Das ist mal eine Ansage: Gewerkschaften wehren sich gegen Mindestlohn. »Die Lohnpolitik müsse den Tarifparteien vorbehalten bleiben, stellte die IG Metall klar.« Aber auch der DGB lehnt einen gesetzlichen Mindestlohn ab, kann man dem Artikel entnehmen. Bevor nun die Vertreter des ökonomischen Mainstreams in unserem Land, die immer noch ein manifestes Mindestlohn-Trauma verarbeiten müssen, weil sich die Arbeitsmarktwirklichkeit nicht an ihre negativen Modellprognosen gehalten hat, jubilieren, sei hier auf das Datum der Veröffentlichung des Artikels hingewiesen: 22. August 2004. Also kurz vor der Einführung dessen, was wir seitdem umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnen. Und wenn man sich den Artikel anschaut, dann ist der trotz (bzw. gerade wegen des langen Zeitraums) nicht nur deshalb interessant, weil offensichtlich die Gewerkschaften damals erhebliche Abwehrreflexe hatten gegenüber dem Instrument eines gesetzlichen Mindestlohns, sondern im Kontext der aktuellen Debatte über Hartz IV und Alternativen zum bestehenden Grundsicherungssystem kann man einiges lernen darüber, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt verpassen kann: Der Vorstoß für einen gesetzlichen Mindestlohn kam 2004 vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Mit dieser Begründung, wohlgemerkt 2004:
»Müntefering hatte … gesagt, er sehe in einem Mindestlohn die Möglichkeit, die von den Gewerkschaften so heftig kritisierten Zumutbarkeitsregeln der Hartz-Reform zu entschärfen. Die Politik habe es versäumt, im unteren Lohnbereich für Klarheit zu sorgen, so dass es außerhalb tarifvertraglicher Regelungen zu Dumpinglöhnen komme.«
Aber die Gewerkschaften haben das damals abgeblockt – das kann man rückblickend vor allem dann als kapitaler Fehler einordnen, wenn es gelungen wäre, einen ordentlichen Mindestlohn auch durchzusetzen, was man aber nicht als sicher unterstellen kann. Und um diesen kurzen historischen Ausflug abzurunden – man kann gerade in so aktuell und neu daherkommenden Debatten wie der derzeitigen über Hartz IV eine Menge besser verstehen und ruhiger einordnen, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass bereits damals heute erneut vorgetragene „Reformvorschläge“ präsentiert wurden: In dem Artikel wurde auch Rainer Brüderle von der FDP zitiert, mit diesen Anmerkungen: „Gesetzlich festgelegte Lohnhöhen“ seien natürlich abzulehnen. »Stattdessen müssten Modelle entwickelt werden, die Kombi-Einkommen aus staatlichen Transfers und Lohneinkommen ermöglichen.« Genau das wird auch derzeit wieder in der Hartz IV-Debatte von einigen als Lösung präsentiert.
Nun haben wir seit dem 1. Januar 2015 den gesetzlichen Mindestlohn von anfangs 8,50 Euro und seit dem 1. Januar 2017 von 8,84 Euro pro Stunde als allgemeine Lohnuntergrenze. Und es gibt die alle zwei Jahre wiederkehrende Frage, wie hoch soll er denn angehoben werden.
Die Antwort auf diese hoch relevante Frage, die man sich durchaus vom Bundestag vorstellen könnte, hat der Gesetzgeber gleichsam outgesourct an eine eigene Mindestlohnkommission. Und da es in unserem Land bekanntlich zu allem ein Gesetz gibt, verwundert es nicht, dass auch die Arbeit dieser Kommission im einschlägigen Mindestlohngesetz (MiLoG) geregelt ist. Und wie es sich gehört, gibt es auch noch eine Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission.
Hinsichtlich der vorzunehmenden Anpassung des Mindestlohns findet man im § 9 MiLoG diese Formulierung:
»Die Mindestlohnkommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung.«
Der letzte Passus, die „Orientierung“ an der Tarifentwicklung, ist der Schlüssel für das Verständnis der bisherigen Anhebung – und der bevorstehenden. Dazu lohnt ein Blick in die bereits erwähnte Geschäftsordnung der Kommission, denn dort wird im § 3 Absatz 1 GO unter der Überschrift „Beschlussfassung über die Anpassung des Mindestlohns nach § 9 MiLoG“ eine Konkretisierung vorgenommen, die man zur Kenntnis nehmen muss, vor allem, wenn man Hoffnungen auf eine deutliche Anhebung des Mindestlohnes hat:
»Die MLK orientiert sich nach § 9 Absatz 2 MiLoG bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung, um die in § 9 Absatz 2 genannten Ziele zu erreichen. Sie setzt die Anpassung des Mindestlohns ab dem Jahr 2018 im Regelfall gemäß der Entwicklung des Tarifindex des Statistischen Bundesamtes ohne Sonderzahlungen auf Basis der Stundenverdienste in den beiden vorhergehenden Kalenderjahren fest.«
Die Optimisten unter den Lesern werden jetzt einwenden, da steht doch aber „im Regelfall“, dann kann es ja auch mal eine Ausnahme geben. Also lesen wir weiter – im Absatz 2 finden wir diese Handlungsvorschrift:
»Von diesem Prinzip kann die MLK mit 2/3-Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder abweichen …«
Die Bedeutung dieser Regelung wird verständlich, wenn man weiß, dass die Mindestlohnkommission aus einem Vorsitzenden und sechs stimmberechtigten ständigen Mitgliedern besteht. Und woher kommen die? Drei werden von den Arbeitgebern gestellt, drei von den Gewerkschaften. Jetzt muss man nur noch rechnen vor dem Hintergrund der 2/3-Anforderung für eine Abweichung von der „normalen“ Anpassungsvorschrift. Wenn die Arbeitgeberseite nicht will, dann läuft da gar nichts. Und die werden nicht wollen.
Also wird es eine „normale“ Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2019 geben. Ein Fazit dazu habe ich bereits am 16. Juni 2016 in dem Beitrag Seine Anhebung als Gesamtabwägung oder Excel-Aufgabe. Bei Langzeitarbeitslosen läuft es nicht. Und dann auch noch der „Praktikumskiller“. Die Rede ist vom gesetzlichen Mindestlohn so formuliert:
»Wenn man den gesetzlichen Auftrag aber so kleinteilig auslegt, dann spricht alles für den Ersatz dieser Kommission durch eine Excel-Tabelle. Die enthält den Tarifindex und den liefern die Bundesstatistiker. Man müsste einfach die Werte eingeben und gut ist. Die Reisekosten und die Geschäftsstelle der Kommission ließen sich einsparen.«
Und am 29. Juni 2016 wurde hier in diesem Beitrag nachgelegt: Der gesetzliche Mindestlohn und seine rechnerische Zähmung. Dort wurde beschrieben, wie die Kommission im Sommer 2016 zu der Mindestlohnanpassung gekommen ist, die dann ab dem 1.1.2017 mit 8,84 Euro pro Stunde in Kraft getreten ist. Und in dem Beschluss der Mindestlohnkommission nach § 9 MiLoG vom 28. Juni 2016 findet sich sogar eine Festlegung für die nun im Sommer 2018 anstehende Entscheidung einer Anhebung des Mindestlohns – Hintergrund war die Tatsache, dass es eigentlich nur 8,77 Euro hätten werden dürfen, man aber den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst, der noch nicht in den Zahlen der Bundesstatistiker eingeflossen war, berücksichtigt hat, so dass man auf die 8,84 Euro gekommen ist. Das wird jetzt aber wieder „abgezogen“:
»Für die bis zum 30. Juni 2018 mit Wirkung zum 1. Januar 2019 vorzunehmende Anpassungsentscheidung stellt die Mindestlohnkommission fest, dass die Tarifsteigerung seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes bis zum 30. Juni 2016 gemäß der Entwicklung des Tarifindex des Statistischen Bundesamtes ohne Sonderzahlungen auf Basis der Stundenverdienste ohne die Tarifvereinbarung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes 3,2 Prozent beträgt. Das entspricht einem Betrag von 8,77 Euro. Dieser ist für die Anpassungsentscheidung in 2018 mit Wirkung zum 1. Januar 2019 als Basis zugrunde zu legen, damit die Tarifsteigerung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht doppelt in die Anpassung einfließt.«
Alles klar? Das bedeutet: Wenn Ende Juni 2018 festgestellt wird, dass der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes beispielsweise um 4 Prozent gestiegen ist in den zurückliegenden zwei Jahren, dann wird der Mindestlohn nicht um 4 Prozent von 8,84 Euro erhöht, sondern nur um 4 Prozent von 8,77 Euro.
Ich kann ja auch nichts dafür, dass das wenig vergnügungssteuerpflichtig rüberkommt.
Wenn man bis hierher durchgehalten hat, dann kann man den folgenden Artikel auch besser einordnen, bei dem der eine oder andere denken würde, ob die eine Glaskugel haben: Mindestlohn soll 2019 leicht steigen, so Alfons Frese bereits im Februar 2018: »Wenn es allein nach der Statistik geht, dann steigt der Mindestlohn im kommenden Jahr auf 9,19 Euro.« Denn der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes »hat sich in den vergangenen zwei Jahren so entwickelt, dass sich der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro auf 9,19 Euro zum Januar 2019 erhöhen müsste.«
Vor diesem Hintergrund muss man sich dann entspannt zurücklehnen, wenn man solche Meldungen serviert bekommt, die von vielen anderen sicher mit Glaube und Hoffnung verbunden werden: DGB will deutlich höheren Mindestlohn: „Wir haben aktuell eine exorbitant gute wirtschaftliche Situation und einen extrem stabilen Arbeitsmarkt. Wir können uns auf einen höheren Mindestlohn einigen als die 9,19 Euro, die sich aus der Entwicklung der Löhne ergeben“, wird der DBG-Vorsitzende Reiner Hoffmann zitiert.
Das kann man sich wünschen, aber Wünsche werden bekanntlich oft nicht realisiert. Dazu Alfons Frese in seinem Artikel mit Blick auf das Arbeitgeberlager:
„Wir brauchen beim Mindestlohn keinen öffentlichen Überbietungswettbewerb“, hält Steffen Kampeter dagegen, der als Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände in der Mindestlohnkommission sitzt. Wer die Orientierung am Tarifindex in Frage stelle und „die Mindestlöhne durch eine öffentliche Debatte politisiert, gefährdet Spielregeln“.
Vor diesem Hintergrund sind dann auch solche Forderung wohlfeil, die bereits Ende des Jahres von einer Person vorgetragen wurde, die nunmehr zum Vizekanzler und Bundesfinanzminister aufgestiegen ist – Olaf Scholz: Scholz will Mindestlohn auf 12 Euro anheben. „Wir sollten den Mindestlohn in einem überschaubaren Zeitraum auf zwölf Euro pro Stunde anheben“, so wird er dort zitiert. Die Lohngrenze müsse künftig hoch genug sein, damit niemand, der Vollzeit arbeite, im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen sei. „Man kann für Wachstum und technischen Fortschritt sein und zugleich für einen starken Sozialstaat mit ordentlichen Löhnen“, so Scholz.
Nett gebrüllt – oder „dicke Backen machen“, so könnte man das bilanzieren. Immerhin war es die alten und nunmehr reanimierte neue Große Koalition, die unter Federführung der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) das Mindestlohngesetz geschaffen hat. Und die Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission. Die solche Forderungen als das entlarven, was sie sind – wohlfeiles Getue mit dem sicheren Wissen, dass es nicht kommen wird.
Natürlich gibt es eine Vielzahl an Argumenten, warum der gesetzliche Mindestlohn spürbar höher liegen müsste – aber vielleicht ist es ja unterm Strich ganz gut so, dass es eine eingebaute Handbremse gegen solche Phantasien gibt. Zu diesem Eindruck könnte man kommen, wenn man sich diese Ausarbeitung des zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) anschaut, die gerade veröffentlicht wurde: Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, so trocken haben Mario Bossler und Joachim Möller ihre Stellungnahme an die Mindestlohnkommission überschrieben. Da sind wir aber gespannt:
Der von allen zu beobachtende Aufwuchs an Beschäftigung zeige »zumindest, dass der allgemeine gesetzliche Mindestlohn einer weiteren positiven Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht entgegenstand«, so die Wissenschaftler (und schon in der Wortwahl die in der Gruppe der Mainstream-Ökonomen anscheinend genetisch verankerte Skepsis hinsichtlich der Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohns ausdrückend). Auch sie bilanzieren:
»Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es durch den Mindestlohn kaum zu negativen Externalitäten in Bezug auf die Beschäftigung gekommen ist und sich damit die Befürchtungen einiger Ökonomen im Vorfeld der Mindestlohneinführung nicht bestätigt haben.«
Natürlich wird der eine oder fragen, wie es denn dazu hat nicht kommen können. Dazu wie die Kopie aus einem volkswirtschaftlichen Lehrbuch, dessen Verfasser nicht vernagelt herumläuft:
»Insgesamt entsprechen die Befunde nicht dem, was bei einer rein neoklassischen Sicht auf den Arbeitsmarkt zu erwarten gewesen wäre. Demnach hätte ein bindender Mindestlohn zu einem flächendeckenden Beschäftigungsabbau führen müssen. Wenn ohne gesetzliche Lohnuntergrenze Beschäftigte nach ihrem Wertgrenzprodukt bezahlt werden und die Produktivität vom Mindestlohn nicht beeinflusst wird, hätten überall dort, wo der Mindestlohn greift, Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren müssen. Da dies offensichtlich nicht der Fall war, sprechen die Ergebnisse dafür, dass der Arbeitsmarkt nicht wie ein reiner Wettbewerbsmarkt funktioniert, sondern durch Informationsasymmetrien, Marktmacht und andere Unvollkommenheiten gekennzeichnet ist.«
So ist er, „der“ Arbeitsmarkt, den es sowieso nicht gibt, sondern eine Vielzahl an Teilarbeitsmärkten. Mit ungleicher Informationsverteilung, mit Marktmacht und „Unvollkommenheiten“, was der Lehrbuch-Ökonom alter Schule gar nicht mag. Verunreinigungen des Modells.
Dann aber stoßen wir in der Zusammenfassung auf diesen Passus und der macht Hoffnung:
»Eine gesetzliche Lohnuntergrenze kann eine unausgewogene Verteilung der Marktmacht korrigieren, ohne dass es zu nennenswerten Beschäftigungseinbußen kommt. Eine solche Situation ist insbesondere dort zu erwarten, wo eine geringe Tarifabdeckung und starke Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind und demnach Beschäftigte unter ihrem Wertgrenzprodukt bezahlt werden.«
Endlich. Licht am Ende des Tunnels der Vorbehalte. Wenn nicht sogleich wieder das hier nachgeschoben wird:
»Wenn allerdings der Mindestlohn sehr hoch angesetzt wird, sodass es zu übermäßigen Lohnersteigerungen kommt, kann der fiktive Marktgleichgewichtspunkt überschritten werden. Dann sind in der Tat signifikante Jobverluste nicht auszuschließen.«
Sie können dann doch nicht von ihrer Sozialisation lassen. Man muss diesem Instrument Mindestlohn wie einem potenziell bösartigen Tier begegnen. Es könnte irgendwann dann doch zubeißen.
Aber es geht ja bei den Stellungnahmen wie der des IAB um die für den Sommer 2018 anstehende Aufgabe, einen Anpassungsbeschluss zu machen (der, wie hier gezeigt wurde, doch schon längst gefallen ist). Und jetzt werden die IAB-Wissenschaftler etwas konkreter und wieder keimt die Hoffnung:
»Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisinterpretation wäre es wenig wahrscheinlich, dass von einer weiteren Anhebung des Mindestlohns ein markanter negativer Beschäftigungseffekt ausgehen würde, selbst wenn diese über der allgemeinen Lohnentwicklung liegen würde. Für ein solches Vorgehen könnte auch die Tatsache angeführt werden, dass sich in jüngster Zeit Jobs in Niedriglohnbranchen wie dem Hotel- und Gaststättenbereich oder der Logistik vergleichsweise positiv entwickelt haben.«
Eben, das würde für einen ordentlichen Schluck aus der Pulle sprechen. Aber das Bedenkenträgertum entfaltete sofort seine Korrekturkraft, nach diesem fast schon eruptiven Ausbruch in eine bessere Mindestlohnwelt und wir werden wieder runtergeholt, denn man sollte nur „sehr maßvoll“ von einer Erhöhung Gebrauch machen:
»Die Arbeitsmärkte unterscheiden sich zwischen Ost- und Westdeutschland weiterhin beträchtlich. Es steht zu befürchten, dass insbesondere in den peripheren Regionen Ostdeutschlands sich ungünstige Beschäftigungsentwicklungen verstärken könnten. Mögliche Abhilfe könnte ein gespaltener Mindestlohn schaffen. Ein gespaltener Mindestlohn würde jedoch die Komplexität des Regelwerks erhöhen und zudem den politischen Bestrebungen einer Angleichung des Lohnniveaus zwischen Ost- und Westdeutschland zuwider laufen. Er erscheint deshalb nicht als ein gangbarer Weg. Ein einheitlicher Mindestlohn erfordert aber nach dem Geleitzugprinzip die Rücksichtnahme auf die schwächsten Glieder.
Ein weiteres Argument gegen eine deutlichere Mindestlohnerhöhung ist die Unsicherheit über Effekte des Mindestlohns bei einer potentiell schwächeren Arbeitsmarktentwicklung. Alle vorliegenden Ergebnisse über die (weitgehende) Beschäftigungsunschädlichkeit des Mindestlohns sind vor dem Hintergrund der aktuellen positiven Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung zu sehen. Sie geben keinen Aufschluss über Effekte des Mindestlohns bei einem Abschwung.«
Gerade der letzte Punkt wird immer wieder gerne von den Ökonomen verwendet, die in der Vergangenheit voll daneben gelegen haben mit ihren „Jobkiller“-Prognosen und die nun darauf hinweisen, es könnte aber mal ein Problem geben mit diesem Mindestlohn, wenn wir eine Krise bekommen. Das ist natürlich, wenn man das ernsthaft berücksichtigen würde, ein Totschlagargument nach dem Motto, ich mache heute etwas nicht, weil es mal Zeiten geben könnte, wo man das tatsächlich nicht machen sollte
Außerdem was soll das heute? Im Mindestlohngesetz steht doch im bereits zitierten § 9 MiLoG, dass eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist, die u.a. berücksichtigen soll, »Beschäftigung nicht zu gefährden«. Übrigens nirgendwo steht dort geschrieben, dass es nicht auch mal eine hypothetische Situation geben kann, in der der gesetzliche Mindestlohn abgesenkt werden muss, um das Ziel, Beschäftigung nicht zu gefährden, nicht zu verletzen.
Aber letztendlich sind alle diese Forderung und wohlabgewogenen Betrachtungen des Mindestlohns zumindest hinsichtlich der anstehenden Anpassung – wie wir gesehen haben – Makulatur. Man hat sich in der Vergangenheit ziemlich krass selbst eingemauert und im bestehenden System gibt es keinen erkennbaren Notausgang. Aber Hand aufs Herz: Die Bundesregierung ist doch froh, dass sie nicht explizit über die Höhe des Mindestlohnes entscheiden muss, sondern das an eine Kommission delegiert hat, die gar nicht anders kann, als die Excel-Tabelle mit zur Sitzung zu bringen, auf der unten der Anpassungsbetrag steht. Die haben ja noch nicht einmal die Freiheitsgrade (und auch nicht die Kraft), aus einer statistisch korrekt berechneten krummen Zahl wie beispielsweise 8,84 Euro eine 8,90 oder noch besser wirkend eine glatte 9 Euro zu machen.