Licht und Schatten in der Fleischindustrie: Mit dem scharfen Schwert des Verbots von Werkverträgen und Leiharbeit in eine neue Arbeitswelt? Und wie wäre es mit den Paketboten?

Gute Nachrichten aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik gibt es auch immer wieder. Beispielsweise diese hier: Den langen Ketten von Sub- und Subsubunternehmern und der schlimmsten Ausbeutungsformen vor allem osteuropäischer Migrantinnen und Migranten in der Fleischindustrie konnte ein Ende bereitet werden. Die bei Subunternehmen angestellten Werkvertragsbeschäftigten seien flächendeckend in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse übernommen worden. »Die organisierte Verantwortungslosigkeit hat ein Ende.« Das behaupten zwei Wissenschaftler in einer neuen Studie.

➔ Serife Erol und Thorsten Schulte (2025): Neue Arbeitswelt in der Fleischindustrie? Eine Bilanz der Veränderungen nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, März 2025

Das hört sich gut an. Man muss an dieser Stelle kurz daran erinnern, um was es hier geht. Seit vielen Jahren wurde immer wieder über katastrophale Arbeitsbedingungen in den deutschen Schlachtbetrieben berichtet. Unzählige Artikel und viele Fernseh-Reportagen sind dazu veröffentlicht worden. In denen über die unsäglichen Bedingungen der Armee osteuropäischer Schattenarbeiter ausführlich berichtet wurde (vgl. als nur ein Beispiel dafür, dass auch hier frühzeitig das Thema aufgerufen wurde: Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist, veröffentlicht am 15. November 2014).

Und dann gab es – der eine oder andere wird sich noch daran erinnern – im ersten Corona-Pandemie-Jahr 2020 eine Flut von kritischen Berichten, ausgelöst durch Infektionsfälle in den unvorstellbar großen Schlachtbetrieben des Landes. Der Name des Unternehmens, der mit über 30 Prozent den größten Marktanteil unter den Schweineschlachtbetrieben hatte (und hat), wird vielen in Erinnerung geblieben sein: Tönnies. Und das – nicht nur rechtswissenschaftlich relevante – „Lex Tönnies“. 

Als sich im Juni 2020 mehr als 1.000 Beschäftigte eines Fleischbetriebs mit Corona infizierten, reagierte die Politik im Rekordtempo. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte: „Wir schützen die Beschäftigten und beenden die Verantwortungslosigkeit in Teilen der Fleischindustrie.“ Das Kabinett brachte innerhalb weniger Wochen das Arbeitsschutzkontrollgesetz auf den Weg, das Werkverträge in den Bereichen Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung verbietet und Leiharbeit massiv einschränkt. Am 1. Januar 2021 trat es in Kraft. So der Artikel Lehren aus der Fleischindustrie

➔ Mit der Novellierung des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) wurden ab dem 1. Januar 2021 im Bereich der Schlachtung einschließlich der Zerlegung und im Bereich der Fleischverarbeitung Werkverträge und Selbstständige und ab dem 1. April 2021 Leiharbeit in Fleischbetrieben mit mindestens 50 Mitarbeitenden verboten (Direktanstellungsgebot). Um die besondere Bedeutung hervorzuheben: Das Gesetz hat für diese Branche in einem für Deutschland einmaligen Vorgang ein Direktbeschäftigungsgebot erlassen.
Nach § 6a des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) dürfen allerdings Leiharbeitskräfte bei Vorliegen eines entsprechenden Tarifvertrags (und unter Einhaltung weiterer Bedingungen) im Bereich der Fleischverarbeitung eingesetzt werden.
Darüber hinaus wurde für die Fleischwirtschaft eine Pflicht zur taggenauen elektronischen und manipulationssicheren Erfassung der Arbeitszeit eingeführt, wozu auch Zeiten für dienstlich notwendige Vor- und Nachbereitungshandlungen im Betrieb einschließlich der hierfür erforderlichen innerbetrieblichen Wegezeiten zählen.

Seit 2021 sind Leih- und Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen verboten, die Beschäftigten müssen direkt bei den Fabriken angestellt sein. Die Arbeitszeit soll digital und manipulationssicher erfasst werden.

Nochmals zur Erinnerung: Die miesen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, vor allem in den massenindustriellen Tötungs- und Zerlegeanlagen der von den Big Three1 beherrschten Schlachthofbranche, wurden schon Jahre vor der Pandemie immer wieder aufgerufen und kritisch thematisiert. 

Aber die Ereignisse im ersten Pandemie-Jahr 2020 öffneten in der Politik ein Fenster der Möglichkeiten, mit dem Schwert des Verbots der in dieser Branche so weit verbreiteten Werkverträge und der Leiharbeit zu agieren und das auch gegen alle Widerstände durchzusetzen. Ein derartig tiefgreifender Einschnitt in das Geschäftsmodell war bis zu diesem Moment kaum vorstellbar. Und natürlich gab und gibt es zahlreiche Hoffnungen, die mit diesem durchaus weitreichenden Schritt verbunden waren und sind. Sind sie nun tatsächlich in Erfüllung gegangen?

Erste (offizielle) Erfolgsmeldungen gab es schon 2024

Im April 2024 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Eine seit Jahren beklagte Mega-Schweinerei – die Arbeitsausbeutung in der Fleischindustrie – wurde beendet. Sagt der Bundesarbeitsminister. Und ist Deutschland jetzt sogar Vorbild für andere EU-Staaten? Darin wurde von den Ergebnissen der Evaluierung des GSA Fleisch berichtet, die vom zuständigen Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegeben wurde. Das Ministerium hat die Reform aus dem Jahr 2021 anlaysieren lassen, die Evaluation stellt dem gesetzgeberischen Eingriff ein gutes Zeugnis aus. Wer das im Original nachlesen will:

➔ Jörn Sommer et al. (2024): Die Evaluation nach § 8 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch). Abschlussbericht. Forschungsberichte 633, Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Februar 2024

Das Bundesarbeitsministerium hat die Ergebnisse der Evaluation so zusammengefasst: »Die Evaluation zeigt, dass diese Neuregelungen greifen: Die Werkvertrags­arbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer wurden in die Stammbelegschaft übernommen, Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutz haben sich verbessert. So ist beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zum Standard geworden und Arbeitszeiten werden korrekt erfasst und abgerechnet. Außerdem können Kontrollbehörden die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nun leichter prüfen.«

➔ Dabei gab es vorher durchaus auch kritische Medienberichte. Um nur ein Beispiel anzuführen: »Nach Recherchen von Report Mainz hat sich entlang der Grenze zu den Niederlanden ein neues System der Leiharbeiter-Ausbeutung etabliert. Betroffen sind zumeist aus Osteuropa stammende Arbeitsmigranten«, so dieser Artikel: Wie Leiharbeiter weiter ausgebeutet werden. Der Beitrag bezieht sich aber nicht auf die Situation in den deutschen Schlachthöfen, sondern stellt eine Art Umgehungsstrategie der schärferen Regulierung seit dem GSA Fleisch in den Raum: »Unwürdige Wohnbedingungen und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse – Probleme, die in Deutschland seit der Einführung des Verbots von Werksverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie 2021 beendet zu sein schienen. Entlang der Grenze zu den Niederlanden hat sich jedoch ein neues System der Ausbeutung etabliert. Personalvermittler aus dem Ausland haben in nordrhein-westfälischen Städten in großem Stil Immobilien aufgekauft und angemietet. Dort bringen sie die Arbeiter unter. Diese arbeiten jedoch nicht in Deutschland, sondern in der Fleischbranche in den Niederlanden. Die Leiharbeiter sind dort für die Personalvermittler tätig. Obwohl die Leiharbeiter in Deutschland leben, greift das hierzulande geltende Verbot der Leiharbeit in der Fleischbranche daher nicht. Durch die Unterbringung in Deutschland wiederum können sich die Personalvermittler den scharfen Kontrollen des niederländischen Arbeitsschutzes entziehen. Die Folge: desolate Wohnzustände mit horrenden Mieten und willkürliche Rauswürfe.«

Und nun kommt ein weitere Bilanzierung des GSA Fleisch aus der gewerkschaftlichen Welt

Ein Jahr nach der offiziellen Erfolgsmeldung aus dem Ministerium, die sicher von dem einen anderen Skeptiker zumindest mit einem Fragezeichen versehen wurde, weil das Bundesarbeitsministerium ein Interesse daran hat bzw. haben muss, dass die gesetzgeberischen Aktivitäten in einem schönen Licht dastehen, kommt nun von Seiten der Gewerkschaften eine ebenfalls weitgehend positive Bilanzierung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes.

Die Studie von Erol/Schulten (2025)2 zeigt: Zwar lässt das Lohnniveau immer noch zu wünschen übrig, doch insgesamt hat sich die Lage der Beschäftigten deutlich verbessert.

In einem Bericht der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung über die Vorstellung der Studienergebnisse heißt es: »Den langen Ketten von Sub- und Subsubunternehmern und der schlimmsten Ausbeutungsformen vor allem osteuropäischer Migrantinnen und Migranten in der Fleischindustrie konnte ein Ende bereitet werden. Thorsten Schulten erklärte, die bei Subunternehmen angestellten Werkvertragsbeschäftigten seien flächendeckend in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse übernommen worden: „Die organisierte Verantwortungslosigkeit hat ein Ende.“ Weitere positive Auswirkungen: Die Zahl der Arbeitsunfälle ging zurück, die Arbeitszeiten werden überwiegend eingehalten, die Wohnverhältnisse haben sich verbessert. Nicht gelungen ist hingegen, eine Tarifvertragsstruktur aufzubauen, die der schlechten Bezahlung ein Ende setzt: „Ein Branchenmindestlohn wurde durchgesetzt, aber schnell vom gesetzlichen Mindestlohn eingeholt,“ so Schulten. Das Ergebnis: Die Fleischindustrie bleibt ein Niedriglohnsektor – und die Fluktuation hoch. Verbessert hat sich die Mitbestimmung. Die Betriebsräte wurden mit den Belegschaften größer und mehr Beschäftigte für die Interessenvertretung freigestellt.«

Aber es gibt auch an der einen oder anderen Stelle kritische Hinweise. Beispiel: »Problematisch bleibt die Integration der Arbeiterinnen und Arbeiter, die auch nach Jahren in Deutschland meist unter sich bleiben. Szabolcs Sepsi, Regionalleiter Nordwest bei Faire Mobilität, berichtete, zum Deutschlernen sei zwischen „Arbeiten und Schlafen“ keine Zeit. Wenn die Menschen, oft wegen der harten Arbeit schon im Alter von 40 oder 50 Jahren, körperlich erledigt sind, stünden sie vor einer unmöglichen Wahl: „In Deutschland haben sie Anspruch auf Sozialleistungen, aber keine Kontakte, in ihrer Heimat Familien, aber keine finanzielle Unterstützung.“«

Schaut man sich die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ an, dann kann man durchaus mit Blick auf das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene GSA Fleisch von einem positiven Effekt sprechen: die Zahl der sozialversicherungpflichtig Beschäftigten ist 2021 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 10 Prozent gestiegen, was als Hinweis für Übernahmen von Werkvertragsarbeitnehmern aus bisherigen Subunternehmen gelesen werden kann.3 Auf der anderen Seite ist das eher ein einmaliger Effekt gewesen, seitdem stagniert die Beschäftigtenzahl, bzw. sie sinkt sogar (wobei das auch mit anderen Branchenentwicklungen zusammenhängen kann). Außerdem haben viele der neu eingestellten Beschäftigten in der Fleischindustrie nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Laut  der Studie von Erol/Schulten lag der Anteil 2021 bei 56,8 Prozent – gegenüber 42,7 Prozent im Vorjahr.

Die Zahl der Kontrollen in der Branche hat sich in den Jahren nach dem Gesetz erhöht. Wurden 2019 insgesamt 340 Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in der Fleischindustrie durchgeführt, so waren es im Corona-Jahr 2020 bereits 519 und im Jahr 2021 nach Verabschiedung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes sogar 683 Kontrollen. Hinzu kommen zahlreiche Kontrollen auf Ebene der Bundesländer durch Arbeitsschutzbehörden und Gewerbeaufsichtsämter. Allerdings gingen die Kontrollen nach dem Höchststand im Jahr 2021 wieder um 15 Prozent zurück. Wenn wirksame Kontrollen und abschreckende Sanktionen eine entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie darstellen, dann sollte diese Entwicklung skeptisch stimmen.

Von der Fleischindustrie lernen? Beispielsweise für die Paketboten?

Vor allem das scharfe Schwert des Direktanstellungsgebots hat zu heftigem Widerstand auf der Arbeitgeberseite und bei arbeitgebernahen Juristen geführt – dieser Einengung des betrieblichen Gestaltungsspielraums sei zu viel (gewesen). Und der eine oder andere hatte sicher auch das vor Augen, was nunmehr immer deutlicher artikuliert wird: Kann man nicht von dem Modell Fleischindustrie lernen und dessen zentrale Elemente, vor allem das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit, auf weitere Branchen übertragen, in denen vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse an der Tagesordnung sind?

Dem einen oder anderen könnten an dieser Stelle beispielsweise die Paketdienstleister einfallen – entsprechendes Material über teilweise unzumutbare Arbeitsbedingungen wird seit Jahren produziert und veröffentlicht. In genau diese Richtung gibt es entsprechende Forderungen seitens der DGB-Bundesvorsitzenden: »Auf der Abschlusskonferenz des WSI-Projekts „Neuordnung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen am Beispiel der Fleischindustrie“ in Berlin bezeichnete die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi das Arbeitsschutzkontrollgesetz als großen Erfolg. Sie forderte ein Direktanstellungsgebot auch für andere Branchen, insbesondere die Paketzustellung.«

➔ Und tatsächlich hat es in der vorzeitig beendeten letzten Legislaturperiode ganz konkrete Vorstöße im parlamentarischen Raum in diese Richtung gegeben. So beispielsweise der von der Fraktion der Linken im Bundestag eingebrachte Antrag „Verbot von Werkverträgen und Subunternehmerketten in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche“ (BT-Drs. 20/7644 vom 06.07.2023). Die Antragsteller verweisen auf „schlechte und/oder rechtswidrige Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche, und hier insbesondere im Bereich der Paketdienstleistungen“ und ergänzen: »Gravierende Probleme und Verstöße treten dabei fast ausschließlich dort auf, wo die Leistungen über so genannte Werkverträge durch Subunternehmer oder gar ganze Subunternehmerketten erbracht werden. Leidtragende dieser Arbeitsbedingungen sind die, nicht selten ausländischen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Selbstständige, die am Ende dieser Subunternehmerketten eingesetzt werden.« Und dann wird weiter ausgeführt: »Die KEP-Branche unterscheidet sich dabei von vielen anderen Branchen auch dadurch, dass der Anteil dieses Fremdpersonals im Kernbereich der Zustellung häufig bei über 50 Prozent und zum Teil sogar bei bis zu 100 Prozent liegt. Dieses Fremdpersonal erfüllt dabei Tätigkeiten, die dem eigentlichen Betriebszweck dienen, jedoch schnell austauschbar und deshalb häufig nicht in der Lage ist, eigene Rechte geltend zu machen. Auch gibt es in diesen Subunternehmerketten fast keine Betriebsräte oder Tarifverträge, da diese hier nur äußerst schwer durchsetzbar sind. Dies bedeutet in der Praxis nicht zuletzt eine organisierte Verantwortungslosigkeit auf Seiten der Paketdienstleister für die Einhaltung arbeitsrechtlicher und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen.« Allein diese Beschreibung erinnert doch sehr stark an die Zustände in der Fleischindustrie vor der großen Regulierung. Und die Antragsteller bleiben nicht bei einer Problembeschreibung stehen, sondern sie fordern die Bundesregierung auf, »einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem Unternehmen, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind, bei der Beförderung von Paketen der Einsatz von Fremdpersonal in Form von bei Dritten beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Selbstständigen sowie von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern untersagt wird.« Das nun wäre eine Übertragung der Regelungen aus dem GSA-Fleisch auf die KEP-Dienste. Der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass die damals regierende Ampelkoalition den Antrag verworfen hat.

➔ Und es waren nicht nur die Linken im Bundestag, die auf solche Transferideen gekommen sind. Auch aus den Reihen des Bundesrates gab es einen entsprechenden Vorstoß: So haben die Bundesländer Bremen, Saarland, Thüringen und Niedersachsen eine „Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Zustellung von Paketen“ eingebracht (BR-Drs. 117/23 vom 23.03.2023). Mit dem Entschließungsantrag wurde die Bundesregierung »aufgefordert, einen Gesetzentwurf zum Verbot von sogenannten Werkverträgen bei der Zustellung von Paketen vorzulegen. Als Vorbild für ein solches Verbot soll demnach das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) dienen … Alternativ bietet sich eine Verankerung eines solchen Verbotes im Postgesetz an.« Auch dieser Vorstoß ist dann ins Leere gelaufen bzw. wurde abgeblockt.

Vor diesem Hintergrund höchst interessant ist die Vorlage einer weiteren Studie, die ebenfalls im gewerkschaftsnahen Umfeld entstanden ist – das Hugo-Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat sich vor allem mit der folgenden Frage beschäftigt: Könnten und sollten Regelungen, die das Arbeitsschutzkontrollgesetz für die Fleischwirtschaft trifft, auf andere Branchen mit prekären Beschäftigungsbedingungen übertragen werden?

Herausgekommen ist diese Studie:

➔ Anneliese Kärcher und Manfred Walser (2025): Durchsetzung von Arbeitsrecht – das Arbeitsschutzkontrollgesetz als Modell? Verfassungs- und europarechtliche Fragen mit besonderer Berücksichtigung des Direktanstellungsgebots. HSI-Schriftenreihe Bd. 54, Frankfurt am Main: Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeits- und Sozialrecht, 2025

Anneliese Kärcher und Manfred Walser von der Hochschule Mainz haben herausgearbeitet, unter welchen Umständen der Gesetzgeber in einer Branche mit dem „scharfen Schwert“ des Direktanstellungsgebots durchgreifen kann, wie er es in den Schlachthöfen getan hat. In einer Zusammenfassung der Studienergebnisse heißt es dazu:

➞ Wesentliche Teile der Arbeitsleistung werden von Fremdpersonal erbracht, etwa durch die Vergabe von Werk- oder Dienstverträgen an Subunternehmer und an Soloselbstständige oder durch die Beschäftigung von Leiharbeitskräften.

➞ Die Art des Personaleinsatzes führt zu Intransparenz und unklaren Verantwortlichkeiten.

➞ Ein großer Teil der Beschäftigten ist in einer schwachen Position, zum Beispiel wegen des Aufenthaltsstatus, eines geringen Ausbildungsniveaus oder fehlender Sprachkenntnisse. 

➞ In der Branche wird „in erheblichem Ausmaß“ gegen Mindestarbeitsbedingungen verstoßen und illegale Beschäftigung ist an der Tagesordnung.

➞ Die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen ist schwer zu kontrollieren.

➞ Es fehlen die strukturellen Voraussetzungen, um Missstände mithilfe „kollektivarbeitsrechtlicher Instrumente“ – wie etwa der Sozialkassen der Bauwirtschaft – abzustellen. 

➞ Es stehen keine „milderen“ Regulierungsinstrumente zur Verfügung, die effektiv wären. 

➞ Die Branche lässt sich klar abgrenzen.

Kärcher und Walser kommen in einem ersten Prüfschritt zu dem Ergebnis: In einer Gesamtschau dieser Branchenumstände war ein Direktanstellungsgebot wie in der Fleischwirtschaft nach deutschem und europäischem Recht zulässig – und nötig.

Und dann wird über den Tellerrand der Fleischindustrie hinausgeschaut: »Eine Branche, die die Kriterien für ein Direktanstellungsgebot erfüllt, ist laut der Analyse die Paketzustellung. In anderen Wirtschaftsbereichen mit prekären Beschäftigungsbedingungen, in denen Fremdpersonaleinsatz keine Rolle spielt, etwa der landwirtschaftlichen Saisonarbeit, lägen die Voraussetzungen dagegen nicht vor.«

Um auch in solchen Branchen Verbesserungen zu erreichen, empfehlen Kärcher und Walser stattdessen die Einrichtung „zentralisierter Arbeitsinspektorate mit umfassenden Kompetenzen hinsichtlich der Kontrolle, aber auch erweiterten Möglichkeiten zur Durchsetzung von Mindestarbeitsbedingungen“.

Es bleibt abzuwarten, ob der Ansatz zumindest für die Paketboten von der neuen Bundesregierung aufgegriffen wird. Das erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich, aber man kann ja immer wieder überrascht werden.

Fußnoten

  1. Am Beispiel der Schweineschlachtungen: Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung schreibt dazu in ihrem im Mai 2023 veröffentlichten Bericht zur Markt- und Versorgungslage mit Fleisch 2023, S. 6: »In Deutschland wird die Schlachtbrache im Schweinebereich durch die zehn größten Betriebe geprägt. So konnten 2021 die Top 10 der deutschen Schweineschlachtbetriebe einen Marktanteil von 81,1 % erlangen. Die drei größten Unternehmen (Tönnies 15,99 Mio. Schlachtungen, Westfleisch 7,26 Mio. Schlachtungen und Vion 7,00 Mio. Schlachtungen) alleine erreichten einen Marktanteil von 58,3 %« Für 2023 findet man bei der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) diese Marktanteilswerte: Der Marktanteil der 10 größten Schweineschlachtbetriebe in Deutschland ist auf 82,5 % angestiegen. Zu den Big Three der Branche: Tönnies 31,9 %, Westfleisch 14,8 %, Vion 12,1 %, zusammen kommen also die drei Großen auf 58,8 % im Jahr 2023. Nimmt man noch Danish Crown mit einem Marktanteil von 4,8 % dazu, sind wir schon mit 63,2 % bei fast zwei Drittel aller Schweineschlachtungen, die auf die vier größten Unternehmen fallen. Die ISN hat ihre Meldung dazu, aus der die Daten entnommen wurde, so überschrieben: ISN-Schlachthofranking 2023: Konsolidierung in der Schlachtbranche setzt sich fort. Im Frühjahr 2025 wird von Gesprächen zwischen Danish Crown und dem deutschen Fleischverarbeiter Westfleisch über einen möglichen Verkauf von Teilen der deutschen Aktivitäten von Danish Crown berichtet. Konkret geht es um den Schlachthof in Essen/Oldenburg sowie um Minderheitsbeteiligungen (jeweils 20 %) an den Rinderschlachthöfen in Teterow (Mecklenburg-Vorpommern) und Husum (Schleswig-Holstein). Obwohl es Spekulationen über eine mögliche Fusion zwischen Danish Crown und Westfleisch gibt, wurden solche Pläne bislang nicht offiziell bestätigt. Danish Crown hat in der Vergangenheit den Verkauf des Standorts Essen dementiert.  ↩︎
  2. Für die Studie wurden 14 Betriebe untersucht und 85 Interviews mit Vertretern aus Betriebsräten, Management, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Kontrollbehörden geführt. ↩︎
  3. In der Studie von Erol/Schulten (2025: 24) werden etwas abweichende Zahlen zu den Beschäftigten ausgewiesen: Dort heißt es, dass es 2020 in der Fleischindustrie 128.400 Beschäftigte gegeben haben soll, für das Jahr 2021 werden dann 151.500 ausgewiesen, so dass ein Anstieg von sogar 18 Prozent hervorgehoben wird. In der Abbildung in diesem Beitrag wurden die Zahlen aus der Beschäftigungsstatistik der BA verwendet, wie man sie 2025 abrufen kann, die Studie von Erol/Schulten bezieht sich auf „Schlachten und Fleischverarbeitung in Betrieben ab 20 Beschäftigten“. ↩︎