Jenseits der Defizitfokussierung: Langer Atem, glückliche Zufälle und mehr. Wie Kinder türkischer Einwanderer Karriere machen

Man kann das Land mittlerweile mit Studien pflastern, die immer detaillierter nachweisen, wo, wie und zuweilen auch durch wen „Menschen mit Migrationshintergrund“ benachteiligt werden oder es sehr viel schwerer haben, sozial aufzusteigen. Vorurteile und Benachteiligung in der Schule, Diskriminierung bei Bewerbungen und viele andere den Aufstieg hemmende Faktoren sind recht gut untersucht worden. Bei aller Notwendigkeit der Analyse struktureller Blockaden und ihrer Thematisierung in der öffentlichen Diskussion kann man zuweilen den Eindruck bekommen, dass sich der notwendigerweise damit verbundene Blick auf Probleme und Defizite im Diskurs und in der Wahrnehmung verselbständigt hat und alles andere, was es auch gibt, überlagert. In diesem Kontext fast schon als ein „abweichendes Verhalten“ zu werten ist eine neue Studie, die der Frage nachgegangen ist, wie die Kinder türkischer Einwanderer trotzdem Karriere machen. Dafür brauchen sie einen langen Atem, glückliche Zufälle – und eine „Tante Birgit“.

Zu dieser (nur scheinbar) plakativ daherkommenden Zusammenfassung kommt Christopher Onkelbach in seinem Artikel Wie Kinder türkischer Einwanderer Karriere machen. Er berichtet von einer neuen Studie, die sich mit den beschäftigt hat, die es trotzdem geschafft haben. Die ihr Abitur gemacht haben, studierten, eine Karriere begonnen haben und Anwälte, Manager oder auch Lehrer geworden sind. Nicht wegen einer guten Förderung, sondern gegen viele Widerstände.
Vor dem Hintergrund, dass es immer noch nur wenigen Kindern türkischer Einwanderer gelingt, einen sozialen Aufstieg hinzubekommen, sind diese Fragen von großer Bedeutung: Wie schaffen sie es? Welche Umstände haben sie gefördert und auf welche Hindernisse sind sie gestoßen?

»Darum ging es in dem Forschungsprojekt von Andreas Pott und Jens Schneider vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück. Am Donnerstag stellten sie die Ergebnisse des von der Stiftung Mercator geförderten Projekts bei einer internationalen Wissenschafts-Tagung zum Thema „Türkisch-deutsche Wege zum Erfolg“ in Essen vor. Pott und Schneider analysierten dafür die Lebensläufe von 94 Personen von der Kita bis zum Karriereeinstieg.«

Die Studie des IMIS kann hier abgerufen werden: Pathways to Success. Erfolgreiche Einwandererkinder und ihre Aufstiegskarrieren im urbanen und internationalen Vergleich, Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), 2014

In ihrer Pressemitteilung Einwanderungsland mit Integrationshürden zur Studie schreibt die Stiftung:

»Sehr viele Interviewpartner berichteten davon, dass ihre Schulen weder Interesse noch Glauben an ihre Talente zeigten. Neben der Eigenleistung gab oftmals die persönliche Hilfe einer Lehrerin oder eines Lehrers, eines Nachbarn oder der Eltern von Schulfreunden den entscheidenden Ausschlag für den Bildungserfolg. Häufig war der Erfolg also von Zufällen abhängig … Die Befragten haben überdurchschnittlich von Schulformen profitiert, die auf gesellschaftliche Integration aller sozialen Schichten ausgelegt sind – darunter vor allem Gesamtschulen. Dank der höheren Dichte von Gesamt- und Ganztagsschulen sind im Ruhrgebiet deutlich mehr Befragte auf die Universität oder Fachhochschule gelangt als beispielsweise in Berlin. „Die Gesamtschule ist für die untersuchte Gruppe eine gute Alternative zum Gymnasium. Sie ist durchlässiger, gleicht Startnachteile besser aus und kann dadurch Wegbereiter für den beruflichen Aufstieg sein“, sagt Prof. Dr. Andreas Pott, Projektleiter und Leiter des IMIS.«

Immer wieder wird in der Studie auf Vorurteile hingewiesen, die den Übergang in die Arbeitswelt erschweren: »Die Beteiligten berichten, dass der Migrationshintergrund immer wieder in Bewerbungssituationen im Vordergrund stand – sowohl in der freien Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. Hier reichen die Beschreibungen von offen diskriminierender Behandlung bis zu vorurteilsbehafteten Äußerungen.«

Nachdenklich – auch mit Blick auf die Debatte über „Akademisierung“ versus duale bzw. fachschulische Berufsausbildung – sollte der folgende Befund aus der Studie stimmen:

»Karrieren in den Bereichen Jura und Schule sind nur möglich mit einem Hochschulstudium, aber auch für Interviewte, die als Unternehmer oder Manager in der freien Wirtschaft tätig sind, war es nur in Ausnahmefällen der Weg über die Berufsausbildung, der zur aktuellen Position geführt hat. Meist wurde nach der Ausbildung oder berufsbegleitend ein Studium angeschlossen« (IMIS 2014: 2).

Onkelbach schreibt in seinem Bericht über die Studie sehr treffend:

»So sind die Lebensläufe von Umwegen und Schwierigkeiten geprägt. „Oft ist es – neben hohem persönlichen Engagement – dem Zufall zu verdanken, dass die Schüler das Abitur schafften.“ Etwa weil es eine hilfreiche Nachbarin gab oder eine „Tante Birgit“, die ein türkisches Mädchen jeden Tag nach der Schule besuchte, um ihre Hausaufgaben zu machen. Oder Eltern von Schulfreunden, die sagten: das kannst du doch! Jens Schneider: „Wer keine Tante Birgit hat, hat es schwer. Das Mädchen ist heute Juristin.“ Eine wesentliche Rolle spielen auch meist die Eltern oder auch die Geschwister.«

Die Wissenschaftler geben auch bildungspolitische Empfehlungen – zugleich wird an diesen auch wieder das Grunddilemma erkennbar, vor dem man hinsichtlich einer besser gelingenden Integrationspolitik steht: »So sollte die frühkindliche Förderung und der Ganztagsunterricht ausgebaut werden. Mehr Förderung und Aufmerksamkeit für Talente, Durchlässigkeit der Schulformen – auch nach oben. Und das Thema Diskriminierung in Schulen müsse angegangen werden«, schreibt Onkelbach in seinem Artikel.

Aber das sind erst einmal – so grundsätzlich richtig und nachvollziehbar solche Empfehlungen auch daherkommen – Ratschläge mit Blick auf die institutionellen Settings. Das ist eine wichtige Rahmenbedingung, aber die institutionellen Räume müssen mit Leben, mit konkreten Personen gefüllt werden. Die eine besondere Haltung haben und über die mehr „glückliche Zufälle“ möglich werden. Das wird man durch Institutionen, Programme usw. fördern und vielleicht anregen können – aber man wird es nicht ersetzen können, dass es Kümmere, Begleiter, produktive Widerstände im Leben der Kinder und Jugendlichen geben muss. Und die es ja auch gegeben hat. Darauf hinzuweisen, ist ein Verdienst der neuen Studie. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn auch und gerade die Medien weitaus stärker als bislang auf die Erfolgsgeschichten hinweisen, um etwas in den Köpfen zu ändern. Dass es nicht nur um Probleme, Hemmnisse, also um etwas Negatives geht, sondern dass es auch Erfolgsgeschichten gibt, von denen man lernen kann, die Hoffnung schaffen können.

Assistierte Ausbildung als eigenständiges Förderinstrument im SGB III/II verankern. Expertenpapier gibt Empfehlungen zur politischen Umsetzung

Assistierte Ausbildung unterstützt Jugendliche und Betriebe gleichermaßen. Und angesichts des immer noch erheblichen Problems, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene keinen Zugang finden können zu einer dualen Ausbildung, wird nun gefordert, die „assistierte Ausbildung“ zu einem eigenständigen Förderangebot auszubauen. Ein Expertenpapier der Konrad-Adenauer-Stiftung legt konkrete Vorschläge für eine politische Umsetzung dieses Vorhabens vor.

Die Stiftung hat mit Unterstützung eines Expertenteams ein Papier zur Assistierten Ausbildung vorgelegt, das eine Definition der Assistierten Ausbildung leistet und Eckpunkte für die ersten Schritte der politischen Umsetzung empfiehlt. Die Experten kommen aus der Praxis, den Verbänden, der Wissenschaft sowie von den Sozialpartnern (DGB, DIHK, ZDH, Gesamtmetall).
Es geht um eine reguläre betriebliche Ausbildung, bei der jedoch die Jugendberufshilfe als dritter Partner ins Boot steigt. Als Dienstleister flankiert sie während der gesamten Lehrzeit mit umfassenden Maßnahmen die Ausbildung. Zielgruppe sind sowohl Jugendliche als auch Betriebe, die gerne ausbilden würden, aber bei der Ausbildung von jungen Menschen mit erhöhtem Förderbedarf Unterstützung benötigen. Dies gilt insbesondere auch für kleine und mittlere Betriebe.
In dem Papier wird die bundesweite Einführung der Assistierten Ausbildung als eigenständiges Förderinstrument des SGB III/ II vorgeschlagen. Die Empfehlungen umfassen darüber hinaus Fragen der Finanzierung, der Qualitätssicherung und der Einordnung in die bereits bestehenden Förderinstrumentarien.

Matthias Anbuhl vom DGB wird zitiert mit den Worten, „dass die Assistierte Ausbildung das einzige Instrument ist, dass das Ausbildungsverhältnis als Ganzes in den Blick nimmt: Jugendliche, Berufsschule aber auch gerade kleine und mittlere Betriebe, die nicht über die personellen und sozialpädagogischen Ressourcen für die Ausbildung chancenarmer Jugendlicher verfügen.“

Wer sich für das Papier im Original interessiert, wird hier fündig:

Elisabeth Hoffmann (Hrsg.): Assistierte Ausbildung. Definition & Empfehlungen zur politischen Umsetzung, St.Augustin: Konrad-Adenauer-Stiftung, September 2014

Der Nachwuchs bleibt aus. Gleichzeitig: Schlechte Zeiten für Azubis. Was denn nun? (Scheinbare) Widersprüche in der dualen Berufsausbildung

So eine Meldung aus Hamburg werden viele nach der Berichterstattung der letzten Zeit erwarten: Lehrling gesucht. »Die Kammern sorgen sich, weil der Nachwuchs ausbleibt.« Das passt zu den Botschaften, die seit geraumer Zeit verbreitet werden: Aufgrund der demografischen Entwicklung gäbe es immer weniger (potenzielle) Auszubildende, gleichzeitig steigt die Zahl der Studienberechtigten und die der tatsächlich auch Studierenden kontinuierlich an, darunter auch viele, die früher eher eine duale Berufsausbildung gemacht hätten. Und dann wird seitens der Unternehmen immer wieder beklagt, dass viele der jungen Menschen gar nicht „ausbildungsreif“ seien.
Und dann wird man auf der anderen Seite mit so einem Artikel konfrontiert: Schlechte Zeiten für Azubis. Hat der Verfasser die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Und der Anfang des Berichts scheint die Widersprüche auf die Spitze zu treiben: «Mittlerweile gibt es mehr Lehrstellen als Bewerber. Die Lage hat sich dennoch für die Jugendlichen verschlechtert«. Das behauptet zumindest der DGB. Schauen wir einmal genauer hin.

Stefan Sauer beginnt seine Reise in die Tiefen oder Untiefen der Zahlenwelt mit der „offiziellen“ Darstellung der Lage:

»Oberflächlich betrachtet ist die Lage für Lehrstellenbewerber mittlerweile recht komfortabel. Die Zeiten, in denen die Zahl der Bewerber jene der freien Stellen bei weitem überstieg, scheinen lange vorbei. Ende August standen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) 103.000 jungen Leuten, die eine Lehrstelle suchten, 117.000 unbesetzte Plätze gegenüber. Eine ähnliche Tendenz wies die offizielle Statistik für 2013 Jahr aus. Am Ende blieben 33.000 Lehrstellen frei, während lediglich 21.000 unversorgte Bewerber in der Statistik geführt wurden.«

Soweit die entspannende Nachricht von der Ausbildungsfront. Doch der DGB kritisiert diese Darstellung als eine – vorsichtig ausgedrückt – nur eingeschränkte Abbildung der Wirklichkeit. Die Gewerkschaften weisen darauf hin, dass sehr viel mehr junge Menschen auf einen Ausbildungsplatz warten, als die amtlichen Statistiken glauben machen. Dazu hat der DGB eine eigene Aufarbeitung der Zahlen vorgelegt:

Matthias Anbuhl: Demographische Chance verpasst, Ausbildungsbereitschaft auf historischem Tief. Hintergrundpapier zur Lage auf dem Ausbilungsmarkt 2013, Berlin: DGB Bundesvorstand, Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit, 25.09.2014

Darin findet sich eine etwas andere Rechnung. Dazu muss man wissen, dass hier mit der vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) entwickelten Größe der „ausbildungsinteressierten“ Jugendlichen gearbeitet wird. Sie setzt sich zusammen aus der Zahl der neuen Ausbildungsverträge sowie der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zwar den Bewerberstatus erhalten haben, aber keinen Ausbildungsplatz finden konnten.

Diese Statistik zeige, so Anbuhl in seinem Papier, dass von den 816.541 jungen Menschen, die im Jahr 2013 ein ernsthaftes Interesse an einer Ausbildung hatten – und die als „ausbildungsreif“ deklariert wurden – lediglich 530.715 einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben. Das sind nur 65 % der jungen Menschen. Im Jahr 2010 lag dieser Anteilswert noch bei 68,3 % – mithin lässt die Integrationskraft des dualen Ausbildungssystems ganz offensichtlich nach. Mehr als 280.000 haben keinen Ausbildungsplatz gefunden.

Das nun ist eine ganz andere Größenordnung als die im „offiziellen“ Zitat ausgewiesenen „lediglich 21.000 unversorgte Bewerber in der Statistik“. Die Aufklärung dieser Diskrepanz kann schnell erfolgen:  Die meisten derjenigen von den 280.000, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, werden in der Statistik deshalb nicht als „unversorgt“ geführt, weil sie beispielsweise in einer der vielen Maßnahmen des so genannten „Übergangssystems“ eingetreten sind.

»Auf dem Ausbildungsmarkt ist eine paradoxe Situation zu beobachten: Während immer mehr Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden, steigt gleichzeitig die Zahl der unbesetzten Stellen.  Zudem zeigte Ausbildungsmarkt ein nach Regionen und Berufen sehr zersplitterte Bild« (Anbuhl 2014: 2).

Was erfahren wir zu den (möglichen) Ursachen für diese bedenkliche Entwicklung? Vor allem kleine und mittlere Unternehmen ziehen sich aus der Berufsausbildung zurück.  Die Quote der Ausbildungsbetriebe ist mit 21,3 % auf den tiefsten Stand seit 1999 angelangt.  Hinzu kommt natürlich, dass gerade Betriebe in bestimmten Branchen mit einem schlechten Image, häufig in Verbindung mit schlechten bzw. schwierigen Arbeitsbedingungen, Ihre Ausbildungsstellen nicht (mehr) besetzen können – außerdem haben wir hier teilweise Abbruchquoten von begonnenen Ausbildungsverhältnissen um die 50 %, wenn man beispielsweise an den Hotel- und Gaststättenbereich denkt.

Auch 2013 sind wieder 257.600 junge Menschen in eine der vielen Maßnahmen des Übergangs von der Schule in Ausbildung eingetreten.

Besonders bedenklich ist die Tatsache, dass Hauptschüler (weiterhin) schlechte Karten haben: Nur noch sieben Prozent der Betriebe bilden Hauptschulabsolventen aus.

Soweit der Bericht von der „einen“ Seite. Die andere wird in dem Artikel Lehrling gesucht von Gernot Knödler am Beispiel der Situation in Hamburg skizziert:

»Mit großen Ausbildungsmessen werben die Handwerks- und die Handelskammer in diesen Tagen um Nachwuchs. „4.000 Lehrstellen in 126 Ausbildungsberufen“ stellt die Handelskammer noch am heutigen Mittwoch auf der 19. Hanseatischen Lehrstellenbörse in Aussicht. Bei der Handwerkskammer rückten sich schon Anfang der Woche 140 Unternehmen bei ihrer 20. Lehrstellenbörse in ein möglichst interessantes Licht.«

Offensichtlich haben die Unternehmen Mühe, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen, sonst würden sie nicht diesen Aufwand betreiben. Aber dennoch: »… der weitaus größte Teil der Hamburger Jugendlichen (tut sich) immer noch schwer, im ersten Jahr nach der Schule einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb zu finden.«

Seit ein paar Jahren ermittelt man in Hamburg genauer, wo die Jugendlichen eigentlich bleiben, wenn sie die grundlegende Schulbildung hinter sich gebracht haben. Hier die aktuellen Daten:

»Von den SchulabgängerInnen gingen … nur knapp 40 Prozent in eine Berufsausbildung. Ungefähr genauso viele erhielten laut dem Ausbildungsreport des Senats eine Ausbildungsvorbereitung in einer Produktionsschule, ein gutes Fünftel ging zur Bundeswehr, machte ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ging ins Ausland.«

Was tun? Der DGB, der mit den Zahlen gegen die offizielle Beruhigungsberichterstattung zu Felde zieht, wiederholt wieder einmal die Forderung nach einer Ausbildungsgarantie und verbindet das mit einem ergänzenden Instrument:

»Um jedem Jugendlichen, der sich um eine Lehrstelle bewirbt, ein Angebot unterbreiten zu können, schlägt der DGB vor, kleinen und mittleren Betrieben einen professionellen Ausbildungsberater zur Seite zu stellen, der sich zusätzlich um die Azubis kümmert. Mit diesem Modell könnten vor allem kleine Betriebe für die Ausbildung gewonnen werden.«

In dem Hintergrundpapier des DGB werden folgende ergänzende Maßnahmen vorgeschlagen bzw. gefordert (vgl. Anbuhl 2014:4):
Die Gewerkschaften plädieren für eine neue Struktur des Übergangsbereichs von der Schule in die Ausbildung. Jugendliche, die nur aufgrund mangelnder Ausbildungsangebot keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, benötigen keine Warteschleifen. Sie sollten einen Rechtsanspruch auf eine Ausbildung erhalten. Der DGB empfiehlt an dieser Stelle das so genannte „Hamburger Modell“ als ein Beispiel für eine sinnvolle Neustrukturierung des Übergangssystems: Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, absolvieren das erste Ausbildungsjahr in einer Berufsfachschule. Mit dem nächsten Ausbildungsjahr wechseln die Jugendlichen entweder in eine duale oder eine betriebsnahe Ausbildung unter Anerkennung der bisher absolvierten Ausbildungsinhalte. Diese zweite Säule ist möglichst in die Betriebe zu verlagern. Um das in der Realität auch erreichen zu können, plädiert der DGB für Modelle der „assistierenden Ausbildung“, die ausgeweitet werden müssen.  Hierbei wird die duale Ausbildung durch pädagogische Unterstützung für Auszubildende und Betriebe ergänzt, die zum Standardangebot gehört. Der DGB erkennt an, dass auch die Unternehmen Hilfe brauchen bei der Ausbildung von Jugendlichen, die man in der Vergangenheit, unter anderen “Markt“bedingungen nicht eingestellt hätte. Deshalb sollten ausbildungsbegleitende Hilfen zur Regelangeboten für die Betriebe ausgebaut werden. Für jeden Auszubildenden wird dabei ein individueller fördert Plan in Abstimmung mit dem Ausbildungsbetrieb erstellt, anhand dessen die Lernschritte und Lernerfolge verfolgt werden können. Das unterrichtende Personal setzt sich in der Regel aus erfahrenen Ausbildern und Lehrkräften zusammen. Die sozialpädagogischen Mitarbeiter unterstützen die Auszubildenden bei deren beruflichen und privaten Probleme und helfen bei Lernproblemen und Prüfungsangst. Den Betrieben und Jugendlichen wird bei der „assistierenden Ausbildung“ ein Bildungsträger zur Seite gestellt. Dieser Träger soll den Betrieben bei der Auswahl der Jugendlichen und bei der Ausbildung helfen. Zudem soll er den Jugendlichen bei Problemen in der Ausbildung unterstützen. Der DGB fordert abschließend, dieses Instrument mit ausbildungsbegleitenden Hilfen zu verknüpfen und als ein Regelinstrument in das SGB III aufzunehmen.

Soweit die Position der Gewerkschaften vor dem Hintergrund der – letztendlich nur scheinbaren – Paradoxie auf dem Ausbildungsmarkt (der übrigens kein richtiger Markt ist, weil er nicht so funktioniert), dass es immer mehr unbesetzte Lehrstellen und gleichzeitig eine erhebliche Anzahl an unversorgten Jugendlichen und jungen Menschen gibt. Bei aller Notwendigkeit, neue bzw. andere Wege zu gehen und die Zahl der jungen Menschen, die in das duale Ausbildungssystem integriert werden, zu erhöhen, sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass gerade hinsichtlich der Ausbildung die Vogelperspektive auf ganz Deutschland nicht wirklich hilfreich ist, denn die Disparitäten zwischen Angebot und Nachfrage variieren ganz erheblich auf der regionalen und beruflichen Ebene. Und seien wir ehrlich: Rein statistisch müssten unversorgte Jugendliche aus ländlichen oder anderen Regionen, in denen es ein Ausbildungsplatzmangel gibt, in Städten wie München oder Stuttgart umziehen, wo händeringend nach jungen Bewerbern gesucht wird. Aber das ist letztendlich in den meisten Fällen nur eine theoretische Option und auch wenn die Bereitschaft bestehen sollte, werden viele junge Menschen schlichtweg finanziell und mit Blick auf den notwendigen Wohnraum an der Umsetzung dieser Option scheitern müssen. Es wird keine einfachen Lösungen geben können.

Aber man sollte nichts unversucht lassen, um die Integrationskraft des Ausbildungssystems wieder zu stärken und auf Dauer zu festigen. Die Folgekosten einer Nicht-Ausbildung für die Betroffenen wie auch für die Volkswirtschaft sind evident und gewachsene, gut funktionierende Systeme wie die duale Berufsausbildung kann man schnell auflaufen lassen und zerstören. Eine Wiederbelebung wird es dann aber nicht mehr geben.

„Verlorene Generation“ dort, aber auch hier. Dazu europäische Verlautbarungsrhetorik und bei uns ein „Übergangssystem“, zu dem es kein Erkenntnis-, sondern ein veritables Umsetzungsproblem gibt.

Es ist ein Drama, was sich vor allem, aber nicht nur in den Krisenstaaten des Euro-Raums für die dortige junge Generation abspielt. Arbeitslosenquoten zwischen 25 bis über 50% sind eine echte Katastrophe für diese „verlorene Generation“. Hinzu kommt, dass viele junge Europäer auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit ausgewandert sind in andere Länder – und dort nicht selten in neuen Ausbeutungsverhältnissen landen. Hierzu nur als ein Beispiel von vielen den Beitrag Arbeitnehmer zweiter Klasse: »Seit Beginn der Eurokrise kommen gut ausgebildete Pflegekräfte aus Südeuropa nach Deutschland. Hier werden einige von ihnen von Medizindienstleistern mit Knebelverträgen und schlechter Bezahlung ausgenutzt«. Oder aber sie gehen in ihren Heimatstaaten Beschäftigungen zu Niedrigstlöhnen nach, die sie aus der offiziellen Statistik katapultieren. Die Lage in Griechenland, Spanien und den anderen Krisenstaaten ist besonders übel – aber auch im Zentrum der relativen arbeitsmarktlichen „Glückseligkeit“, also in Deutschland, gibt es zahlreiche Verwerfungen für einen Teil der jüngeren Generation.

Es wird zwar immer wieder auf die im Vergleich zu anderen Ländern sehr niedrige Arbeitslosenquote der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hingewiesen. Allerdings ist diese offiziell ausgewiesene registrierte Arbeitslosigkeit unter den Jüngeren nur der eine Teil der Wahrheit, denn die faktische Erwerbs- und Ausbildungslosigkeit verbirgt sich teilweise hinter eigenen Systemen, wie dem so genannten „Übergangssystem“ in der Zone zwischen der Schule und dem Beruf bzw. der beruflichen Ausbildung. Und obgleich die Diskussion in Deutschland beherrscht wird von Berichten über nicht besetztbare Ausbildungsstellen, weil aufgrund der demografischen Entwicklung immer mehr junge Menschen fehlen würden, gelingt es auch hier hunderttausenden Jugendlichen nicht, ohne Hürden und Umwege in eine berufliche Ausbildung einzumünden. Hinzu kommen die, die gar nicht mehr auf den offiziellen Schirmen auftauchen, weil sie irgendwo zwischen den zählbaren Systemen treiben.

So stellt die Autorengruppe Bildungsberichterstattung in ihrem Bericht „Bildung in Deutschland 2014“ fest: »Nimmt man alle Sektoren beruflicher Bildung (einschließlich Hochschulstudium) für die letzten 20 Jahre in den Blick, dann zeigt sich, dass zwei Sektoren eine starke Dynamik entfalten, die beiden anderen eher stagnieren oder rückläufig sind: Eine starke Aufwärtsdynamik von ca. 200.000 Personen bzw. 61% an Neuzugängen weist das Hoch-/Fachhochschulstudium seit der Jahrhundertwende auf … Am unteren Ende der Berufsausbildung steigen zunächst die Neuzugänge zum Übergangssystem während des Zustroms der geburtenstarken Schulentlassjahrgänge auf fast eine halbe Million bzw. 40% der Neuzugänge jährlich an, um im demografischen Abschwung sukzessive auf eine viertel Million (2013) bzw. 27% an den Neuzugängen zurückzugehen.« (Vgl. hierzu auch die Abbildung, die dem Bildungsbericht entnommen ist). Das für Deutschland so wichtige und im internationalen Vergleich immer wieder als besonders vorteilhaft herausgestellte duale System der Berufsausbildung ist der große Verlierer der Umsortierprozesse, die seit längerem ablaufen: Im Vergleich zu 2000 hat es fast ein Fünftel der Neuzugänge verloren.

»Sowohl die Ausbildungs- als auch die Ausbildungsbetriebsquote gehen in diesem Zeitraum deutlich (ca. 10%) zurück … Das bedeutet, dass immer weniger Betriebe ausbilden (2012 noch 21,3%) und gleichzeitig die duale Ausbildung an Gewicht für das Beschäftigungssystem verliert (Ausbildungsquote).« 2013 gab es zum ersten Mal mehr Studienanfänger als Neuzugänge in eine duale Berufsausbildung.

Das „Übergangssystem“ als Auffangbecken für die Übriggebliebenen und (Noch-)Nicht-Verwertbaren hat zwar abgenommen, allein schon aufgrund der durch die demografische Entwicklung bedingten rückläufigen Zahl an jungen Menschen und weil tatsächlich aufgrund der Verschiebung der Angebots-Nachfrage-Relationen zuungunsten der Betriebe einige von ihnen auch Jugendlichen ein Chance geben, die früher nicht mal in die Nähe eines Vorstellungsgesprächs gekommen wären, aber immer noch mehr als 250.000 strömen erst einmal in das überaus heterogene „Übergangssystem“. Dieser anhaltende Zustrom ist zudem sozial hoch selektiv, wie man dem Bildungsbericht 2014 entnehmen kann:

»Mündet bei den deutschen Neuzugängen jeder Vierte ins Übergangssystem, so ist es bei den Ausländern fast die Hälfte. Bei den unteren Schulabschlusskategorien steigen bei den ausländischen Jugendlichen die Einmündungsquoten im Übergangssystem auf annähernd 85% bei Neuzugängen ohne Hauptschulabschluss und auf fast drei Fünftel mit Hauptschulabschluss. Selbst bei Neuzugängen mit Mittlerem Abschluss bleibt die Quote der ausländischen Jugendlichen im Übergangssystem knapp doppelt so hoch wie bei der entsprechenden deutschen Schulabsolventengruppe … Im Übergangssystem haben die männlichen Neuzugänge einen Anteil von drei Fünfteln, sind also stärker von Übergangsschwierigkeiten betroffen.«

Aber es gibt nicht nur die jungen Menschen, die in dem vielgestaltigen und seit langem einer kritischen Bewertung unterworfenen „Übergangssystem“ zwischengelagert und bestenfalls mit einem mehr oder weniger langen Zeitaufwand am Ende dem Ausbildungssystem doch zugeführt werden – oder aber in irgendeine Beschäftigung abwandern.

Es war der EU-Sozialkommissar László Andor, der diese Tage in einem Interview („Die Statistik verbirgt 370.000 junge Arbeitslose“) den Finger auch auf eine der Wunden bei uns gelegt hat:

»Deutschland hat zwar offiziell eine registrierte Jugendarbeitslosigkeit von nur 7,8 Prozent. Die wahre Jugendarbeitslosigkeit ist aber weitaus höher. In Deutschland gibt es 370.000 arbeitslose Jugendliche, die nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen, weil sie nicht nach Arbeit suchen und nicht in Ausbildung oder Schulung sind. Das ist eine sehr hohe Zahl, die ein Grund zur Sorge ist. Viele dieser Jugendlichen sind Migranten oder Außenseiter der Gesellschaft. Aus Sicht der EU-Kommission muss die deutsche Politik sich um diese Gruppe viel stärker kümmern. Der deutsche Ansatz bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist zu stark auf die offiziell registrierten arbeitslosen Jugendlichen konzentriert. Deutschland muss mehr tun, um die Jugendgarantie, wonach jeder Jugendliche unter 25 Jahren nach vier Monaten einen Job, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz erhalten soll, umzusetzen. Die Politik muss sich auch um jene Menschen kümmern, die nicht im Computersystem registriert sind, aber trotzdem keine Arbeit haben und dringend Hilfe benötigen.«

Das sind ja nun andere Zahlen als die, die man ansonsten gewohnt ist. Wo kommen die 370.000 her und wie muss man die einordnen?

Diese Zahl hat sich der EU-Sozialkommisar nicht ausgedacht, sondern sie stammt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Deutschland selbst. Denn in deren National Implementation Plan to Establish the EU Youth Guarantee in Germany aus dem April 2014 findet man den folgenden Passus:

»The NEET rate (NEET meaning not in education, employment or training) comprises those young people of the same age who neither go to work nor attend vocational education and training nor are in other forms of education. Germany had a NEET rate of 7.1 percent (640,000 individuals) in 2012 – almost twice as many as young unemployed.«

Das NEET-Konzept (NEET = „Not in Employment, Education, or Training“), ist ein erweitertes Erwerbslosigkeitskonzept, bei dem – neben den im engeren Sinne arbeitslosen Jugendlichen – auch arbeitsmarktferne Jugendliche, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung befinden, als Risikogruppe in die Berechnung einfließen, so Hans Dietrich in seinem Aufsatz Qualitative und quantitative Dimensionen von Jugendarbeitslosigkeit in Europa, der 2013 in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst veröffentlicht wurde. Zu den NEETS vgl. auch die Studie von Eurofound (2012): NEETs – Young people not in employment, education or training: Characteristics, costs and policy responses in Europe, Dublin.

Das alles verdeutlicht, dass wir nicht nur in den Krisensstaaten der EU eine Menge zu tun haben, wenn es um die Teilhabeperspektiven der jungen Generation geht. Auch in Deutschland, dem angeblichen Musterland, gibt es zahlreiche Baustellen. Insofern ist es konsequent, dass der Deutschlandfunk die Serie „Europas vergessener Nachwuchs“, die in der Sendung „Campus & Karriere“ gelaufen ist, mit einem Blick auf die Situation in Deutschland abgeschlossen hat. Die Beiträge aus dieser Serie kann man hier abrufen bzw. nachlesen:

Es ist eine verfahrene Situation – seit mehreren Jahren gibt es massive Probleme mit einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit vor allem in den südeuropäischen Staaten. Aber nicht nur dort, wie hier gezeigt wurde, sondern auch in dem „Musterland“ Deutschland, das nicht nur im Fußball Weltmeister geworden ist, sondern auch hinsichtlich des Umgangs mit den offenen und vor allem den versteckten jugendlichen Arbeitslosen weltmeisterlicher Qualitäten an den Tag legt. Und dies ist hier ausdrücklich im positiven wie im negativen Sinne gemeint. Denn auf der einen Seite kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass es in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart gelungen ist bzw. gelingt, einen Großteil der Jugendlichen beim Übergang zwischen Schule und Beruf gut zu integrieren in das Erwerbssystem. Von zentraler Bedeutung hierfür ist das duale Berufsausbildungssystem in Deutschland. Über dieses höchst komplexe Gebilde im Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften ist es bislang sehr gut gelungen, die Mehrheit der jungen Menschen in eine vernünftige berufliche Grundbildung einzubetten.

Allerdings muss auf zwei zentrale Schwachstellen hingewiesen werden: Zum einen gerät seit längerem das System der dualen Berufsausbildung in dem Moment, in dem andere Länder am liebsten dieses System kopieren und zu sich verpflanzen würden, von mehreren Seiten schwer unter Druck. „Von oben“, weil immer mehr junge Menschen an die Hochschulen drängen, darunter auch sehr viele, die früher eine duale Berufsausbildung gemacht hätten. Aber auch „von unten“, denn die Öffnung der Ausbildung für so genannte „leistungsschwächere“ Jugendliche lässt sich nur auf dem Papier so einfach bewerkstelligen, denn zum einen sind die Ausbildung in den vergangenen Jahren teilweise erheblich kognitiv angehoben worden, so dass sich gerade für Jugendliche, die an und in der Schule gescheitert sind, erhebliche neue Scheiternswahrscheinlichkeiten ergeben. Zum anderen ist es aber auch so, dass unter diesen Jugendlichen, die bislang keinen Zugang zu einer Ausbildung gefunden haben, natürlich auch junge Menschen sind, die erhebliche Verhaltensprobleme oder andere persönliche Einschränkungen haben, die es dem einzelnen Auszubildenden Unternehmen schwer bis teilweise unmöglich macht, hier eine betriebliche Ausbildung anbieten zu können.

Nun wird nicht erst seit gestern über die Probleme beim Übergang zwischen Schule und Beruf diskutiert und experimentiert mit Lösungsmöglichkeiten. Man kann und muss sogar so weit gehen, festzustellen, dass wir in keinerlei Hinsicht mehr ein Erkenntnisproblem haben, was sowohl die Schwachstellen wie auch die konzeptionellen Ansätze für eine sinnvolle Reform dessen, was bei uns als „Übergangssystem“ bezeichnet wird, angeht – sondern ein im wahrsten Sinne des Wortes leider typisch deutsches Umsetzungsproblem. Hier lassen sich bei genauerer Betrachtung zwei zentrale Problemstellen identifizieren: zum einen ist es bis heute nicht gelungen, die vielen guten und auch erprobten Ansätze aus den zahlreichen Modellprojekten in eine nachhaltige, flächendeckende Struktur zu implementieren. Wir brauchen nicht nur eine Verstetigung, sondern auch eine Konzentration der mit diesen Ansätzen verbundenen Personen unter einem Dach. An diesem Aspekt setzt ja auch konzeptionell der Ansatz der Jugendberufsagenturen an (vgl. als Beispiel die Hamburger Jugendberufsagentur), wobei darauf zu achten ist, dass hier nicht nur eine neue Hülle geschaffen wird, sondern dass auch tatsächlich unter dieser Hülle die modernen pädagogischen Konzepte für die Arbeit mit den Jugendlichen umgesetzt werden (können). Auf der anderen Seite ist es im wahrsten Sinne des Wortes skandalös, dass die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte, die an dieser schwierigen Schnittstelle zwischen Schule und Beruf arbeiten, mit zu den am schlechtesten ausgestalteten in der Bildungskette gehören. Nicht nur eine desaströs niedrige Bezahlung, sondern die auch noch verbunden mit im Regelfall extrem kurz laufenden Befristung sind Alltag in diesem Bereich. Dies ist nicht nur mit Blick auf die betroffenen problematisch, sondern vor allem angesichts einer Erkenntnis, die man aus vielen Modellprojekten ableiten konnte und die sich bei logischer Betrachtung von selbst ergibt: Gerade in diesem Bereich sind dauerhafte Beziehungen zwischen den Fachkräften und den betroffenen Jugendlichen von zentraler Bedeutung, denn hier müssen nicht nur zu den Jugendlichen, sondern auch zu den Arbeitgebern, die bereit sind, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, sichere Bindung aufgebaut werden. Das alles ist höchst voraussetzungsvoll.

Angesichts der Tatsache, dass wir in Deutschland immer noch derart massive Probleme haben, wenn es um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bzw. der Ausbildungslosigkeit junger Menschen geht, sollte es nicht verwunderlich sein, dass das in anderen Ländern noch weitaus schlimmer aussieht und dass die europäische Ebene angesichts der unglaublichen Heterogenität, die sich schon innerhalb eines Landes, geschweige denn zwischen den unterschiedlichen Ländern ausprägt, mit großen Summen zu operieren scheint, in Wahrheit aber damit konfrontiert ist, dass man immer noch hinsichtlich der so genannten Youth Guarantee im wesentlichen auf der Ebene der Verlautbarungsrhetorik stecken geblieben ist.

Es gibt wahrlich keine einfachen Antworten auf diesem Spielfeld, aber überhaupt nicht zu spielen bzw. darüber zu diskutieren, dass das Spielfeld äußerst uneben ist, wird sich im Nachhinein noch einmal bitter rächen. Denn sehenden Auges produziert man derzeit eine im wahrsten Sinne des Wortes „verlorene Generation“.

Wie passt das zusammen? Klagen über Fachkräftemangel und Akademisierungswahn – und dann fällt die Zahl der neuen Ausbildungsverträge auf einen historischen Tiefstand. An der Passung liegt es, aber nicht nur

Das sind keine erfreulich daherkommenden Nachrichten, die das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn der Öffentlichkeit mitteilen musste: „Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fällt auf historischen Tiefstand„, so ist die Botschaft überschrieben.

Die wichtigsten Befunde in der Zusammenfassung: »(Die) Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fiel auf einen historischen Tiefstand, den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Zugleich nahmen die Passungsprobleme zu: ein höherer Anteil des betrieblichen Ausbildungsangebots blieb unbesetzt, und mehr Ausbildungsplatznachfrager blieben bei ihrer Ausbildungsplatzsuche erfolglos. Insgesamt verschlechterte sich die Marktlage zu Lasten der Jugendlichen, und es gelang nicht mehr im selben Ausmaß wie in den drei Jahren zuvor, ausbildungsinteressierte Jugendliche an dualer Berufsausbildung zu beteiligen.«

Natürlich stellt sich angesichts dieser Daten die völlig naheliegende Frage, wie es sein kann, dass in den Medien andauernd über fehlende Fachkräfte – dabei auch und zutreffend in den „klassischen“ Ausbildungsberufen und nicht nur bezogen auf Ärzte oder Ingenieure – sowie fehlende Azubis diskutiert wird und ebenfalls grundsätzlich zutreffend über die problematischen Auswirkungen der expandierenden Akademisierung auf das System der dualen Berufsausbildung (vgl. hierzu beispielsweise die Arbeit „Wie viel akademische Bildung brauchen wir zukünftig? Ein Beitrag zur Akademisierungsdebatte“ von Hartmut Hirsch-Kreinsen) berichtet und diskutiert wird – und dann müssen wir einen solchen Einbruch bei der Zahl der Ausbildungsverträge zur Kenntnis nehmen?

Sven Astheimer versucht sich in der FAZ an Erläuterungsversuchen: »Neben dem demographischen Wandel gibt es weitere Gründe für den Rückgang in den Lehrberufen. Zum einen sorgt der Trend zu höheren Abschlüssen dafür, dass die Zahl der Studienanfänger mit mehr als einer halben Million mittlerweile fast gleichauf mit den neuen Lehrlingen liegt.« Und weiter: »Zum anderen sprechen Fachleute vom Bundesinstitut für Berufsbildung, die die Statistik erhoben haben, von einer steigenden „Passungsproblematik“: Das bedeutet, dass das Angebot an Lehrstellen und die Jugendlichen häufig nicht mehr zusammen passen. Das kann daran liegen, dass etwa Berufe im Handwerk, der Gastronomie oder in der Landwirtschaft nicht mehr den Wünschen der Jugendlichen entsprechen. Genauso gut ist möglich, dass die Qualifikation der Bewerber nicht den Anforderungen der Arbeitgeber entspricht.«

Bereits Ende Oktober hatte Astheimer in seinem Artikel „Lehrstellen und Bewerber finden schwerer zusammen“ auf diese Passungsprobleme hingewiesen und die Debatte darüber sofort als eine des Kampfes um „Deutungshoheit“ gewertet. Damit meint er die reflexhaften Reaktionen der Gewerkschaften und der Wirtschaft auf die sich verschlechternden Zahlen vom „Ausbildungsmarkt“ (wobei die Anführungszeichen hier von mir gesetzt werden vor allem für den Terminus „Markt“, denn es handelt sich wenn überhaupt nur um einen sehr amputierten „Markt“). Während die Gewerkschaften auf die „krisenhafte“ Entwicklung abstellen und angesichts der (wieder zunehmenden) Probleme eines Teils der jungen Menschen und der beobachtbaren Reduktion der Zahl der überhaupt ausbildenden Betriebe einen „Rechtsanspruch auf eine Lehrstelle“ fordern, kontern die Wirtschaftsvertreter: „Mangelnde Ausbildungsreife lässt sich nicht durch Rechtsanspruch aus der Welt definieren“. Mit diesen Worten wird Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, in dem Beitrag von Astheimer zitiert. In allen Branchen und Berufen gebe es unbesetzte Lehrstellen. Die tatsächliche Zahl liege sogar noch deutlich über den offiziellen, denn längst nicht jedes Unternehmen melde seine offenen Stellen.

Es ist wie so oft eine Spiegelbild der allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatte: Die Gewerkschaften fokussieren ihre Kritik auf die Nachfrageseite des „Ausbildungsmarktes“, also die Unternehmen, denen man „Versagen“ bei der Aufgabe, genügend Ausbildung nachzufragen, vorwirft, während die Arbeitgeber auf der Angebotsseite des „Ausbildungsmarktes“ herumreiten, also die mangelnde „Ausbildungsreife“ oder ein spezifisches Wahlverhalten der potenziellen Azubis beklagen, das dann im Ergebnis zu nicht besetzten Ausbildungsstellen führen würde. Und wie so oft wird die Wahrheit in der Mitte dieser beiden großen Schneisen liegen.

Die Bewerber sind oft nicht dort, wo es die Stellen gibt. Dann reicht eben der Blick auf die Gesamtzahl an angebotenen und nachgefragten Ausbildungsstellen nicht aus, er führt eher auf die falsche Fährte. Die ostdeutschen Bundesländer haben das jahrelang schmerzhaft zu spüren bekommen. Natürlich gebe es eine (aber nur scheinbar) einfache Lösung dieses allgemeinen Mismatch-Problems: Die junge Leute müssen eben dahin, wo es ausreichend oder gar zu viele Ausbildungsplätze gibt. Wenn man das aus welchen Gründen auch immer nicht hinbekommt oder auch nicht hinbekommen möchte, dann muss man für einen Teil der jungen Menschen Alternativen schaffen – auch davon können die ostdeutschen Bundesländer ein Lied singen.
Die Experten des Bundesinstituts für Berufsbildung gehen differenziert an die Situation heran. Sie identifizieren unterschiedliche Problemtypen auf dem Ausbildungsmarkt, eine instruktive Übersicht findet sich in dieser aktuellen Veröffentlichung:

Joachim Gerd Ulrich, Stephanie Matthes, Simone Flemming, Ralf-Olaf Granath, Elisabeth M. Krekel: Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2013. Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fällt auf historischen Tiefstand. BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30. September (vorläufige Fassung vom 12.12.2013), Bonn

Die dieser Publikation entnommene Abbildung (Ulrich et al. 2013: 12) verdeutlicht, dass das Besondere an dem „Passungsproblem“ ist, dass hier vielen erfolglosen Bewerbern zugleich viele offene Ausbildungsstellen gegenüberstehen. Regionale Mismatch-Situationen hingegen gehören oftmals zum „Versorgungsproblem“. Alle hier dargestellten Problembereiche des „Ausbildungsmarktes“ werden dann detailliert und mit aktuellen Daten bestückt analysiert.

60% aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wurden im Bereich Industrie und Handel registriert. Im Handwerk – als zweitgrößtem Bereich – waren es 26,8%. Und hier sind leider die stärksten Rückgänge zu beobachten: Das Handwerk musste erneut einen deutlichen Rückgang bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen hinnehmen musste (bundesweit um -5.200 bzw. -3,5% auf nunmehr 142.100). Ein noch deutlicheres Minus war in diesem Jahr jedoch im Bereich Industrie und Handel zu verzeichnen, wo insgesamt nur noch 318.500 neue Ausbildungsverträge (-14.100 bzw. -4,2% im Vergleich zum Vorjahr) abgeschlossen wurden (Ulrich et al. 2013: 8).

Mit Blick auf die Zukunft: Nicht nur die offensichtlich rückläufige Ausbildungszahlen am Anfang der Ausbildungsphase sollten vor dem Hintergrund des erheblichen Ersatzbedarfs in Handwerk und Industrie auf der Ebene der Facharbeiter sowie bei den kaufmännischen Berufen zu erheblicher Besorgnis Anlass geben. Wir steuern hier immer stärker auf massive Engpassprobleme zu. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass bekanntlich nicht alle, die eine Ausbildung anfangen, diese auch mit einem Abschluss beenden. Wir sind in Teilbereichen des dualen Systems mit erheblichen Anteilen an Ausbildungsabbrechern konfrontiert:

»Im Jahr 2011 wurden im Bundesgebiet fast 150.000 Ausbildungsverträge (24,4 %) vorzeitig gelöst … Dabei gibt es zwischen den verschiedenen Ausbildungsberufen sehr große Unterschiede. Die Spannweite reicht vom Beruf Verwaltungsfachangestellte/-r mit der geringsten Quote von 3,7 % zum/zur Restaurantfachmann/ -frau mit der höchsten Quote von 51,0 %.« So die Zahlen aus der Studie von Ursula Beicht und Günter Walden: Duale Berufsausbildung ohne Abschluss – Ursachen und weiterer bildungsbiografischer Verlauf. Analyse auf Basis der BIBB-Übergangsstudie 2011 (=BIBB-Report 21/13), Bonn 2013.

Das alles hat nicht nur was mit mangelnder „Ausbildungsreife“ der jungen Menschen zu tun, sondern auch mit einer mangelhaften „Ausbildungsreife“ so mancher Betriebe- Hierzu ausführlicher:

Matthias Anbuhl und Thomas Gießler: Hohe Abbrecherquoten, geringe Vergütung, schlechte Prüfungsergebnisse – Viele Betriebe sind nicht ausbildungsreif. DGB-Expertise zu den Schwierigkeiten der Betriebe bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen, Berlin 2012

Die neuen Zahlen geben uns bedenkliche Hinweise auf die Verhasstheit des dualen Ausbildungssystems – das insgesamt unter einem doppelten Druck steht: Zum einen „von oben“, da immer mehr junge Leute, die früher hier eingemündet sind, nunmehr an die überfüllten Hochschulen strömen, zum anderen aber auch „von unten“, weil gleichzeitig aufgrund der gestiegenen Anforderungen in vielen Ausbildungsberufen eine Öffnung hin zu den „leistungsschwächeren“ Jugendlichen verbaut oder zumindest erheblich erschwert ist.