Es geht weiter aufwärts. Mit den Eigenanteilen. Die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen steigt kontinuierlich

»Durch die massiv gestiegenen Kosten in der stationären Pflege erreicht die Belastung der Pflegebedürftigen mit den „Eigenanteilen“ trotz der jüngsten Reformschritte bereits in diesem Jahr ein neues Rekordniveau«, so begann der Beitrag Armutsfalle Pflegeheim? Die Sozialhilfequote in Pflegeheimen steigt (wieder) an, der hier am 23. Februar 2023 veröffentlicht wurde. Da ging es um die wieder steigende Sozialhilfequote unter den Menschen, die stationär in Pflegeheimen versorgt werden. Mehr als jeder dritte Pflegebedürftige ist auf Leistungen der kommunalen Sozialhilfe angewiesen – und das ist gleichsam die andere Seite der Medaille steigende Eigenanteile.

Und das angesprochene Rekordniveau bei den finanziellen Belastungen der Heimbewohner wird nun durch die neuesten Zahlen die Eigenanteile der Pflegeheimbewohner betreffend bestätigt. »Die Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) vom 1.7.2023 zeigt erneut einen starken Anstieg der finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen. Die höchsten Mehrkosten im Vergleich zum Vorjahr haben Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthalts. Hier stieg die monatliche Eigenbeteiligung innerhalb eines Jahres bundesweit im Durchschnitt um 348 Euro (2022: 2.200 Euro; 2023: 2.548 Euro).« Das berichtet der Verband der Ersatzkassen unter der Überschrift Finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen steigt kontinuierlich. Das ist ein Anstieg von fast 16 Prozent innerhalb eines Jahres.

Nun wird sich der eine oder andere daran erinnern, dass die Politik doch bereits Maßnahmen eingeleitet hat, um die finanzielle Belastung der Heimbewohner bei den Eigenanteilen zumindest bei dem größten Block, also den pflegebedingten Kosten, die nicht über den Betrag aus der Pflegeversicherung gedeckt werden können, zu reduzieren.

»Die Kosten im Bereich der Pflege und damit auch der Eigenanteil kennen aktuell nur eine Richtung: nach oben. Und dies, obwohl die Pflegebedürftigen seit Anfang des Jahres 2022 durch eine gesetzliche Neuregelung entlastet werden. Seitdem beteiligen sich die Pflegekassen mit einem nach Aufenthaltsdauer gestaffelten Leistungszuschlag von fünf bis 70 Prozent an den Pflegekosten. Dafür wurden im vergangenen Jahr rund 3,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Für das laufende Jahr soll der Betrag bei über vier Milliarden Euro liegen.« So Björn Bergfeld in seinem Beitrag Pflegeversicherung: Eigenanteile für stationäre Pflege erreicht neuen Rekordwert. Und für das kommende Jahr hat die Bundesregierung mit dem gerade beschlossenen „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz“ (PUEG) eine weitere Entlastung bei dem „Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil“ (EEE) vorgesehen. Allerdings wird damit nur die im vergangenen Jahr begonnene sehr zögerliche und letztlich auf die lange Bank geschobene Entlastung der Pflegeheimbewohner fortgeschrieben, wenn man sich die Größenordnungen der Entlastungen verdeutlicht:

Es ist darauf hinzuweisen, dass die mit dem PUEG kommende weitere (überschaubare) Entlastung beim EEE durch den Vergütungszuschlag seitens der Pflegekassen erst zum 1. Januar 2024 greifen wird. Die Entlastungswirkung durch den Zuschlag ist bereits verpufft und wird von den laufenden und anstehenden generellen Kostenanstiegen, die voll auf die Eigenanteile durchschlagen, mehr als aufgefressen, vor allem bei denjenigen, die nicht schon mehrere Jahre im Heim untergebracht sind.

Und diese Anmerkung muss leider gemacht werden: Wenn man sich die Architektur der Ausgestaltung des Vergütungszuschlags anschaut, also vor allem die nur sehr geringen anteiligen Entlastungen im ersten und zweiten Jahr des Aufenthalts im Pflegeheim, dann muss man das wohl auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Mehrzahl der Pflegeheimbewohner gar nicht drei oder gar mehr Jahre in einem Heim erlebt, sondern oftmals vorher verstirbt. So kann man natürlich auch die anfallenden Ausgaben (in diesem Fall für die Pflegeversicherung, aus deren Töpfen der Vergütungszuschlag gezahlt werden muss) in überschaubaren Größenordnungen halten.

Wohlgemerkt, es geht hier nur um einen der drei Eigenanteile, also um den EEE, mit dem die nicht über Leistungen der Pflegeversicherung gedeckten pflegebedingten Kosten dann von den Pflegeheimbewohnern über deren Zuzahlungen aus dem eigenen Einkommen und ggfs. Vermögen finanziert werden müssen. Das muss man vor dem Hintergrund sehen, dass die Pflegeversicherung Anfang der 1990er Jahre ins Leben gerufen wurde, dass deren Leistungen die pflegebedingten Kosten abdecken sollen (was in den ersten Jahren wohl auch gelungen ist), während die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten weiterhin vollständig von den Heimbewohnern zu tragen sind.

Was treibt die hohen Eigenanteile weiter hoch?

Der Anstieg der Eigenanteile ist massiv. »Im Jahr 2020 wurde zum ersten Mal die 2.000 Euro-Marke übersprungen. Denn im Juli 2020 betrugen die Kosten im Bundesschnitt 2.015 Euro monatlich. Zum Stand 1. Juli 2023 liegen die Kosten für pflegebedingte Aufwendungen, Investitionskosten sowie Unterkunft und Verpflegung für jeden stationär versorgten Pflegebedürftigen im Bundesdurchschnitt bei 2.610 Euro«, so Björn Bergfeld in seinem Beitrag. Mit Blick auf das vergangene Jahr schreibt er: »Im vergangenen Jahr schlugen sich vor allem steigende Lebensmittelkosten und die seit 1. September 2022 geltende Tarifpflicht auf die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen in den stationären Pflegeeinrichtungen nieder. Insbesondere beim sogenannten einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE) wuchsen die Kosten. Hier gab es allein bis zum 31. Dezember 2022 ein Plus von etwa 25 Prozent.« Dazu muss man wissen, dass sich die Aufwendungen, die über den EEE abgedeckt werden, zu 80 Prozent aus Personal- und zu 20 Prozent aus Sachkosten zusammensetzen.

Der Verband der Ersatzkassen liefert diesen Erklärungsansatz und gibt zudem eine für die Betroffenen frustrierende Prognose:

»Grund für die starke Erhöhung des EEE ist vor allem die seit September 2022 geltende Tariftreue-Regelung, wonach das Pflegepersonal mindestens nach Tarif zu vergüten ist und diese Kosten eins zu eins in den Pflegesatz eingepreist werden müssen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifentwicklung und der seit 1.7.2023 umzusetzenden neuen Personalbemessung in der Pflege ist davon auszugehen, dass der EEE bis zum Jahresende weiter ansteigt.«

Was wird gefordert, um die kontinuierlich steigende finanzielle Belastung der Pflegeheimbewohner abzumildern?

Da wäre natürlich der seit langem geforderte Umbau der Teilleistungsversicherung Pflegeversicherung hin zu einer Voll- oder wenigstens einer echten Teilkaskoversicherung. »Angesichts weiter stark steigender Kosten für Pflegebedürftige in Heimen mahnt ein Bündnis von Gewerkschaften und Sozialverbänden eine grundlegende Umgestaltung an. Die bisher nur einen Teil des Pflege­risikos abdeckende Pflegeversicherung solle in eine Pflegevollversicherung umgebaut werden, forderte das Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung«, so diese Meldung: Verbändebündnis für Vollversicherung in der Pflege. »Eine solche Pflegevollversicherung müsse alle pflegebedingten Kosten übernehmen – unabhängig davon, ob es sich um stationäre oder ambulante Pflege handle. „Sämtliche durch einen unabhängigen pflegerischen-medizinischen Dienst für bedarfsgerecht erachtete Pflegeleistungen müssen in vollem Umfang und ohne Eigenanteile vollständig von den Kassen finanziert werden“, so die gemeinsame Forderung des vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi initiierten Bündnisses. Es wird auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), von dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), dem Sozialverband Deutschland (SoVD), dem Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen, dem Deutschen Frauenrat, dem BIVA-Pflegeschutzbund, Volkssolidarität und AWO mitgetragen.« Weitere Informationen gibt es auf dieser Kampagnenseite für eine solidarische Pflegevollversicherung.

Der Verband der Ersatzkassen hat einen anderen Topf ins Visier genommen: „Es braucht zeitnah eine Lösung zur nachhaltigen Entlastung der Pflegebedürftigen, die nicht allein auf dem Rücken der Beitragszahler lastet. Dazu gehört es, die Bundesländer endlich zur Übernahme der Investitionskosten für die Pflegeeinrichtungen zu verpflichten. Das würde die Pflegebedürftigen ad hoc um durchschnittlich 477 Euro pro Monat entlasten”, so Jörg Meyers-Middendorf vom Verband der Ersatzkassen.

➔ Die Investitionskosten sind nun ist eine „interessante“ Komponente der Eigenanteile. Um was geht es hier? Bei den voll auf die Bewohner umlegbaren Investitionskosten handelt sich um Ausgaben eines Heimbetreibers für Anschaffungen von längerfristigen Gütern, z. B. das Gebäude oder die Ausstattung. Hierzu gehören Kosten für Gebäudemieten, Finanzierungskosten, Leasingaufwendungen, Abschreibungen und Instandhaltungskosten. Man kann das auch so formulieren: Es ist sicher mehr als gewöhnungsbedürftig, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass Pflegebedürftige im Vergleich beispielsweise zu Hotelkunden „doppelt“ bezahlen müssen. Wenn Sie als Gast in ein Hotel einchecken, dann bezahlen Sie beispielsweise 100 Euro für eine Übernachtung. Damit muss das Hotel seine Kosten decken. Zu denen natürlich auch die Investitions- und sonstige Sachkosten des Hauses gehören. Im Pflegeheim zahlt der Heimbewohner vollständig die Kosten der „Unterkunft und Verpflegung“ und separat ebenfalls vollständig die „Investitonskosten“ des Hauses. Nun muss mit Blick auf die besonders problematische Rolle der vollständig auf die Bewohner umlegbaren Investitionskosten bedenken, dass die Pflegekosten (und damit die Höhe des „Einrichtungseinheitlichen Eigenanteils“) sowie die Kosten der Unterkunft und Verpflegung Gegenstand der Pflegesatzverhandlungen zwischen den Kostenträgern und den Heimbetreibern sind (zu den daraus resultierenden Pflegesätzen vgl. § 84 SGB XI sowie § 85 zum Verfahren). Damit verbunden ist eine andere Transparenz als bei den Investitionskosten, denn hier gilt: Sie sind nicht Bestandteil der Pflegesatzverhandlungen und werden von den Betreibern der Einrichtungen veranschlagt – und sie sind in der Regel nicht einsehbar. In der Regel bedeutet genauer: Während öffentlich geförderte Pflegeeinrichtungen die Höhe des als Eigenanteil auf die Bewohner umgelegten Betrags in Abstimmung mit der zuständigen Aufsichtsbehörde abstimmen müssen, haben Einrichtungen ohne Landesförderung völlig freie Hand.
Und der eine oder andere ahnt schon, welche Untiefen sich hier auftun können: Wie kann man verhindern, dass die Heimbetreiber über die von ihnen vorgelegte und nur begrenzt (bis gar nicht wie die Praxis oft zeigt) nachvollziehbare Berechnung Gewinne erwirtschaften auf Kosten der Zahlungsverpflichteten? Um eine Antwort vorwegzunehmen – man kann es kaum. Man denke hier nur an die legalen Möglichkeiten, die Heimbetreiber haben, zusätzliche Kosten, die letztendlich bei ihnen landen, allein dadurch zu produzieren, dass man mit Betriebs- und Immobiliengesellschaften operiert, mit Subunternehmen, mit überhöhten Preisen usw.
Dass auch andere hier Missbrauchspotenziale erkennen haben, kann man beispielsweise der Tatsache entnehmen, dass das Bundessozialgericht (BSG) im Jahr 2011 in mehreren Urteilen über die Möglichkeiten der Berechnung der Investitionskosten entschieden hat. Danach dürfen nur tatsächliche, bereits entstandene Kosten mit einfließen. Die bis dahin oft gehandhabte Vorfinanzierung geplanter Vorhaben oder die Erzielung von Gewinnen sind nicht zulässig, so die Rechtsprechung. Die aber wieder teilweise unterlaufen wurde, in dem man zugelassen hat, dass in gewissem Maße Pauschalierungen vorgenommen werden dürfen. Zu diesem Thema ausführlicher der Beitrag Eine teure Angelegenheit und eine mehr als problematische Lastenverteilung. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege und die Rolle der „Investitionskosten“, der hier bereits am 18. Februar 2018 veröffentlicht wurde.

Vor diesem zugegeben komplexen Hintergrund kann man durchaus Fragezeichen an den Vorschlag machen, die Bundesländer sollten doch den Investitionskosten-Eigenanteil der Pflegeheimbewohner übernehmen, was diese sicher entlasten würde, zugleich aber kann man durchaus die Frage aufwerfen, ob man dann auch bereit ist, die bislang über diese Komponente realisierte Gewinne zu finanzieren. Aber das wäre sowieso ein müßige Diskussion, denn die Bundesländer – von denen viele sich bereits frühzeitig nach der Installierung der Pflegeversicherung hinsichtlich der ihnen eigentlich obliegenden Investitionskostenförderung einen schlanken Fuß gemacht haben und entweder überhaupt nichts mehr fördern oder mit unzureichenden Beträgen – werden ein Teufel tun, die damit verbundenen Summen zu finanzieren. Gleichzeitig müsste die eigentlich zu führende Debatte weg gehen von einer generellen Investitionskostenförderung und man müsste die erforderliche Rolle und den möglichen Beitrag der Bundesländerebene und der Kommunen für den seit langem anstehenden Umbau der Pflegeinfrastruktur vor Ort aufrufen.

Es wäre so viel notwendig, was schon längst hätte in die Wege geleitet werden müssen – angesichts der großen Welle, die sich im Bereich der Langzeitpflege bereits aufbaut und die noch an elementarer Wucht gewinnen wird, ist viel Zeit verloren worden. Und es ist sieht nicht wirklich danach aus, dass man sich zu den an sich erforderlichen großen und mutigen Schritten durchringen kann. Ganz im Gegenteil zeigt das gerade verabschiedete PUEG einmal mehr, dass man auf kleinteiliges „muddling through“ setzt, in der Hoffnung, dass der Kelch an einem vorbeigehen wird. Was aber nicht zu erwarten ist.