Der Hartz IV-Satz ist nun wirklich knapp bemessen. Nicht nur, aber vor allem das, was man den Kindern zugesteht, ist nach Auffassung vieler Experten deutlich zu niedrig dimensioniert. Für ein Kind bis zum 6. Lebensjahr stehen pro Tag knapp 8 Euro zur Verfügung, mit der neben den separaten angemessenen Kosten der Unterkunft alle Ausgaben für das Kind abgedeckt werden müssen. Und die Kinder leiden auch unter den Sanktionen, die gegen einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verhängt werden, weil sie mit ihm in einem Haushalt leben. Auf der Grundlage einer Sonderauswertung von Daten der Bundesagentur für Arbeit hat sich O-Ton Arbeitsmarkt einmal genauer das Sanktionsgeschehen angeschaut, von dem Familien mit Kindern betroffen sind. Hartz-IV-Sanktionen machen auch vor Kindern nicht Halt, so ist der entsprechende Bericht über die Ergebnisse der Datenauswertung überschrieben: »43.000 Hartz-IV-Empfängern mit Kindern haben die Jobcenter 2015 im Monatsdurchschnitt die Leistungen gekürzt, darunter 14.000 Alleinerziehende. 2.600 Betroffene mit Kindern wurden voll sanktioniert.«
Wenn man die folgenden Ausführungen liest, sollte man bedenken, dass wir hier über das staatlich (eigentlich) garantierte Existenzminimum reden, das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Februar 2010 als „dem Grunde nach unverfügbares Grundrecht“ der Menschen bezeichnet worden ist:
»Im Durchschnitt des Jahres 2015 gab es monatlich 42.700 sanktionierte Hartz-IV-Empfänger, die mit Kindern in einem Haushalt lebten, 13.600 von ihnen waren Alleinerziehende. Bei minderjährigen Kindern im Haushalt muss das Jobcenter allerdings bereits ab einer dreißigprozentigen Kürzung Lebensmittelgutscheine ausgeben.
2.600 aller Betroffenen mit Kindern und 220 der betroffenen Alleinerziehenden waren im Durchschnitt jeden Monat des Jahres 2015 vollsanktioniert. Sie erhielten gar keine Zahlung mehr. Bei vollen Sanktionen sind auch Miet- und Heizkosten eingeschlossen.«
Insgesamt wurden ab 2010 aber deutlich mehr Menschen, darunter auch solche mit Kindern, sanktioniert und auch mehr Sanktionen ausgesprochen, als in den Jahren zuvor – und das, obwohl die Zahl der Hartz-IV-Bezieher insgesamt sank, berichtet O-Ton Arbeitsmarkt.
Eva Roth berichtet darüber in ihrem Artikel Jobcenter kürzen Zehntausenden Familien Hartz-IV-Zahlungen. Dort wird auch der Aspekt angesprochen, dass im Fall einer Sanktionierung beispielsweise einer Alleinerziehenden auch das Kind oder die Kinder, die im Haushalt der Alleinerziehenden leben, unter der Maßnahme zu leiden haben, obgleich sie nun wirklich nichts dafür können. Dem Gesetzgeber ist dieses Dilemma durchaus bewusst, was man am § 31a SGB II (Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen) ablesen kann. Dort heißt es: »Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Träger hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben.«
Die Rechtsprechung hat schon früh ein Verbot der Sippenhaftung konstituiert, vgl. dazu beispielsweise die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 8. Juli 2009, (AZ L 6 AS 335/09 B ER):
1. Ein Abweichen von dem Grundsatz, dass die Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen nach Kopfzahl erfolgt, ist bei Wegfall des Arbeitslosengeldes II eines unter 25jährigen Hilfebedürftigen wegen wiederholter Pflichtverletzung jedenfalls dann geboten, wenn dieser in einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Geschwistern lebt.
2. In diesem Fall sind die Unterkunftskosten in voller Höhe den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu erbringen, da diese ansonsten unzulässig in „Sippenhaftung“ genommen würden mit der Folge drohenden Wohnungsverlusts.
Der verzweifelte Versuch, das Verbot der Sippenhaftung umzusetzen, wird dann noch deutlicher in der Regelung, was zu tun ist, wenn beispielsweise die Alleinerziehende vollsanktioniert wird, denn dann entfällt ja auch die Übernahme der Kosten einer angemessenen Unterkunft. Nur lebt ja das Kind auch in der Wohnung des Sanktionsbetroffenen. Im § 31 a SGB II heißt es dazu: »Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs soll das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden.« Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Aber es heißt auch „soll“ und im Ernstfall müsste das Jobcenter das erst einmal veranlassen, wenn die Unterkunftskosten bislang an die Sanktionierte ausgezahlt worden sind.
Hinsichtlich der Schlussfolgerungen heißt es: »Stefan Sell hält die Sanktionspraxis der Jobcenter prinzipiell für fragwürdig. Bei der staatlichen Grundsicherung gehe es um ein Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums. »Wie kann das unterschritten oder gar vollständig entzogen werden?« Es werde Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht abschließend kläre, ob die Sanktionen zulässig sind,« so Eva Roth in ihrem Artikel. Und der Bundesverfassungsgericht wird die Frage klären müssen, on die Sanktionen in der Grundsicherung verfassungskonform sind oder eben nicht (vgl. dazu die Beiträge Sanktionen und Mehrfachsanktionen gegen das Existenzminimum der Menschen in der Willkürzone und der Hinweis auf ein (eigentlich) unverfügbares Grundrecht vom 3. November 2016 sowie Sie lassen nicht locker: Sozialrichter aus Gotha legen dem Bundesverfassungsgericht erneut die Sanktionen im SGB II vor vom 2. August 2016).
Dieser Beitrag wurde mit den Kindern begonnen, also sollen sie auch am Ende wieder aufgerufen werden. Man muss diese Dinge immer im Gesamtkontext sehen. Gleichsam völlig kontrafaktisch zu dem Durchgriff des Sanktionsregimes auch auf die Kinder stehen dann solche Meldungen: Kinder, die arm sind, sind auch viel häufiger krank / Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin fordert politisches Handeln: Alle müssen an einem Strang ziehen. In kaum einem anderen industrialisierten Land besteht zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen solch ein enger Zusammenhang wie in Deutschland. Und das mit gravierenden Folgen für jedes einzelne Kind bis hin zu einer erhöhten Kindersterblichkeit, so das mehr als ernüchternde Fazit von Dr. Christian Fricke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) und Ärztlicher Leiter des Werner Otto Instituts in Hamburg.
»Obwohl arme Kinder häufiger krank werden, erhalten sie seltener Medikamente als Mittel- und Oberschichtkinder. Etwa acht Euro pro Monat sieht der Hartz-IV-Regelsatz für die „Gesundheitspflege“ eines Kindes vor … Arme Kinder essen auch ungesünder … So leiden in der Altersgruppe der 11- bis 13-Jährigen weniger als vier von hundert Kindern mit hohem Sozialstatus unter krankhaftem Übergewicht, bei Gleichaltrigen mit dem niedrigsten Status sind es mehr als dreimal so viele. Familien von Kindern mit chronischen Erkrankungen sehen zu über 50% die Ursache für ökomische Probleme in der Erkrankung des Kindes. Auch ADHS kommt im Kontext mit Armut gehäuft vor.« Man könnte die Liste der erschreckenden Befunde über die zerstörerischen Auswirkungen der Armut, in der Kinder leben müssen, beliebig verlängern. Wenn das so ist – kann man dann ernsthaft Kinder den Folgen eines Sanktionsregimes aussetzen, das die kargen Rationen auch noch kürzt?