Rechtsanwälte vertragen wegen der anwaltlichen Unabhängigkeit keine Finanzinvestoren, so der EuGH. Und wie ist das dann mit Ärzten in medizinischen Versorgungszentren?

Das sogenannte Fremdkapitalverbot für deutsche Anwaltskanzleien, also das Verbot, dass sich Investoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen dürfen, verstößt nicht gegen die Vorschriften des europäischen Rechts. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden (EuGH, Urteil vom 19.12.2024, Az. C-295/23). Die Pressemitteilung des Gerichts vom 19. Dezember 2024 ist unmissverständlich: Das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren an einer Rechtsanwaltsgesellschaft ist zulässig. Und in der Unter-Überschrift wird auch gleich der Begründungskern der Entscheidung offen gelegt: »Ein solches Verbot ist gerechtfertigt, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten.«

»Ein Mitgliedstaat darf die Beteiligung reiner Finanzinvestoren am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft verbieten. Eine solche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs ist durch das Ziel gerechtfertigt, zu gewährleisten, dass Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufs- und Standespflichten ausüben können.«

Aus München wurden die Zweifel am Fremdkapitalverbot auf die Reise direkt nach Luxemburg geschickt

Der Fall, der diesem Urteil aus Luxemburg zugrunde lag, kommt aus Deutschland. Unter der Überschrift Spek­ta­ku­läre Vor­lage aus Mün­chen wurde im April 2023 berichtet: »Das Fremdkapitalverbot bei Rechtsanwaltsgesellschaften, wonach sich keine Dritten an einer Anwaltskanzlei beteiligen dürfen, ist seit langem höchst umstritten. Jetzt muss der EuGH darüber entscheiden.« Was war der Hintergrund?

»Bis zum 31. Juli 2022 galt in Deutschland ein striktes Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltskanzleien. Danach dürfen sich in einer an dem Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Rechtsanwälte und zum Beispiel Steuerberater und Wirtschaftsprüfer beteiligen können, nicht aber Dritte. Die Berufsträger müssen zudem in der Gesellschaft tätig sein, wie es in § 59 e Bundesrechtsanwaltsordnung formuliert war. Seit dem 1.August 2022 gibt es zwar die Möglichkeit, dass sich in Berufsausübungsgesellschaften auch andere freie Berufe als Gesellschafter beteiligten und mitarbeiten. Aber in reinen Anwaltsgesellschaften gilt das Fremdkapitalverbot im Grundsatz weiterhin.«

„Im Grundsatz“ – da eröffnet der juristischen Lieblingsbeschäftigung die Tür, der Auslegung. Und der Bedarf an einer höchstrichterlichen Auslegung gab es damals beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof, der sich mit einem Vorlageverfahren an den EuGH gewandt hat (AGH, Beschl. v. 20.4.2023, Az. BayAGH III-4-20/21). »Denn die bayerischen Anwaltsrichter haben erhebliche Bedenken, ob das strikte nationale Fremdkapitalverbot europarechtlich in Bezug auf die Freiheit des Kapitalverkehrs aber auch in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist. Sie vertreten grundsätzlich die Auffassung, dass bei entsprechenden Satzungsregelungen, die zum Beispiel die Berufsausübung Rechtsanwälten vorbehält und die Verschwiegenheitspflichten gewährleisten, auch eine Beteiligung Dritter an der Anwaltsgesellschaft möglich sein müsste.«

Der zugrundeliegende Sachverhalt wird von Martin W. Huff in seinem Beitrag so zusammengefasst:

»Hintergrund des Beschlusses des AGH ist eine Auseinandersetzung der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG mit der Rechtsanwaltskammer (RAK) München. Der Gründer der Gesellschaft, Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, hat bereits mit verschiedenen Gesellschaften zum Beispiel mit der Gesellschaft Mietright zur Überprüfung der Mietpreisbremse durch nichtanwaltliche Gesellschaften, für erhebliche Unruhe im anwaltlichen Markt gesorgt. 
Halmer hatte Ende 2020 die Unternehmergesellschaft (UG) gegründet und im Juni 2021 eine knappe Mehrheit, nämlich 51 Prozent seiner 100 Geschäftsanteile an eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten. In der Satzung der UG waren allerdings weitreichende Regelungen enthalten, die die anwaltliche Berufsausübung in der Gesellschaft dem Einfluss der Gesellschafter weitgehend entzogen. So müssen die Geschäftsführer der Gesellschafter Rechtsanwälte sein, die Gesellschaft darf nicht gegen die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung verstoßen und weitere auch Verbraucher schützende Regelungen waren dort enthalten.
Nachdem die Abtretung der Gesellschaftsanteile der RAK München mitgeteilt worden war, widerrief diese mit Bescheid vom 9.11.2021 die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft. Gegen diesen Widerruf richtet sich die Klage der UG vor dem Bayerischen AGH. Dabei steht die UG, vertreten durch die Kanzleien Hengeler Mueller (Prof. Dirk Uwer) und GQL Rechtsanwälte (Moritz Quecke), dezidiert auf dem Standpunkt, dass das grundsätzliche Fremdkapitalverbot für Rechtsanwaltsgesellschaften verfassungsrechtlich und europarechtlich nicht haltbar sei. Es müsse möglich sein, dass sich Finanzinvestoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen können, wenn bestimmte berufsrechtliche Schutzmechanismen eingerichtet werden.«

Mit dieser Argumentation hatte die Unternehmergesellschaft vor dem AGH zum Teil Erfolg. Die Münchener Richter legten dem EuGH die entsprechenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor. Sie wollen vom EuGH insbesondere wissen, ob das nationale Verbot der Beteiligung von Dritten, z.B. Finanzinvestoren, an einer Rechtsanwaltsgesellschaft unter Umständen eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Freiheit des Kapitalverkehrs darstellt.

»In ihrem ausführlichen Beschluss äußern die Richter dabei deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbots. Zwar seien die Unabhängigkeit der Rechtsberatung und die Sicherheit der beruflichen Verschwiegenheit durchaus Ziele der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die eine Beschränkung der Kapitalfreiheit rechtfertigen könnten. Allerdings ist es nach Ansicht der Münchner Richter zweifelhaft, ob zum Erreichen dieser Ziele das grundsätzliche und auch weiterhin modifizierte Verbot der Beteiligung Dritter an Anwaltsgesellschaft erforderlich ist. Sie verweisen auch darauf, dass in der juristischen Literatur immer wieder Zweifel an diesen strikten Regelungen geäußert werden.«

Generell muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Kritiker das strikte Fremdkapitalverbot als überholt ansehen, da es die Anwaltschaft im Wettbewerb mit Legal-Tech-Unternehmen benachteilige. Diese dürfen sich für ihre Geschäftsmodelle Kapital von außen beschaffen.1

Wackelt das Fremdkapitalverbot? Im Sommer 2024 gab es entsprechende Hinweise

»Das geltende Verbot, wonach bestimmte Dritte sich nicht an einer Anwaltsgesellschaft beteiligen dürfen, steht auf der Kippe. Der EuGH-Generalanwalt monierte Verstöße gegen die EU-Niederlassungsfreiheit«, berichtet Martin W. Huff Anfang Juli 2024 unter der fragenden Überschrift Bekommen Inves­toren mehr Ein­fluss in Anwalts­kanz­leien? Er bezog sich dabei auf die Schlussanträge des Generalanwalts am EuGH, Mauel Campos Sanchez-Bordona, im Verfahren „Halmer RA UG gegen die Rechtsanwaltskammer München“. Sanchez-Bordona kam darin zum Ergebnis, dass die strikten Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum Einstieg von Investoren in Anwaltskanzleien nicht in allen Fällen mit der europäischen Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren sind. Der Generalanwalt argumentierte, dass sein Prüfungsmaßstab, an den der EuGH nicht gebunden ist, die Richtlinie 2006/123 über die Dienstleistungen im Binnenmarkt ist. Hier liege der Schwerpunkt der zu klärenden Rechtsfragen.

Bekanntlich folgen die Richter oftmals den Schlussanträgen – aber eben nicht immer. So war das auch im vorliegenden Fall.

Die Luxemburger Richter finden das Fremdkapitalverbot gut und können keinen Verstoß gegen das europäische Recht erkennen

»Das im deutschen Recht verankerte Verbot schränke zwar die Niederlassungsfreiheit ein, sei aber durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls, hier die anwaltliche Unabhängigkeit, gerechtfertigt, so das Gericht. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs gewährleiste, dass Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufspflichten ausüben können«, berichtetn Martin W. Huff und Hasso Suliak in ihrem Beitrag Anwalt­liche Unab­hän­gig­keit ver­trägt keine Finanz­in­ves­toren vom 19.12.2024. Mit dem Urteil reagierte der EuGH überraschend deutlich auf eine Vorlage des Bayerischen Anwaltsgerichtshof (AGH) vom April 2023.

»Nach Ansicht der Großen Kammer des EuGH sind die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Ein Mitgliedstaat könne legitimerweise davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehörte, zu deren Gesellschaftern Personen zählen, die ausschließlich als reine Finanzinvestoren handeln, ohne selbst anwaltlich tätig zu sein.«

Und was ist mit dem Fall, dass die Investoren keinen Einfluss auf die inhaltliche anwaltliche Tätigkeit haben? Selbst dann hält der EuGH das Verbot für verhältnismäßig.

»Nach Ansicht des Gerichts ist es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt. Einflussnahmen von Investoren seien auch durch Regelungen für die Berufsausübung nicht auszuschließen.

Das Gericht begründet das so: „Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nämlich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könnte ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken – gegebenenfalls unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmacht.“ 

Wichtig ist dieser Hinweis von Huff und Suliak: »Nicht berühren dürfte die EuGH-Entscheidung die seit August 2022 geltenden Erleichterungen für die Zusammenarbeit in Berufsausübungsgesellschaften. Nach § 59c BRAO dürfen sich Rechtsanwälte seither auch mit den meisten anderen freien Berufen (Ärzten, Sachverständigen, Architekten, Unternehmensberater etc.) in einer Berufsausübungsgesellschaft zusammenschließen, auch wenn hier noch bestimmte Beschränkungen einzuhalten sind. Eine Kapitalbeteiligung anderer freier Berufe an einer Kanzlei ist somit aktuell möglich.« Seit 2022 dürfen sich Rechtsanwälte mit Angehörigen anderer freier Berufe zusammenschließen. Kapitaleigner mit rein finanziellen Interessen, ohne eigene aktive Mitarbeit also, und solche, die schlicht Unternehmer sind, ohne einem freien Beruf anzugehören, sind weiterhin ausgeschlossen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) reagierte erfreut auf die Entscheidung aus Luxemburg – fühlt man sich doch durch das Urteil in der eine Lockerung oder gar Aufhebung des Fremdkapitalverbots ablehnenden Position bestätigt. Diese ablehnende Haltung spiegelt auch eine deutliche Mehrheit der Rechtsanwälte wider, zumindest wenn man entsprechende Umfrageergebnisse heranzieht.

➔ Das Bundesministerium der Justiz hatte in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer eine Umfrage durchgeführt, um den Bedarf und die Einstellung in der Anwaltschaft zu einer Änderung des Fremdbesitzverbotes zu eruieren. Am 21. Dezember 2023 wurden die Ergebnisse veröffentlicht: Umfrage zu möglichen Lockerungen des Fremdbesitzverbotes in der deutschen Anwaltschaft. Und die waren eindeutig: Insgesamt haben 7.598 Personen aus allen Bundesländern an der Umfrage teilgenommen (93,5 % Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und 6,6 % Patentanwältinnen und Patentanwälte). 62,6 % der Teilnehmer haben sich gegen eine Lockerung ausgesprochen. Sie befürchten vor allem eine sachfremde Einflussnahme zu Lasten der anwaltlichen Unabhängigkeit. 

Und was hat das Fremdkapitalverbot im Bereich der Rechtsanwaltschaft mit medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu tun?

Die Entscheidung des EuGH betrifft – wie ausführlich dargestellt – den Bereichen der Rechtsanwälte. Aber angeblich nicht nur: »Mit seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Fremdbeteiligungsverbot an Berufsausübungsgesellschaften freier Berufe bestätigt. Kapitalbeteiligungen an medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sind dadurch weiterhin nur mittelbar möglich«, kann man beispielsweise dieser Meldung vom 31.01.2025 entnehmen: EuGH: Finanzinvestoren haben weiterhin keinen direkten Zugang zu medizinischen Versorgungszentren. »Nach der jüngsten Bestätigung des Fremdbeteiligungsverbots an Anwaltskanzleien durch den EuGH in seiner Entscheidung vom 19.12.2024 hinsichtlich der Unabhängigkeit der Anwaltschaft (Urteil vom 19.12.2024 – C-295/23) ist auch nicht mit einer Liberalisierung der bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Fremdbeteiligungsverbot bei anderen freien Berufen – einschließlich der Regelungen zum zulässigen Gesellschafterkreis eines MVZ – zu rechnen.«

Immer wieder tauchen diese Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) auf, wenn es um eine kritische Diskussion möglicher und tatsächlicher Kommerzialisierungseffekte in der ambulanten Versorgung der Patienten geht. Mit dem im Jahr 2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wurden MVZ in Deutschland gesetzgeberisch ermöglicht und im § 95 SGB V verankert. MVZ mussten zunächst fachübergreifend sein, was im Laufe der Zeit allerdings aus dem Gesetz gestrichen wurde. Auch war als Gesellschaftsform die Aktiengesellschaft zunächst zulässig, was aber auch geändert wurde. 

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte und Zahnärzte, die über dieselben beruflichen Qualifikationen wie Vertragsärzte verfügen, vorwiegend als angestellte Ärzte tätig sind. 

➔ Im § 95 Abs. 1 SGB V heißt es: »Medizinische Versorgungszentren sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte … als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Der ärztliche Leiter muss in dem medizinischen Versorgungszentrum selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig sein; er ist in medizinischen Fragen weisungsfrei. Sind in einem medizinischen Versorgungszentrum Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, tätig, ist auch eine kooperative Leitung möglich. Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Arzt oder den Ort der Niederlassung als medizinisches Versorgungszentrum (Vertragsarztsitz).« Und im § 95 Abs. 1a SGB V heißt es weiter: »Medizinische Versorgungszentren können von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3, von anerkannten Praxisnetzen nach § 87b Absatz 2 Satz 3, von gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder von Kommunen gegründet werden … Die Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums ist nur in der Rechtsform der Personengesellschaft, der eingetragenen Genossenschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder in einer öffentlich rechtlichen Rechtsform möglich.«

Die Argumentation des EuGH hinsichtlich der Zulässigkeit eines Fremdkapitalverbots bei den Rechtsanwälten lässt sich nun vollständig übertragen auf die MVZ, vor allem der Punkt, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich sei, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt. Einflussnahmen von Investoren seien auch durch Regelungen für die Berufsausübung nicht auszuschließen, so wie dargestellt der EuGH. Im Zentrum der Argumentation des EuGH steht das „Bestreben eines reinen Finanzinvestors“ und die Ausführungen zu den damit verbundenen möglichen Interessenkollisionen sind nicht auf Rechtsanwälte begrenzt, sondern gelten für Ärzte (mindestens, wenn nicht sogar noch mehr) ebenfalls. 

Um nur ein Beispiel aus der jahrelangen kritischen Fachdebatte zu zitieren: Ulrich Wenner, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht (BSG), hat 2023 in seinem Beitrag Gutes Geld und Schlechtes Geld – Gefährden MVZ in der Hand von Finanzinvestoren die vertragsärztliche Versorgung? ausgeführt: »Immer mehr inländische und ausländische Finanzinvestoren, die nicht mit eigenen Versorgungseinrichtungen an der Gesundheitsversorgung in Deutschland beteiligt sind, übernehmen schon bestehende MVZ oder gründen selbst solche, indem sie ein zugelassenes Krankenhaus kaufen, das seinerseits beliebig viele MVZ im gesamten Bundesgebiet gründen darf.« Die Möglichkeit dazu ist im § 95 Abs. 1a SGB V normiert. Dann beschreibt er den bestehenden Einstiegspunkt für Investoren:

»Zugelassene Krankenhäuser im Sinne des § 108 SGB V können MVZ grundsätzlich nur in der Rechtsform einer GmbH betreiben, die dann als „Betreibergesellschaft“ bezeichnet wird. In der Regel vollzieht sich das so, dass der Rechtsträger des Krankenhauses, also etwa die Rhön-Klinikum AG, eine GmbH gründet und deren einziger Gesellschafter wird; diese GmbH erhält die Zulassung für ein MVZ, dessen Betreiber die GmbH ist, die mit den angestellten Ärzten und den Mitarbeiterinnen Anstellungsverträge schließt. An dieser Stelle setzten Finanzinvestoren wie Nordic-Capital an: Sie übernehmen den Rechtsträger eines einzelnen zugelassenen Krankenhauses und können dann beliebig viele MVZ gründen und betreiben, selbstverständlich nur im Rahmen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung. Das ist für die Fonds interessant, weil die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ein hohes Maß an Sicherheit bietet: Vergütet werden die vertragsärztlichen Leistungen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts immer zahlungsfähig sind. Eine Rendite auf das eingesetzte Kapital ist ebenso sicher, wenn die Praxis des MVZ genügend Zulauf von Patienten hat und wirtschaftlich geführt wird. Der Anspruch auf angemessene Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen (§ 72 Abs. 2 SGB V) gilt auch für MVZ.«

Vor allem in der jahrelangen Niedrig- und Nullzinsphase waren die daraus generierbaren sicheren Renditen ein starker Anreiz, Investorenkapital in diesen Bereich zu lenken.

Ulrich Wenner spricht auch die Risiken bzw. die Sorgen an, die von den Kritikern dieser Entwicklung immer wieder vorgetragen werden:

➔ Die strikte Renditeorientierung wird als Gefahr gesehen: »Nicht die medizinisch sinnvollen, sondern die wirtschaftlich interessanten Leistungen werden dort mutmaßlich präferiert. Dafür spricht auf den ersten Blick, dass die Privat-Equity-Gesellschaften an hausärztlichen, kinderärztlichen oder psychotherapeutischen Praxen nicht interessiert sind. Gefragt sind Praxen mit hohem Anteil an technischen Leistungen (Radiologie, Labormedizin, Nephrologie vor allem mit Dialyse) und solche, die wirtschaftlich von standardisierten ambulanten Operationen „leben“ (Augenärzte und Kataraktoperationen).«

➔ Von dem typischen „Buy-and-Build“- Geschäftsmodell der Private-Equity-Fonds gehen Risiken für die Versorgung aus: »Wenn sich für einen geplanten Verkauf einer MVZ-Kette kurzfristig kein Interessent findet, droht der Wegfall etwa der radiologischen Versorgung in einer Region, wenn die von diesem Investor getragenen MVZ den Markt dominiert haben.«

➔ »Die finanziellen Angebote zur Übernahme von Praxis bzw. Vertragsarztsitz, die investorenbetriebene MVZ solchen Ärzten machen können, die ihre vertragsärztliche Tätigkeit aufgeben wollen, sind so attraktiv, dass in bestimmten Fachrichtungen (Radiologie, Augenheilkunde) immer weniger frei werdende Vertragsarztsitze „frei“ nachbesetzt werden können. Damit werden auch an sich niederlassungswillige Ärzte in die Anstellung gedrängt.«

Wenner weist darauf hin: »Ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, aus diesen Gründen den Erwerb und den Betrieb von MVZ durch Finanzinvestoren zu verbieten, ist noch nicht geklärt.« 

»Verfassungsrechtlicher Maßstab für einen künftigen Ausschluss von Finanzinvestoren an der – auch mittelbaren – Trägerschaft von MVZ ist das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht gestattet dem Gesetzgeber regulatorische Eingriffe sowohl in die Freiheit der Wahl eines Berufs wie in dessen Ausübung. Je intensiver die Freiheit, eine bestimmte Tätigkeit ausüben zu dürfen, eingeschränkt wird, desto dringender und naheliegender müssen die Gefahren für die Gemeinwohlgüter sein, die durch das Verbot geschützt werden sollen. Der grundrechtliche Schutz der Berufsfreiheit kommt dabei nicht nur „natürlichen Personen“ wie Ärztinnen und Ärzten zu, sondern auch „juristischen Personen“ wie GmbH und AG.«

Der Gesetzgeber hat 2004 mit einer bewussten Entscheidung die vertragsärztliche Versorgung für MVZ in der Hand von GmbH und mittelbar von Krankenhäusern zu öffnen. »Wenn er diese Entscheidung aber rückgängig machen und damit ein bisher offenes Geschäftsfeld generell schließen will, benötigt er Gründe von einigem Gewicht, wie das BVerfG gerne formuliert. Die Ausrichtung der ärztlichen Behandlung vorrangig am wirtschaftlichen Interesse des MVZ-Trägers statt am medizinischen Bedarf des Versicherten wäre sicher ein solcher wichtiger Grund.«

Also – mit so einem wichtigen Grund würde das doch gehen. Oder?

Die von Wenner hervorgehobene Hürde an dieser Stelle: Kann man einen solchen Zusammenhang – in einem MVZ kommt es zu einer Ausrichtung der ärztlichen Behandlung vorrangig am wirtschaftlichen Interesse des MVZ-Trägers statt am medizinischen Bedarf des Versicherten – wirklich „gerichtsfest“ belegen? Bisher fehlt es an der hier erforderlichen Eindeutigkeit der Befundlage jenseits anekdotischer Evidenz oder auch der „gefühlten Logik“, nach der ein solcher Zusammenhang wahrscheinlich ist. Aber objektiv gesehen: Man weiß er derzeit schlichtweg nicht. Er verweist dazu auf ein von zwei Rechtswissenschaftlern und einer Gesundheitsökonomin 2020 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstelltes Rechtsgutachten:

➔ Andreas Ladurner, Ute Walter und Beate Jochimsen (2020): Stand und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Rechtsgutachten erstattet dem Bundesministerium für Gesundheit, Aalen/München/Berlin, November 2020

Und Wenner legt dann den Finger auf eine grundsätzliche Wunde der auf „Finanzinvestoren“ verengten ablehnenden Debatte: »Die Schwierigkeiten einer passgenauen Regulierung haben ihren Grund natürlich auch darin, dass die Vorstellung, bei ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen dürfe die Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Erfolg einer Praxis schlechthin keine Rolle spielen, naiv ist. Jeder Orthopäde und Unfallchirurg, der berufsrechtlich Röntgenleistungen auf seinem Fachgebiet erbringen darf, muss genau kalkulieren, ob sich Anschaffung und Betrieb eines solchen Gerätes lohnen, oder ob er – wie viele Angehörige seiner Arztgruppe – die Patienten an Radiologen überweisen soll, bei denen die Geräte optimal ausgelastet werden können.«

»Problematisch ist, wenn die Indikation für einen Eingriff (auch) davon abhängig gemacht wird, welche wirtschaftlichen Interessen damit für den behandelnden Arzt verbunden sind. Dass die damit verbunden Gefahr medizinisch nicht notwendiger Operationen besteht, ist kaum in Frage zu stellen. Anders ist nicht erklärbar, dass in Deutschland so viel mehr künstliche Hüft- und Kniegelenke eingesetzt, Herzklappen erneuert und Kinder kieferorthopädisch behandelt werden als in den meisten anderen europäischen Ländern. Das mag begrenzt auch Ausdruck eines höheren Versorgungsniveaus sein, hat aber auch mit dem wirtschaftlichen Anreiz für die Leistungserbringer zu tun. Das Problem ist nur: Das alles gab und gibt es, bevor die MVZ am Markt erschienen sind, und es tritt auch dort auf, wo sie keine Rolle spielen, etwa bei gemeinnützigen Krankenhäusern.«

Wenner bilanziert das aktuelle Dilemma:

»Wenn der Gesetzgeber an der (möglichen) Kommerzialisierung der Versorgung nichts ändern kann oder will, aber gleichwohl MVZ in der Hand von Finanzinvestoren künftig ausschließen möchte, müsste plausibel gemacht werden können, dass die Risiken für eine alleine auf den  medizinischen Bedarf ausgerichteten Versorgung bei solchen MVZ besonders groß sind.«

Wie dem auch sei – über den Weg der MVZ-Gründung oder -Übernahme seitens der Krankenhäuser bleibt auch weiterhin das Modell einer Kapitalbeteiligung von Investoren realisierbar. 

Und was sagt die neue Bundesregierung?

Schaut man in den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2025), dann stößt man auf dieses Vorhaben (auf dem Papier):

»Wir erlassen ein Gesetz zur Regulierung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ-Regulierungsgesetz), das Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sicherstellt.« (S. 107)

Es geht also ausdrücklich nicht um ein Verbot investorenbetriebener MVZ, sondern um deren Regulierung hinsichtlich der „Transparenz“ (damit ist vor allem die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse gemeint) und der Verwendung von Beitragsmitteln, wobei das sehr allgemein gehalten ist. Trotz dieser Einschränkungen geht die neue schwarz-rote Bundesregierung deutlich weiter als das, was man im Koalitionsvertrag 2021 von SPD, Grünen und FDP finden konnte. Dort tauchen die MVZ nur im Kontext der Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung in unterversorgten Regionen auf: »Die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren und deren Zweigpraxen erleichtern wir und bauen bürokratische Hürden ab.« (S. 66).

Die Vorhabensbeschreibung im neuen Koalitionsvertrag bildet im Grunde nur ab, was bereits 2023 als Vorstoß aus den Bundesländern bekannt wurde: Am 16. Juni 2023 wurde unter der Überschrift Bundesrat bekräftigt Forderung nach MVZ-Regulierungs­gesetz berichtet, dass der Bundesrat eine Entschließung beschlossen hat, in der er die Bundesregierung aufgefordert wird, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) stärker zu regulieren. Die Initiative ging auf Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hamburg zurück. »Ein solches Regulierungsgesetz solle die Monopolstellungen einzelner Träger verhindern und eine am Patientenwohl orientierte ambulante Versorgung stärken, so die Länderkammer. In der Begründung verweist der Bundesrat auf das „rasante Wachstum“ von MVZ mit dem aus Ländersicht vorhandenem Risiko von Konzentrationsprozessen. Die steigende Zahl investorengetragener MVZ gefährde zudem eine flächendeckende, umfassende Versorgung. So verlagerten Investoren die Versorgungskapazitäten tendenziell in lukrative Ballungsgebiete und legten einen stärkeren Fokus auf gut skalierbare und umsatzsteigernde Leistungen – mit der möglichen Folge, dass nicht mehr das gesamte Behandlungsspektrum abgebildet wird.« Und was wurde konkret gefordert?

Die »Entschließung (sieht) unter anderem die Schaffung eines bundesweiten MVZ-Registers und eine Kennzeichnungspflicht für Träger und Betreiber auf dem Praxisschild vor. Derzeit seien die realen Eigentumsverhältnisse meist nicht ersichtlich, vor allem nicht für die Patienten vor Ort, so die Begründung.« Vor dem Hintergrund der in diesem Beitrag auch beschriebenen „Hüllen-Funktion“ des Besitzes eines Krankenhauses, was einem bundesweite MVZ ermöglicht, ist dieser Aspekt des damaligen Antrags interessant: »Darüber hinaus sollen Krankenhäuser künftig nur in einem Umkreis bis zu 50 Kilometer von ihrem Sitz ein MVZ gründen können.«

»Zudem enthält die Entschließung Regelungsvorschläge, um die Unabhängigkeit der ärztlichen Berufsausübung im MVZ vor dem Einfluss von Kapitalinteressen zu schützen, beispielsweise durch einen besonderen Abberufungs- und Kündigungsschutz für die ärztliche Leitung und Vorgaben zu deren Mindesttätigkeitsumfang.«

➔ Entschließung des Bundesrates „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“, BR-Drs. 211/23 vom 10.05.2023

Wir werden also die Angelegenheit einer kleinteiligen Regulierung der MVZ-Landschaft auf Wiedervorlage für die gerade begonnene Legislaturperiode leben (müssen).

Fußnote:

  1. Legal Tech („Legal Technology“) bezeichnet den Einsatz von Technologien (z. B. KI, Automatisierung, Blockchain) zur Unterstützung, Verbesserung oder Ersetzung traditioneller juristischer Dienstleistungen. Die Legal-Tech-Branche in Deutschland bewegt sich an der Schnittstelle von Recht und Technologie. Sie umfasst Unternehmen und Start-ups, die juristische Dienstleistungen durch den Einsatz digitaler Technologien effizienter, zugänglicher und kostengünstiger machen wollen. Über 200 Legal-Tech-Unternehmen sind derzeit in Deutschland aktiv. Schätzungen gehen von einem Marktvolumen von rund 400–500 Mio. Euro (2024) aus.
    Typische Geschäftsmodelle: Automatisierte Rechtsdurchsetzung (z. B. Flightright, wenigermiete.de), Dokumentenerstellung und Vertragsautomatisierung (z. B. smartlaw, Legal OS), Online-Rechtsberatung und Marktplätze (z. B. advocado, yourXpert), Legal-Operations-Software für Kanzleien und Rechtsabteilungen (z. B. Bryter, Leverton) und KI-gestützte Analyse und Due Diligence (z. B. Lexalgo, Legartis).
    Als Herausforderungen werden genannt: Die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Rechtsberatung (regulatorische Unsicherheit, Akzeptanzprobleme gerade bei Rechtsanwälten in klassischen Kanzleien – und besonders wichtig: viele Legal-Tech-Modelle sind stark abhängig von Massengeschäften, sie brauchen also eine entsprechende Skalierung, was oft mit einem hohen Investitionsbedarf einhergeht. ↩︎