Eine seit Jahren beklagte Mega-Schweinerei – die Arbeitsausbeutung in der Fleischindustrie – wurde beendet. Sagt der Bundesarbeitsminister. Und ist Deutschland jetzt sogar Vorbild für andere EU-Staaten?

Seit vielen Jahren wurde immer wieder über katastrophale Arbeitsbedingungen in den deutschen Schlachtbetrieben berichtet. Unzählige Artikel und viele Fernseh-Reportagen sind dazu veröffentlicht worden. In denen über die unsäglichen Bedingungen der Armee osteuropäischer Schattenarbeiter ausführlich berichtet wurde (vgl. als nur ein Beispiel dafür, dass auch hier frühzeitig das Thema aufgerufen wurde: Billig, billiger, Deutschland. Wie sich die Umsätze in der deutschen Fleischindustrie verdoppeln konnten und warum der Mindestlohn ein fragiler Fortschritt ist, veröffentlicht am 15. November 2014).

Und dann gab es – der eine oder andere wird sich noch daran erinnern – im ersten Corona-Pandemie-Jahr 2020 eine Flut von kritischen Berichten, ausgelöst durch Infektionsfälle in den unvorstellbar großen Schlachtbetrieben des Landes. Der Name des Unternehmens, der mit über 30 Prozent den größten Marktanteil unter den Schweineschlachtbetrieben hatte (und hat), wird vielen in Erinnerung geblieben sein: Tönnies. Und das – nicht nur rechtswissenschaftlich relevante – „Lex Tönnies“. Wir haben es hier mit einem hoch konzentrierten Markt zu tun:

Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung schreibt dazu in ihrem im Mai 2023 veröffentlichten Bericht zur Markt- und Versorgungslage mit Fleisch 2023, S. 6: »In Deutschland wird die Schlachtbrache im Schweinebereich durch die zehn größten Betriebe geprägt. So konnten 2021 die Top 10 der deutschen Schweineschlachtbetriebe einen Marktanteil von 81,1 % erlangen. Die drei größten Unternehmen (Tönnies 15,99 Mio. Schlachtungen, Westfleisch 7,26 Mio. Schlachtungen und Vion 7,00 Mio. Schlachtungen) alleine erreichten einen Marktanteil von 58,3 %« Quelle der Daten für 2022 in der Abbildung: ISN.

Die Vorgänge im Jahr 2020 und die damit einhergehende kritische Diskussion über die Arbeitsbedingungen der überwiegend osteuropäischen Werkvertrags- und Leiharbeiter (in den oft überbelegten Unterkünften infizierten sich Tausende osteuropäische Arbeiter mit Corona und mussten isoliert werden, viele Beschäftigte klagten über schlechte Bedingungen, ausufernde Arbeitszeiten und fehlende Löhne) hat dann Gegenmaßnahmen induziert, die zu einem weitreichenden gesetzgeberischen Eingriff in diese spezielle Branche geführt haben:

Das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Schlachtindustrie

➔ Mit der Novellierung des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) wurden ab dem 1. Januar 2021 im Bereich der Schlachtung einschließlich der Zerlegung und im Bereich der Fleischverarbeitung Werkverträge und Selbstständige und ab dem 1. April 2021 Leiharbeit in Fleischbetrieben mit mindestens 50 Mitarbeitenden verboten (Direktanstellungsgebot).
Nach § 6a des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) dürfen allerdings Leiharbeitskräfte bei Vorliegen eines entsprechenden Tarifvertrags (und unter Einhaltung weiterer Bedingungen) im Bereich der Fleischverarbeitung eingesetzt werden.
Darüber hinaus wurde für die Fleischwirtschaft eine Pflicht zur taggenauen elektronischen und manipulationssicheren Erfassung der Arbeitszeit eingeführt, wozu auch Zeiten für dienstlich notwendige Vor- und Nachbereitungshandlungen im Betrieb einschließlich der hierfür erforderlichen innerbetrieblichen Wegezeiten zählen.

Zusammenfassend: Seit 2021 sind Leih- und Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen verboten, die Beschäftigten müssen direkt bei den Fabriken angestellt sein. Die Arbeitszeit soll digital und manipulationssicher erfasst werden.

Steffen Herrmann zitiert in seinem Artikel Hubertus Heil und die Fleischindustrie: Erfolg oder Scheinreform? gewerkschaftliche Stimmen dazu: „Das war eine notwendige Reform“, sagt NGG-Gewerkschafter Thomas Bernhard heute. Das System von Werkverträgen und Leiharbeit sei eine Katastrophe gewesen und habe die Preise und die Tarifbindung nach unten gedrückt. „Gleichzeitig haben Unternehmen wie Tönnies Millionen gescheffelt.“

Die Ausgangslage 2020 wird zusammenfassend von Herrmann so umrissen: Die Arbeiter waren damals häufig nicht direkt bei Tönnies, Westfleisch und anderen großen Schlachtfabriken angestellt, sondern bei Subunternehmen. An den Bändern standen vor allem Menschen aus Osteuropa; viele kannten ihre Rechte nicht. Sie schlachteten und zerlegten Tiere als Leiharbeiter oder Werkvertragsbeschäftigte. Für die Fleischproduzenten hatten Leiharbeit und Werkverträge viele Vorteile: Sie mussten sich nicht darum kümmern, was die Arbeiter:innen verdienten und wo sie wohnten – das war rechtlich Aufgabe der Subunternehmen, von denen es häufig ein ganzes Netzwerk gab, das für die Behörden schwer zu durchschauen war. Dieses System habe oft zu einer „organisierten Verantwortungslosigkeit“ geführt, so der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, als er im Spätsommer 2020 seine Reform auf den Weg brachte.

Der damals und heute amtierende Bundesarbeitsminister ist zufrieden: „Wir haben der organisierten Ausbeutung in der Fleischindustrie ein Ende gesetzt“, so wird er zitiert. Die Zeiten schlechter Arbeitsbedingungen seien vorbei, seit Leiharbeit, Werkverträge und das Subunternehmertum für die Kerntätigkeiten in der Fleischwirtschaft verboten sind.

Auf welcher Grundlage kommt der Minister zu so einer Einschätzung? Oder ist das nur einfache Eigenwerbung für das, was man auf den Weg gebracht hat?

Das Bundesarbeitsministerium hat die Reform aus dem Jahr 2021 anlaysieren lassen, die Evaluation stellt dem gesetzgeberischen Eingriff ein gutes Zeugnis aus. Wer das im Original nachlesen will:

➔ Jörn Sommer et al. (2024): Die Evaluation nach § 8 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch). Abschlussbericht. Forschungsberichte 633, Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Februar 2024
»Mit der Novellierung des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) zum 1. Januar 2021 wurde in Fleischbetrieben der Einsatz von Fremdpersonal im Kernbereich verboten sowie eine digitale und manipulationssichere Arbeitszeiterfassung eingeführt. Hiervon ausgenommen sind Handwerksunternehmen. Leiharbeit darf lediglich in der Fleischverarbeitung bis 31. März 2024 unter strengen Auflagen eingesetzt werden. Die Auswirkungen der Neuregelungen des GSA Fleisch wurden mit einem multimethodischen Ansatz wissenschaftlich untersucht. Die Evaluation zeigt, dass sich Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutz der Beschäftigten sowie die Kontroll- und Prüfmöglichkeiten der Behörden verbessert haben.«

Das Bundesarbeitsministerium hat das in einer Pressemitteilung unter diese Überschrift gestellt: Bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Gesetzliche Neuregelungen zeigen laut wissenschaftlicher Evaluation Wirkung. Darin wird ausgeführt: »Die Evaluation zeigt, dass diese Neuregelungen greifen: Die Werkvertrags­arbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer wurden in die Stammbelegschaft übernommen, Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutz haben sich verbessert. So ist beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zum Standard geworden und Arbeitszeiten werden korrekt erfasst und abgerechnet. Außerdem können Kontrollbehörden die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nun leichter prüfen.

Sehen das alle so positiv? Herrmann schreibt dazu: Auch andere Akteure »äußern sich positiv, wenn auch mit Einschränkungen. Thomas Bernhard von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) lobt das Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen, sagt aber auch, dass es weiterhin Probleme und Graubereiche gebe: zum Beispiel bei der Rekrutierung der ausländischen Beschäftigten und ihrer Integration in die Betriebe. „Wir haben auch nach wie vor Probleme, in die Unterkünfte der Rumänen und Bulgaren zu kommen, weil immer jemand da ist, der aufpasst“, sagt Bernhard.«

»Für den NGG-Gewerkschafter Bernhard gibt es zwei große Probleme, die weiterhin ungelöst sind: einerseits die Rekrutierung und Integration der ausländischen Beschäftigten, andererseits die hohe Fluktuation und der Personalmangel. Die Rekrutierer hätten einen zu großen Einfluss auf die Beschäftigten und seien zum Teil auch Vermieter der Unterkünfte, wobei die Miete dann oft direkt vom Lohn abgezogen werde, obwohl es keine Vereinbarung darüber gebe. Auch bei den meist zu hohen Mietpreisen müsse eine Deckelung her.«

Die zuständige Gewerkschaft NGG hat sich unter der Überschrift Adjan: „Die Fleischindustrie hat noch einen weiten Weg vor sich“ zu Wort gemeldet. Mit Blick auf die Evaluationsergebnisse das GSA Fleisch betreffend wird Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der NGG, mit diesen Worten zitiert: „Die Unternehmen können sich aus ihrer Verantwortung für die Beschäftigten nicht mehr herausreden, indem sie auf Werkverträge mit Subunternehmen und auf Leiharbeit verweisen. Das ist gut so. Wir haben gesagt, dass dem Missbrauch in der Branche nur durch einen harten Einschnitt mit einem Verbot von Werkvertrag und Leiharbeit beizukommen ist. Die Evaluation zeigt, dass wir damit richtig lagen.“ Und dann gibt es noch eine Ergänzung: »Die Fleischindustrie ist in Bezug auf die Arbeitsbedingungen noch lange nicht auf dem Niveau anderer Industriebranchen in Deutschland. Die Gewerkschaft NGG möchte deswegen mit dem Arbeitgeberverband einen neuen, allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für die Fleischbranche abschließen. Dazu Adjan: „Wir erwarten von der Arbeitgeberseite in den nächsten Monaten ernsthafte Schritte.“ Zudem müsse die Kontrolle der vorhandenen Gesetze verstärkt werden. „Es gibt immer noch nicht ausreichend Kontrollpersonal, das auch tatsächlich vor Ort in den Betrieben die Einhaltung der Vorgaben zu Arbeitszeit und Arbeitsschutz prüft“, kritisiert Adjan.«

Und die andere Seite? Der Großmeister der Schweine-Schlachterei wird mit solchen Worten zitiert: »Und selbst der Fleischkonzern Tönnies lässt einen Sprecher mitteilen, dass zwar die Flexibilität im Saisongeschäft nicht mehr gegeben sei und die Verbraucherpreise dadurch sukzessive gestiegen seien. Aber: „Wir weinen den Werkverträgen keine Träne nach.“« Beim Fleischkonzern hat man mit den Werkverträgen abgeschlossen. „Die Werkverträge gehören in unserer Branche mittlerweile der Vergangenheit an und das ist auch gut so“, sagt ein Tönnies-Sprecher. In den zurückliegenden vier Jahren habe Tönnies eine „Mammutaufgabe“ bewältigt und 8000 Beschäftigte direkt übernommen. Und zur Unterbringungsthematik wird von Tönnies ausgeführt: „Allein in den letzten vier Jahren haben wir mehr als 30 Millionen Euro in den Wohnraum investiert, Integrationskräfte eingestellt, die Zusammenarbeit mit den Kommunen rund um unsere Standorte ausgebaut und viele weitere Anstrengungen unternommen, um die Integration voranzutreiben.“

Das ist auch deshalb so bedeutsam, weil wieder einmal die vielen Kritiker, die 2020 und danach das Menetekel der Abwanderung der deutschen Schlachtbetriebe aufgrund der angeblichen gesetzgeberischen Daumenschrauben an die wand geworfen haben, eines Besseren belehrt werden können. Nichts von den regelhaft apokalyptisch daherkommenden Totschlagsargumenten gegen eine stärkere Regulierung kann bestätigt werden.

Die Schlachtindustrie: Die Löhne sind vergleichsweise niedrig. Im Jahr 2022 lagen die Bruttomedianlöhne in der Fleischindustrie bei etwa zwei Drittel des mittleren Lohns in der Gesamtwirtschaft. In Schlachthöfen betrug zum 31.12.2022 das Mediangehalt 2.457 Euro. In der Fleischverarbeitung waren es 2.495 Euro. In der Gesamtwirtschaft lagen die Bruttomedianlöhne bei 3.646 Euro. Insgesamt waren zum Stichtag 31. März 2023 rund 194.000 Menschen in der Gruppe „Schlachten und Fleischverarbeitung“ sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt, darunter 45.000 Menschen in Firmen mit dem Schwerpunkt Schlachtung. Ausländische Beschäftigte spielen eine immer größere Rolle: Ihre Zahl ist zwischen Juni 2017 und Juni 2022 um 70 Prozent gewachsen. Sie stellen fast die Hälfte aller Beschäftigten der Branche (45,2 Prozent). Im Mittel verdienen ausländische Beschäftigte 109 Euro pro Monat weniger als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Die Lohnlücke ist zuletzt aber deutlich gesunken; im Jahr 2017 waren es noch 211 Euro.
Quelle der Daten: Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischwirtschaft, Bundestags-Drucksache 20/9696 vom 12.12.2023

Vom bösen Buben zum Vorbild für Europa?

»Gewerkschaften fordern europaweite Mindeststandards nach deutschem Vorbild«, so Felix Sassmanshausen in seinem Artikel Knochenjob in der Fleischindustrie. Das überrascht den einen oder anderen, wenn man an die zurückliegenden Jahre denkt, in denen Deutschland immer wieder gerade von den Nachbarländern der Vorwurf gemacht wurde, durch das flächendeckende Lohndumping würden die deutschen Schlachtbetriebe Wettbewerbsvorteile gegenüber der europäischen Konkurrenz ausnutzen können, die ihre Beschäftigten besser behandeln würde.

»Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind hart«, wird Kristjan Bragason, Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsdachverbands für Nahrungsmittel, Landwirtschaft und Tourismus (Effat), zitiert. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrungsmittel Genuss Gaststätten (NGG) hat er auf einer Pressekonferenz die Forderung nach EU-weiten Mindeststandards in der Branche vorgestellt.

»Vielfach rekrutieren europäische Fleischkonzerne über private Agenturen in Osteuropa und zunehmend in Drittstaaten Arbeitskräfte, die dann unter prekären Bedingungen arbeiten. »Sie holen Beschäftigte aus Belarus, der Ukraine oder von weiter weg wie die Philippinen«, sagte Bragason. So würden auch bestehende Arbeitsbedingungen unterlaufen.
Um dem zu begegnen, fordert der europäische Gewerkschaftsverband zur anstehenden Europawahl eine EU-Richtlinie, die einheitliche Mindeststandards für die Branche festlegen soll. »Denn das Problem lässt sich auf nationaler Ebene nicht mehr lösen«, betonte Bragason.«

Und dann kommt der Bezug auf das deutsche GSA Fleisch:

»Die neue Richtlinie soll dabei dem deutschen Arbeitsschutzkontrollgesetz aus dem Jahr 2021 nachgebildet sein.«

Da gibt es aber auch skeptische Stimmen. Das GSA Fleisch habe in Deutschland Verbesserungen gebracht hat, das sieht auch der Soziologe Peter Birke so. Er forscht an der Universität Göttingen zu Arbeitsbedingungen in der Branche und hat dazu wichtige Beiträge publiziert. Doch als Vorbild könne die Branche in Deutschland keineswegs dienen. »Bis heute gibt es keine Regelungen, die die Arbeitsbedingungen verbessern, etwa beim Recht auf Urlaub oder beim Schutz vor gesundheitsschädlichen Bedingungen«. Die Arbeit sei weiterhin extrem hart. Und Birke legt den Finger auf zwei offene Wunden:
➞ Die Gewerkschaften haben in der Branche einen schweren Stand. Die Tarifbindung ist schwindend gering.
➞ Zudem gibt es bei der Durchsetzung des bereits geltenden Arbeitsschutzgesetzes große Lücken, auch weil es keine bundeseinheitliche Aufsicht gibt.

Auf die erheblichen Defizite beim Arbeitsschutz wurde auch hier und über die Fleischindustrie hienausreichend als generelles Problem in Deutschland immer wieder hingewiesen, man muss teilweise von einem veritablen Staatsversagen sprechen. Dazu zuletzt der Beitrag Diesseits der Versprechungen und verloren im abgemagerten föderalen Durcheinander: Ein Update zum Staatsversagen beim Arbeitsschutz vom 14. Juni 2022. Bevor man also eine rundum positive Bewertung der Regulierung dieser Branche vornehmen kann, muss man einen skeptischen Blick auf die mühevolle Ebene der Umsetzung und der Kontrolle vor Ort und in der Lebenspraxis werfen. Da liegen, so die These, noch einige Tretminen, die aber zugleich weit über diese spezielle Branche hinausweisen.