Kommt er oder kommt er nicht, der große Einbruch im Herbst/Winter 2022? Einige Szenarien mit Blick in eine beschlagene Glaskugel

Es sind in mehrfacher Hinsicht überfordernde Zeiten. Wir erleben auf zahlreichen Baustellen eine viele Menschen verständlicherweise irritierende Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen. Da wird das Ende der Corona-Pandemie ausgerufen und die meisten Menschen verhalten sich auch so, als sei nun alles vorbei – und gleichzeitig erleben wir nicht nur eine heftige Sommer-Welle mit zahlreichen Arbeitsausfällen, sondern die Politik diskutiert und streitet über eine (angebliche?) Herbst-Welle, mit der dann wieder Einschränkungen und Verhaltensauflagen verbunden sein sollen, die bei einem Teil der Bevölkerung zu erheblichen Aggressionen führen werden.
Oder nehmen wir den den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die schweren wirtschaftlichen Verwerfungen im Gefolge der über viele Jahre aufgebauten einseitigen Energieabhängigkeit, vor allem hinsichtlich der Erdgasimporte aus Russland. Während wir im wahrsten Sinne des Wortes in diesem Sommer vor der Hitze in die Knie gehen, wird über „Wärmehallen“ für arme Menschen und kalte Wohnungen in vielen Häusern im kommenden Herbst und Winter debattiert. Das bekommen manche nur schwer überein.

Auch hinsichtlich der Situation – und der möglichen Entwicklung – auf dem Arbeitsmarkt werden die Bürger mit scheinbar widersprüchlichen Botschaften versorgt. Da wird auf der einen Seite tonnenweise über fehlende Arbeitskräfte berichtet. Und dass nicht nur von Flughäfen oder aus der Gastronomie, was man noch teilweise durch Effekte aus den ersten beiden Corona-Jahren erklären kann. Der Arbeitskräftemangel scheint sich durch die gesamte Volkswirtschaft zu fressen.

Die Daten der Arbeitsmarktforscher zu dem an der Zahl der offenen Stellen gemessenen Arbeitskräftebedarf sind an sich mehr als beeindruckend: »Im zweiten Quartal 2022 gab es bundesweit 1,93 Millionen offene Stellen. Damit wurde der Rekord vom Vorquartal nochmals übertroffen. Gegenüber dem ersten Quartal 2022 stieg die Zahl der offenen Stellen um rund 189.500 oder 11 Prozent, im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal 2021 um 764.400 oder 66 Prozent.« So das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in einer Mitteilung über die neuesten Befunde der IAB-Stellenerhebung. „Trotz erheblicher Rezessionsgefahren ist die Zahl der offenen Stellen weiter stark angestiegen und liegt auf einem außergewöhnlich hohen Niveau“, wird Alexander Kubis vom IAB zitiert. Von den 1,93 Millionen offenen Stellen waren 1,47 Millionen sofort oder zum nächstmöglichen Termin zu besetzen und 458 Tausend Stellen später zu besetzen. In Westdeutschland waren 1,18 Millionen und in Ostdeutschland 292 Tausend Stellen sofort zu besetzen. Das IAB untersucht mit der IAB-Stellenerhebung viermal jährlich das gesamte Stellenangebot, also auch jene Stellen, die den Arbeitsagenturen nicht gemeldet werden.

Vor allem die Dienstleister sind auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Mehr als 60 Prozent der offenen Stellen entfallen auf kleine und mittelständische Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten. Angaben zum geforderten Qualifikationsniveau liegen für das vierte Quartal 2021 vor. Damals war für 16 Prozent der ausgeschriebenen Jobs ein Hochschulabschluss erforderlich. 60 Prozent der offenen Stellen richteten sich an Bewerber mit einem Berufsabschluss, für 24 Prozent war keine besondere Qualifikation erforderlich.

Dennoch werden viele Medienberichte über die neuesten Zahlen des IAB so überschrieben: 1,9 Millionen offene Stellen trotz Angst vor dem Absturz. Diese einschränkende Titelei wird dann so erläutert: »Die Wirtschaft sucht aktuell so viele neue Mitarbeiter wie nie zuvor. Doch weiter steigende Energiepreise oder gar ein Gaslieferstopp könnten negativ auf den Arbeitsmarkt durchschlagen.« Offensichtlich bezieht sich der Autor dabei auf diesen Hinweis, den man in der IAB-Mitteilung zu den eigenen Daten finden kann:

„Der Arbeitsmarkt signalisiert eine hohe Arbeitsnachfrage, dennoch bestehen für die nahe Zukunft gravierende Risiken, zum Beispiel im Hinblick auf einen möglichen Stopp der Gaslieferungen aus Russland“, so der IAB-Arbeitsmarktforscher Alexander Kubis.

Was ist damit – möglicherweise – gemeint?

IW-Studie: Eine Gaspreisverdopplung könnte mehr als 300.000 Jobs kosten und zu zweistelligen Inflationsraten führen

»Was passiert, wenn sich der Gaspreis um 50 Prozent erhöht oder verdoppelt? Forscher haben die Szenarien untersucht: Der Verlust Hunderttausender Jobs und ein starker Anstieg der Teuerung drohen«, so diese Meldung: Zweistellige Inflationsraten möglich. »In einer … Studie untersucht das IW die Auswirkungen der Energiepreise auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt. Dabei simuliert das Forscherteam einen Anstieg des Gaspreises im dritten Quartal im Vergleich zum zweiten Quartal um 50 Prozent sowie eine Verdoppelung des Preises. Die Autoren spielen verschiedene Szenarien für steigende Energiepreise durch – beginnend von einem hohen Ausgangsniveau. So habe sich allein der Gaspreis zwischen 2020 und 2021 im Jahresschnitt bereits verfünffacht. Es handele sich dabei aber nicht um Prognosen, sondern vielmehr um mögliche Entwicklungen, betont das Institut.«

Schauen wir direkt in das Original.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat diesen Report veröffentlicht:

➔ Michelle Koenen, Gero Kunath und Thomas Obst (2022): Europa an der Schwelle zur Rezession? Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. IW-Report 40/2022, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), August 2022

Die Autoren verweisen darauf, dass uns gerade noch eine schwere (andere) Krise in den Knochen steckt: »Die Dauer und Stärke der Corona-Restriktionen hatten ebenfalls einen wichtigen Einfluss. Nationale Einschränkungen wie Unternehmensschließungen oder Mobilitätseinschränkungen wurden global verstärkt durch Grenzschließungen, gestörte Lieferketten etc. Diese führten zu historischen wirtschaftlichen Einbrüchen im Jahr 2020 und beeinträchtigen bis heute die Wachstumsaussichten in Europa. Durch fiskalpolitische Maßnahmen konnte der Arbeitsmarkt weitgehend stabil gehalten werden und trug 2021 mit einem erhöhten privaten Konsum aufgrund von Nachholeffekten zu einer wirtschaftlichen Erholung bei. Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) während der Corona-Krise hat ebenfalls zur Stabilisierung der Risiken geführt, was unter anderem die Renditeunterschiede auf Staatsanleihen im Euroraum verringerte. Das 800 Milliarden Euro schwere NextGenerationEU-Aufbaupaket wurde zudem initiiert, um die asymmetrischen Folgen innerhalb der EU abzufedern. Ein erhoffter V-Verlauf der Konjunktur trat in den EU-Mitgliedsländern jedoch nicht ein. Wichtige makroökonomische Größen liegen in einigen Ländern auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch unter dem Vorkrisenniveau und deuten auf Narbeneffekte hin.«

Und nun ist seit dem 24. Februar 2022 auch noch die „Ukraine-Krise“ im Gefolge des russischen Überfalls dazugekommen.

»Die Ukraine-Krise, als zweite große Krise, setzt nun auf dieses Ungleichgewicht der Volkswirtschaften auf und verstärkt sie. Die aufgrund gestörter Wertschöpfungsketten bereits erhöhten Inflationsraten werden weiter durch exogene Energiepreisschocks getrieben. Dies führt zu einer persistenten angebotsseitigen Inflation, die in der Breite der EU-Länder angekommen ist. Durch Zinsanhebungen versuchen die Zentralbanken die Inflation zwar einzudämmen; auch die EZB beendete ihre langjährige Null-Zins-Politik. Eine sofortige Wirkung ist aber nicht zu erwarten, da Zinspolitik erst mit mehreren Quartalen Verzögerung wirkt. Zudem handelt es sich um eine importierte Inflation mit einem Wohlstandsverlust nach außen. Das Eingreifen der EZB erhöht gleichzeitig das Rezessionsrisiko. Die Stagflation ist ein veritables Risiko in Europa.«

Was aber hat das nun genau mit den möglichen Folgen der Preiserhöhungen beim Erdgas zu tun?

»Die EU hat als Reaktion auf den ungerechtfertigten Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sieben Sanktionspakete verabschiedet. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass die Gasversorgung die Achillesferse der europäischen Wirtschaft ist. Sowohl die unterschiedlichen Abhängigkeiten in den EU-27-Ländern von russischen Energieträgern als auch die unterschiedlich starken Möglichkeiten der Substituierbarkeit führen zu einer Bandbreite an Schätzungen und Prognosen. Sie leiden alle unter einer hohen geoökonomischen Unsicherheit und zeigen die Grenzen makroökonomischer Modellierung bei solch umfangreichen Strukturbrüchen auf. Festzustehen scheint, dass ein kompletter Ausfall der russischen Gaslieferungen, entweder in Form eines europäischen Embargos oder wie bereits in einigen Ländern geschehen ausgelöst durch den russischen Staat, mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen verbunden sein wird. Die Prognosen gehen von einer Schrumpfung des realen BIP von 2 bis 12 Prozent aus. Die Simulationen der wirtschaftlichen Auswirkungen nachhaltend hoher Energiepreise, unabhängig von einem Mengenstopp, zeigen zudem, dass große Volkswirtschaften mit hohem Industrieanteil wie Deutschland abgehängt werden könnten und es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird, die Wirtschaft produktions- und wettbewerbsfähig zu halten. Kurz- und mittelfristige wirtschaftliche Verluste sind bei einem weiteren Ausfall der russischen Gaslieferungen unvermeidbar, jedoch können gezielte Maßnahmen wie die Diversifizierung der Gasimporte, Einsparungen beim Gasverbrauch sowie staatliche Entlastungspakete diese Schäden eingrenzen. Auch ein gemeinsamer Einkauf durch die EU trägt zu einer nachhaltigeren Gasversorgung in der EU bei. Dabei gilt es, eine weitere Fragmentierung in der EU zu verhindern.«

Für Deutschland und den Euroraum liegen eine Reihe von Einschätzungen aus viel zitierten Studien vor (man denke hier an die Kontroverse über die Bachmann et al.-Studie aus dem März 2022), welche die wirtschaftlichen Auswirkungen eines vollständigen Gasembargos untersuchen und quantifizieren. Die Schätzungen weisen eine große Bandbreite auf und verdeutlichen die Unsicherheit, die mit einem Gasembargo verbunden ist. Ebenfalls zeigen sie die Grenzen der Anwendung makroökonomischer Modelle im Fall eines Strukturbruchs auf. Bei allen Unterschieden und Abweichungen in den Ergebnissen zeigen die (meisten) Studien deutlich auf, welch hohes Rezessionsrisiko in Deutschland besteht. Ebenso verdeutlichen sie, dass von dynamischen kumulativen Effekten auszugehen ist, die sich über entsprechende Kaskadeneffekte in den einzelnen Sektoren noch weiter verstärken und im Zeitverlauf zu höheren BIP-Verlusten führen können, so das Fazit von Koenen et al. (2022: 25; siehe dort auch die Tabelle 3-1 auf der Seite 26 mit einer Übersicht der Studien, die ein Gasembargo simuliert haben).

Energiekrise: Mehr als 300.000 Arbeitslose durch hohe Gaspreise

Die IW-Simulationsrechnungen zeigen: »Steigt der Gaspreis vom zweiten zum dritten Quartal 2022 um 50 Prozent, klettert die Inflationsrate um weitere 0,9 Prozentpunkte im Jahresdurchschnitt und um weitere 1,3 Prozentpunkte in 2023. Verdoppelt sich der Gaspreis – was bei den derzeitigen Preissteigerungen realistisch erscheint – wächst die Inflation um einen Prozentpunkt im Jahresschnitt 2022 und um fast vier Prozentpunkte im nächsten Jahr«, so das IW unter der Überschrift Energiekrise: Mehr als 300.000 Arbeitslose durch hohe Gaspreise. »Auch am Arbeitsmarkt sind dramatische Entwicklungen realistisch: Eine Verdoppelung des Gaspreises zum dritten Quartal würde im laufenden Jahr zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote um 0,1 Prozent führen, das entspricht 30.000 Menschen. Im Jahr 2023 würden sogar 307.000 Deutsche aufgrund der hohen Gaspreise ihren Job verlieren.« Auch die Effekte auf die volkswirtschaftliche Wertschöpfung gemessen am BIP wurden berechnet: »Bei einer Gaspreis-Verdoppelung schrumpft es in diesem Jahr um 0,2 Prozent und in 2023 um zwei Prozent, das entspricht 70 Milliarden Euro Verlust.«

Noch gar nicht berücksichtigt in den Berechnungen sind Auswirkungen von Produktionsausfällen bei einem Stopp der Gaslieferungen, gibt das IW zu bedenken. „Das würde zusätzliche hohe Preisschocks in den Wertschöpfungsketten auslösen“, so Thomas Obst vom IW.

Auch das IAB hat mal grundsätzlich in die Glaskugel geschaut

Mit der Frage, welche Folgen der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise in Europa für die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt bei uns haben, hat sich auch das IAB in einem Forschungsbericht befasst:

➔ Gerd Zika et al. (2022): Die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Energiekrise für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland. IAB-Forschungsbericht, Nr. 11/2022, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), 2022

In einer Zusammenfassung berichten die Wissenschaftler dazu – vor allem mit differenzierten Ausführungen zu den – wohlgemerkt möglichen – Arbeitsmarkteffekten:

»Der Forschungsbericht beschreibt die mittel- und langfristigen Folgen des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Deutschland. Auf Basis von Modellrechnungen werden zwei Szenarien simuliert: ein Szenario mit Krieg in der Ukraine, das die tatsächlichen Entwicklungen widerspiegelt (Referenz-Szenario) und ein (rein theoretisches) Szenario, in dem es zu keinem Krieg in der Ukraine gekommen wäre (Alternativ-Szenario ‚Frieden in Europa‘). Ein Vergleich beider Szenarien soll anschließend zeigen, welche Folgen das Kriegsgeschehen auf verschiedene Wirtschaftsbereiche und Berufsgruppen in Deutschland haben könnte. Die Ergebnisse sind mit einer hohen Unsicherheit über den weiteren Kriegsverlauf behaftet und können, je nach Entwicklung, von den tatsächlichen künftig eintretenden Folgen für die Wirtschaft mehr oder weniger stark abweichen. Sie zeigen dennoch auf, welche Auswirkungen der Krieg auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt unter den getroffenen Annahmen haben kann und welche Wirtschaftszweige und Berufsgruppen besonders stark betroffen sind. Da aber vor allem hinsichtlich der weiteren Preisentwicklung bei den Energiepreisen hohe Unsicherheit besteht, wurde zusätzlich ein Verschärfungsszenario gerechnet, in dem davon ausgegangen wird, dass es zu einer doppelt so hohen Energiepreissteigerung kommt wie bislang beobachtet. Die Szenarien wurden anhand verschiedener Annahmen modelliert, die aus den Erkenntnissen des Eskalationsstandes von Ende Mai 2022 abgeleitet sind. Es wird davon ausgegangen, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen über den gesamten Analysezeitraum bestehen bleiben, selbst wenn der Krieg bis dahin beendet ist. Weitere Annahmen betreffen die Zahl der ukrainischen Geflüchteten, die nach Deutschland einwandern, die Entwicklung der Energie- und Importpreise, der Warenexporte und Lieferengpässe, der staatlichen Ausgaben für Verteidigung und nationale Sicherheit sowie der staatliche Entlastungspakete für Unternehmen und private Haushalte.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise sowohl mittel- als auch langfristig negativ auf die deutsche Wirtschaftsleistung und den deutschen Arbeitsmarkt auswirken. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird den Berechnungen zufolge im Jahr 2023 um rund 1,7 Prozent niedriger liegen, als es ohne den Krieg gelegen hätte. Das Wirtschaftswachstum wird insbesondere durch die gestiegenen Preise für fossile Rohstoffe abgeschwächt. Sie belasten sowohl die Exportwirtschaft als auch die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte. Die niedrigeren Exportaktivitäten tragen den größten Anteil an der schwächeren Wirtschaftsleistung. Bis 2030 verliert die deutsche Wirtschaft über 260 Milliarden Euro an Wertschöpfung, die durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nicht realisiert werden kann. Auch auf dem Arbeitsmarkt kommt es zu überwiegend negativen Effekten. Zwischen 2022 und 2028 werden durchschnittlich 150.000 Personen weniger beschäftigt sein. Durch den Zuzug von Geflüchteten nimmt die Erwerbsbevölkerung in Deutschland zwar zu. Die schlechteren Wirtschafts- und Verdienstaussichten führen in den ersten Jahren jedoch zu einem nahezu unveränderten Arbeitskräfteangebot. Erst ab 2025 schlägt sich der Zuzug in einem höheren Arbeitskräfteangebot nieder.

Aus Arbeitsmarktperspektive zählt das bereits durch die Covid-19-Pandemie gebeutelte Gastgewerbe auch im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise zu den größten Verlierern unter den Wirtschaftsbereichen. Denn die geringeren Konsumausgaben der privaten Haushalte führen hier zu einem deutlich niedrigeren Bedarf an Erwerbstätigen. Auch im Verarbeitenden Gewerbe kommt es zu einer niedrigeren Erwerbstätigkeit, wobei hier die Arbeitsintensität geringer ist als in vielen Dienstleistungsbereichen. Die Bereiche ‚Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung‘ sowie ‚Erziehung und Unterricht‘ hingegen haben wegen der Reaktionen des Staates auf den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise einen höheren Bedarf an Arbeitskräften. Dies gilt sowohl mittel- als auch längerfristig und spiegelt sich auch in den dort tätigen Berufsgruppen wider. Während sich die aktuellen Engpässe in der Gastronomie durch den geringeren Personalbedarf entspannen dürften, verschärfen sich die Engpässe in Folge des Zuzugs von Geflüchteten bei Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen sowie bei Erzieherinnen und Erziehern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern. In der langen Frist zeigen sich zudem Verschiebungen der Erwerbstätigen hin zu höheren Anforderungsniveaus, die durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise bedingt sind. Ein Vergleich der Arbeitswelt anhand von Wirtschaftsbereichs-Berufs-Kombinationen verdeutlicht, dass es durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nicht nur zum Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland kommt, sondern auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In Summe überwiegt zwar der Arbeitsplatzabbau, es kommt jedoch auch zu strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Diese sind besonders in der mittleren Frist stark ausgeprägt und flachen im Zeitverlauf ab.

Angesichts dieser Ergebnisse ist in den kommenden Jahren mit einer geringeren Wertschöpfung, niedriger Erwerbstätigkeit und strukturellen Verschiebungen zwischen Wirtschaftsbereichen und Berufsgruppen zu rechnen. Die Herausforderung für Politik und Wirtschaft wird einerseits darin bestehen, Personen, die ihren Arbeitsplatz in Folge des Ukraine-Krieges und der Energiekrise verlieren, anderweitig in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Andererseits gilt es, den Engpässen in denjenigen Berufsgruppen entgegenzuwirken, in denen die Bedarfe durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise steigen, und in denen bereits heute ein knappes Arbeitsangebot herrscht. Falls ein nennenswerter Anteil der aus der Ukraine Geflüchteten in Deutschland bleibt, böte sich durch deren Integration in Beschäftigung angesichts des knappen Arbeitsangebots jedoch auch eine Chance.

Sollte es jedoch zu einer doppelt so hohen Energiepreissteigerung kommen wie bislang beobachtet (+160%), wäre im kommenden Jahr das BIP um fast vier Prozent niedriger als im Alternativszenario. 2030 würde das BIP noch um ein halbes Prozent niedriger ausfallen. Auf dem Arbeitsmarkt würden unter diesen Annahmen nach drei Jahren 660.000 Personen (1,5%) weniger beschäftigt sein als im Alternativ-Szenario „Frieden in Europa“. 2030 wären noch 60.000 Personen (0,2%) Arbeitsplätze vom Abbau betroffen.«