Es ist mehr als offensichtlich, dass bei den meisten Menschen die Akkus leer sind nach nunmehr fast zwei Jahren der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Einschränkungen. Es ist nicht nur die Dauer des Ausnahmezustandes, der sich immer mehr zu einer Normalität eigener Art transformiert, die aber – je nach Typus in aggressiver bis depressiver Ausformung – als solche nicht akzeptiert wird. Es ist nicht nur die Kakophonie der scheinbar ewig gleichen Sendungen und Botschaften, die rund um das Corona-Virus in den öffentlichen Raum transportiert werden. Es ist auch die sich selbst befeuernde Komplexitätszunahme von mehr oder weniger sinnvollen Verhaltensregeln und Vorschriften, deren dann auch noch föderal geboosterte Ausdifferenzierung mittlerweile einen Stand erreicht hat, der ein Bachelor-Studium erforderlich macht, nur um den Überblick über das filigrane Netzwerk an Corona-Verordnungen in der x-ten Version behalten zu können.
Ein Teil der viele Menschen zunehmend verwirrenden Gefechtslage ist die Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Angesichts der auch medial transportierten heftigen Widerstände einer Minderheit von „Impfgegnern“ in der Bevölkerung haben die politisch Verantwortlichen kalte Füße bekommen, was die Einführung einer solchen Maßnahme angeht. Vielleicht auch, weil es durchaus berechtigte Anfragen an die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme angeht. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, für einen Teil der Menschen in einem (scheinbar) klar definierten Bereich eine solche Impfpflicht per Gesetz in die Welt zu setzen. Gemeint ist hier die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ für das Gesundheits- und Pflegepersonal, die ab dem 15. März 2022 gilt oder sagen wir besser: gelten soll.
Die Kurzfassung dessen, was da im Dezember 2021 von der neuen Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bundestag beschlossen wurde, geht so: Die neue Impfpflicht wird ab dem 15. März 2022 für Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen, Arzt- und Zahnarztpraxen, Reha-Kliniken, Geburtshäusern oder auch bei Rettungsdiensten gelten. Dort müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann einen Nachweis vorlegen, dass sie vollständig geimpft oder genesen sind oder ein Attest, dass sie nicht geimpft werden können. Geschieht dies nicht, muss der Arbeitgeber das Gesundheitsamt informieren. Das Gesundheitsamt kann ein Betretungsverbot für die Arbeitsstelle aussprechen. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass mit einem Betretungsverbot im Ergebnis auch die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers entfällt. Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen sind nicht ausgeschlossen.
Gesetzgeberische Grundlage ist der Gesetzentwurf zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie (BT-Drs. 20/188 vom 06.12.2021) in der vom Hauptausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 20/250 vom 09.12.2021). Wie wird in dem Gesetz eine Impfpflicht für bestimmte Personen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit begründet?
Es handelt sich im Kern um eine Schutzbegründung, die ja auch vielen anderen Maßnahmen, insbesondere Einschränkungen, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, zugrunde liegt. Dazu aus dem Gesetzentwurf:
»Während für die meisten Menschen die Erkrankung mit COVID-19 mild verläuft, besteht insbesondere für bestimmte Personengruppen aufgrund ihres Gesundheitszustandes und/oder Alters ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID- 19-Krankheitsverlauf (vulnerable Personengruppen). Hochaltrige Menschen und Personen mit akuten oder chronischen Grundkrankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe. Darüber hinaus sprechen bestimmte Patientengruppen, insbesondere solche mit Immunschwäche, weniger gut auf die Impfung an und sind daher auf einen vollständigen Impfschutz der sie betreuenden Personen angewiesen. Ebenso wie (ältere) pflegebedürftige Personen, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, gehören die von Angeboten für Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen betreuten Personen typischerweise aufgrund ihres Alters und/oder des Vorliegens von Vorerkrankungen zu den vulnerablen Personengruppen … Diese haben einen erhöhten Unterstützungs- und Betreuungsbedarf und können ihre Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauerndem nahem physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal ist das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht. Bei Menschen mit geistigen Behinderungen, die Zeit in Einrichtungen verbringen, ergibt sich ein nachweislich erhöhtes Expositions- und Infektionsrisiko zudem dadurch, dass sie aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen das strikte Einhalten von Hygiene- und Abstandsregelungen häufig nicht eigenverantwortlich sicherstellen können.«
Damit sind die Zielgruppen der Maßnahme umrissen. Warum also hier eine Impfpflicht (wohlgemerkt, nicht für die Betroffenen der Zielgruppe, sondern für Menschen, die mit und für sie arbeiten? »Bei geimpften Personen sinkt … sowohl das Risiko einer asymptomatischen Infektion als auch das Übertragungsrisiko in den Fällen, in denen es trotz Impfung zu einer Infektion kommt. Von einem reduzierten Übertragungsrisiko profitieren insbesondere vulnerable Personen, da eine Schutzimpfung gerade bei älteren und immunsupprimierten Personen nicht immer eine Erkrankung verhindert.« Und dann: »Dem Personal in den Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, kommt eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Risiko für einen schweren, schwersten oder gar tödlichen COVID-19 Krankheitsverlauf hat. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine sehr hohe Impfquote bei dem Personal in diesen Berufen ist besonders wichtig, denn so wird das Risiko gesenkt, dass sich die besonders vulnerablen Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren.«
Begründet wird eine Impfpflicht damit: »Aus medizinisch-epidemiologischer Sicht ist eine sehr hohe Impfquote in Situationen, in denen Beschäftigte Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben, essentiell. Die Impfung reduziert das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren und SARS-CoV-2 an andere Menschen zu übertragen, substanziell.« Und was das konkret bedeuten soll, wird in diesem Absatz erläutert:
»Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung wird vorgesehen, dass in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen müssen. Für bestehende und bis zum 15. März 2022 einzugehende Tätigkeitsverhältnisse ist die Vorlagepflicht bis zum 15. März 2022 zu erfüllen. Neue Tätigkeitsverhältnisse können ab dem 16. März 2022 nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises eingegangen werden. Nachweise, die ab dem 16. März 2022 durch Zeitablauf ihre Gültigkeit verlieren, müssen innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit bei der Einrichtungs- oder Unternehmensleitung durch Vorlage eines gültigen Nachweises ersetzt werden. Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, kann das Gesundheitsamt Ermittlungen einleiten und einer Person, die trotz der Anforderung keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb der genannten Einrichtung oder des Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.«
Das hört sich eindeutiger an, als es schon auf der Ebene der juristische Formulierung ist, geschweige denn hinsichtlich der zahlreichen praktischen Fragen, die sich hinsichtlich einer Umsetzung in der vielgestaltigen Praxis der Gesundheitseinrichtungen ergeben.
Schauen wir zur Abrundung in die Gesetzesbegründung (S. 38 ff.), vielleicht wird man dort dann sicherer bei der Auslegung dessen, was mit dem Gesetz in die Welt geworfen wurde.
Zumindest die betroffenen Personengruppen sind (scheinbar) eindeutig beschrieben: »Die Art der Beschäftigung (Arbeitsvertrag, Leiharbeitsverhältnis, Praktikum, Beamtenverhältnis etc.) ist ohne Bedeutung. Bei den erfassten Personen handelt es sich beispielsweise um medizinisches bzw. Pflege- und Betreuungspersonal einschließlich zusätzlicher Betreuungskräfte nach § 53b SGB XI, aber auch andere dort tätige Personen wie zum Beispiel Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal. Erfasst sind auch Auszubildende, Personen, welche ihren Freiwilligendienst (nach dem BFDG oder JFDG) ableisten, ehrenamtlich Tätige, Praktikanten sowie Zeitarbeitskräfte.«
➔ In der Begründung wird explizit hervorgehoben, dass auch Personen, die in ambulanten Pflegediensten tätig sind, der Impfpflicht unterliegen, damit nicht der Eindruck aufkommt, dass mit „einrichtungsbezogen“ nur die stationären Einrichtungen gemeint sind. Dann kommt diese Hervorhebung (S. 39): »Insbesondere fallen darunter auch ambulante Pflegedienste, die ambulante Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen.« Was aber, wird der eine oder andere an dieser Stelle fragen, ist eigentlich mit den hunderttausenden Betreuungskräfte vorwiegend aus Osteuropa, die hier bei uns die vierte Säule des Pflege- und Betreuungssystems bilden? »Bei den privaten Pflegekräften handelt es sich meist um osteuropäische Frauen, die von den Pflegebedürftigen selbst oder deren Familien organisiert und bezahlt werden. Die Haushalte schließen privatrechtliche Verträge mit Firmen im Ausland und über Vermittlerdienste in Deutschland. Die im Fachterminus Betreuungskräfte genannten Pflegerinnen seien von der Impfpflicht juristisch nicht erfasst, teilte das niedersächsische Gesundheitsministerium … mit«, kann man dieser Meldung entnehmen: Kritik an fehlender Impfpflicht für private Pflegekräfte. Konkret bedeutet dies: Die Betreuungskräfte müssen sich nicht impfen lassen. Die zitierten Reaktionen sind bezeichnend: Der niedersächsische Hausärzteverband hält die fehlende Impfpflicht für fragwürdig. Die Hausärzte „wünschten“ sich, dass ihre Patientinnen und Patienten sicher von geimpftem Personal gepflegt und betreut „würden“. Die Ärztekammer Niedersachsen nennt die fehlende Impfpflicht in diesem Bereich „nicht konsequent“ und appellierte an den Gesetzgeber, in diesem Punkt „nachzubessern“. Der Bremer Pflegewissenschaftler Stefan Görres wird mit diesen Worten zitiert: „Da muss eine Lücke geschlossen werden, da ist der Gesetzgeber gefragt“. Und der niedersächsische Landespatientenschutzbeauftragte hantiert mit dieser Formulierung: „Unter dem derzeitigen Rechtsrahmen sehe ich jedoch eine moralische Verpflichtung, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.“
Und die Antwort aus Berlin? »Laut einem Sprecher des Bundesgesundheitsministerium ist man sich des Problems in Berlin bewusst. Ob und wie die Impfpflicht auf private Pflege- und Betreuungskräfte ausgedehnt werden könnte, werde in den Fachgremien diskutiert, hieß es.«
Ein hervorragendes Beispiel für das, was in diesen Tagen immer mehr zum Vorschein kommt: Die gesetzliche Einführung einer Impfpflicht (und in diesem Fall die mögliche Erweiterung auf die Betreuungskräfte, die in privaten Haushalten leben und arbeiten, ist das eine – das andere ist die Umsetzung dieser Vorschrift. Bleiben wir bei den hier aufgerufenen Betreuungskräften: Die Verantwortlichen wissen doch noch nicht einmal, wie viele es von ihnen gibt, denn die meisten arbeiten schwarz, sie sind nicht angemeldet und die Privathaushalte könne und dürfen auch nicht kontrolliert werden. Selbst wenn eine Impfpflicht auf dem Papier nachträglich eingeführt wird – wie sollte das kontrolliert werden und damit verbunden wer soll das denn machen? Da draußen ist niemand, der das bewerkstelligen kann. Punkt und aus.
Und damit wären wir beim Kern des allgemeinen Problems mit der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“. In den vergangenen Wochen hat sich eine Flut von Veröffentlichungen in den Medien über unser Land ergossen, in denen die bange Frage aufgeworfen wird, ob denn nun nach dem 15. März ein Teil der Versorgung zusammenbrechen wird, weil die Krankenhäuser, die Pflegeeinrichtungen und -dienste, die Arztpraxen oder die Angebote anderer betroffener Gesundheitsberufe die Beschäftigten vor der Eingangstür stehen lassen müssen, die nicht den geforderten Impf- oder Genesenenstatus erfüllen können/wollen.
Gehen wir mal wieder runter in die Niederungen der (erwarteten) Umsetzung dessen, was das Gesetz da in die Welt gesetzt hat. In der Begründung finden wir diesen Hinweis zum Nachweis des erforderlichen Status:
»Wenn der Nachweis … nicht bis zum Ablauf des 15. März 2022 vorgelegt wird oder Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten (§ 2 Nummer 16) zu übermitteln.«
Die Gesundheitsämter also. Die bekommen dann – wenn die Arbeitgeber ihre Verpflichtung, die ihnen vom Gesetzgeber auferlegt wird – möglicherweise waschkörbeweise entsprechende Meldungen einzelne Personen betreffend. Bereits an dieser Stelle werden diejenigen, die noch einen Rest an Erdung haben, den Kopf schütteln und angesichts des faktischen Kollaps dieser Ämter schon in Kernbereichen wie der Kontaktnachverfolgung zu der Erkenntnis kommen, dass die Aufgabenzuschreibung an die Gesundheitsämter nett formuliert einer dieser Schildbürgerstreiche der obersten Heeresleitung in Berlin darstellt.
➞ Der Gesetzgeber ist ja nicht wirklich dumm, dass er das angesprochene Problem auch sieht, kann man dieser Erläuterung in der Gesetzesbegründung entnehmen: »Die oberste Landesgesundheitsbehörde kann … bestimmen, … dass die Benachrichtigung nicht gegenüber dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, sondern gegenüber einer anderen staatlichen Stelle zu erfolgen hat.« Mit diesem Passepartout könnte man dann auch notfalls das städtische Friedhofsamt einschalten in die Bewältigungsversuche der Umsetzung.
Und was das materiell bedeutet oder schreiben wir demütiger: bedeuten könnte, für diejenigen, die den geforderten Nachweis nicht vorlegen können oder wollen, findet man auch in der Begründung erläutert: »Eine Person …, die keinen Nachweis … vorlegt, darf nicht in Einrichtungen oder Unternehmen … beschäftigt werden.« Das liest sich eindeutig: Diese Personen dürfen nicht beschäftigt werden. Und wenn die in einem Arbeitsverhältnis stehen, mit dem ja auch ein Lohnanspruch verbunden ist? Dazu aus der Begründung (S. 41): »Im Ergebnis entfällt für diesen Personenkreis die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 326 Absatz 1 BGB, § 326 Absatz 2, §§ 615 und 616 BGB sind nicht einschlägig). Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen können im Einzelfall in Betracht kommen.«
Also wird die Lohnzahlung eingestellt (werden müssen).
Wie immer bei Versicherungsverträgen und Gesetzen muss man auf die Art und Weise der Formulierung achten. So findet man auf der S. 42 diesen Passus: »Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung … keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.« Nicht zu schnell lesen, denn da steht nun nicht „das Gesundheitsamt muss“, sondern es „kann“ untersagen, was aber wiederum beutetet, es kann eben auch davon absehen. Ein Widerspruch zu der vorher zitierten Formulierung im Gesetz, dass ab dem 16. März 2022 ohne Vorlage eines entsprechenden Nachweises keine Aufnahme der Tätigkeit in den betroffenen Einrichtungen mehr möglich ist?
Man könnte an dieser Stelle vermuten, dass der Gesetzgeber in der Hitze der Nacht bei der Formulierung im permanenten Überarbeitungsmodus den Überblick verloren hat und die weichere Formulierung, dass die Gesundheitsämter „können“ (aber damit verbunden nicht immer müssen), quasi aus Versehen reingerutscht ist.
Man könnte aber auch von einem großartigen Plan sprechen, die Einführung einer generellen Impfpflicht für das Personal in den definierten Einrichtungen zu behaupten und dann gleichzeitig für die Praxis Schlupflöcher für eine abgemilderte Umsetzung der scheinbar eindeutigen Pflicht zu eröffnen.
Wir nähern uns dem Kern des drohenden Chaos mit Ansage. So kann man beispielsweise dem am 30. Januar 2022 veröffentlichten Artikel Städtetag: Einrichtungsbezogene Impfpflicht droht ins Leere zu laufen entnehmen: »Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, hat offene Fragen bei der beschlossenen Impfpflicht für Beschäftigte von Krankenhäusern und Pflegeheimen bemängelt. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht werde nur Wirkung entfalten, „wenn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Behörden klar erkennen können, in welchen Fällen Ungeimpfte ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürfen und welche Ausnahmen es gibt“.« Moment, das war doch eigentlich klar – oder eben nicht? »Hier stocherten im Moment alle im Nebel.« Wie begründet der Präsident des Deutschen Städtetages das?
»Lewe kritisierte: „So, wie es ist, wird das Gesetz ins Leere laufen.“ Denn die Gesundheitsämter bekämen nun „Abertausende Fälle wegen nicht nachgewiesener Impfungen gemeldet, denen sie einzeln nachgehen sollen“. Dieses Verfahren sei sehr aufwändig, die ohnehin am Limit arbeitenden Gesundheitsämter würden zeitnah kaum Entscheidungen über Tätigkeitsverbote aussprechen können. „Wir schlagen stattdessen vor, die Pflicht zur Impfung im Gesetz konsequent mit einem Tätigkeits- und Betretungsverbot zu versehen“, sagte Lewe.«
Und einen Tag später konnte man beispielsweise diesem Artikel – Rufe nach Klarheit bei einrichtungsbezogene Impfpflicht – die Verwirrung steigernd entnehmen: „Es gebe … keinen Ermessensspielraum für die Gesundheitsämter“, so wird der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zitiert. Und weiter: „Was nicht geht, ist, dass die Impfpflicht in Pflegeheimen eines Landes gilt, ein paar Kilometer weiter aber nicht.“ Kann aber genau so kommen. Andere Beteiligte gehen schon mal auf die Suche, an wen man den Job weiterreichen kann: »Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes forderte bei der Kontrolle bereits die Einbeziehung der Ordnungsämter.« Ach, die Ordnungsämter. Die warten sicher gerade auf eine solche Aufgabe. Und könnten sie fachlich sicher ohne Probleme bewältigen. Nicht.
Und dann kommen solche Meldungen: Trotz Impfpflicht: Ungeimpfte können ab 16. März in Krankenhäusern und Pflegeheimen vorerst weiterarbeiten. In dem Artikel wird behauptet: »Die Bundesregierung stellt erstmals klar, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab dem 16. März nicht konsequent umgesetzt werden kann. Demnach können vorerst auch nach dem 16. März Ungeimpfte weiterhin in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen arbeiten.« Wie das jetzt? »Das zuständige Gesundheitsamt entscheide bei der Impfpflicht „über das weitere Vorgehen und die zu ergreifenden Maßnahmen im Rahmen seines Ermessens“. Dabei würden alle „Umstände des Einzelfalles“ berücksichtigt werden. Der Sprecher weiter: „Bis das Gesundheitsamt die Entscheidung über ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot getroffen hat, dürfen die betroffenen Mitarbeitenden grundsätzlich weiterbeschäftigt werden. Kontrolliert und entschieden wird im Einzelfall. Dabei spielt natürlich auch der Aspekt eine Rolle, ob in einer Übergangszeit Personalengpässe in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen vermieden werden können“.« Die Folge, wenn das zutreffend sein sollte, was da berichtet wird: »Solange also die Gesundheitsämter keine Einzelfallentscheidung treffen, wird die einrichtungsbezogene Impfpflicht für all diejenigen, die bereits in ihrem Beruf arbeiten, nicht durchgesetzt. Durchzusetzen ist sie lediglich bei Ungeimpften, die sich ab dem 16. März auf eine neue Stelle bewerben. Hierfür ist ein Impf- oder Genesenennachweis zwingend notwendig. Ohne diese Zertifikate ist das Antreten des neuen Jobs unzulässig.«
Und wir haben ja noch ausreichend Zeit, bis die angebliche (?) Impfpflicht in Kraft tritt. So scheint es, wenn man das hier zu lesen bekommt: »Die Gesundheitsministerkonferenz erklärte in ihrem Beschluss …, dass ein „einzelfallbezogenes Verfahren zur Umsetzung“ der einrichtungsbezogenen Impfpflicht durch die Gesundheitsämter erarbeitet werden müsse. In dem Beschluss heißt es weiter: „Die Länder bitten das BMG, gemeinsam mit den Ländern unverzüglich alle offenen Vollzugsfragen durch Vollzugshinweise einschließlich der notwendigen Abwägungskriterien abzustimmen, welche die Gesundheitsämter bei der Ausübung ihres Ermessensspielraums“ leiten sollen.« Das muss man erst einmal sacken lassen: »Die Länder fordern also, dass die Verfahren, mittels derer die Gesundheitsämter die einrichtungsbezogene Impfpflicht durchsetzen sollen, zunächst durch den Bund ausgearbeitet werden. „Erst danach können die ggf. erforderlichen Betretungs- oder Tätigkeitsverbote rechtssicher angeordnet und sanktioniert werden“, heißt es in dem Beschluss weiter. Zudem soll ein „abgestuftes Verfahren“ geprüft werden, bei dem ungeimpften Mitarbeitenden zunächst ein Bußgeld droht und erst danach ein Tätigkeitsverbot.«
Nein, hier muss man aufhören. Viele kennen das: Man hat sich in etwas verrannt und jeder Versuch, an der einen oder anderen Stelle etwas zu flicken oder stopfen führt nur dazu, dass alles schlimmer wird. Das gilt für Beziehungsproblem und offensichtlich auch für einen Teil der deutschen Gesetzgebung. Und in der Regel kommt man da nur raus, wenn man sich trennt, neu anfängt oder Hilfe von außen bekommt.
Wie dem auch sei, offensichtlich hat die neue Bundesregierung gedacht, dass sie die Forderung nach und die Widerstände gegen eine allgemeine, die gesamte Bevölkerung betreffende Impfpflicht durch eine partielle Impfpflicht für bestimmte Personen vorbereiten, ersetzen oder was auch immer kann und gleichzeitig tatkräftiges Handeln ausstrahlt. Allerdings hat man elementare Anforderungen an eine vernünftige Gesetzgebung schwer missachtet: Gerade wenn man so schwere Geschütze auffährt wie eine Impfpflicht, deren Nicht-Erfüllung einhergehen kann mit einem faktischen Berufsverbot, dann muss man das Gesetzgebungsprozedere konsequent vom Ende her denken: Ist man in der Lage, dass auch unmissverständlich durchzusetzen? Kann man rechtssicher garantieren, dass nicht nur auf dem Papier, sondern auch vor Ort in der Praxis eine für alle nachvollziehbare Administration dessen gewährleistet werden kann, was man da in Paragrafen gegossen hat? Und hat man die Normen so eindeutig formuliert, dass es keine Fragezeichen selbst im Gesicht derjenigen gibt, die sich hauptberuflich mit solchen Regelwerken beschäftigen müssen? Nein, hat man nicht.
Der Gesetzgeber hat eine schlechte Arbeit mit zahlreichen offensichtlichen Mängeln abgeliefert und das Werkstück muss nicht nur reklamiert werden, sondern entweder wird es ersetzt durch eine funktionierende Fassung oder aber wenn man es einfach nicht kann, dann lässt man es lieber ganz. Und mindestens entschuldigt man sich beim zunehmend frustrierter werdenden Publikum, das an so vielen Stellen mit erheblichen Qualitätsmängeln und krassen Organisationsversagen in unserem Land konfrontiert wird. Dafür ist die als Tiger gedachte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“, der mittlerweile als Bettvorleger auf dem Betonboden der Praxis aufgeschlagen ist, nur ein (weiteres) Beispiel.