Lohnentwicklung: Erfreuliche Nachrichten von der Tariffront. Wenn man nicht im tarifpolitischen Niemandsland arbeiten muss

Das hört sich doch erst einmal gut an: Tariflöhne steigen 2018 durchschnittlich um 3,1 Prozent, so hat das WSI-Tarifarchiv seine Zwischenbilanz für das laufende Jahr überschrieben. »Unter Berücksichtigung der im 1. Halbjahr 2018 abgeschlossenen Tarifverträge und der in den Vorjahren für 2018 bereits vereinbarten Tariferhöhungen steigen die Tariflöhne in diesem Jahr um durchschnittlich 3,1 Prozent. Die Tariferhöhungen fallen damit deutlich stärker aus als in den beiden Vorjahren, in denen sie um jeweils 2,4 Prozent zugenommen haben … Bei einem durchschnittlichen Anstieg der Verbraucherpreise von 1,7 Prozent im ersten Halbjahr 2018 ergibt sich demnach ein Reallohnzuwachs von 1,4 Prozent.«

Nun sind die 3,1 Prozent ein Durchschnittswert über alle Branchen, die vom WSI-Tarifarchiv ausgewertet wurden. Da ist zum einen das obere Ende, wo die 3,1 Prozent übertroffen werden: »Besonders hoch fallen die Tarifzuwächse in diesem Jahr in den großen Tarifbranchen aus … Der Spitzenreiter ist dabei das Bauhauptgewerbe mit einer jahresbezogenen Tariferhöhung von 5,2 Prozent. In der Metallindustrie steigen die Tariflöhne um 4,0 Prozent und beim öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) ergibt sich ein durchschnittlicher Zuwachs von 3,4 Prozent.«

Aber es gibt auch das untere Ende. Dort findet man mit 1,3 Prozent in diesem Jahr die Banken und mit 1,8 Prozent die Versicherungen. Zahlreiche andere Branchen bewegen sich in einem schmalen Band zwischen 2,5 bis 2,8 Prozent Nominallohnzuwachs unter dem Durchschnittswert von 3,1 Prozent.

Im 1. Halbjahr 2018 wurden von den DGB-Gewerkschaften für insgesamt etwa 8,5 Millionen Beschäftigte neue Tarifabschlüsse vereinbart. Die durchschnittliche Laufzeit beträgt 26,8 Monate, so dass die große Mehrzahl der Vereinbarungen zweistufige Lohnerhöhungen für 2018 und 2019 vorsieht.

Nun muss man gewisse Einschränkungen bei der Bewertung der Zahlen zur Kenntnis nehmen. Da ist nicht nur die Fortschreibung eines durchschnittlichen Ansteigt der Verbraucherpreise in Höhe von 1,7 Prozent auf das ganze laufende Jahr – das kann auch höher ausfallen. Derzeit liegen wir bei 2 Prozent und das kann sich durchaus stabilisieren, was dann entsprechende Auswirkungen auf die Entwicklung der realen Löhne hätte. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bedeutsamer ist die zweite Einschränkung – hier werden „nur“ die Tarifverdienste betrachtet, was voraussetzt, dass die Arbeitnehmer nach tarifvertraglichen Regelungen vergütet werden. Das aber ist nur für einen Teil der Lohnabhängigen der Fall.

Für rund 43 Prozent der westdeutschen und 56 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer gab es 2017 keinen Tarifvertrag. In Ost- wie in Westdeutschland ist die Tarifbindung seit Jahren rückläufig. Auch wenn dieser Erosionsprozess schleichend verläuft, ist der Trend als solcher eindeutig und hält nach wie vor an. So einige Kernaspekte aus de Beitrag Die Tarifbindung nimmt (weiter) ab und die betriebliche Mitbestimmung verliert (weiter) an Boden, der hier am 24. Mai 2018 veröffentlicht wurde.

Ein Blick auf die Verdienstentwicklung insgesamt, also nicht nur der tarifgebundenen Arbeitnehmer, wird durch die (vierteljährliche) Verdienststatistik des Statistischen Bundesamtes ermöglicht. Der Nominallohnindex umfasst die vollzeit-, teilzeit- und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer. Aus dem Nominallohnindex wird die Veränderung der durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste inklusive der Sonderzahlungen im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich berechnet, aus dem Verbraucherpreisindex die der Preise. Beim Reallohnindex wird die Entwicklung der Verdienste mit der Preisentwicklung korrigiert. Bei einer positiven Veränderungsrate des Reallohnindex sind die Verdienste stärker gestiegen als die Verbraucherpreise, bei einer negativen Veränderungsrate ist es entsprechend umgekehrt.

Nun könnte der eine oder andere auf die durchaus naheliegende Idee kommen, dass die Löhne gerade in Deutschland doch eigentlich noch stärker hätten steigen müssen angesichts der seit Jahren anhaltend guten Arbeitsmarktlage und dem überall beklagten Mangel an Personal. Die nicht vorhandene Tarifbindung in vielen Unternehmen und ganzen Branchen trägt sicherlich dazu bei, dass es „lohnmoderierende“ Effekte gab und gibt. Und wie schwer es in solchen Bereichen ist, auf eine ander Spur zu wechseln, kann man derzeit in der Pflege-, vor allem in der Altenpflege studieren.

Aber es ist nicht nur das. Auch die Deutsche Bundesbank hatte kürzlich eine Studie publiziert, die sich mit diesen Fragen beschäftigt: Lohnwachstum in Deutschland: Einschätzung und Einflussfaktoren der jüngeren Entwicklung, so ist der Beitrag aus dem Monatsbericht April 2018 der Bundesbank überschrieben. Dort findet man diese interessanten Hinweise:

»Mit der raschen gesamtwirtschaftlichen Erholung in Deutschland nach dem Ende der jüngsten Rezession setzte ein kräftiges Beschäftigungswachstum ein. Zudem erreichte die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr den niedrigsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung. Während es in der Anfangsphase der wirtschaftlichen Erholung zu Aufholeffekten bei den nominalen Lohnzuwächsen gekommen war, hielt der Anstieg der Stundenverdienste seit dem Jahr 2014 nicht Schritt mit der anhaltend hohen Arbeitskräftenachfrage. Der Befund einer in den letzten Jahren vergleichsweise moderaten Lohnentwicklung fand auch internationale Beachtung.« Und dann das hier: »Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass die in den vergangenen Jahren hohe arbeitsmarktorientierte Nettomigration vor allem aus anderen EU-Ländern half, die zunehmende Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen. Damit ging eine tendenziell lohndämpfende Wirkung einher. Insgesamt spricht auf Basis der aktuell zur Verfügung stehenden Daten einiges dafür, dass dieser Effekt zu einem Gutteil daher rührt, dass viele zugewanderte Arbeitskräfte ihre Beschäftigung in vergleichsweise niedrig entlohnten Tätigkeitsbereichen beziehungsweise Branchen aufnahmen.«