Immer wieder wird über das „duale Krankenversicherungssystem“ in Deutschland berichtet und kontrovers debattiert. Viele werden sich an die großen Zeiten des erbitterten Streits über die Auflösung der Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung und der Installierung einer „Bürgerversicherung“ erinnern. Diese viele Jahre andauernden Wort- und Konzeptgefechte sind (bislang) ausgegangen wie das Hornberger Schießen und es ist derzeit auch nicht in Umrissen erkennbar, dass sich daran etwas ändern könnte.
Ebenfalls seit langem begleitet uns eine Diskussion über die besondere Rolle der PKV und der dort Versicherten im Sinne – zum einen im Sinne einer von vielen als „Klassenmedizin“ wahrgenommenen anderen Behandlung der Privaten, was beispielsweise den Zugang zu Terminen bei Ärzten angeht. Zugleich geht es immer wieder um die monetäre Bedeutung der Privatversicherten und der bei ihnen anders ausgestalteten Vergütung als bei den gesetzlich Versicherten, vor allem angesichts des besonderen Gewichts der Einzelleistungsvergütung in Kombination mit fehlenden Mengenbegrenzungen, was dann nicht selten in den Vorwurf mündet, dass bei Privatversicherten das ganz große Besteck bei Diagnostik und Therapie ausgepackt wird, da sich das „lohnen“ würde.
Man kann natürlich auch auf die betriebswirtschaftliche Ebene der Gesundheitseinrichtungen runtergehen und zur Kenntnis nehmen, dass von dort die („überdurchschnittlichen“) Einnahmen aus der Behandlung der privat Versicherten als Quersubventionierung der („unterdurchschnittlichen“) Einnahmen aus dem Pool der gesetzliche Versicherten deklariert wird.
Aber über welche Größenordnungen sprechen wir hier eigentlich?
Offensichtlich über eine richtig große Hausnummer: »Privatversicherte Patienten haben im Jahr 2021 einen zusätzlichen Umsatz im Gesundheitswesen von rund 11,68 Milliarden Euro generiert«, kann man dieser Meldung entnehmen. »Eine besonders große Bedeutung zeigt sich weiterhin in der ambulant-ärztlichen Versorgung. Hier entfallen 20,4 Prozent der Gesamteinnahmen der niedergelassenen Ärzte auf privat Krankenversicherte«, findet man unter der Überschrift Studie: Bedeutung der PKV für das Gesundheitswesen wächst. Die bereits in der Überschrift angesprochene Studie findet man hier:
➔ Lewe Bahnsen und Frank Wild (2023): Mehrumsatz und Leistungsausgaben von PKV-Versicherten. Jahresbericht 2023, Köln: WIP – Wissenschaftliches Institut der PKV, Mai 2023
Was muss man sich unter dem sogenannten Mehrumsatz, der durch die PKV-Versicherten im Gesundheitssystem generiert wird, vorstellen?
»Dieser Mehrumsatz entspricht dem Betrag, den PKV-Versicherte im Vergleich zu GKV-Versicherten mehr bezahlen. So bilden in der ambulant-ärztlichen sowie in der zahnärztlichen Versorgung unterschiedliche Gebührenordnungen den Hintergrund für die Abrechnung der Leistungen. Während für die Abrechnung von PKV-Versicherten die Preise nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und Zahnärzte (GOZ) gelten, ist der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) bzw. der Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) die Abrechnungsgrundlage für Leistungen, die innerhalb der GKV erbracht werden. Die PKV zahlt entsprechend der Gebührenordnungen für vergleichbare Leistungen in der Regel mehr. Abweichend davon werden in der stationären Versorgung die Leistungen in beiden Versicherungszweigen nach dem DRG-Fallpauschalensystem einheitlich abgerechnet. Hier können sich gegebenenfalls Unterschiede durch Wahlleistungen (Chefarztbehandlungen etc.) ergeben. Abweichende Regularien existieren darüber hinaus auch bei Arzneimitteln sowie bei Heil- und Hilfsmitteln.« (Bahnsen/Wild 2023: 3)
Die Autoren kommen zu dem folgenden Befund (S. 16): »Im Jahr 2021 lag dieser Mehrumsatz bei 11,68 Mrd. Euro. Er ist auf eine Mischung aus Preis-, Mengen-, Struktur- und Alterseffekte zurückzuführen. Der größte Teil entfiel im Jahr 2021 – wie bereits in den Vorjahren – mit 6,74 Mrd. Euro auf den Bereich der ambulant-ärztlichen Versorgung (+5,7 % gegenüber dem Vorjahr), welcher ohnehin der ausgabenstärkste Bereich in der PKV ist. In der GKV hingegen verursacht die stationäre Versorgung die höchsten Leistungsausgaben … Der jeweilige Ausgabenanteil der PKV-Versicherten, gemessen an den PKV- und GKV-Ausgaben je Ver- sorgungsbereich, übersteigt in allen Bereichen den Bevölkerungsanteil der PKV-Versicherten von 10,5 %. Eine besonders große Bedeutung zeigt sich weiterhin in der ambulant-ärztlichen Versorgung. Hier entfallen 20,4 % der Gesamteinnahmen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auf PKV-Versicherte.«
Die besondere Bedeutung der PKV für die ambulant-ärztliche Versorgung
Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stellen den größten Ausgabenblock dar für die PKV, anders als bei der GKV, da landet die stationäre Versorgung auf Platz 1: »Die Ausgaben der PKV-Versicherten in der ambulant-ärztlichen Versorgung sind von 2020 auf 2021 um 4,3 % auf 12,67 Mrd. Euro angestiegen. Dies entspricht 32,1 % der gesamten Leistungsausgaben für PKV-Versicherte in den betrachteten Versorgungsbereichen. Damit ist die ambulant-ärztliche Versorgung der größte Leistungsposten in der PKV. In der GKV haben die Leistungsausgaben um 2,0 % zugenommen und lagen 2021 bei 49,60 Mrd. Euro. Dies macht einen Anteil von 22,2 % an den gesamten Leistungsausgaben für GKV-Versicherte in den betrachteten Bereichen aus.«
Und wie sieht es hier aus mit dem „Mehrumsatz“?
»Würden PKV-Versicherte nach den gleichen Vorgaben und Regularien versorgt und abgerechnet wie GKV-Versicherte, ergäben sich im Jahr 2021 anstelle der tatsächlichen Ausgaben in Höhe von 12,67 Mrd. Euro hypothetische GKV-Ausgaben durch die PKV-Versicherten in Höhe von 5,94 Mrd. Euro. Entsprechend liegt ein Mehrumsatz durch PKV-Versicherte von 6,74 Mrd. Euro in der ambulant-ärztlichen Versorgung vor. Dieser Versorgungsbereich ist damit der mit dem höchsten Mehrumsatz. 53,1 % der Ausgaben von PKV-Versicherten in diesem Bereich sind als Mehrumsatz zu sehen.«
Die Abbildung verdeutlicht, »wie der Mehrumsatz alters- und geschlechtsspezifisch pro Kopf verteilt ist. In den ersten Lebensjahren gibt es kaum geschlechtsspezifische Unterschiede im Behandlungsbedarf, wodurch auch der Verlauf des Mehrumsatzes für männliche und weibliche PKV-Versicherte in etwa gleich ist. Mit Erreichen des gebärfähigen Alters zeigen weibliche PKV-Versicherte deutlich erhöhte Mehrumsätze von über 1.000 Euro, bedingt u. a. durch Behandlungen in Folge von Schwangerschaft und Geburt. Der Mehrumsatz männlicher PKV-Versicherter bewegt sich in diesen Altersgruppen bei unter 400 Euro. Mit zunehmendem Alter steigt der Mehrumsatz für beide Geschlechter, wobei der Mehrumsatz durch männliche PKV-Versicherte erst im hohen Alter über dem der weiblichen PKV-Versicherten liegt.«
Die ambulant-ärztliche Vergütung für PKV-Versicherte liegt etwa beim 2,1-fachen der hypothetischen GKV-Vergütung.
Bahnsen/Wild (2023: 8) ordnen das so ein: »Der Mehrumsatz in der ambulant-ärztlichen Versorgung lässt sich folglich in erster Linie als Resultat eines Preiseffektes erklären. Bei 114.459 ambulanten Praxen niedergelassener Ärzte im Jahr 2021 … beträgt der Mehrumsatz in der ambulant-ärztlichen Versorgung im Durchschnitt 58.849 Euro je Praxis. Im Jahr 2020 lag der Mehrumsatz noch bei 55.416 Euro je Praxis, woraus sich ein Anstieg von 3.433 Euro bzw. 6,2 % je Praxis ergibt. Die Zunahme des Mehrumsatzes im Jahr 2021 ist auch eine Folge der etwas stärkeren Inanspruchnahme ambulant-ärztlicher Leistungen gegenüber dem ersten Pandemie-Jahr 2020.« Aber der Preis- überwiegt den Mengeneffekt.
Und wie sieht es im stationären Bereich aus?
Interessant ist die abweichende geschlechts- und altersbezogene Verteilung des Mehrumsatzes im stationären Bereich im Vergleich zu dem, was wir bei den neidergelassenen Ärztinnen und Ärzten gesehen haben:
Man wird hier mit der scheinbar überraschenden Erkenntnis konfrontiert:
»Würden PKV-Versicherte nach den gleichen Vorgaben und Regularien versorgt und abgerechnet wie GKV-Versicherte, ergäben sich im Jahr 2021 anstelle der tatsächlichen Ausgaben in Höhe von 10,82 Mrd. Euro hypothetische GKV-Ausgaben durch die PKV-Versicherten in Höhe von 11,12 Mrd. Euro. Entsprechend ist der Mehrumsatz durch PKV-Versicherte in der stationären Versorgung negativ und liegt bei -0,30 Mrd. Euro.«
Hier gibt es also einen Weniger- statt Mehrumsatz.
Immer diese Anreize …
Bahnsen und Wild erklären uns die auseinanderfallenden Befunde für den ambulanten und stationären Bereich so:
»Ursächlich für den in der Regel geringen (und in diesem Jahr negativen) Mehrumsatz ist – neben dem für PKV und GKV einheitlichen Abrechnungssystem der allgemeinen Krankenhausleistungen (DRG-Fallpauschalensystem) – eine geringere Zahl an Krankenhausaufenthalten. PKV-Versicherte werden im Gegensatz zu GKV-Versicherten anteilig stärker ambulant versorgt. Bei PKV-Versicherten haben Ärzte, nicht zuletzt auch aufgrund der budgetfreien Einzelleistungsvergütung, ein Interesse, die Betreuung und Therapie in ihren Praxen vorzunehmen. Bei GKV-Versicherten besteht dagegen durch verschiedene regulierende und budgetierende Elemente ein Anreiz, Patienten in die stationäre Versorgung zu über- weisen – zumindest bei teuren Krankheitsfällen.«
Dann aber kommt eine wichtige Ergänzung: »Aufgrund dieser abweichenden Anreizstruktur ist der Mehrumsatz der PKV-Versicherten im stationären Sektor in der Summe nur eingeschränkt aussagekräftig.«
Am Ende gibt es dann doch einen Mehrumsatz auch für die Krankenhäuser
Die rote wird zu einer schwarzen Zahl. Wie das?
»Für die Krankenhäuser ist an dieser Stelle eher der Mehrumsatz je Patient relevant und dieser ist vor allem abhängig von den Wahlleistungen, die in Anspruch genommen werden. Auf dieser Logik aufbauend kann der Mehrumsatz der PKV-Versicherten alternativ auch ausschließlich auf Basis der Wahlleistungen (Ein-/Zweibettzimmer, Chefarztbehandlung) erfolgen. Diese Wahlleistungen sind nicht Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs. Werden ausschließlich die Leistungsausgaben von PKV-Vollversicherten durch Wahlleistungen betrachtet, so entsteht ein Mehrumsatz in Höhe von 1,94 Mrd. Euro. Dieser Mehrumsatz entspricht 17,9 % der Leistungsausgaben der PKV-Versicherten im stationären Versorgungssektor. Bei Betrachtung der zwei Varianten der Mehrumsatzberechnung im stationären Bereich wird deutlich ersichtlich, dass der Mehrumsatz im Wesentlichen von wahlärztlichen Mehrleistungen getrieben wird, was bei einem einheitlichen Abrechnungssystem für allgemeine Krankenhausleistungen (DRG-System) auch sachlogisch erklärbar ist.« (Bahnsen/Wild 2023: 9).
Und schlussendlich – die Zahnärzte
Die PKV-Versicherten haben 2021 sowohl für die Zahnbehandlung als auch für Zahnersatz und Kieferorthopädie 4,88 Mrd. Euro ausgegeben oder ausgeben müssen (zum Vergleich: In der GKV lagen die gesamten Leistungsausgaben für diesen Bereich bei 16,37 Mrd. Euro).
»Würden PKV-Versicherte nach den gleichen Vorgaben und Regularien versorgt und abgerechnet wie GKV-Versicherte, ergäben sich im Jahr 2021 anstelle der tatsächlichen Ausgaben in Höhe von 4,88 Mrd. Euro hypothetische GKV-Ausgaben durch die PKV-Versicherten in Höhe von 2,00 Mrd. Euro. Entsprechend liegt ein Mehrumsatz durch PKV-Versicherte von 2,88 Mrd. Euro in der zahnärztlichen Versorgung vor. Dieser Versorgungsbereich ist damit der mit dem zweithöchsten Mehrumsatz. 59,0 % der Ausgaben von PKV-Versicherten in diesem Bereich sind als Mehrumsatz zu sehen.«
➔ »In der zahnärztlichen Versorgung spielen Eigenbeteiligungen von GKV-Versicherten eine deutlich größere Rolle als in anderen Leistungsbereichen. So erfolgt die Abrechnung für GKV-Versicherte bei Zahnersatz auf der Basis von befundbezogenen Festzuschüssen. Die Festzuschüsse umfassen 60 % der festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung (§ 55 Abs. 1 SGB V). Bei regelmäßigen Zahnarztbesuchen erhalten GKV-Versicherte einen Bonus in Höhe von 20 % bzw. 30 % zum jeweiligen Festzuschuss. PKV-Versicherte erhalten dagegen eine Erstattung im Rahmen ihres individuellen Versicherungstarifs, wobei diese in Abhängigkeit von Selbstbeteiligungen in der Regel zwischen 70 % und 90 % des Rechnungsbetrages liegt. Würden auch die PKV-Versicherten eine Erstattung nach dem GKV-Erstattungssystem erhalten, müssten sie ebenfalls einen größeren Teil als Eigenbeteiligung tragen. Wird die hohe Eigenbeteiligung der GKV-Versicherten berücksichtigt, liegt der Mehrumsatz in der zahnärztlichen Versorgung bei 2,15 Mrd. Euro.«
Der Mehrumsatz im zahnärztlichen Bereich wird vor allem im Jugendalter durch u. a. kieferorthopädische Behandlungen und zwischen dem 65. und 85. Lebensjahr durch u. a. zahnerhaltende Behandlungen sowie Zahnersatz getrieben. »Bei 46.700 niedergelassenen Zahnärzten …. lag der Mehrumsatz je Zahnarztpraxis im Jahr 2021 bei durchschnittlich 61.650 Euro.«