»2023 waren in Deutschland knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in der Pflege ist lange Zeit stärker gewachsen als die Beschäftigung insgesamt. Seit Anfang 2022 hat der Beschäftigungsaufbau in der Pflege allerdings spürbar an Dynamik verloren«, so die Bundesagentur für Arbeit in ihrem im Mai 2024 veröffentlichten Bericht Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Und dann kann man dort lesen: »Der Anteil der beschäftigten Pflegekräfte mit einer nicht-deutschen Staatsangehörigkeit ist im Zeitverlauf deutlich gestiegen und so geht der überwiegende Anteil des Beschäftigungsanstiegs in den vergangenen 10 Jahren auf sie zurück. Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege ausschließlich von Ausländerinnen und Ausländern getragen.«
»Lag der Anteil der Ausländer an den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflegekräften vor 10 Jahren noch bei gut 5 Prozent, so hat er sich bis 2023 auf 16 Prozent erhöht (+195.000 Beschäftigte auf 270.000). Der Ausländeranteil bei den Pflegekräften liegt damit etwas über dem Niveau über alle Berufe hinweg.«
Mit dieser Entwicklung hat sich ein neuer Forschungsbericht aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt:
➔ Jeanette Carstensen et al. (2024): Internationalisierung der Pflege – Pflegekräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ihr Beitrag zur Fachkräftesicherung. IAB-Forschungsbericht, Nr. 22/2024, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Oktober 2024
Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?
»Das seit 2013 zu verzeichnende Beschäftigungswachstum in den Pflegeberufen konnte nur mit Hilfe der ausländischen Pflegekräfte gelingen, während die Zahl der deutschen Beschäftigten in den Pflegeberufen seit 2021 sogar rückläufig war. Ausländische Pflegekräfte federn damit zugleich die ungünstige demografische Entwicklung in Deutschland ab, die dafür sorgt, dass innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre eine sehr hohe Anzahl an Pflegebeschäftigten das Renteneintrittsalter erreichen wird. Aus der EU kommen Pflegekräfte heute vor allem aus Polen, Rumänien und Kroatien. Aus Drittstaaten spielen insbesondere Beschäftigte aus den Pflegeanwerbeländern (Bosnien und Herzegowina, Philippinen) und dem übrigen Europa (Türkei, Serbien) eine wichtige Rolle.«
In der Studie wird hervorgehoben, dass viele ausländische Beschäftigte in der Pflege das Lohnniveau ihrer deutschen Kollegen (noch) nicht erreicht haben. »Zu berücksichtigen sind hier aber das jüngere Durchschnittsalter und die stärkere Konzentration der ausländischen Beschäftigten in der ambulanten Pflege, wo die Löhne deutlich niedriger ausfallen als in der stationären Pflege.«
Der Bedarf an Nachschub wird auch in Zukunft sicher sein: »Auch wenn das besonders starke Beschäftigungswachstum unter den ausländischen Pflegekräften zu einer gewissen Stabilisierung der Fachkräftesituation auf dem deutschen Pflegemarkt geführt hat, ist die Lage vor dem Hintergrund der anstehenden demografischen Herausforderungen nach wie vor sehr angespannt. Zudem dürfte vor dem Hintergrund der neuen Personalbemessung (PeBeM) in der Pflege nicht nur der Bedarf an Pflegefachkräften, sondern auch an qualifizierten Pflegefachhelfer*innen (mit 1- oder 2-jähriger Ausbildung) deutlich zunehmen.« Aber zugleich wird darauf hingewiesen: »Trotz der neu geschaffenen Zuwanderungsmöglichkeiten dürfte die
Einmündung für potenzielle Beschäftigte (Pflege- und Betreuungskräfte) aus Drittstaaten ohne
eine mindestens einjährige Berufsausbildung weiterhin schwierig bleiben.«
In einem Interview mit den Verfassern der Studie – „Das Beschäftigungswachstum in der Pflege wird inzwischen ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen“ – wird ausgeführt: »Der demografische Wandel trifft die Pflegebranche besonders hart. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt, zudem macht die Entwicklung auch vor den Pflegekräften nicht halt: Unter denen mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt es mittlerweile deutlich mehr ältere als jüngere Beschäftigte. In den kommenden Jahren werden viele ältere Pflegekräfte in Rente gehen oder sind bereits ausgeschieden. Die Personalsituation wird sich daher noch weiter verschärfen.«
Vor diesem Hintergrund wird danach gefragt: Die Bundesregierung hat erst kürzlich neue Migrationsabkommen mit Drittstaaten geschlossen – im September etwa mit Kenia und Usbekistan. Damit will Deutschland die internationale Fachkräftegewinnung fördern, insbesondere in der Pflege. Ist das ein Erfolgsmodell?
Die Antwort: »Das kann man mit einem vorsichtigen Ja beantworten. Allerdings ist noch Luft nach oben: Wir sehen zu lange berufliche Anerkennungsphasen. Viele akademische Abschlüsse werden in Deutschland nur teilweise anerkannt, was dazu führt, dass gut qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland zu lange auf Helferniveau arbeiten müssen. Diese Hürden können schnell zu deren Unzufriedenheit beitragen.«
Die quantitativ stärksten Anwerbeländer in Pflegeberufen sind nach den in der Studie aufbereiteten Beschäftigtendaten Bosnien-Herzegowina, die Philippinen, Indien, Tunesien und Vietnam.
Und weil immer wieder die Frage nach den Geflüchteten gestellt wird: »Auch die Zahl der Geflüchteten, die in der Pflege tätig sind, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. 2023 waren 24.000 Pflegekräfte aus den acht zuzugsstärksten Asylherkunftsländern in der Pflege tätig. Die Zahl von Pflegekräfte aus der Ukraine wächst ebenfalls.«
➞ Wobei es sich um überschaubare Größenordnungen handelt. Dem BA-Bericht zur Arbeitsmarktsituation in der Pflege (S. 13) kann man entnehmen: »Vor Kriegsbeginn im Februar 2022 waren knapp 5.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Pflegeberufen beschäftigt, nach aktuell vorliegenden Werten (September 2023) waren es knapp 8.000. Das Plus von gut 2.000 kann im Wesentlichen auf die Kriegsflüchtlinge zurückgeführt werden.«
»Inzwischen hat jede sechste Pflegekraft in Deutschland eine ausländische Staatsangehörigkeit. Ihr Anteil ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gewachsen. Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege sogar ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen. Die Zahl der deutschen Pflegekräfte ist hingegen rückläufig.«
Die Spaltung der Pflegelandschaft in Kranken- und Altenpflege wird auch mit Blick auf die ausländischen Pflegekräfte erkennbar:
»Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Krankenpflege- und Altenpflegeberufen. Die Krankenpflege ist deutlich stärker geprägt von qualifizierten Tätigkeiten. Dort sind drei von vier Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit als Pflegefachkräfte tätig, bei den ausländischen Beschäftigten sind es zwei von drei. In der Altenpflege ist der Anteil der Hilfskräfte höher. Eine Fachkrafttätigkeit wird dort von gut der Hälfte der deutschen Beschäftigten ausgeübt. Unter den ausländischen Beschäftigten arbeiten ein Drittel als Fachkräfte, zwei Drittel dagegen als Pflegehilfskräfte oder Pflegefachhelfer*innen.«
Natürlich wurden die Verfasser der Studie auch danach gefragt, was denn die Politik noch machen kann:
»Aus unserer Sicht sollten insbesondere die notwendigen beruflichen Anerkennungsverfahren beschleunigt werden. Dazu braucht es etwa einheitliche Standards, die dieses Verfahren bereits vom Ausland aus vereinfachen sollen. Deutschland kann bei der Gewinnung von internationalen Fachkräften nur dann erfolgreich sein, wenn Anwerbung, Anerkennungsprozess und gesellschaftliche Integration bestmöglich umgesetzt und begleitet werden. Eine hohe Hürde für ausländische Pflegekräfte ist der Erwerb der deutschen Sprache. Hier brauchen sie bestmögliche Unterstützung.«
Das hört bzw. liest man immer wieder: Die Anerkennungsverfahren beschleunigen. Das ist auch nachvollziehbar – aus Sicht der Arbeitgeber, die möglichst schnell an die Leute kommen wollen und aus Sicht der Betroffenen, die teilweise Monate warten müssen auf die Abwicklung der einzelnen Prüfungsschritte.
Auf der anderen Seite sollte man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es auch gute Gründe gibt, die Qualifikation genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Behörden haben hier eine Schutzfunktion gegenüber den betroffenen Patienten und Pflegebedürftigen. Es darf im Bereich der Pflege kein „Durchwinken“ geben, nur weil hier Not an der Frau ist.
Zum anderen wird sie angedeutet, die „hohe Hürde für ausländische Pflegekräfte“: die deutsche Sprache. Die ist ja nun auch wirklich nicht einfach – zugleich aber sollte Konsens bestehen, dass gerade in der Pflege ausreichende Sprachkenntnisse unabdingbar sind. Auch hier kann man in der letzten Zeit einen verstärkten Druck erleben, doch angesichts des Personalmangels beide Augen zuzudrücken und nicht „zu hohe“ Anforderungen zu stellen. Das passt sich zumindest im Bereich der Alten- bzw. Langzeitpflege durchaus ein in den beobachtbaren Trend einer Deprofessionalisierung der Pflegetätigkeiten.
Zum anderen zeigen viele praktische Erfahrungen, dass es nicht damit getan ist, angesichts des Bedarfs möglichst viel Menge beim Import von Pflegekräften zu realisieren, sondern dass die Arbeitgeber – wie aber auch die sie umgebende Gesellschaft – eine besondere Integrationsverpflichtung vor Ort haben. Sonst sind nämlich viele der teilweise mühsam und aufwändig rekrutierten Pflegekräfte bald wieder verständlicherweise weg. Diejenigen, die in unserer überalterten Gesellschaft wertvolle Care-Arbeit leisten sollen, brauchen gerade am Anfang eine besondere Sorge-Arbeit seitens der Einheimischen.