Seit 1989 veröffentlicht der Paritätische Gesamtverband regelmäßig seine „Paritätischen Armutsberichte“. In den vergangenen Jahren war die Präsentation der dort aufbereiteten Daten immer verbunden mit den wortgewaltigen Statements von Ulrich Schneider, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, der nun aber – wie viele andere der Boomer-Generation auch – in den Ruhestand gegangen ist. Und zurückblickend kann man sagen, dass sowohl die Präsentation der Armutsberichte wie auch die reflexhafte ablehnenden Reaktionen bei einem Teil der Medien und der Wissenschaft (das sei doch gar keine Armut, die da als solche „skandalisiert“ werde, sondern höchstens Ungleichheit, und der Schneider mache das als wortmächtiger „Soziallobbyist“, um die eigenen Verbandsinteressen zu bedienen) in einem fast schon rituellen Modus gelandet sind.
Wie dem auch sei, der neue Armutsbericht des Paritätischen mit Daten für das Jahr 2024 wurde nun – ohne die Begleitmusik von Ulrich Schneider – der Öffentlichkeit vorgestellt. Die dazu gehörende Pressemitteilung steht unter der Überschrift Paritätischer Armutsbericht: Arme werden ärmer. »Einkommensarme Menschen haben in den vergangenen Jahren an Kaufkraft verloren. Insgesamt ist fast jede sechste Person in Deutschland von Armut betroffen.«
»Einkommensarme Menschen sind in den vergangenen Jahren ärmer geworden, so das Ergebnis des neuen Paritätischen Armutsberichtes. Während das mittlere Einkommen von Personen unterhalb der Armutsgrenze im Jahr 2020 noch bei 981 Euro im Monat lag, waren es im Jahr 2024 preisbereinigt nur noch 921 Euro.«
„Die Zahlen belegen, was viele Menschen mit geringem Einkommen schon lange im Alltag spüren: Die Armen werden ärmer.“ Mit diesen Worten wird Joachim Rock, der neue Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, zitiert. „Die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre verschärfen die ohnehin schon schwierige finanzielle Lage von Millionen Betroffenen.“
Insgesamt müssen für das Jahr 2024 dem neuen Bericht zufolge 15,5 Prozent der Bevölkerung zu den Armen gezählt werden. Die Armutsquote stieg um 1,1 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr an. Von Armut betroffen sind dabei insbesondere Alleinerziehende, junge Erwachsene und Rentner, wobei die Altersarmut stark weiblich geprägt ist.
»Der Armutsbericht weist auch die Zahl derer aus, die in erheblicher materieller Entbehrung leben: 5,2 Millionen Menschen – darunter 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige – können sich etwa nicht leisten, die Wohnung warm zu halten oder alte Kleidung zu ersetzen.«
Wie in der Vergangenheit immer wieder aufbereitet, gibt es eine erhebliche Streuung der Armutsbetroffenheit in regionaler Hinsicht: »Während in Bayern nur etwa jede achte Person von Armut betroffen ist (11,8 Prozent), ist es in Sachsen-Anhalt mehr als jede fünfte (22,3 Prozent) und in Bremen sogar jede vierte Person (25,9 Prozent).«
Und ja, der neue Armutsbericht enthält auch positive Nachrichten:
»Positiv entwickelt hat sich die Zahl der Erwerbstätigen in Armut: Hier zeigt der Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes einen leichten Rückgang. Ausschlaggebend für diese Verbesserung sei aus Sicht des Verbandes die Erhöhung des Mindestlohnes sowie die Reform des Wohngeldes.«
➔ Die Bedeutung des Mindestlohns und dabei vor allem die einmalige besonders starke Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde im Oktober 2022 ist hier an anderer Stelle ausführlicher thematisiert worden: vgl. dazu Der Abstand zwischen den Gering- und Besserverdienern wird kleiner. Der höhere gesetzliche Mindestlohn hat gewirkt vom 29. April 2024 sowie Er ist geschrumpft. Der Niedriglohnsektor in Deutschland vom 13. Februar 2024.
Hier der neue Bericht im Original:
➔ Greta Schabram et al. (2025): Verschärfung der Armut. Paritätischer Armutsbericht 2025, Berlin: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband, April 2025
Von 2023 zu 2024 stieg nach MZ-SILC1 die Armutsquote in Deutschland um 1,1 Prozentpunkte. Demnach sind 15,5 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen. 13 Millionen Menschen leben hierzulande unterhalb der Armutsgrenze. Immer wieder kommt natürlich die Frage, wann denn die „Armut“ beginnt, die hier in Zahlen gepresst wird. Dazu der Paritätische: »Die Armutsschwelle liegt aktuell bei Alleinlebenden bei 1.381 EUR im Monat, für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahre) bei 2.900 EUR.«
➔ »Die Armutsschwelle bezeichnet die oberste Einkommensgrenze, bis zu der Menschen als einkommensarm gelten. Diese Schwelle ist jedoch nicht mit der Summe gleichzusetzen, die einkommensarme Menschen tatsächlich im Schnitt im Monat zur Verfügung haben. Tatsächlich liegen viele Arme mit ihrem monatlichen Einkommen deutlich unterhalb dieser Schwelle. Das (äquivalenzgewichtete) Median-Einkommen der armen Menschen, also das mittlere Einkommen, wird für 2024 mit 1.099 EUR angegeben. Im Schnitt liegen arme Menschen mit ihrem monatlichen Einkommen 281 EUR unterhalb der Armutsschwelle.« (Schabram et al. 2025: 2).
»Die Inflation führte zu einer Verschärfung der Armut: Gleicht man die Entwicklung der Median-Einkommen der Armen mit der Preisentwicklung ab, so zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind. 2020 verfügten die Armen noch im Schnitt über 981 EUR monatlich. 2024 entspricht das preisbereinigte Median-Einkommen der Einkommensarmen 921 EUR. Dabei wird zugrund gelegt, dass man sich in 2024 für einen Euro weniger kaufen kann als noch in 2020. Im Vergleich von 2020 zu 2024 haben kaufkraftbereinigt die Armen im Schnitt weniger zur Verfügung.« (Schabram et al. 2025: 2).
Und noch ein weiterer interessanter Befund: Auf der einen Seite wirken die Anhebung des Mindestlohns und des Wohngeldes armutsreduzierend, aber: »Die Schutzwirkung des Sozialstaates vor Armut hingegen schrumpft: 2021 konnte die Armutsquote durch die staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert werden, 2024 dagegen nur noch um 25,1 Prozentpunkte.«
Fußnote
- Auf der Schwerpunktseite zum Armutsbericht findet man auch methodische Hinweise, beispielsweise zu der Unterstichprobe MZ-SILC, der Mikrozensus-Unterstichprobe zu Einkommen und Lebensbedingungen vom Statistischen Bundesamt. Auf der Seite wird auch offengelegt, warum der Paritätische nicht von „Armutsgefährdungsquote“ spricht (das ist gleichsam der offizielle Statistiker-Terminus für Menschen, die vom relativen Einkommensarmutsbergiff erfasst werden, sondern von „Armutsquote“. ↩︎