Auf die Bauwirtschaft war in den vergangenen Jahren eigentlich immer Verlass – selbst in den harten Zeiten der Corona-Pandemie, als viele Bereiche stillstanden, ging es auf den Baustellen weiter. Und der Bedarf – man denke an den Wohnungsbau – ist ja auch enorm und es müsste viel mehr gebaut werden. Aber auch wenn der Baubereich, in dem Hunderttausende arbeiten, während der Pandemie noch einer der Stabilitätsanker war, so haben doch die Folgen der neuen Krisen und der Krisenbewältigungsmaßnahmen wie beispielsweise die erhebliche Anhebung der Leitzinsen 2002 und 2023 eine Schneise des Einbruchs geschlagen und erstmals wird auch davon gesprochen, dass Beschäftigte auf dem Bau ihren Job verlieren (könnten).
»Das Bauvolumen ging im vergangenen Jahr real weiter zurück und wird in diesem Jahr auch erstmals nominal sinken, im Wohnungsbau spitzt sich die Lage 2024 weiter zu«, so eine der vielen wahrlich nicht optimistisch daherkommenden Meldungen unter solchen Überschriften: 2024 wird für die Bauwirtschaft noch schwieriger als 2023. Solche Schlagzeilen beherrschen derzeit die Berichterstattung. »Hohe Baupreise und verschlechterte Finanzierungsbedingungen belasten die Baukonjunktur – insbesondere den so dringend benötigten Wohnungsneubau. Lediglich der Tiefbau federt den Einbruch beim Bauvolumen ab. Beim Wohnungsbau wird sich die Lage in diesem Jahr sogar noch verschlechtern. Insgesamt werden im Jahr 2024 die nominalen Ausgaben für Bauleistungen – auch wegen sinkender Baupreise – erstmals seit der Finanzkrise abnehmen. Prognostiziert wird ein Minus von 3,5 Prozent, im Wohnungsbau sogar von 5,4 Prozent.«
Vor diesem Hintergrund werden dann solche auf den ersten Blick irritierende Meldungen gelesen werden: Bauarbeiter fordern massiv höhere Löhne: „Wir wollen mehr Respekt“: »Nach den Bauern gehen jetzt auch die Bauarbeiter auf die Barrikaden. Sie fordern deutlich mehr Geld – und schließen Streiks nicht aus.« Der Branche geht es schlecht und die Gewerkschaft will einen kräftigen Schluck aus der Pulle bekommen? Das passt doch nicht zusammen. Oder doch?
Zuerst einmal: Über welche Größenordnung mit Blick auf die Beschäftigten sprechen wir? Die zuständige Gewerkschaft spricht von rund 930.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Das ist mal eine Hausnummer.
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat die Pressemitteilung zu ihrer Tarifforderung unter diese Überschrift gestellt: 500 Euro mehr für alle Baubeschäftigten. Die Laufzeit des neuen Tarifvertrages soll zwölf Monate betragen. 500 Euro für alle?
„Ganz bewusst fordern wir einen Festbetrag, denn es ist uns wichtig, dass vor allem die Beschäftigten der unteren Lohngruppen deutlich mehr Geld im Portemonnaie haben“, wird Carsten Burckhardt, im IG BAU Vorstand zuständig für das Bauhauptgewerbe, zitiert. Es wird auf den starken Preisanstieg vor allem in Bereichen des täglichen Lebens in den zurückliegenden zwei Jahren hingewiesen. Die Gewerkschaft weist darauf hin, dass rund zwei Drittel der Baubeschäftigten in den unteren Lohngruppen zu finden sind. Bis zu maximal 18 Euro pro Stunde liegen dort die Verdienste derzeit.“Die Schere zu den oberen Lohngruppen öffnet sich immer mehr, wir brauchen dringend wieder eine Annäherung der Löhne und Gehälter. Auch darum müssen wir auf die schauen, die ohnehin schon wenig haben“, so Burckhardt zur Begründung der Pauschalbetragsforderung.
»Der letzte Tarifabschluss im Bauhauptgewerbe war im Jahr 2021. Zwischenzeitlich ist die Inflationsrate laut statistischem Bundesamt in Deutschland auf 7,9 Prozent (2022) und 5,9 Prozent (2023) gestiegen«, so die IG Bau.
Rückblick: Der letzte Tarifabschluss aus dem Jahr 2021
Im Jahr 2021 ging die IG BAU mit diesen Forderungen in die Tarifverhandlungen: Lohn und Gehalt: +5,3 %, Weiterentwicklung der Wegezeiten-Entschädigung, Angleichung des Ost- an das Westniveau.
Schon die Entgelt-Tarifverhandlungen im Herbst 2021 waren außerst schwierig. Letztlich haben der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Zentralverband Deutsches Baugewerbe sowie die Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt (IG BAU) dem Tarifpaket doch zugestimmt. Uwe Nostitz, Verhandlungeführer der Arbeitgeber, wird zu den damaligen Verhandlungen mit diesen Worten zitiert: „Die Einigung auf maßvolle Lohnerhöhungen im Westen, flankiert durch Corona- bzw. Einmalzahlungen, die vereinbarten Schritte zur weiteren Ost-West-Angleichung sowie neue Regelungen zur Wegestreckenentschädigung waren für uns ein akzeptabler Kompromiss.“ Die Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbandes hätten der Tariferhöhung vor allem aufgrund der langen Laufzeit und der damit verbundenen Planungssicherheit zugestimmt. Am 15. Oktober 2021 waren die schwierigen Tarifverhandlungen für die bis dato 890.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe beendet worden. Nach fünf Verhandlungs- und zwei Schlichtungsrunden legten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter ein Paket mit 33 Monaten Laufzeit vor.
➔ Mit Blick auf die ab April 2024 kündbaren Lohn- und Gehaltstarifverträge für West- und Ostdeutschland und das Land Berlin muss noch erwähnt werden, dass der „Tarifvertrag Inflationsausgleichsprämie“, der am 1. Februar 2023 in Kraft getreten ist und für allgemeinverbindlich erklärt wurde, davon nicht betroffen ist. Er bringt den Beschäftigten am Bau zwei Extra-Zahlungen von zusammen 1000 Euro in 2023 und 2024. Gewerbliche Arbeitnehmer sowie Angestellte und Poliere erhalten danach also bis spätestens mit dem September-Lohn/Gehalt 500 Euro extra. Arbeitgeber können das Geld auch in Raten auszahlen. Da der „TV Inflationsausgleichsprämie“ nicht Teil der Lohn- und Gehaltstarifverträge ist, berührt er auch nicht die Friedenspflicht der Entgelttarifverträge. Sollten diese im kommenden Jahr gekündigt werden, besteht der TV Inflationsausgleichprämie davon unberührt weiter. Er hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2024.
Man wird sehen, was in den kommenden Monaten am Ende rauskommt.
Der derzeitige Tarifvertrag läuft am 31. März 2024 aus, der erste Verhandlungstermin mit den Arbeitgebern ist am 22. Februar 2024, so die Gewerkschaft.
Foto: © Stefan Sell