrolliert, dass man gar keine Verstöße finden könne.
Dabei macht die Statistik der Regierung selbst klar, dass die Kontrollen nötiger denn je wären. Eine Aufstellung festgesetzter Geldbußen, Geld- und Freiheitsstrafen in der Branche infolge von Kontrollen offenbart viele Treffer. Von 2015 bis 2017 verdoppelten sich die Geldbußen auf 364 500 Euro, die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen in Monaten hat sich sogar mehr als vervierfacht – auf 356 Monate.«
Mehr Verstöße, weniger Kontrollen? Mit dem Gesetz hatte die Politik gerade härteres Durchgreifen signalisiert und gezeigt, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wie sie die Fleischwirtschaft im Jahr 2015 abgegeben hatte, nicht ausreicht, so Balser. Aber das Gegenteil ist offensichtlich eingetreten.
Und abgerundet wird das alles durch Nicht-Wissen: Wie die genaue Situation der Beschäftigten ist, weiß die Regierung offenbar noch immer nicht: „Angaben zu Leiharbeitskräften, Werkvertragsbeschäftigten und entsandten Beschäftigten von ausländischen Subunternehmen … liegen in der Beschäftigungsstatistik nicht vor.“
Einfach nicht hinschauen (lassen). Mehr als nur schade – ein weiteres Beispiel für offensichtliches Staatsversagen.