Zur Gleichzeitigkeit von scheinbar guten und möglicherweise schlechten Zeiten auf dem Arbeitsmarkt. Ein erster Blick auf die Beschäftigungsentwicklung 2024

Verständlich ist es – gerade in diesen von negativen Meldungen beherrschten Zeiten, in denen man schnell den Eindruck bekommen kann, das alles den Bach runtergeht, haben positive Nachrichten einen besonderen Stellenwert. Pünktlich zum Jahresbeginn bekommen wir dann so eine serviert: Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2024 auf neuem Höchststand, berichtet das Statistische Bundesamt rückblickend auf das, was auf dem Arbeitsmarkt bis zum Ende des gerade vergangenen Jahres passiert ist: »Im Jahresdurchschnitt 2024 waren rund 46,1 Millionen Menschen mit Arbeitsort in Deutschland erwerbstätig. Das waren so viele Erwerbstätige wie noch nie seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990.«

Mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020 ist die Erwerbstätigenzahl damit seit 2006 durchgängig angestiegen. Das ist doch erst einmal eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte und darauf hinzuweisen auch deshalb von Bedeutung, weil bei vielen Menschen in den vergangenen Jahren der Eindruck produziert wurde, dass immer weniger Menschen einer Erwerbsarbeit nachgehen, dass überall die Arbeitskräfte fehlen. Tatsächlich haben noch nie so viele Menschen eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wie im vergangenen Jahr.

➞ Mit Blick auf die Verwendung des Beschäftigungsbegriffs muss ein notwendiger methodischer Hinweis gegeben werden, was die Interpretation der präsentierten Zahlen angeht. Das Statistische Bundesamt berichtet über die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen und weist darauf hin, dass die nach dem Erwerbsstatuskonzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gezählt werden. Dieses Konzept beinhaltet eine sehr weitreichende Erfassung von Erwerbstätigkeit. Der Erwerbstätigenbegriff des Statistischen Bundesamtes basiert zwar auf der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), enthält jedoch spezifische Anpassungen für die deutsche Statistik. Erwerbstätige sind alle Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland einer Tätigkeit nachgehen, durch die sie Einkommen oder Gewinn erzielen, unabhängig von der Art der Beschäftigung. Zu den Hauptkategorien gehört die große Gruppe der unselbstständig Beschäftigten, also alle Personen, die in einem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen (neben den Angestellten und Beamten auch die Personen, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben) sowie die selbstständig Erwerbstätigen (also Freiberufler, Gewerbetreibende, Landwirte, Inhaber von Handwerksbetrieben) und die mithelfenden Familienangehörigen (also Personen, die unbezahlt in einem Betrieb eines Familienangehörigen mitarbeiten (z. B. landwirtschaftliche Betriebe)). Das Statistische Bundesamt weist aber auch die Kategorie der Arbeitnehmer aus. Die umfasst alle Personen, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Dazu gehören die Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten, Minijobber und geringfügig Beschäftigte, Auszubildende (mit einer Vergütung), Beamte und Richter. Als Besonderheit (wenn nach dem Arbeitsortprinzip erfasst wird) gilt: Personen, die in Deutschland arbeiten, aber im Ausland wohnen, gelten ebenfalls als Arbeitnehmer, sofern sie einer abhängigen Beschäftigung nachgehen (Grenzgänger und Saisonarbeiter). Aber auch die Zahl der enger gefassten Arbeitnehmer hat 2024 einen (erneuten) Rekordstand erreicht: Für das vergangene Jahr werden 42,31 Millionen Arbeitnehmer ausgewiesen – und die Dynamik war bei den (abhängig beschäftigten) Arbeitnehmern in den vergangenen Jahren sogra stärker ausgeprägt als bei den erwerbstätigen insgesamt.

Interessante Aspekte ergibt ein etwas genauerer Blick auf die Treiber der an der Erwerbstätigenentwicklung gemessenen Beschäftigungsdynamik. So berichtet das Statistische Bundesamt:

»Ursächlich für die Beschäftigungszunahme waren im Jahr 2024 wie bereits in den Vorjahren die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte und eine gestiegene Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung. Diese beiden Wachstumsimpulse überwogen die dämpfenden Effekte des demografischen Wandels, die zum verstärkten Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben führen.«

Anders ausgedrückt: Wenn man nur die demografischen Entwicklung betrachtet, dann müsste die Erwerbstätigkeit (schon seit längerem) sinken – aber das wird (noch) kompensiert und darüber hinaus mit einem Wachstumsimpuls versehen zum einen durch die steigende Erwerbsbeteiligung derjenigen, die schon da sind (in der Arbeitsmarktforschung wird das auch als Verhaltenskomponente bezeichnet), also neben einer steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen und hierbei der Mütter mit kleinen Kindern (die sich allerdings in den vergangenen Jahren zunehmend abgeschwächt hat) ist hier vor allem die längere Erwerbsbeteiligung der Älteren zu nennen (entgegen der landläufigen Wahrnehmung bleiben viele Beschäftigte länger erwerbstätig als früher, bevor sie in den Ruhestand wechseln). Darüber hinaus speist sich die Zunahme der Zahl der Beschäftigten vor allem aus dem Migrationseffekt. Ausländische Arbeitskräfte sind bislang maßgeblich verantwortlich für die Beschäftigungsexpansion.

Der Rekord wird deutlich weniger beeindruckend, wenn man sich das Arbeitsvolumen anschaut

Auf der einen Seite ist es bei einer reinen Kopf-Betrachtung richtig: Noch nie waren so viele Menschen in Deutschland erwerbstätig wie im vergangenen Jahr. Aber man muss relativierend ergänzen: Eine Berücksichtigung der gleichzeitigen Entwicklung des Arbeitsvolumens lässt den Eindruck der Rekordentwicklung dann doch etwas schrumpfen. Am Beispiel der Arbeitnehmer:

Während die Zahl der Arbeitnehmer 2024 gegenüber dem ersten Jahr nach der Wiedervereingung um beeindruckende 20 Prozent höher liegt, ist bei der Zahl der Arbeitsstunden der Arbeitnehmer ein deutlich geringeres Wachstum zu verzeichnen. Erst 2016 lag das wieder auf dem Niveau des Jahres 1991 und 2024 wurden gerade einmal 5 Prozent mehr Arbeitsstunden der Arbeitnehmer gezählt. Hier manifestiert sich die starke Zunahme der Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigung.

Noch wächst die Beschäftigung insgesamt, aber insgesamt immer schwächer

Schaut man sich die letzten Jahre an hinsichtlich der Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen, dann kann man zum einen die beschäftigungsstarken 2010er Jahre erkennen, aber neben der Sondersituation des pandemiebedingten Einbruchs 2020 sieht man, dass die Zunahme der Beschäftigung von Jahr zu Jahr kleiner wird:

2022 ud 2023 waren es noch mehrere hunderttausend Erwerbstätige mehr, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt gezählt wurden – im vergangenen Jahr 2024 ist der Zuwachs auf nur noch 72.000 geschrumpft.

Und eine noch genauerer Blick auf die Zahlen offenbart, dass es vor allem der große und heterogene Dienstleistungsbereich war (und ist), wo zusätzliche Beschäftigung generiert wurde und wird. Aber auch deren Dynamik schwächt sich ab – und man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Zuwachs der Dienstleistungsjobs ausschließlich zurückzuführen ist auf ein anhaltendes Wachstum der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich „Öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit“. In anderen Dienstleistungsbereichen gab es im vergangenen Jahr hingegen Beschäftigungsverluste:

Ein besorgniserregender „Kipppunkt“ der Arbeitsmarktentwicklung ante portas?

Im gerade vergangenen Jahr 2024 hat es (wenn wir die beiden besonderen Pandemiejahre 2020 und 2021 einmal ausblenden) erstmals einen Beschäftigungsabbau im Verarbeitenden Gewerbe und damit in dem Bereich gegeben, der als Industrie bezeichnet wird. Schaut man sich parallel die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit über Zugänge in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt an, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass mit einem sich beschleunigendem Tempo in den zurückliegenden Monaten mehrere tausend Industriejobs abgebaut werden – Monat für Monat. Und es handelt sich hierbei in der Regel um gut bezahlte Jobs, die da verloren gehen. Auch wenn sich die Ökonomen gegenwärtig über die These streiten, ob wir tatsächlich in eine Phase der „Deindustrialisierung“ eingetreten sind (der Streit dreht sich vor allem darum, dass auf der einen Seiten die Industrieprodurktion – übrigens schon seit 2019 – stark rückläufig ist, dies aber für die Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes so (noch) nicht gemessen werden kann) – für den Arbeitsmarkt müssen wir zur Kenntnis nehmen:

Die „Deindustrialisdierung“ (auf dem Arbeitsmarkt) hat begonnen. Und leider zeigen die Daten auch, dass der beginnende Beschäftigungsabbau in der Industrie begleitet wird durch einen erstmaligen Einbruch der Beschäftigung in dem so bedeutsamen Baubereich, hier verlieren wir erstmals Beschäftigte. Und das vor dem Hintergrund, dass der Bedarf nicht nur an zusätzlichem Wohnraum, sondern auch an Infrastrukturbauten steigt und steigt. Offensichtlich haben im vergangenen Jahr die Industrie- wie auch die Bauunternehmen das beendet, was sie bisher betrieben haben: das „Horten“ von in der Regel sehr gut qualifizierten Arbeitskräften, in der Hoffnung, dass die Konjunktur und die Aufträge wieder anspringen und man dann sofort loslegen kann mit eingearbeitetem Persona. Es scheint so zu sein, als ob diese Erwartung zunehmend beerdigt wird.

Eine überaus bedrohliche Entwicklung zeichnet sich hier in ersten Umrissen ab.