Keine Zufälligkeit unabhängiger Ereignisse. Der Bund kapituliert vor den Niedrigzinsen und bereitet gleichzeitig einen neuen Vorstoß in die Welt der Kapitaldeckung vor

In den kommenden Wochen und Monaten steht uns eine intensive rentenpolitische Debatte bevor. Nicht nur angesichts des grundsätzlichen Problemdrucks und der kontroversen Diskussion über Altersarmut, sondern auch, weil die Bundesarbeitsministerin angekündigt hat, im November ihr Renten-Konzept vorzulegen. Dabei, so viel ist sicher, wird es auch um Veränderungen im Bereich der Betriebsrenten gehen (vgl. dazu den Beitrag Neues Spiel, neues Glück? Die „neue“ Betriebsrente soll kommen – arbeitgeberzugewandt, tarifvertragsorientiert und noch mehr staatlich gepampert vom 27.09.2016). Die betriebliche Altersvorsorge (bAV) soll unter anderem durch neue Zuschüsse und höhere steuerliche Förderung sowie einen Wegfall von Rentengarantien durch den Arbeitgeber gestärkt werden (vgl. auch Der Entwurf ist (fast) fertig!). Also nach den miserablen Erfahrungen mit der Subventionierung der privaten Vorsorge bei der Riester-Rente über Steuermittel wird es erneut um eine steuerfinanzierte Förderung eines kapitalgedeckten Systems gehen, denn die betriebliche Altersvorsorge gehört zu dieser Gruppe. Gerade an der Kapitaldeckung entzünden sich nicht nur auf das Vorhaben bezogene, sondern auch ganz grundsätzliche Zweifel hinsichtlich der Sinnhaftigkeit einer Subventionierung. Diese Zweifel haben in den vergangenen Jahren und mit Blick auf die absehbar vor uns liegende Zeit einen weiteren Schub bekommen durch die Niedrig-, Niedrigst-, Null- und Negativzinswelt, die es allen kapitalgedeckten Systemen zunehmend schwer bis unmöglich macht, die erforderliche Verzinsung über eine rentierliche Anlage des Kapitals zu erwirtschaften. Hinzu kommt, dass eigentlich mittlerweile angekommen sein sollte, dass auch die kapitalgedeckten Systeme demografieanfällig sind und sich dem nicht entziehen können.

In diesem Umfeld müssen zwei Auffälligkeiten zur Kenntnis genommen werden. Zum einen fokussiert die rentenpolitische Debatte fast ausschließlich auf die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung (hierbei vor allem das Rentenniveau sowie andere zentrale Parameter in der „ersten Säule“ wie – wieder einmal – das gesetzliche Renteneintrittsalter), hinzu kommen geplante Änderungen in der betrieblichen Altersvorsorge („zweite Säule“) und mit Abstand folgt dann die private Vorsorge („dritte Säule“).

Kaum bis gar nicht in den Blick genommen wird hingegen die Tatsache, dass es eine Personengruppe mit einem ganz eigenen Alterssicherungssystem gibt, das sich in vielerlei Hinsicht von dem, was für die ganz große Mehrheit das relevante System ist, unterscheidet. Gemeint sind natürlich die Beamten und ihre Versorgung im Alter über Pensionen.

Die Beamten und ihr eigenes Versorgungssystem tauchen nur hin und wieder auf im Kontext der Debatte über eine „Erwerbstätigen“- oder „Bürgerversicherung“, in die alle einbezogen werden sollen. Aber schon bei der Integration der Selbständigen, sofern sie nicht bereits eingebunden sind, öffnet sich ein wahres Schlachtfeld der Widerstände und Einwände. An den Beamten und ihren Pensionen erhitzen sich zwar die Gemüter, aber hier scheint sogar den Befürwortern eines strukturellen Umbaus die Puste auszugehen.

Aber die Beamtenversorgung an sich lebt nur theoretisch auf einer Insel, von der aus sich distanziert zuschauen lässt, wie die Rentenpolitik im großen, komplexen Ganzen versinkt. Denn die Pensionen müssen ja auch finanziert werden und vereinfacht gesagt werden sie wie in einem Umlagesystem finanziert, die heutigen Pensionen werden also aus den heutigen Steuereinnahmen bestückt. Anstelle der Beiträge der heute aktiven Versicherten treten dann die Steuereinnahmen des Staates. Aber natürlich sind auch die vieldiskutierten Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung Herausforderungen für die Beamtenversorgung. Denn wenn die Ausgaben steigen, dann müssen entsprechend mehr Einnahmen aufgebracht und verwendet werden für die Finanzierung der Ausgaben. Und wenn die Ausgaben besonders stark steigen, weil demografisch bedingt viele Pensionäre mit Eintritt in den Ruhestand auf die Empfängerseite wechseln, dann stößt dieses System an die gleichen Grenzen wie die umlagefinanzierte Rente. Mithin ergeben sich auch im Versorgungssystem der Beamten die gleichen Schlüsselfragen: Soll man übergehen zu einem System der einnahmeorientierten Ausgabenpolitik, wie das in der Rentenversicherung mit dem Paradigmenwechsel Anfang des Jahrtausends gemacht wurde? Was natürlich bedeutet, dass man dann auch die gleichen Folterwerkzeuge ansetzen muss, also eine Absenkung des Niveaus der Pensionen, eine Anhebung des gesetzlich fixierten Eintritts in den Ruhestand und damit verbunden lebenslange Abschläge von den Pensionszahlungen bei vorzeitiger Pensionierung.
In Teilen, wohlgemerkt in Teilen, kann man diese Mechanismen in den zurückliegenden Jahren durchaus im Versorgungssystem der Beamten nachzeichnen.

Aber es gibt ja auch noch eine andere Möglichkeit, die ebenfalls Bestandteil des Paradigmenwechsels in der Rentenpolitik Anfang des Jahrtausends war: Abbau des gesetzlichen, umlagefinanzierten Systems und (angeblicher) Ersatz durch kapitalgedeckte Altersvorsorge, also nicht Aufstockung dessen, was die Menschen aus dem Regelsystem bekommen („Cappuccino-Modell“) im Sinne einer zusätzlichen Leistung, sondern man schneidet aus dem Kuchen des Regelsystems was raus und erwartet, das dann aus dem kapitalgedeckten System wieder kompensieren zu können.

Diesen Weg ist man seitens des Bundes auch mit Blick auf die Beamtenpensionen gegangen. Ausgelöst durch das sichere Wissen um den erwartbaren Anstieg der Ausgaben, wenn die vielen Beamten aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand übertreten werden. Also hat man konzeptionell den Ansatz gewählt, einen Teil der später fälligen hohen Ausgaben, die ja aus dann erwirtschafteten Steuermitteln zu finanzieren wären, aus vorher angesparten Mitteln zu finanzieren.

Die Umsetzung dieses Ansatzes erfolgte über zwei zentrale Instrumente:

  1. Die 1999 errichtete Versorgungsrücklage: Sie leistet eine Teildeckung und ist eigentlich befristet bis 2017: Für sie zieht die Regierung von den Besoldungserhöhungen der Beamten jeweils 0,2 Prozentpunkte ab und legt die Beträge ebenfalls bei der Bundesbank zurück; dies sind inzwischen 4,5 Milliarden Euro.
  2. Und der 2007 eingerichtete Versorgungsfonds, aus dem dann die zukünftigen Pensionslasten der ab 2007 neu eingestellten Beamten – so der Anspruch am Anfang – voll kapitalgedeckt zu finanzieren wären: Für alle neu eingestellten Beamten führt die Regierung seither nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kalkulierte Beiträge an den Fonds ab, den die Bundesbank verwaltet. Die Beiträge machen derzeit je nach Laufbahn der Beamten 27,9 bis 36,9 Prozent ihrer ruhegehaltsfähigen Bezüge aus. Insgesamt legte die Regierung damit im vergangenen Jahr 590 Millionen Euro neu zurück. Der Bestand des Fonds erhöhte sich bis Ende 2015 auf 2,3 Milliarden Euro.

Man kann schnell erkennen, wo sich strukturelle Probleme mit der konkreten Ausgestaltung der kapitalgedeckten Instrumente verbinden. Kapitaldeckung braucht Zeit und die angestrebte vollständige Kapitaldeckung der Pensionen der Bundesbeamten sollte und kann ja nur für die ab 2007 eingestellten Beamten erfolgen, so dass sich die Zielerreichung, sollte sie überhaupt möglich sein, über viele Jahrzehnte hinziehen wird. Die meisten heutigen Beamten sind ja vor 2007 eingestellt worden und für deren Ausgaben kann man, wenn überhaupt die Zahlungen aus der Rücklage in Rechnung stellen.

Nun entfaltet sich ein technisches und zugleich ein – aus den anderen kapitalgedeckten Systemen mehr als bekanntes – strukturelles Problem, beide zusammen haben dazu geführt, dass die Bundesregierung einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drucksache 18/9532 vom 05.09.2016) auf den gesetzgeberischen Weg gebracht hat.

  1. Zur Versorgungsrücklage: Dem Gesetzentwurf kann man folgende Problemdiagnose und Lösungsvorschlag entnehmen: »Nach der aktuellen Fassung des Versorgungsrücklagegesetzes (VersRücklG) wären die Mittel der Versorgungsrücklage ratenweise bereits ab 2018 zur Entlastung des Haushalts von Versorgungsausgaben einzusetzen mit der Folge, dass das Sondervermögen innerhalb von 15 Jahren aufgezehrt werden würde. Für die unmittelbare Bundesverwaltung zeichnet sich jedoch ab, dass die Versorgungsempfängerzahl noch längere Zeit auf hohem Niveau bleiben und der Höchststand erst gegen 2035 eintreten wird. Nach der aktuellen Fassung des Versorgungsrücklagegesetzes (VersRücklG) wären die Mittel der Versorgungsrücklage ratenweise bereits ab 2018 zur Entlastung des Haushalts von Versorgungsausgaben einzusetzen mit der Folge, dass das Sondervermögen innerhalb von 15 Jahren aufgezehrt werden würde. Für die unmittelbare Bundesverwaltung zeichnet sich jedoch ab, dass die Versorgungsempfängerzahl noch längere Zeit auf hohem Niveau bleiben und der Höchststand erst gegen 2035 eintreten wird.«
  2. Zum Versorgungsfonds: Air spricht der Gesetzentwurf Klartext mit Blick auf die ab 2007 eingestellten Beamten: »Die ursprünglich intendierte vollständige Kapitaldeckung der späteren Versorgungsausgaben dieses Personenkreises lässt sich aber auf Grund der Niedrigzinsphase bis auf Weiteres nicht erreichen. Vor dem Hintergrund der sehr langfristig angelegten Ausrichtung des Versorgungsfonds kann zwar davon ausgegangen werden, dass er die Phase extrem niedriger Zinsen überdauern wird. Der aktuellen Entwicklung ist aber durch Umstellung auf ein anteiliges Deckungsverfahren Rechnung zu tragen.«

Die Bundesregierung plant also mit der Gesetzgebung folgende Veränderungen: Die  1999 errichtete Versorgungsrücklage soll länger erhalten werden, indem der Beginn der Mittelentnahme auf das Jahr 2032 verschoben wird. So soll die Aufzehrung des Vermögens verhindert werden, bevor das mit dem Gesetz bezweckte Ziel erreicht wird, die Höchstlast bei den Versorgungsausgaben zu dämpfen. Und  die Versorgungsrücklage soll gestärkt werden, indem ihr „bis 2031 weiter die Einsparungen aus der Absenkung des Höchstruhegehaltssatzes zugeführt werden“. In diesem Zusammenhang erfolge eine weitere Stärkung aus der Fortsetzung der Verminderungen von Bezügeerhöhungen. Dies soll „letztmalig und befristet bis 2024“ erfolgen.

Gleichzeitig verabschiedet man sich nicht nur von dem Ziel einer vollständigen Kapitaldeckung der zukünftigen Pensionen der neuen Beamten durch den Versorgungsfonds und reduziert das auf eine Teilkapitaldeckung (deren Umfang aber nicht präzisiert wird).  Sowohl für die Rücklage wie auch für den Fonds will man zudem einen aus der gegebenen Rendite-Realität diktierten Verzweiflungsschritt vollziehen: „Optimierung der Anlagestrategie“ so wird das technokratisch genannt, mit dem Ziel einer „weiteren Stärkung des Kapitalisierungsgrades“ von Versorgungsrücklage und -fonds: Danach können künftig – neben der bislang allein möglichen Anlage in Anleihen – bis zu 20 Prozent der Mittel der Rücklage in Aktien investiert werden. Also rein in die möglicherweise rentierlichen, möglicherweise aber eben auch hoch risikobehafteten Anlageformen, die bislang nicht zugelassen waren.

Zu diesem gesetzgeberischen Vorhaben der Bundesregierung gab es am 17.10.2016 im Bundestag eine öffentliche Anhörung. Die schriftlichen Stellungnahmen der geladenen Institutionen und Einzelsachverständigen können hier abgerufen werden. Unter der Überschrift Änderungen bei der Beamtenversorgung berichtet der Pressedienst des Bundestags neben viel Zustimmung auch von kritischen Tönen:

»Professor Eckart Bomsdorf von der Universität Köln sagte, mit der Vorlage verabschiede sich „der Gesetzgeber nahezu klammheimlich von dem Versprechen einer vollständigen Finanzierung der Versorgungsausgaben der ab 2007 beim Bund eingestellten Beamten mit Hilfe dieses Vorsorgefonds“. In welcher Höhe später die Pensionen aus diesem Fonds finanziert werden, solle in einer Verordnung geregelt werden. „Das riecht für mich nach einer Finanzierung aus dem Versorgungsfonds nach Kassenlage“, fügte Bomsdorf hinzu.«

Na klar, was soll er denn auch anderes machen, der Gesetzgeber. Denn auch er muss zur Kenntnis nehmen, dass eine vollständige oder auch nur substanzielle Kapitaldeckung der Beamtenpensionen gar nicht zu erreichen sein wird. Insofern passt er sich den Realitäten an – die er allerdings an anderer Stelle wieder negiert oder ausgeblendet, siehe die einführenden Anmerkungen zur anstehenden Subventionierung kapitalgedeckter Systeme in der nicht-exklusiven Alterssicherung für de normalen Arbeitnehmer.

Dietrich Creutzburg hat folgerichtig seinen Artikel zu den gesetzgeberischen Aktivitäten des Bundes unter diese Überschrift gestellt: Bundesregierung kapituliert vor Niedrigzinsen: » … die Bundesregierung als Dienstherr von mehr als 300.000 Bundesbeamten bekommt … ein Problem: Ihr seit zehn Jahren bestehender Kapitalstock für künftige Pensionen verzinst sich nicht mehr wie erhofft.« Die beschriebenen Lösungsversuche der Bundesregierung interpretiert Creutzburg so: »Sie verabschiedet sich schlicht von dem Ziel, zukünftige Pensionslasten vollständig aus dem Kapitalstock zu decken; stattdessen nimmt sie lieber höhere Haushaltsrisiken in der Zukunft in Kauf.« Der „aktuellen Entwicklung“ sei „durch Umstellung auf ein anteiliges Deckungsverfahren Rechnung zu tragen“, so zitiert auch er aus dem Gesetzentwurf. Das ist die Grundsatzentscheidung, aber wie die genau umgesetzt wird, soll hinter die Gardinen gezogen werden: Im Sinne einer „flexibleren Regelung“ werde „der Gesetzeswortlaut verschlankt“; alles nötige werde später per Rechtsverordnung geregelt, heißt es zur Begründung in dem Entwurf.

Die Regelungen werden kommen, es bleiben aber Fragen. Einemir Blick auf das Pensionssystem „der“ Beamten im engeren Sinne und eine systemübergreifende Frage darüber hinaus.

  1. Eis gibt ja nicht die Beamten, sondern Beamten beim Bund, bei den Bundesländern, den Kommunen und bei den ehemaligen Staatsunternehmen Bahn, Post und Telekom. Und die Bundesbeamten, um die es hier erst einmal geht, sind aus der Vogelperspektive betrachtet nicht die größte Gruppe der Beamten, die findet man aufgabenbedingt auf der Ebene der Bundesländer. Und wie hieß es in dem 2014 veröffentlichten Beitrag Ist die Beamtenversorgung langfristig noch finanzierbar? von Alexandras Altis und Sebastian Koufen: »Der Anteil der Versorgungsausgaben an den gesamten Ausgaben der öffentlichen Haushalte wird in den nächsten Jahren deutlich steigen. Betroffen sind fast ausschließlich die Länder im früheren Bundesgebiet. Dies liegt einerseits daran, dass personalintensive staatliche Leistungen wie Bildung und innere Sicherheit im föderalen Staatsaufbau überwiegend von der Landesebene bereitgestellt werden und damit der Anteil der Personalausgaben in den Landeshaushalten sehr viel höher ist als beim Bund. Hinzu kommen die Folgen des Babybooms der 1960er-Jahre, der auch die Rentenversicherung vor große Herausforderungen stellt. Dieser hat in den 1970er-Jahren den Bedarf an Lehrkräften deutlich erhöht und zu einer Einstellungswelle beigetragen. Die damals eingestellten Jahrgänge werden bis etwa 2025 in den Ruhestand gehen und zu einem erheblichen Anstieg der Versorgungsausgaben führen. In den darauffolgenden Jahren treten die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand und sorgen dafür, dass das Ausgabenniveau auch in den folgenden Jahrzehnten hoch bleiben wird.« (Altis/Koufen 2014: 192). Wenn man also die Ebene der Bundesländer noch hinzuzieht, dann wird vollends klar, dass man kapitaldeckende Träume Träume sein lassen sollte.
  2. Darüber hinaus mit Blick auf die Gesetzgebung des Bundes in eigener Sache: Dietrich Creutzburg zitiert in seinem Artikel den CDU-Politiker Heribert Hirte: Es fehle bisher insgesamt „ein Ansatz, der die infolge des Niedrigzinses in vielen Rechtsbereichen auftretenden Fragen konsistent beantwortet. Das reicht von den Lebensversicherungen über Erstattungs- und Nachzahlungzinsen im Steuerrecht bis zur Bewertung von Rückstellungen für Betriebsrenten und Pensionen.“ Die müssen sich eben noch gedulden.