(Sozialdemokratische) Familienpolitik an der Spitze des DGB? Die SPD-Politikerin Yasmin Fahimi soll neue Bundesvorsitzende des DGB werden

Auch wenn der eine oder andere in diesen Tagen zuweilen die Frage stellen möchte, wer denn eigentlich dieser neue Bundeskanzler ist und wo er sich derzeit versteckt – in Personalangelegenheiten war er bzw. sein Umfeld mehr als aktiv. Und offensichtlich auch erfolgreich, wenn man solche Artikel heranzieht: Olafs rote Kämpferinnen, so hat Daniel Goffart seinen Beitrag überschrieben: »Die Ex-SPD-Vorsitzende Andrea Nahles rückt an die Spitze der Bundesagentur für Arbeit und die frühere SPD-Generalsekretärin und Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, Yasmin Fahimi, wird neue DGB-Chefin. Besser hätte es für Bundeskanzler Olaf Scholz und seine sozialdemokratischen Strategen nicht laufen können.«

Vor allem die Berufung von Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles zur Nachfolgerin des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, hat nicht nur bei vielen außenstehenden Beobachtern für Überraschung gesorgt, sondern sie hat auch ihren Preis, denn die Arbeitgeber in der Selbstverwaltung der BA hatten Widerstand geleistet und sich die Zustimmung dann abkaufen lassen, da die im Verwaltungsrat vertretenden Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politiker für die Spitze der BA einen einvernehmlichen Vorschlag machen müssen. Bundeskanzler Scholz und Bundesarbeitsminister Heil haben sich mit Frau Nahles durchgesetzt – als Gegenleistung dürfen die Arbeitgeber nun zwei neue Vorstandsmitglieder vorschlagen. Das ist zum einen Vanessa Ahuja, Abteilungsleiterin im Bundesarbeitsministerium sowie zum anderen die Personalmanagerin Katrin Krömer, Leiterin der Personal- und Führungskräfteentwicklung bei der Deutschen Bahn. Gleichsam als „Quoten-Mann“ bleibt dem ansonsten zukünftig also von Frauen dominierten BA-Vorstand Daniel Terzenbach erhalten. So ändern sich die Zeiten.

Personalfragen sind (immer auch und manchmal nur) Machtfragen

Und auch die zweite Personalien in diesen Tagen wird den sozialdemokratischen Kanzler und seinen Arbeitsminister freuen: Nach langem Gewürge ist nun doch jemand gefunden worden, der den im Mai dieses Jahres aus Altersgründen ausscheidenden Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, ersetzen soll. Monatelang, man mag es gar nicht glauben bei einem scheinbar so wichtigen Posten, suchte man vergebens.

So berichtete Alfons Frese am 1. September 2021 unter der Überschrift Querelen um die Nachfolge von DGB-Chef Reiner Hoffmann: »Die Gewerkschaften sind uneins, wer Reiner Hoffmann nachfolgen soll. Die Wahl ist erst im Mai, doch die Kompromisssuche wird schwierig.« Wieso das?

»Acht Einzelgewerkschaften bilden den DGB, doch Führungspositionen entscheiden die drei Großen – IG Metall, Verdi und IG Bergbau, Chemie, Energie.«

Jetzt muss man etwas tiefer einsteigen in das Innenleben der gewerkschaftlichen Führungspersonalrekrutierung: Der 66-Jährige Reiner Hoffmann führt seit 2014 den Dachverband DGB. Er kam von der IG Bergbau, Chemie, Energie, für seine Nachfolge beansprucht die IG Metall das Vorschlagsrecht. Im Herbst des vergangenen Jahres berichtete Frese: »Doch Personalangelegenheiten gehören nicht zu den Stärken des IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann. Am liebsten hätte Hofmann die zweite Vorsitzende der Gewerkschaft, Christiane Benner, zum DGB wegbefördert. Doch die 53-Jährige will nicht und hat vielmehr den Herbst 2023 im Blick – dann wird der oder die nächste IG-Metall-Vorsitzende gewählt. Benner will den Job an der Spitze der größten Gewerkschaften und stellt sich auf eine Kampfkandidatur gegen den erfahrenen Tarifpolitiker Roman Zitzelsberger ein, der den wichtigsten IG-Metall-Bezirk Baden-Württemberg führt.«

Und Frese versuchte sich damals in einer Spekulation, die vielleicht nett gemeint war, aber nicht berücksichtigt hat, dass die (theoretisch überparteiliche) Gewerkschaftsspitze bislang ein sozialdemokratischer Erbhof war und bleiben soll: »Vielleicht wagen die drei Sozialdemokraten an der Spitze von IG Metall (Hofmann), Verdi (Frank Werneke) und IG BCE (Michael Vassiliadis) eine doppelte Premiere: Erstmals eine DGB-Vorsitzende und dazu noch eine Grüne: Anja Piel, im bisherigen DGB-Vorstand für Soziales zuständig und zuvor Chefin der niedersächsischen Grünen, könnte und wollte.« Nein, Anja Piel wird es nicht werden.

Aber die Such-Quälerei ging erst einmal weiter. »Jörg Hofmann hat sich in den vergangenen Monaten einen Korb nach dem anderen geholt: Der Vorsitzende der IG Metall hat das Vorschlagsrecht für die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und hätte gerne eine Frau nominiert für die Nachfolge von Reiner Hoffmann … Hoffmann fand keine Frau, aber zwei Männer: Robert Feiger, Chef der IG Bauen-Agrar-Umwelt und Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie. Der 60-jährige Feiger winkte aus persönlichen Gründen ab, der 57-jährige Vassiliadis sagte zu. Damit wäre zum ersten Mal seit langem wieder aus dem Kreis der Vorsitzenden der acht Einzelgewerkschaften, die den DGB tragen, die Spitze des Dachverbandes besetzt worden.« So Alfons Frese am 13. Januar 2022 unter den dann bereits ernüchternden Überschrift Verdi hat Vorbehalte gegen Vassiliadis. Der hätte wohl gerne werden wollen, aber der sollte es nicht werden, denn der Verdi-Chef Frank Werneke intervenierte mit der Ansage, »dass er für das Abstimmungsverhalten der Verdi-Delegierten auf dem DGB-Kongress Anfang Mai nicht garantieren könne.« Werneke und Vassiliadis gehören beide der SPD an, doch der Industriegewerkschafter verfolgt einen pragmatischen Kurs und hatte immer mal wieder über die linkslastige „Bewegungsgewerkschaft“ Verdi gespottet. Das wird ihm nun heimgezahlt, zumindest angedroht – mit der Folge, dass Vassiliadis nicht kandieren wird, da eine risikolose Krönung auf dem DGB-Kongress nicht mehr gewährleistet war.

Der bereits mehrfach zitierte Alfons Frese stöhnte dann wenige Tage später, am 16. Januar 2022, geräuschvoll auf: Was ist das für ein Laden, den niemand übernehmen möchte?, so ist der nächste Beitrag von ihm in dieser Fortsetzungsstory überschrieben. »Alle paar Jahre trudelt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in eine Krise. 2018 gab es Zoff, weil sich die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften nicht einig waren über die Fortsetzung der großen Koalition. Das Gesetz zur Tarifeinheit war lange umstritten, und überhaupt werfen die Finanziers des DGB – das sind vor allem die mitgliederstarken Organisationen – immer wieder die Frage nach dem Sinn und Zweck des Dachverbandes auf. Selbstbeschäftigung gehört zum Programm des DGB, der von acht Gewerkschaften gebildet wird. Das aktuelle Gehampel um den Vorsitz ist jedoch ungewöhnlich. Was ist das für ein Laden, den niemand übernehmen möchte?«

Der Vorschlag, den IG BCE-Vorsitzenden Vassiliadis zum DGB-Chef zu machen, kam von dem eigentlich für die Suchte zuständigen IG Metall-Boss Hofmann: »Da man niemanden gefunden habe, so argumentierte Hofmann bei der Jahresauftaktklausur der DGB-Führung …, müsse es einer aus dem Kreis der Acht machen. Und zwar ein Industriegewerkschafter. Deutschland ist schließlich Industrieland, und die Industrie steht vor einem historischen Umbruch. Robert Feiger (59), der Vorsitzende der IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) winkte ab. Also Vassiliadis. Der Chemiegewerkschafter war erst im Oktober für weitere vier Jahre als IG-BCE- Chef gewählt worden. Vassiliadis kennt die Verhältnisse im DGB und sagte unter einer Bedingung zu: Breite Unterstützung müsse gewährleistet sein.« Die er sogleich nicht bekommen hat, wie bereits berichtet.

»Am 8. Februar, dem nächsten Treffen der DGB-Führung, soll Hofmann nun einen neuen Kandidaten präsentieren. Ausgerechnet Hofmann. Der schlaue Tarifstratege an der Spitze der IG Metall ist berüchtigt für seine Personalpolitik: Er kann das nicht. Hofmann ist eigensinnig und eigenbrötlerisch, verliert sich bisweilen im Klein-Klein und kommuniziert kaum«, berichtet Frese. Aber das hat sich schon vor dem 8. Februar erledigt.

»Der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis konnte nicht DGB-Vorsitzender werden. Nun nominiert der Gewerkschaftsbund seine Lebensgefährtin für den Posten«, so Alfons Frese unter der nur leicht gehässige Überschrift Familienpolitik an der Spitze der Gewerkschaften: »Wer es gut meint mit Michael Vassiliadis, der hebt seine Problemlösungskompetenz hervor. Als der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) für den Posten des DGB-Vorsitzenden nicht mehr in Frage kam, fand Vassiliadis Ersatz im eigenen Haushalt: Seine Lebensgefährtin Yasmin Fahimi, ehedem Generalsekretärin der SPD, soll Anfang Mai auf dem Bundeskongress des Dachverbandes zur Nachfolgerin von Reiner Hoffmann gewählt werden.«

»Die Personalie ist nicht nur wegen der Verbindung zu Vassiliadis delikat. Sie wirft vielmehr ein Schlaglicht auf die Wertschätzung des DGB in den großen Gewerkschaften Verdi und IG Metall.« Mit Blick auf die designierte DGB-Vorsitzende Fahimi: »Dass sie die Lebensgefährtin von Vassiliadis ist, der selbst an der Personalsuche beteiligt war, macht ihr den Start nicht leichter. In vielen großen Unternehmen würden Compliance-Regeln diese Berufung verhindern«, so Stefan Winter in seinem Artikel Die neue DGB-Chefin startet mit einer Hypothek. Diese Anmerkung müssen sich die Gewerkschaften schon gefallen lassen. 

Vor Fahimi ist angeblich die frühere SPD-Vorsitzende Nahles gefragt worden, ob sie es beim DGB machen würde. Aber sie »hatte dem Vernehmen nach Bedingungen gestellt, die von Werneke und Hofmann nicht akzeptiert wurden«, so Alfons Frese.

Fahimi, die im Januar 2014 zur Generalsekretärin der SPD und damit zur Nachfolgerin von Andrea Nahles gewählt wurde, geriet mit dem damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel schnell über Kreuz. Fahimi wechselte Anfang 2016 als Staatssekretärin ins Arbeitsministerium unter der damaligen Ministerin Andrea Nahles. Seit 2017 ist sie Bundestagsabgeordnete.

Es gibt was die Person angeht aber auch einige wenig schmeichelhafte Hinweise, die man im Hinterkopf behalten sollte: »Fahimi gilt als absolut parteitreu, was in der Kommunikation gelegentlich als hölzern wahrgenommen wurde und was ihr in der medialen Wahrnehmung als SPD-Managerin manchmal auf die Füße fiel. Ihre Kritiker halten ihr „ein fast schon stalinistisches Freund-Feind-Denken“ vor, wie ein Gewerkschaftskollege sagt«, so Daniel Goffart. Und auch Alfons Frese weist darauf hin: „Fachlich gut, menschlich schwierig“, hieß es am Mittwoch in ersten Reaktionen auf die Nominierung Fahimis in Gewerkschaftskreisen. Sie sei „bisher nicht mit Integrationsleistungen aufgefallen“. „Das ist die Selbstverzwergung des DGB“, meinte ein Gewerkschafter zu der überraschenden Personalie. Und es geht noch eine Nummer schärfer: »Von einer „Super-Katastrophe“ ist anderer Stelle die Rede. Es sei doch vielsagend, dass Fahimi in der neuen Bundesregierung keinen Staatssekretärsposten bekommen habe. „Fahimi hat überall Brände hinterlassen“, sagt ein Gewerkschafter und sei das Gegenteil von einem Menschenfänger, wie er an der Spitze einer Gewerkschaft respektive des Dachverbandes gebraucht werde. Ihre Umgangsformen seien extrem brüsk, die rund 200 Mitarbeitenden in der DGB- Zentrale am Hackeschen Markt müssten sich auf einen rauen Ton einstellen.«

Wie dem auch sei, die beiden großen Player unter den DGB-Gewerkschaften, also IG Metall und Verdi, können nun weiter machen wie bisher, wo der DGB und dessen Repräsentant eine seit vielen Jahren klar erkennbar immer bedeutungslosere Rolle eingenommen hat bzw. darauf reduziert wurde. Und im inneren Zirkel der SPD wird man die Personalie im Gesamtkontext Nahles bei der BA und Fahimi als DGB-Vorsitzende sicher verbuchen als einen gelungenen Schachzug, durch den man die eigenen Leute versorgt und platziert hat. Von anderen wird das durchaus als problematisch angesehen, so beispielsweise von Anja Krüger in ihrem Kommentar Fatales Signal an die Beschäftigten: »Erforderlich wäre eine DGB-Vorsitzende, die nicht in Parteiloyalitäten eingebunden, sondern über jeden Zweifel erhaben ist, bei Konflikten im Sinne der SPD zu handeln. Das Mindeste ist, dass Fahimi ihr Bundestagsmandat und ihren Posten im Parteivorstand aufgibt.«

Für die Gewerkschaften insgesamt kann sich diese zwar in die Zeit passende Personalpolitik mindestens als fragwürdig, wenn nicht kontraproduktiv erweisen. Zum einen werden die Gewerkschaften gebraucht, gerade angesichts der bisherigen Arbeitsmarktentwicklungen und der Gestaltung der sich sich derzeit massiv verändernden Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit, wobei aber diese Verschiebung (durchaus zugunsten der Beschäftigten) von Arbeitnehmerseite nur dann wirklich genutzt werden kann, wenn sie organisiert ist. Was passiert, wenn das nicht oder nur in einem unterentwickelten Ausmaß der Fall ist, kann man seit Jahren in vielen Branchen beobachten, die teilweise tarif- und gewerkschaftsfreie Zonen geworden sind. Aber dazu muss man auch medial präsent sein und in der öffentlichen Wahrnehnung einschlagen können, was immer auch eine Typfrage ist. Ob Fahimi das leisten kann, bleibt abzuwarten. Zugleich sollte man neben der externen Dimension nicht vergessen, dass es auch innerhalb der zwangsläufig heterogenen Gewerkschaftsklientel dergestalt brodelt, dass man die Gewerkschaft eben gerade nicht mehr als eine Vorfeld-Organisation der SPD sieht und sehen möchte. »Reiner Hoffmann war 2014 erstmals zum DGB-Vorsitzenden gewählt worden; Hoffmann bekam damals 93 Prozent der Stimmnen. Im Mai 2018 wurde er mit einem schlechten Ergebnis (76 Prozent) wiedergewählt – viele Delegierte nahmen ihm seinen Einsatz für eine Fortsetzung der große Koalition übel.«

Wer auch immer an die Spitze des Dachverbandes gestellt wird – sie (oder er) muss einen Beitrag leisten können, um mindestens den langjährigen Trend einer abnehmenden Mitgliederzahl in den Einzel-Gewerkschaften zu stoppen und im Idealfall dabei mithelfen, wieder steigenden Zahlen ausweisen zu können. Dafür braucht man neben überzeugenden Inhalten auch ein Gesicht und eine Stimme im öffentlichen Raum, die das stemmen kann. Wir werden sehen.