Das war eine Meldung, die für Aufsehen gesorgt hat: „Die Entlassung in die Obhut des Landratsamts erfolgt am 15. Juli 2025 um 9 Uhr – in Abstimmung mit dem gesetzlichen Betreuer“, hat der Geschäftsführer eines Pflegeheims in einem Statement an die Presse geschrieben. Ein Bewohner aus dem BFR Spiegelberg bei Heilbronn muss die Einrichtung verlassen, weil das Sozialamt seinen Antrag auf „Hilfe zur Pflege“ seit einem Jahr nicht bearbeitet hat.
„Trotz mehrfacher Hinweise, Mahnungen und der rechtlich vorgeschriebenen Kündigungsandrohung reagierte das Amt nicht. Die Bearbeitungszeit ist nicht mehr tragbar“, so der Geschäftsführer Alexander Flint. „Der Bewohner verfügt über eine monatliche Rente unter 2.000 Euro. Das verfügbare Vermögen ist aufgebraucht. Dennoch liegt die Bearbeitung des Antrags seit einem Jahr brach.“
Es lebten augenblicklich sechs weitere Bewohner in der Einrichtung im Ort Spiegelberg, so Flint, „bei denen die Kostenübernahme seit Monaten entweder vollständig aussteht oder nur teilweise erfolgt. Die Belastung summiert sich in kurzer Zeit auf fünfstellige Beträge.“ Der Geschäftsführer spricht von einer „systematischen Aushöhlung des pflegerischen Versorgungsnetzes.“ Das Heim mit 42 Plätzen ist auf die Betreuung schwerstpflegebedürftiger und demenziell veränderter Menschen spezialisiert.
Die bundesweit berichtete Problematik, dass ein Teil der Sozialämter schlichtweg Monate lang im Zahlungsverzug für die „Hilfe zur Pflege“-Leistungen nach dem SGB XII ist, wurde erst vor kurzem hier aufgegriffen: In dem Beitrag Pflegeheime in der Insolvenzwelle? Diesseits und jenseits der Brutto- und Nettozahlen vom 20. Juni 2025. Dort wurde ausgeführt:
Nicht nur die privatgewerblichen Anbieter von Pflegeleistungen beklagen eine teilweise desaströse Zahlungsmoral einiger Pflegekassen, vor allem aber der Sozialämter, die Kostenträger sind für die „Hilfe zur Pflege“-Leistungen nach dem SGB XII. Und wenn man bedenkt, dass in den Heimen mittlerweile im Schnitt 40 Prozent, teilweise auch die Hälfte der Bewohner/innen aufgrund der Höhe der zu leistenden Eigenanteile auf die bedürftigkeitsabhängige Sozialhilfeleistung angewiesen sind, dann kann man sich vorstellen, welche Bedeutung rechtzeitige Zahlungsflüsse seitens der Sozialhilfeträger haben bzw. welche Liquiditätsprobleme aus Zahlungsverzögerungen resultieren können, die dann bei fehlenden finanziellen Puffern schnell an den Rand der Zahlungsunfähigkeit des Heimträgers führen können, vor allem bei den vielen kleinen Heimbetreibern, die (noch) die stationäre Versorgung dominieren. Für den Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) ist schlechte Zahlungsmoral der gesetzlichen Pflegekassen und Sozialämter sogar die Hauptursache für die Insolvenzentwicklung in der Branche. Für den Bezug der „Hilfe zur Pflege“-Leistung sind Anträge erforderlich und die Bearbeitung dieser Anträge dauert bei den Sozialhilfeträgern gute sechs Monate, oft sogar zwölf oder auch 18 Monate, argumentiert der AGVP. Und wenn der gesetzliche Anspruch auf die Leistung besteht, warten die Pflegeunternehmen teilweise monatelang auf die Leistungen der Sozialämter (siehe den Beitrag Was steckt hinter dem Heimsterben?). Das ist offensichtlich ein Problem, das völlig unabhängig ist von der Trägerschaft der Heime. So haben sich beiden Verbände der konfessionell gebundenen Pflegeheimbetreiber, also der evangelische DVAP und der katholische VKAD, zu Wort gemeldet: „Jedes dritte Pflegeheim geht mit über 100.000 Euro in Vorleistung“, so ist deren Mitteilung vom 26. Mai 2025 überschrieben: »Viele Sozialämter kommen mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Die Folge sind massive Außenstände, die Pflegebedürftige und Heime gleichermaßen belasten. |
Dazu auch der – hier leider besonders passende – Beitrag Bewohnern droht Rauswurf aus Pflegeheimen von Gottlob Schober, der am 13. Mai 2025 veröffentlicht wurde: »Sozialämter brauchen meist Monate, in Extremfällen länger als ein Jahr, bis Anträge auf „Hilfe zur Pflege“ entschieden werden. Das ergab eine Umfrage von Report Mainz. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bringt das in Bedrängnis.« Auch in seinem Beitrag werden wir mit einem konkreten Fall konfrontiert:
»Karin S. (Name geändert) hat Angst um ihren 69-jährigen Vater. Er ist pflegebedürftig und lebt in einem Heim in Niedersachsen. Seine Rente und das Geld der Pflegeversicherung reichen nicht, um die Heimrechnungen zu zahlen. Monatlich fehlen rund 900 Euro. Deshalb stellte die Tochter im April 2023 einen Antrag beim Sozialamt – auf „Hilfe zur Pflege“. Zehn Monate später war ihr Antrag immer noch nicht bewilligt. Das Vermögen des Vaters war inzwischen aufgebraucht. Und dann der Schock am Telefon: „Das Pflegeheim hat gedroht, meinen Vater vor die Tür zu setzen, wenn wir die laufenden Kosten nicht bezahlen können.“ Sie ist verzweifelt, denn Alternativen zum Pflegeheim hat sie nicht. Sie fürchtet, dass ihr Vater nicht mehr versorgt werden kann.
Der für das Sozialamt zuständige Landkreis schreibt zu dem Fall: „Zum Zeitpunkt der Antragstellung“ habe es einen „extremen Personalengpass“ gegeben. „Die Antragsunterlagen der Tochter“ seien „nicht vollständig und „von einer drohenden Kündigung des Heimplatzes“ sei „nichts bekannt“ gewesen. Diesen Aussagen widerspricht Karin S. Über die drohende Kündigung des Heimplatzes habe sie mit einer Sozialamtsmitarbeiterin am Telefon gesprochen. Den Vorwurf, die Antragsunterlagen seien unvollständig gewesen, weist sie zurück.«
Das ist offensichtlich kein Einzelfall. Schober zitiert die Ergebnisse einer bundesweiten Report Mainz-Umfrage: Danach äußerten sich insgesamt 113 Sozialämter konkret zu den Bearbeitungszeiten bei „Hilfe zur Pflege“. Rund 27 Prozent von ihnen gaben an, dass diese von mehr als sechs Monaten bis hin zu einem Jahr dauern können. Fünf Prozent gaben Bearbeitungszeiten von weit mehr als zwölf Monaten an.
Besonders gravierend ist die Situation in Berlin-Pankow. Dort müssen Antragsteller „manchmal zwei oder drei Jahre warten“. In Wilhelmshaven zum Beispiel betragen die Bearbeitungszeiten in „23 Prozent der Fälle“ mehr als ein Jahr, im baden-württembergischen Tuttlingen „aktuell rund 12 Monate“ und im Landkreis Wittenberg „teilweise über ein Jahr“.
Auch die Perspektive der Sozialämter wird von Schober beispielhaft angerissen:
»Im Sozialamt des Berliner Bezirks Steglitz-Zehlendorf beträgt die mittlere Bearbeitungszeit fast ein Jahr. Hier arbeitet Heinz Sonnenschein in einer Welt voller Aktenberge und Rollcontainern: „Wir arbeiten aktuell immer noch mit Papierakten. Alle Post wird in Papier zu uns geschickt. Wir drucken das aus und arbeiten alles in Papierform ab.“ Der zuständige Bezirksstadtrat Tim Richter beklagt außerdem eine „hohe Mitarbeiterfluktuation“ im Sozialamt, „fehlende Unterlagen“, „zeitintensive Vermögensprüfungen“ und ein „anhaltend steigendes Antragsvolumen“. Aktuell gibt es in Steglitz-Zehlendorf 360 unbearbeitete Anträge auf „Hilfe zur Pflege“. Mit den Bearbeitungszeiten ist Richter nicht zufrieden: „Ich arbeite mit viel Kraft daran, dass wir schneller werden, dass wir digitaler werden. Ich möchte mich aber nicht aus dem Fenster lehnen, dass das morgen der Fall ist“.«
Zurück zum aktuellen Fall: Ist der betroffene pflegebedürftige Mensch dem Landratsamt vor die Tür gestellt worden?
Offensichtlich nicht, wenn man diese Meldung des SWR zur Kenntnis nimmt: Antrag auf „Hilfe zur Pflege“ ein Jahr nicht bearbeitet: Pflegeheim bleibt auf Kosten sitzen: Einem Pflegeheimbewohner in Spiegelberg (Rems-Murr-Kreis) ist nach über einem Jahr unbezahlter Pflegeleistungen der Vertrag gekündigt worden. Aber:
»Vor die Tür gesetzt werde der Mann nicht, er dürfe vorerst bleiben. Die Kosten trage weiterhin die Einrichtung.«
Laut Heimleitung ist dies kein Einzelfall: In sechs weiteren Fällen fehlt ebenfalls die Kostenübernahme. 245.000 Euro muss das Heim nach eigenen Angaben momentan selbst auslegen. Ähnliche Erfahrungen schildert ein Seniorenheim aus Eppingen (Kreis Heilbronn). Hier belaufen sich die offenen Posten aktuell auf rund 145.000 Euro.
Und auch in diesem Bericht werden wir konfrontiert mit der bereits zitierten „Verteidigungsargumentation“ vieler Sozialämter:
»Das Sozialamt des Landkreises Heilbronn teilte auf Anfrage mit, dass die Bearbeitung der Fälle oft komplex sei. Nicht selten fehlten Unterlagen oder Vermögensverhältnisse müssten aufwendig geprüft werden. Das führe oft zu langen Wartezeiten.
Auch der Landkreis Schwäbisch Hall gibt als Hauptgrund der Verzögerung unvollständige Anträge an. Ein bis drei Monate dauere die Bearbeitung dort im Schnitt. Mittlerweile seien manche Abläufe digitalisiert. Damit mache man „gute Erfahrungen“, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt.«
Die Ankündigung des Pflegeheims hat eine Menge Staub aufgewirbelt – man kann das durchaus nachvollziehen als die Androhung einer Notwehrmaßnahme, bevor einem das Wasser nicht nur bis zum Hals steht, sondern man finanziell absäuft.
Jetzt kümmern sie sich – „selbstverständlich“ – weiter um denjenigen, der am allerwenigstens für diese Situation kann und der auf Fürsorge im wahrsten Sinne des alten Wortes für Sozialhilfe angewiesen ist. Man formuliert eine Forderung, die eigentlich selbstverständlich eingelöst werden sollte, die zugleich aber auch zeigt, wie weit man schon mit dem Rücken zur Wand steht:
»Das Seniorenheim Spiegelhof … fordert eine klare gesetzliche Regelung zur Bearbeitungsfrist von Anträgen auf Sozialhilfe sowie ein Zwischenfinanzierungsmodell, wenn sich Anträge durch Behörden verzögern.«