Sie werden überall gebraucht und sie fehlen immer öfter: Pflegekräfte. Genauer: Pflegefachpersonen. Menschen, die eine qualifizierte dreijährige Ausbildung absolviert haben und die in den Krankenhäusern, in der ambulanten und stationären Langzeitpflege oder anderen Gesundheitseinrichtungen ihrer Arbeit mit einer durch die Fachausbildung grundgelegten fachlichen Expertise nachgehen (können). Es geht hier also, das muss man gerade in Deutschland leider immer wieder hervorheben, nicht um irgendwelche „Pflegekräfte“, denn darunter subsumiert man häufig auch un- und angelernte Kräfte (gerade in der Alten- bzw. Langzeitpflege ist das von großer Bedeutung).
Im Jahr 2022 haben rund 52.100 Auszubildende eine Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann begonnen. Damit ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Pflege gegenüber dem Vorjahr um 7 Prozent oder 4.100 zurückgegangen (2021: 56.300 Neuverträge), berichtet das Statistische Bundesamt unter der Überschrift 7 % weniger neue Ausbildungsverträge in der Pflege im Jahr 2022. Angesichts des heute schon überall beobachtbaren Mangels an Pflegefachkräften und mit Blick auf den weiter zunehmenden Bedarf an professionellen Pflegekräften ist das eine offensichtlich alarmierende Entwicklung, die sich hier hinter den nackten Zahlen verbirgt. Aber bleiben wir noch bei den Zahlen.
Die lange Zeitreihe zur Entwicklung der Zahl der Ausbildungsanfänger/innen in den Pflegefachberufen erscheint nur auf den ersten Blick kompliziert. Es gab keine Pflegefachausbildung im Singular, sondern wir hatten über viele lange Jahre im Grunde eine Dreiteilung der Pflegeausbildung, die entstanden ist aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen, in den die (meisten) Pflegekräfte unterwegs waren und sind – mit dem Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) wurde dann mit Beginn des Jahres 2000 die Ausbildung umgestellt auf eine generalistische Pflegeausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass es damit zu einer vollständigen Überwindung der bisherigen Dreigliedrigkeit der Pflegeausbildungen gekommen ist, denn auch in dem neuen System mit der im Grunde einheitlichen Pflegeausbildung gibt es dann doch wieder die Option, in die (bisherigen) Bereiche zu wechseln: Im dritten Ausbildungsjahr können die Auszubildenden sich für die Fortsetzung der generalistischen Ausbildung entscheiden oder ihren Schwerpunkt auf die Pflege alter Menschen oder die Versorgung von Kindern legen und einen Abschluss als Altenpfleger/in bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in erwerben (vgl. zu diesem typisch deutschen „Mischmodell“ immer noch den am 24. Juni 2017 hier veröffentlichten kritischen Beitrag Reform der Pflegeausbildung: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Von der Dreigliedrigkeit zum 1.+2. (+3.) Generalistik- bzw. (ab 3.) Y-Optionsmodell).
➔ Mit Blick auf die akutstationäre Versorgung in den Krankenhäusern gab es die klassische Krankenpflegeausbildung. 1957 wurde das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) erlassen, das neben der Gleichstellung der Ausbildung von Krankenpflegern und Krankenschwestern die Festlegung der Ausbildungszeit auf zwei Jahre mit sich gebracht hat. Im Jahr 1965 gab es dann eine Verlängerung der Ausbildungszeit auf drei Jahre. 1985 folgte dann eine Neufassung des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege mit einer Angleichung an europäischen Richtlinien und 2004 erfolgte dann mit der Neufassung des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege neben einer Intensivierung der theoretischen Ausbildung die Umbenennung der Berufsabschlüsse Krankenpfleger/-schwester in Gesundheits- und Krankenpfleger/in. Vor dem Entstehungs- und Verwendungshintergrund nicht überraschend waren die meisten Pflegeschulen an Krankenhäusern angegliedert. Gleichsam als „Nischenprodukt“ lief die gesonderte Ausbildung im Bereich der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege „nebenher“.
➔ Die zweite Säule der Pflegefachberufe ist im Bereich der Altenpflege bzw. Langzeitpflege angesiedelt. Ende der 1950er-Jahre begannen erste Einrichtungen, die Altenpflegekräfte über interne Schulungen fortzubilden. Eine offizielle Ausbildung mit dem Abschluss Altenpfleger/in entstand erst Ende der 1960er-Jahre. Am 10. Juli 1969 trat die bundesweit erste staatliche Ausbildungsordnung in der Altenpflege in Kraft und definierte damit erstmalig Dauer, Inhalte und Ziele der Ausbildung. Diese Ausbildung wurde mehrmals inhaltlich erweitert und zeitlich verlängert – in den 1980ern zunächst auf zwei, Mitte der 1990er dann auf drei Jahre. Erst seit dem Jahr 2003 gibt es das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege, mit dem eine bundeseinheitliche Regelung der Ausbildung vorgenommen wurde.
Man kann – neben aller Kritik am Niveau der Pflegeausbildungen insgesamt, gerade im internationalen Vergleich – durchaus konstatieren, dass es ein qualifikatorisches Gefälle gab zwischen den klassischen Krankenpflege- und der Altenpflegeausbildung. Das war neben anderen Aspekten auch ein bedeutsamer Streitpunkt bei der langjährigen Diskussion und der dann schlussendlich auch erfolgten Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung. Ein Teil der Betreiber von Pflegeheimen und -diensten hat bis zuletzt Widerstand geleistet gegen die Aufgabe der (qualifikatorisch abgesenkten) eigenständigen Altenpflegeausbildung, weniger aus fachlichen Gründen, sondern weil die Abschottung der Altenpflege(ausbildung) eine wichtige Voraussetzung war und ist für das immer noch erhebliche Vergütungsgefälle zwischen der Krankenhauspflege und der stationären und ambulanten Altenpflege. Dem Druck der angesprochenen interessierten Kreise ist es dann auch zu verdanken, dass am Ende das Pflegeberufereformgesetz doch nicht in der eigentlich geplanten eindeutigen Reformvariante das Licht der Welt erblickt hat, sondern mit einer „Öffnungsklausel“ (nach unten) versehen wurde. Ob das allerdings den Heimbetreibern wirklich substanziell etwas bringen wird, sei hier mal dahingestellt. Jeder, der halbwegs bei Verstand ist, wird eine generalistische Pflegeausbildung wählen, denn nur dieser Abschluss ermöglicht es, auch in den besser bezahlten Bereichen zu arbeiten. Und selbst wenn man argumentiert, dass man durch die Öffnungsklausel auch Menschen eine qualifikatorisch nicht so anspruchsvolle Ausbildung in der Altenpflege ermöglicht, die ansonsten kognitiv gescheitert wären an der neuen Ausbildung mit ihren Anforderungen, muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass auch diejenigen, die sich im letzten Ausbildungsdrittel für die Altenpflege-Variante entscheiden, immerhin zwei Drittel ihrer Ausbildung im generalistischen Teil mit dem dort notwendigen Anspruchsniveau absolvieren müssen. Es sei denn, man senkt das Niveau in den ersten beiden Jahren der generalistischen Ausbildung ab – aber das kann ja keiner ernsthaft wollen … (?).
Natürlich gibt es erhebliche Geburtsprobleme bei einer derart reformierten Berufsausbildung, wie sie seit dem Jahr 2020 nun scharf gestellt wurde. Das betrifft nicht nur die Neukonfiguration der Ausbildungsinhalte und vor allem die breiter gewordenen praktischen Ausbildungsbereiche, auch die Pflegeschulen müssen sich neu aufstellen, es müssen zahlreiche Kooperationsvereinbarungen getroffen werden, zugleich leiden viele Ausbildungseinrichtungen selbst unter einem erheblichen Fachkräftemangel, gerade bei den pädagogisch qualifizierten Kräften. Die (Übergangs-?)Probleme der neuen Pflegeausbildung müssen genauer und detallierter analysiert werden, das kann hier nicht geleistet werden.
Wie dem auch sei, die Träger von Altenpflegeeinrichtungen sind auch deshalb mehr als nervös, weil die (alte) Altenpflegeausbildung bis 2019 durchaus die stärkste Zunahme bei den Ausbildungsanfänger/innen-Zahlen zu verzeichnen hatte:
In der Gesamtbilanz muss man nun nach drei Jahren der neuen, reformierten Pflegeausbildung neben den sektorspezifischen Fragen (die sich auch im Krankenhausbereich stellen) zur Kenntnis nehmen, dass wir quantitativ ein erhebliches Problem haben, das sich offensichtlich verschärft. Es werden schlichtweg viel zu wenig Nachwuchskräfte für die Pflegefachlichkeit ausgebildet:
Und man darf bei der Bewertung der Ausbildungsanfänger/innen-Zahlen natürlich nicht vergessen, dass nicht alle, die eine Ausbildung beginnen, diese auch beenden (werden). Als relativ gesichert gilt für die (bisherige) Pflegeausbildung eine Abbrecherquote von mindestens 30 Prozent (wobei nicht jeder Ausbildungsabbrecher die Ausbildung an sich abbricht, sondern einige an anderer Stelle weitermachen und außerdem ist auch nicht jeder Ausbildungsabbruch per se schlecht, wenn man an Aspekte der Eignung für einen pflegerischen Beruf denkt). Vgl. zu diesem Thema ausführlicher den Beitrag Berufsausbildung: Gekommen, aber nicht geblieben. Ausbildungsabbrüche und ein Teil ihrer möglichen Folgen vom 21.09.2021.
Man kann es drehen und wenden wie man will – die nackten Zahlen die Pflegeausbildung betreffend sind desaströs niedrig. Viel zu niedrig. Das wird sich rächen.