Innovationen in der häuslichen Pflege? Über „Good Practices“, (wieder einmal) ein bundesweites Online-Portal und die Stärkung der Kommunen

Es wird viel berichtet über die Situation der stationären Langzeitpflege. Meldungen über Insolvenzen von Pflegeheimbetreibern, über horrend hohe „Zuzahlungen“ der Pflegeheimbewohner oder auch über skandalöse Zustände in den Einrichtungen. Weitaus seltener schon sind Berichte über die ambulante Langzeitpflege. Vor allem lokal und regional wird auch hier darüber berichtet, dass Pflegediensten die betriebswirtschaftliche Puste ausgegangen ist oder dass Pflegebedürftige und ihre Angehörige zunehmend Schwierigkeiten haben, überhaupt irgendeinen Pflegedienst zu bekommen.

Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass bei aller Bedeutung der stationären Pflege vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause versorgt werden, entweder von pflegenden Angehörigen allein oder unter partieller Hilfestellung durch ambulante Pflegedienste. Die Versorgung der weit über fünf Millionen Pflegebedürftigen würde innerhalb von Minuten zusammenbrechen, wenn auch nur ein Teil der pflegenden Angehörige nicht mehr machen würde, was sie jeden Tag tun.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass man aufmerksam wird, wenn Meldungen davon sprechen, dass es „Innovationen“ in der häuslichen Pflege geben würde, mit denen man diesen zentralen Stützpfeiler des Betreuungs- und Pflegesystems stabilisieren könnte.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat sich in diesem Kontext mit einer von der Überschrift her vielsprechenden Meldung zu Wort gemeldet: Stärkt alle: Pflegeangebote vor Ort verbessern. vzbv veröffentlicht Gutachten zu innovativen Pflegekonzepten. Das Gutachten würden aufzeigen, dass innovative Projekte in der ambulanten Pflege die pflegerische Versorgung in Deutschland verbessern können. Der Bundesverband der Verbraucherschützer fordert ein „bundesweites Online-Portal für Best-Practice-Beispiele in der ambulanten Pflege“ – und schiebt als zweite Forderung nach: Die künftige Bundesregierung muss Kommunen in der Pflege stärker finanziell unterstützen.

„Unser Gutachten zeigt: Bereits kleine Projekte können die Pflegeversorgung verbessern. Die Politik muss erfolgreiche Projekte bekannter machen. Wir schlagen ein bundesweites Online-Portal vor, das innovative Pflegeprojekte gebündelt darstellt. Kommunen können sich so über Best-Practice-Beispiele informieren und voneinander lernen“, so Thomas Moormann, Leiter des Teams Gesundheit und Pflege im vzbv.

Das »Gutachten zeigt, dass bereits innovative kommunale Projekte existieren, welche die Pflegesituation vor Ort stärken und verbessern. Die Ideen der Kommunen sind vielfältig: Ein Pflegedienst in Osnabrück konzentriert sich auf die Versorgung eines gesamten Quartiers. Das reduziert Kosten und Fahrzeiten und schafft mehr Raum für soziale Interaktion.

In einem anderen Beispiel vernetzt und koordiniert eine Kommune verschiedene Anbieter von Pflegeleistungen, Haushaltshilfen und sozialer Unterstützung. So müssen Pflegebedürftige einzelne Leistungen nicht mehr individuell beantragen und abrechnen. Stattdessen wird ein Stundentarif vereinbart. Bürokratische Anträge entfallen – das entlastet auch die Pflegedienste.

In der Stadt Riedlingen wurde eine Seniorengenossenschaft gegründet. Deren Mitglieder unterstützen Pflegebedürftige aus der Genossenschaft – beispielsweise beim Einkaufen, im Haushalt oder beim Arztbesuch. Diese Hilfe können sie sich stundenweise vergüten lassen oder ein Zeitkonto anlegen, von dem im Alter eigene Pflege und Unterstützung abgegolten werden kann. Die Lebensqualität älterer Menschen kann mit diesem Projekt gesteigert werden.

Die Beispiele zeigen: Es gibt bereits wirksame Ansätze, wie die knappen pflegerischen Ressourcen vor Ort neu strukturiert und effizienter genutzt werden können.«

Das sind nur ausgewählte Praxis-Beispiele aus dieser Veröffentlichung:

➔ MODUS Wirtschafts- und Sozialforschung (2024): Innovationen in der häuslichen Pflege: Good Practices, Berlin: Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband, November 2024

In dem Gutachten werden Beispiele zur vier Problembereichen vorgestellt:

(1) Unzureichende Beratungs- und Unterstützungsangebote; (2) Unzureichende Pflegeversorgung; (3) Eingeschränkte soziale Teilhabe und fehlende vorpflegerische und hauswirtschaftliche Unterstützung sowie (4) Unangemessene Lebens- und Wohnverhältnisse.

Angesichts der überaus heterogenen Anforderungen an die Sicherstellung der Versorgung der pflegebedürftigen Menschen (und einer nachhaltigen Unterstützung der schwierigen und sehr belastenden Situation der pflegenden Angehörigen) sind konkrete Beispiele aus der Praxis grundsätzlich ein Gewinn und ihre Verbreitung kann nicht nur eine Diffusion der zumeist lokal verankerten Modelle in die Fläche erleichtern und beschleunigen, sondern auch viele unnötigen Parallelarbeiten vermeiden helfen.

Der Vorschlag eines bundesweiten Online-Portals ist ja grundsätzlich nachvollziehbar als ein Instrument unter vielen zur Umsetzung solcher Projekte an anderen Orten – aber irgendwie auch im Jahr 2025 aus der Zeit gefallen, denn es gibt nun wirklich viele Vernetzungen und man kann sich heute auch sehr schnell informieren, welche Wege wo wie gegangen worden sind.

Der entscheidende Punkt ist die vom Verbraucherzentrale Bundesverband auch angesprochene Kommunalisierung, denn die vielen innovativen Modelle müssen vor Ort angepasst und umgesetzt werden und das lässt sich letztendlich nur erreichen, wenn man endlich das realisiert, was seit langem in der pflegepolitischen Fachdiskussion (ein)gefordert wird: eine umfassende Kommunalisierung der Langzeitpflege, die aber auch bedeuten muss, dass vor Ort die Letztverantwortung für diesen zentralen Bereich der Daseinsvorsorge angesiedelt ist. Und es reicht eben nicht aus, an dieser Stelle „mehr Geld“ für die Kommunen zu fordern, das Beispiel mit den innovativen Ansätzen verdeutlicht die mindestens genauso wichtige zweite Säule einer gelingenden Kommunalisierung: Man muss vor Ort dann auch über eine ausreichend qualifizierte personelle Kompetenz verfügen, die zum einen die Anpassung und Umsetzung je nach den differierenden Bedarfen vor Ort planen und steuern kann. Zum anderen würde entsprechend qualifiziertes Fachpersonal in der Lage sein (müssen), aufgrund der zu erwartenden professionellen Vernetzung ausreichend informiert zu sein über innovative Ansätze, die sich an anderer Stelle bewährt haben oder die erfolgversprechend sein können. Aber hier liegt neben den zahlreichen strukturellen Blockaden (wie einem anderen Finanzierungssystem und einer klareren gesetzlichen Zuständigkeitsregelung) ein zentrales Hemmnis für alle Kommunalisierungsbefürworter: Eine Bestandsaufnahme des nicht) vorhandenen Fachpersonals vor Ort auf der kommunalen Ebene wird zu einem frustrierenden Befund führen müssen (von einigen wenigen Leuchttürmen in der kommunalen Landschaft selbstverständlich abgesehen).

Von daher braucht man für eine nachhaltige und vor allem flächendeckende Ausbreitung innovativer Ansätze in der pflegerischen Versorgung neben erheblichen rechtlichen Vereinfachungen und Freiheitsgraden sowie tatsächlich mehr und vor allem flexibler einsetzbaren Geld eine nicht nur punktuelle, modellhafte, befristete Stärkung pflegefachlicher Expertise vor Ort, sondern eine, auf die man sich auch verbindlich verlassen kann, weil es sich um eine kommunale Pflichtaufgabe im Zentrum der Daseinsvorsorge handelt. Da wäre noch viel zu tun, wenn man denn wollte.