Einstieg in den nicht mehr aufzuhaltenden Ausstieg: Die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ im Gesundheitswesen bröckelt vor sich hin

Am 3. Februar wurde in dem Beitrag „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“-Gesetzgebung? Die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ als ein weiteres Lehrbuchbeispiel das gesetzgeberische Vorgehen zur Einführung einer „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ einer kritischen Analyse unterzogen. Der Beitrag wurde mit diesen Worten beendet: »Der Gesetzgeber hat eine schlechte Arbeit mit zahlreichen offensichtlichen Mängeln abgeliefert und das Werkstück muss nicht nur reklamiert werden, sondern entweder wird es ersetzt durch eine funktionierende Fassung oder aber wenn man es einfach nicht kann, dann lässt man es lieber ganz. Und mindestens entschuldigt man sich beim zunehmend frustrierter werdenden Publikum, das an so vielen Stellen mit erheblichen Qualitätsmängeln und krassen Organisationsversagen in unserem Land konfrontiert wird. Dafür ist die als Tiger gedachte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“, der mittlerweile als Bettvorleger auf dem Betonboden der Praxis aufgeschlagen ist, nur ein (weiteres) Beispiel.«

Am gleichen Tag erschien unter der Überschrift Der Stichtag ein Bericht von Doreen Reinhard und August Modersohn aus Ostdeutschland: »Ab 16. März gilt die Impfpflicht im Gesundheitswesen. Die Ost-Länder befürchten eine Kündigungswelle – und denken über umfassende Ausnahmen nach.«

»Mit jeder Woche, von Tag zu Tag, wird Marcus Beier unruhiger. Er ist frustriert, sagt er. Und der Druck wird größer, je näher der 16. März rückt. „Uns hat noch niemand genau erklärt, was dann passiert“, sagt Beier. Er weiß nicht, was er seinen ungeimpften Mitarbeitern sagen soll. Dürfen sie dann nicht mehr zur Arbeit kommen? Marcus Beier ist Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Lausitz, der Verband betreibt unter anderem Pflegeeinrichtungen wie das Altenzentrum Hoyerswerda mit 120 Bewohnern und 60 Angestellten. Er selbst ist geimpft, genauso wie fast drei Viertel des Personals. „Das ist schon mal eine ganz gute Quote“, sagt er. Wobei „ganz gut“ eigentlich überhaupt nicht gut ist. Denn vom 16. März an gilt die Impfpflicht im Gesundheitswesen, was bedeutet: Ein Viertel seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnte wegbrechen.«

In Sachsen etwa gibt es nach Auskunft des Gesundheitsministeriums Regionen, in denen gerade einmal etwas mehr als die Hälfte des Pflegepersonals geimpft ist. Es wird berichtet, dass inzwischen viele Landes- und Kommunalpolitiker mit Blick auf den 16. März nach Auswegen suchen, wie sie die Impfpflicht so umsetzen, dass diese so wenig wie möglich wehtut.

Die Autoren beschreiben ihre Momentaufnahme so: Was »auffällt, wenn man sich durch die Gesundheitsministerien telefoniert: Alle wollen Zeit gewinnen. Nirgendwo soll Mitte März Personal ausgesperrt werden. Erst einmal soll geprüft, sollen Mitarbeiter und Arbeitgeber angehört werden. So werden Wochen vergehen, ehe irgendjemandem wegen der Impfpflicht ernsthafte Konsequenzen drohen. Wochen, in denen die fünfte Welle gebrochen sein könnte, in denen der Frühling das Virus vertreibt. Ist das Kalkül? Besteht die Hoffnung, dass sich mit der Zeit und der sich wandelnden pandemischen Lage auch etwas ändern könnte – wenn schon nicht an der Impfbereitschaft des Personals, dann am Willen der Bundesregierung, an der Impfpflicht festzuhalten?«

Nun gibt es Schützenhilfe von demjenigen, der sich noch vor einiger Zeit eher im Lager der Vorsichtigen befand und der für harte Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie plädierte: Markus Söder (CSU), der bayerische Ministerpräsident, der immer einen gute Riecher hat, wenn sich die Stimmung wohin auch immer dreht. Nun werden wir mit dieser Nachricht konfrontiert: Bayern setzt einrichtungsbezogene Impfpflicht zunächst nicht um:

»Bayern will die ab Mitte März vorgesehene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen vorerst nicht umsetzen. Es werde „großzügigste Übergangsregelungen“ geben, was „de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft“, sagte Ministerpräsident Markus Söder nach einer Sitzung des CSU-Vorstands in München. „Für wie viele Monate wird man dann sehen“, fügte der Parteichef hinzu – jedenfalls zunächst für einige Zeit, „um das Ganze vernünftig zu gestalten.“«

Söder begründete das im Detail noch auszuarbeitende bayerische Vorgehen mit Schwierigkeiten der Pflegeeinrichtungen bei der Versorgung mit Personal. Offensichtlich stellt er den ganzen Ansatz in Frage: Die mit der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ gefundene „partielle Lösung sei … derzeit in der Omikron-Welle keine Hilfe“, so der bayerische Ministerpräsident.

Neben der Kritik an dem Vorpreschen der Bayern beispielsweise von der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, die vor Alleingängen einzelner Bundesländer warnt, gibt es auch solche Stimmen: »Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte …, das Gesetz nicht wie geplant umzusetzen. „Wenn eine Norm vorhersehbar scheitert, dann gibt es nur eine Lösung: Bund und Länder müssen ihren Fehler revidieren“ … jetzt schlägt die Praxis mit aller Macht zurück. Denn weder der Vollzug, noch die arbeitsrechtlichen Folgen, geschweige denn die Auswirkungen des Ausfalls zehntausender von Pflegekräften wurden bedacht“, sagte Brysch.«

Allerdings sei auch das Vorgehen Bayerns kein gangbarer Weg, sondern ein verfassungsrechtlicher Verstoß. „Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist, das Gesetz aufzuheben“, so Brysch.

Wie dem auch sei, mit dem, was Söder heute angekündigt hat, wurde der finale Sargnagel vorangetrieben, was die flächendeckende Umsetzung der von Bundestag und Bundesrat (mit den Stimmen Bayerns) beschlossenen partiellen Impfpflicht angeht. Diejenigen, die sich aus welchen Gründen bislang (noch?) nicht geimpft haben, werden nun keinen „Motivationsschub“ bekommen, das noch nachzuholen.