Arbeitswelten: In der Fleischindustrie ist alles besser geworden! Wirklich? Und beim Daimler sprudeln die Gewinne – und die Fremdvergabe boomt

Viele werden sich erinnern an die Reportagen, Dokumentationen und Artikel, in denen die Verhältnisse im „Billigschlachthaus“ Deutschland angeprangert wurden, vor allem die Ausbeutung osteuropäischer Werkvertragsarbeiter, nicht nur hinsichtlich einer extrem niedrigen Bezahlung, sondern auch angesichts teilweise nur noch als kriminell zu bezeichnender Unterbringungsverhältnisse. Und keiner möge behaupten, dass mediale Berichterstattung nichts verändern kann – sie kann Druck aufbauen, Politiker zum Jagen tragen, Verbesserungen auslösen. Das war gerade in dieser Schmuddel-Branche der Fall (vgl. dazu auch den Beitrag Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist vom 15.11.2014). Zugleich lehrt die Erfahrung, dass man immer wieder die Dinge auf Wiedervorlage legen muss, um nachzuschauen, ob die Veränderungen nur angekündigt oder temporärer Natur waren und sich zwischenzeitlich eventuell die alten Verhältnisse wieder eingestellt haben. »Etwa ein Jahr ist es her, dass die Fleischbranche feierlich Besserung gelobte: Die Ausbeutung osteuropäischer Billiglöhner, von Subunternehmen in die Schlachthöfe geschickt, sollte ein Ende haben, ebenso die Unterbringung der Menschen in Schrottimmobilien zu Wuchermieten.« So beginnt ein Artikel von Karl Doeleke, mit der allerdings die Hoffnungen relativierenden Überschrift Zweifel an Reformen in der Fleischindustrie. Damals wurde ein Verhaltenskodex der Fleischwirtschaft ins Leben gerufen, der auch Mindestlohn und soziale Standards für Wohnungen regelt. Überwacht werden soll der von unabhängigen Wirtschaftsprüfern. Hört sich gut an. Nun aber hat die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ das gemacht, was bereits angedeutet wurde – den Sachverhalt nicht nur auf Wiedervorlage legen, sondern ihn auch mit Leben füllen, in dem einige scheinbar einfache Fragen gestellt werden: Werden die Regeln im Kodex alle umgesetzt? Welche Schlachtkonzerne verpflichten ihre Subunternehmer dazu? Wie wird die Einhaltung überwacht? Die Antworten darauf fielen sparsam aus. Dabei ist „sparsam“ noch eine echte Untertreibung:

»Bislang hat der Verband der Fleischwirtschaft nie eine Liste veröffentlicht, aus der hervorgeht, wer den Verhaltenskodex unterzeichnet hat. Nach der Anfrage der HAZ braucht es Wochen, bis die Liste freigegeben wird, allerdings unvollständig. „Datenschutz“ heißt die Begründung für die lückenhafte Information. Nicht einmal im Wirtschaftsministerium in Hannover kennt man die Unterzeichner … Aus der Branche gibt es aber nur dünne bis gar keine Antworten auf die Frage, wer ihre Subunternehmer überwacht. Und in Bremen stößt man auf seltsame Verflechtungen zwischen Prüfern und Geprüften.«

Da gibt es zum Beispiel die Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft Bilancia. Nach den Recherchen der Zeitung ist dieses Unternehmen von Größen der Schlachterbranche wie Danish Crown, Vion und Vogler mit der Prüfung ihrer Subunternehmer beauftragt worden. »Was seltsam anmutet: Mit einigen der zu prüfenden Unternehmen hat Bilancia gemeinsame Briefkästen. Prüfen Freunde da etwa Freunde?« Sollte hier etwa eine mit der Branche eng verbundene Prüfungsgesellschaft Persilscheine für verbundene Subunternehmer ausstellen, damit alle so weitermachen können wie bisher? Dieser von der Gewerkschaft NGG geäußerte Verdacht ist nicht unplausibel.

Wieder einmal zeigt sich an diesem Beispiel, dass die Kontrollstrukturen in diesen existenziellen Bereichen gelinde gesagt „unterkomplex“ sind, während andere Bereiche durch eine teilweise überbordende Regulierung und Kontrolle gekennzeichnet sind.

Von den Schlacht- und Zerlegehäusern der Republik in die Werkshallen eines der Premium-Hersteller der deutschen Automobilwirtschaft: Daimler. Dieses Unternehmen war ja vor geraumer Zeit mal eine kurze Zeit lang in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, als in einer ARD-Dokumentation der Einsatz von Werkvertragsarbeitern kritisch beleuchtet wurde. Dabei wurden auch Aufnahmen mit versteckter Kamera gemacht und der Konzern versucht bis heute, gerichtlich dagegen vorzugehen, musste allerdings in zwei Instanzen Niederlagen hinnehmen. Ansonsten geht es dem Unternehmen unterm Stern blendend. Konzernchef Dieter Zetsche verkündete diese Tage in Stuttgart für das zweite Quartal nicht nur einen erneuten Absatzrekord, sondern auch eine deutlich höhere Profitabilität. In der Pkw-Produktion erreichte der Autobauer erstmals seit vier Jahren seine anvisierte Marge von zehn Prozent operativer Umsatzrendite, so Daniel Behruzi in seinem Artikel Schlank und profitabel. Damit man eine Vorstellung von der Größenordnung nur der Gewinne hat: Der konzernweite Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) stieg den Angaben zufolge zwischen April und Juni um 20 Prozent auf 3,7 Milliarden Euro, wie gesagt: in einem Quartal.

Und wie immer im Leben hat eine Medaille zwei Seiten und die andere, weniger glänzende Seite ist die Tatsache, dass diese Gewinne auch, wenn nicht maßgeblich eine Folge von Sparprogrammen ist, deren Hauptlast die Beschäftigten zu tragen haben. Und die werden weitergehen, denn die Aktionäre begnügen sich nie mit dem Erreichten, sondern wollen mehr und mehr. »Zu spüren bekommt das aktuell zum Beispiel die Belegschaft im Mannheimer Motorenwerk, wo Logistiktätigkeiten an ein billigeres Subunternehmen vergeben werden.«

Das wohl entscheidende Mittel bei der Realisierung erheblicher Kostensenkungen innerhalb des Konzerns war (und ist) Outsourcing: »Immer mehr Tätigkeiten werden an externe Unternehmen vergeben – zu deutlich schlechteren Arbeits- und Einkommensbedingungen, versteht sich. Im Bremer Montagewerk hatte dies Ende vergangenen Jahres zu mehreren spontanen Arbeitsniederlegungen geführt. Das Management ging daraufhin mit Abmahnungen gegen beteiligte Arbeiter vor.«

Zu den Vorfällen im Daimler-Werk Bremen, die eine Bedeutung haben, die über betriebsinterne Aspekte hinausgeht: »Ursprünglich ging es in mehreren Protestveranstaltungen seit November gegen die Auslagerung von 140 Stellen im Logistikbereich. Insgesamt rund 5.000 Mitarbeiter hatten sich an den Protesten beteiligt. Die Werksleitung reagierte auf den Produktionsausfall mit 761 Abmahnungen. Denn solche politischen Streiks sind in Deutschland verboten – so jedenfalls die aktuelle Rechtsprechung«, so Jan-Paul Kippmann in seinem Artikel Klagen für den Klassenkampf. In dem Artikel Streit um den Streik aus dem Januar dieses Jahres hatte der Autor berichtet: »Von einem Streik wollen die Mercedes-Beschäftigten nicht sprechen, die zum Jahreswechsel wegen „massiver Störung der Arbeitsabläufe“ abgemahnt wurden. Aber streiken dürften sie ja auch nicht, da zur Zeit keine Tarifverhandlungen stattfinden und politische Streiks in der Bundesrepublik verboten sind. Betriebsrat Gerwin Goldstein sagt, die Nachtschicht hätte lediglich „Informationsveranstaltungen“ durchgeführt, um gegen die geplante Auslagerung von rund 140 Stellen der Logistik an Leiharbeitsfirmen zu protestieren.« Wer sich daran beteiligt hat, »wollte die Werksleitung anschließend in Personalgesprächen herausfinden. Goldstein spricht von „Verhören“: 80 MitarbeiterInnen der Nachtschicht hätten einzeln in der Personalabteilung vorsprechen müssen, wo sie nach Namen von Beteiligten gefragt worden seien. „Es ist aber kein Kollege umgefallen“, sagt Goldstein und lobt die innerbetriebliche Solidarität.« Zur IG Metall gab es allerdings erhebliche Distanz: »Der Geschäftsführer der IG Metall, Volker Stahmann ist allerdings alles andere als begeistert von den spontanen Aktionen der Belegschaft. „Streik ist die falsche Strategie“, sagt er der taz. Es gebe keine arbeitsrechtliche Grundlage, die Einführung von Leiharbeit durch Arbeitskampf zu verhindern. Sie politisch abzuschaffen, wertet Stahmann als ehrenwertes aber unrealistisches Ziel. Letztlich liefe das auf die Forderung nach einem Generalstreik und er sei kein Freund „französischer Verhältnisse“.«

Wieder zurück in die Gegenwart – das Auslagern bei Daimler geht munter weiter, von den neuesten Aktivitäten berichtet Daniel Behruzi in seinem Artikel:

»Ein Konflikt um Fremdvergabe entwickelt sich nun auch in Mannheim, wo gut 5.000 Beschäftigte Motoren und Gießereiprodukte für Mercedes-Pkw herstellen. Die örtliche IG Metall wies am Mittwoch auf einer Pressekonferenz darauf hin, dass Daimler einen Teil der Logistiktätigkeiten, die bislang von Stammkräften oder Leiharbeitern ausgeführt wurden, an die Firma Transco vergeben will. In einem ersten Schritt soll das Unternehmen ab dem 1. August Teile der auf dem Werksgelände angesiedelten operativen Logistik übernehmen, wodurch 100 Arbeitsplätze bei Daimler und weitere bei Leiharbeitsfirmen verlorengehen. In einem zweiten Schritt sollen weitere Arbeiten außerhalb des Werks an den Speditions- und Logistikdienstleister übertragen werden.«

Laut IG Metall sind die Konditionen für die Transco-Beschäftigten gravierend schlechter als bei Daimler und selbst als die für Leiharbeiter geltenden Regelungen. Das kann man sich anhand der folgenden Überschlagsrechnung verdeutlichen:

Leihbeschäftigte in der Daimler-Logistik erhalten aufgrund tariflicher Branchenzuschläge und betrieblicher Vereinbarungen etwa 19 Euro pro Stunde und arbeiten 35 Wochenstunden.

Transco zahlt nach den Informationen der IG Metall etwa sechs Euro weniger pro Stunde bei einer um fünf Stunden längeren Arbeitszeit. »Außerdem enthalten die Arbeitsverträge die Anforderung von Arbeitsbereitschaft oder Überstunden auch an Wochenenden. Es gibt drei Tage weniger Urlaub. Zusätzliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld soll es überhaupt nicht geben. Zuschläge für Mehrarbeit, Wochenend-, Nacht- und Schichtarbeit sind nicht geregelt«, wird der Mannheimer IG-Metall-Bevollmächtigte Reinhold Götz in dem Artikel zitiert.

Man muss nicht mal gut rechnen können, um nachzuvollziehen, dass sich das rechnet. Für Daimler. Nicht aber für die Beschäftigten. Die nächste Jubelmeldung für die Wirtschaftspresse ist sicher.

Für die IG Metall stellen sich zentrale organisationspolitische Zukunfts-, ja Überlebensfragen. Vereinfacht gesagt: Es ist ganz offensichtlich, dass das über die letzten Jahrzehnten erkämpfte hohe Niveau der Arbeitsbedingungen für die Stammbelegschaften in den heutigen Zeiten auch dadurch abgesichert wird, dass die flexiblen Randbelegschaften über Leiharbeit und Werkverträge hinsichtlich ihres Kostenniveaus deutlich unter dem der Stammbeschäftigten liegen. Insofern wäre auch die IG-Metall vollständig überfordert, würde sie die Strategie fahren, Leiharbeit und Werkverträge komplett in Richtung des Vergütungsniveaus der Stammbeschäftigten anzuheben versuchen. Der Gewerkschaft ist klar, dass die Arbeitgeber in der Metallindustrie das nicht mitmachen werden und teilweise angesichts des internationalen Wettbewerbs, dem sie ausgesetzt sind, auch nicht können. Also kann und wird es erkennbar nur eine Strategie geben können, die allerdings in mindestens zweifacher Hinsicht problematisch ist und noch eine Menge Stress auch innerhalb des Gewerkschaftslagers freisetzen wird:  Die IG Metall wird versuchen müssen, die Beschäftigten der Werkvertragsunternehmen, die sich immer stärker in die Betriebe hinein fressen, unter das große Dach ihres tarifpolitischen Zugriffs zu bekommen. Da es sich aber um Beschäftigte aus der Logistik-Branche handelt, steht die IG Metall vor dem Problem, dass für diese Branche eine andere Gewerkschaft, nämlich Verdi, zuständig ist.  An dieser Stelle muss es zu einer Konfrontation zwischen den beiden Gewerkschaften kommen, außer eine gibt bei der Zuständigkeitsfrage nach. Ein Präzedenzfall für ein Aufeinandertreffen von IG Metall und Verdi liegt bereits vor: Gemeint sind hier die Auseinandersetzungen um einen Tarifvertrag beim Logistikunternehmen Stute, wo sich die IG Metall durchgesetzt hat. Darüber wurde am 3. September 2014 in dem Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive berichtet.

Mittlerweile scheint man bei diesem Ansatz weiterzukommen, folgt man der folgenden, am 22.04.2015 veröffentlichten Meldung: BMW beschäftigt nur noch Dienstleister, die nach IG-Metall-Tarif zahlen / Für die Gewerkschaft ist es ein Durchbruch, der Modellcharakter für die deutsche Autoindustrie haben soll: »Der Vorstand des Dax-Konzerns BMW und die Arbeitnehmervertreter vereinbarten im März eine weitreichende Änderung: Künftig soll der Autobauer nur noch solche Dienstleister im wichtigen Bereich der Logistik beschäftigen, die ihre Mitarbeiter nach dem vergleichsweise hohen Metall-Tarif bezahlen … Die Konkurrenten wundern sich, dass gerade der kostenbewusste BMW-Vorstand vorprescht. Der Metall-Tarif liegt erheblich über dem Mindestlohn von 8,50 Euro und den Tarifen der Logistikbranche.« Allerdings gibt es seitdem keine weiteren Berichte mehr, wir befinden uns als eher im Ankündigungsstadium, was auch nicht überrascht, denn: »Der Teufel steckt allerdings noch im Detail: Nach der Grundsatzvereinbarung mit dem Vorstand muss der Betriebsrat mit Logistikunternehmen wie BLG oder Schnellecke entsprechende Tarifverträge abschließen. Vorab sind schwierige Rechtsfragen zu klären.«
Aber auch innerhalb der IG Metall wird diese Strategie nicht ohne erhebliche Widerstände umgesetzt werden können,  denn zu offensichtlich wird es nur gelingen, diese Strategie flächendeckend umzusetzen, wenn die IG Metall bereit ist, ihre Tarife weiter und das heißt nach unten aufzufächern,  um den Arbeitgebern hinsichtlich deren Bedarfs an Lohnkostendifferenzierung und der Realisierung von Arbeitsloseneinsparungen entgegenkommen zu können. Es bleibt abzuwarten, ob diese Strategie erfolgreich gestaltet werden kann.