Schon seit längerem wird immer wieder darüber berichtet, dass zahlreiche Unternehmen Werkverträge nutzen, um weit mehr oder anderes zu tun, als was normalerweise der Sinn der Inanspruchnahme von Werkverträgen ist. Also nicht nur die Nutzung von externen Unternehmen mit deren Beschäftigten, um in einem abgrenzbaren „Betrieb im Betrieb“ bestimmte Aufgaben zu erledigen, die nichts mit den Kernprozessen des Unternehmens zu tun haben. Klassische Beispiele wäre der Betrieb der Betriebskantine durch ein Catering-Unternehmen oder die Beauftragung eines Handwerksunternehmens mit der Durchführung bestimmter Reparaturen. Das ist gängig und ein ganz normales Geschäftsgebaren in der heutigen hoch arbeitsteiligen Welt. Und insofern kein Problem.
Problematisch wird die Sache mit den Werk- und Dienstverträgen dann, wenn sie instrumentalisiert werden für ganz andere Zwecke, beispielsweise für Bypass-Strategien der Arbeitgeber, die in den vergangenen Jahren beispielsweise mit einer Re-Regulierung der Leiharbeit konfrontiert wurden, die diese verteuert hat, was bei denen, die Leiharbeit für Lohndumping verwendet haben, zur Suche nach Alternativen geführt hat. Und die wurden dann oftmals bei Werkvertragsunternehmen fündig. Gegen die offensichtlich missbräuchlichen Ausgestaltungen hier und da hat sich in den vergangenen Jahren ein enormer Druck aufgebaut, verstärkt durch zahlreiche Medienberichte, mit der Folge, dass die große Koalition – eigentlich – vereinbart hatte, auch den Bereich der Werkverträge, vor allem die Schnittstelle zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung, gesetzgeberisch zu regeln. Das Bundesarbeitsministerium hat zwischenzeitlich auch geliefert, erst einen Entwurf, der auf heftigsten Widerstand gestoßen ist, dann einen weichgespülten Entwurf, der – eigentlich – von Arbeitgebern und Gewerkschaften mitgetragen wurde (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen zähneknirschend), um dann an der CSU in der Koalition abzuprallen, die aus welchen niederen taktischen Motiven auch immer die Reißleine gezogen hat, so dass das alles derzeit auf Eis liegt in Berlin.
Die Gewerkschaften müssen erkennen, dass es ihnen wahrscheinlich nicht gelingen wird, analog zum Prozess der Re-Regulierung der Leiharbeit eine vergleichbare politische Einhegung der zudem wesentlich komplexer ausgestalteten Werkverträge zu erreichen. Das liegt nicht nur an den Widerständen im politischen Raum, sondern auch und gerade an der Vielgestaltigkeit von Werkverträgen und vor allem an den hier relevanten Schnittstellen zur Definition von Arbeitnehmern und Selbständigen – und gerade dieser Definitionsversuch hat ja massive Widerstände mobilisiert, man schaue sich beispielsweise die Kampagne des Verbandes der Gründer und Selbständigen Deutschland (VGSD) gegen die Scheinselbständigkeitsdefinition. Aus gewerkschaftlicher Perspektive relevant für eine eher frustrierte Bewertung des gesetzgeberischen Prozesses, selbst wenn er aus der derzeitigen Blockade befreit werden ist die Tatsache, dass die von ihnen geforderten Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte beim Einsatz von Werkverträgen nicht kommen werden.
Mittlerweile werden in der betrieblichen Praxis immer weitere Fakten geschaffen – die Werkvertragsfirmen dringen von den Rändern immer stärker in die Kernprozesse der Industrieunternehmen vor und setzen damit natürlich die Stammbelegschaften auch immer stärker unter Druck. Gerade für die in diesem Bereich gut organisierte IG Metall wird das zu einer existenziellen Herausforderung, denn entweder sind die Beschäftigten der Werkvertragsunternehmen gar nicht gewerkschaftlich organisiert und haben noch nicht einmal betriebliche Mitbestimmungsstrukturen, oder sie arbeiten zu deutlich schlechteren Tarifbedingungen, da sie formal als „Kontraktlogistiker“ geführt werden , für die dann die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zuständig ist.
Wobei der Begriff „Kontraktlogistik“ aus Sicht der Metall-Gewerkschaft zunehmend problematisch bis irreführend wird: Vor allem dann, wenn es bei einem „Logistikunternehmen“ eben nicht nur darum geht, Ware an die Pforten irgendeines Lagers zu fahren, sondern Tätigkeiten innerhalb des beauftragenden Unternehmens auszuüben. Und genau so sieht es in der Automobilindustrie mittlerweile aus, wenn man der Argumentation der Gewerkschaften folgt:
»Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«
Auf diese grundsätzliche Herausforderung durch das sukzessive Vordringen der Fremdfirmen in Kernprozesse der Unternehmen hat die IG Metall strategisch geantwortet, was sich abbilden lässt in der Beschreibung einer „doppelten Tariffrage“ (vgl. dazu bereits meinen Beitrag Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall vom 24. September 2015):
Wenn der Druck auf die Stammbelegschaften durch die immer stärkere Ausbreitung der Werkverträge in den Kernbereich hinein steigt, dann muss man eben die eigene Tarifpolitik auf diese vor- und nachgelagerten Bereiche ausdehnen, um das tarifpolitisch wieder in Griff zu bekommen.
Genau hier aber tut sich eine zweite Tariffrage auf. Gemeint ist die Tatsache, dass viele der Werkvertragsunternehmen der Logistik-Branche zugeordnet sind und hier gilt die Zuständigkeit einer anderen Gewerkschaft – von Verdi. Und da gibt es zunehmend Konflikte, denn die IG Metall muss immer stärker diese Zuständigkeitsgrenze überschreiten, um die ganze Wertschöpfungskette wieder unter ihr Dach zu bekommen. Das führt zu handfesten Konflikten – vgl. dazu schon den Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive vom 3. September 2014.
Erschwerend und vor allem mit Blick auf die Zukunft kommt eine Art „dritte Tariffrage“ hinzu, denn man kann durchaus plausibel annehmen, dass auch die Gewerkschaften einen Preis werden zahlen müssen, wenn es ihnen gelingt, immer stärker in die der eigentlichen Kernproduktion vor- und nachgelagerten und an Drittfirmen ausgelagerten Bereiche vorzustoßen und die dort tätigen Arbeitnehmer zu organisieren. Man wird sie unter das Tarifdach der IG Metall bekommen, aber es muss damit gerechnet werden, dass es zugleich eine Tarifauffächerung unter dem großen Dach der Gewerkschaft geben wird, dass also die „Neuen“ nicht die gleichen „alten“ Tarife bekommen werden wie beispielsweise die Stammbelegschaften in den Autowerken.
Diese Aspekt wurde auch angesprochen in einer neuen Studie, die sich mit den Werkverträgen im Bereich der IG Metall beschäftigt:
Tim Obermeier und Stefan Sell: Werkverträge entlang der Wertschöpfungskette. Zwischen unproblematischer Normalität und problematischer Instrumentalisierung, Düsseldorf: Hans Böckler Stiftung, 2016
Dort findet man den folgenden Passus:
»Hinsichtlich der tarifpolitischen Konsequenzen kann man heute schon beobachten, dass die Bemühungen seitens der Gewerkschaften in Richtung eines Drei-Stufen-Modells gehen, mit dem man versucht, der Fragmentierung der Belegschaften (und der Prozesse) Paroli bieten zu können. Auf einer ersten Ebene geht es um strategische Organizing-Prozesse in den betroffenen Werkvertragsunternehmen in Verbindung mit der Installierung von Betriebsräten. Auf einer zweiten Ebene steht dann die tarifvertragliche Landnahme, wobei aber bisher in aller Regel Tarifwerke zur Anwendung kommen, die nach unten abweichen von dem, was für die Insider gilt, die dem „klassischen“ Tarif im engeren Sinne unterliegen. Die dritte Ebene wird derzeit, wenn überhaupt, als Zielgröße ausgewiesen: Die Angleichung der Tarifbedingungen an die des Flächentarifvertrags. Ob dieser Schritt gelingen kann, ist aus systemischen Gründen mit einem Fragezeichen zu versehen. Möglicherweise wird die tarifliche „Rückgewinnung“ der ausgelagerten Bereiche einen Preis haben, der so aussieht, dass man mit unterschiedlich dimensionierten Tarifen unter einem Dach operieren muss, um das von der Arbeitgeberseite geforderte Kostendifferenzial teilweise realisieren zu können, aber auch, um als Gewerkschaft seine Handlungsfähigkeit in der gesamten Wertschöpfungskette zu erhalten bzw. zu festigen … Mit dem Abschluss von Tarifverträgen hätten die Gewerkschaften dann die Hand im Spiel und könnten dafür sorgen, Korridore nach oben zu ermöglichen, stehen jedoch vor der Herausforderung, diese neue Pluralität im Sinne der Beschäftigten zu managen.« (Obermeier/Sell 2016: 46)
Und derzeit sind wir in mittendrin in der Phase, die man ohne Übertreibung als „Häuserkampf“ der IG Metall um die Belegschaften in den Werkvertragsfirmen bezeichnen kann und muss. Das ist weitaus mehr Arbeit und Kampf, als es trocken geschriebene Zeilen auch nur andeuten können. Aber es kommt ganz praktisch dabei was raus, vor allem für Beschäftigten. Dazu ein aktuelles Beispiel, über das die IG Metall unter der Überschrift Kontraktlogistiker setzen Tarifvertrag durch berichtet. Die Kurzfassung geht so:
»Die Beschäftigten von Rhenus Contract Logistics in Stuttgart traten in die IG Metall ein, drohten mit Warnstreik – und gewannen. Jetzt haben sie rund 400 Euro mehr im Geldbeutel und ein Recht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.«
Das Unternehmen ist eine Werkvertragsfirma bei Daimler in Stuttgart. Die Rhenus-Beschäftigten versorgen die Montagebänder im Daimler-Getriebewerk Stuttgart-Hedelfingen mit Teilen, Seite an Seite mit Daimler-Beschäftigten. Alles fing damit an, dass Betriebsräte von Daimler mit dem Betriebsrat der Werkvertragsfirma ins Gespräch kamen und sie an einen Tisch mit der IG Metall brachten. Innerhalb weniger Monate sind 270 der 430 Rhenus-Beschäftigten und viele der 160 Leiharbeiter in die IG Metall eingetreten – das war die Voraussetzung, eine neue tarifvertragliche Regulierung unter dem Dach der IG Metall durchzusetzen.
Man hat dann im vergangenen Jahr mit dem Unternehmen verhandelt. »Den Tarifabschluss erzielte die Verhandlungskommission Mitte Dezember. Die Vorbereitung für einen Warnstreik lief schon. Der Warnstreik hätte die Bänder bei Daimler nach einer halben Stunde zum Stehen gebracht.« Geholfen haben neben der Verbindung zu den Stammbeschäftigten bei Daimler über deren Betriebsrat auch die Tatsache: „… dass es in der Vergangenheit bereits kritische Medienberichte über schlecht bezahlte Werkvertragsarbeit bei Daimler gab“, wird Uwe Meinhardt, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Stuttgart, zitiert.
»Unter dem Druck lenkte die Arbeitgeberseite schließlich ein. Die Rhenus-Beschäftigten haben nun tariflich gesichert 400 bis 500 Euro mehr als früher, als sie noch als „Logistiker“ bezahlt wurden. Und ihr Beispiel macht Schule: Die Belegschaften weiterer Kontraktlogistiker bei Daimler wenden sich nun ebenfalls an die IG Metall Stuttgart.«
Wenn Theorie und Praxis Hand in Hand gehen, dann kommt für die Beschäftigten auch was raus. Und für die IG Metall wird sich diese Strategie mittel- und langfristig mehr auszahlen als das (vergebliche) Hoffen auf die Berliner Politik- und Gesetzgebungsmaschinerie.