Ein großer Teil der in einem Land erwirtschafteten Einkommen wird durch Steuern und Sozialleistungen zwischen Generationen und Einkommensgruppen umverteilt. Aber wie groß ist die Umverteilung in den einzelnen Ländern tatsächlich? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen der Umverteilung zwischen Generationen und der Unterstützung einkommensschwacher Gruppen?
Mit diesen Fragen hat sich eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Technischen Universität Wien und des Joint Research Centre der Europäischen Kommission beschäftigt. Die Wissenschaftler haben die staatliche Umverteilung in den EU-Ländern, einschließlich Großbritannien, in den Blick genommen.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „The Journal of the Economics of Ageing“ veröffentlicht:
➔ Bernhard Hammer et al. (2023): Public redistribution in Europe: Between generations or income groups?, in: The Journal of the Economics of Ageing, Volume 24, February 2023, 100426
Im Abstract der Studie heißt es: »Governments face a potential trade-off between provision for the population in retirement and the support of working-age households with low income. Using EUROMOD-based microdata from 28 countries, we quantify public redistribution to pensioner- and working-age households, distinguishing also by income quartiles. In general, Northern European countries are characterized by a low net redistribution between households, limited public pensions, but a strong support of low-income households. By contrast, most Southern European countries are characterized by a high net redistribution to pensioners, offering generous benefits to some, but little support for working age households with low income. Our results show that a strong public net redistribution between households is associated with generous public benefits for a portion of the retirees, but negatively related to support for the population with low income.«
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat einige zentrale Aspekte der Studie unter der Überschrift Wohin Sozialausgaben in Europa fließen zusammenfassend aufbereitet:
Während in nordeuropäischen Ländern staatliche Umverteilung zwischen Haushalten gering ist und zur Absicherung einkommensschwacher Gruppen dient, ist sie im Süden Europas von hohen Pensionszahlungen an Besserverdienende geprägt.
Anhand von Mikrodaten aus 28 europäischen Ländern haben die Forscher die staatliche Umverteilung zu den jeweils einkommensschwächsten und einkommensstärksten Haushalten im Pensionsalter und im erwerbsfähigen Alter gemessen und über Länder verglichen. Analysiert wurde die Netto-Umverteilung, also die erhaltenen staatlichen Transfers von Haushalten, nach Berücksichtigung von Abgaben und Steuern.
„Staatliche Umverteilung wird oft mit Absicherung für Einkommensschwache gleichgesetzt. Der große Unterschied über europäische Länder liegt in der staatlichen Umverteilung zum Viertel der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen. Dabei spielen Pensionen eine wesentliche Rolle, weil Netto-Leistungen für Haushalte mit hohen Einkommen vor allem aus Pensionen bestehen“, wird Bernhard Hammer, einer der Studienautoren, zitiert. „Interessanterweise sind in den Ländern mit der höchsten Netto-Umverteilung die Transfers zur Bevölkerung mit den höchsten Einkommen besonders hoch, jene zu einkommensschwachen Haushalten aber besonders gering.“
Die Studie fördert aufschlussreiche Unterschiede zu Tage:
So wird in Länder mit sehr generösen Pensionen für einen Teil der älteren Bevölkerung, wie Italien, Spanien und Portugal, relativ wenig von staatlicher Seite unternommen, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Die Netto-Transfers zum einkommensstärksten Viertel erreichen etwa in Italien und Portugal über neun Prozent des gesamten verfügbaren Einkommens und entsprechen damit mehr als einem Drittel der Gesamtumverteilung in diesen Ländern. Umgekehrt profitieren in Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden vor allem die einkommensschwächsten Haushalte. In diesen Ländern gibt es so gut wie keine Netto-Umverteilung zu den einkommensstärksten Haushalten.
Geringe Armutsquoten in allen Bevölkerungsschichten gebe es vor allem in Ländern wie Dänemark und den Niederlanden. Dort halte sich die staatliche Umverteilung zur Bevölkerung im Ruhestand in Grenzen – durch gedeckelte staatliche Basispensionen und zusätzliche kapitalgedeckte Vorsorge. So könne gleichzeitig mehr für Einkommensschwache ausgegeben werden.
Der Fokus europäischer Wohlfahrtsstaaten ist höchst unterschiedlich: „Während in nordischen Ländern Umverteilung als Unterstützung einkommensschwacher Gruppen wirkt, dient staatliche Umverteilung in südeuropäischen Ländern zum großen Teil der Einkommenssicherung Gutverdienender.“
„Bei Ungleichheit oder Armutsgefährdung schneiden übrigens jene Länder am besten ab, in denen die Rolle des Staates bei der Alterssicherung Gutverdienender klar begrenzt ist.“
Wie sieht es in Österreich aus?
Im »österreichischen System (werden) Eigenheiten kombiniert, die jeweils für Nordeuropa und Südeuropa charakteristisch sind. Im Norden fördert fiskalische Umverteilung vorwiegend Finanzschwache, im Mittelmeerraum gestattet sie Wohlhabenden generöse Pensionen … Österreich liegt nicht nur geografisch in der Mitte Europas, sondern auch bei den Sozialleistungen: Gemeinsam mit Deutschland und Frankreich zähle es zu den Ländern mit großzügigem Pensionssystem, kombiniere das aber mit Unterstützung für Familien und Arbeitslose«, so dieser Bericht über die neue Studie: Sozialausgaben fließen in Südeuropa in Pensionen für Wohlhabende. Dort wird darauf hingewiesen, dass es der Studie zufolge vor allem bei der Umverteilung zum einkommensstärksten Viertel der Bevölkerung „Anpassungspotenzial“ gibt. „Auch in Österreich sollte man die kapitalgedeckte Säule für die Einkommenssicherung von Gutverdienenden ausbauen und über das Umlagesystem nur eine Basisvorsorge für alle anbieten“ – mit diesen Worten wird Hammer in dem Beitrag zitiert. „Auch aus Gerechtigkeitsaspekten wären Einschnitte bei existierenden Luxus- und sehr hohen Pensionen geboten. Sie über ein Umlagesystem zu finanzieren, widerspricht der Generationengerechtigkeit sowie Fairness und ist ein maßgeblicher Faktor bei den Finanzierungsproblemen.“
Damit wären wir dann mittendrin in einer rentenpolitischen Debatte, wie wir sie auch aus Deutschland kennen.