»Einige Betreiber von Corona-Testzentren haben bei der Abrechnung betrogen. Das passiert überall, wo es schnelles Geld gibt. Doch das Gute an den flächendeckenden Tests überwiegt bei Weitem den Missbrauch durch wenige.« So die Kommentierung unter der forschen Überschrift Testen first! Prüfen können wir immer noch von Rainer Haubrich. Und um den weiterhin kritisch-nachdenklichen Zeitgenossen den Unmut aus dem Gesicht zu blasen angesichts der Berichte über einen – möglicherweise – umfassenden Betrug bei der Abrechnung von (nicht) gemachten Schnelltests (vgl. hierzu ausführlich den Beitrag Enorme Kosten, Verzicht auf Kontrollmechanismen – Corona-Testzentren als ertragreiches Geschäftsmodell in viralen Zeiten vom 29. Mai 2021), schiebt der Kommentator beruhigend hinterher: Man habe es zu tun mit einem Missbrauch durch wenige. »Und die sollten wissen: Die meisten Betrüger fliegen auf.« Denn es »bleibt noch genügend Zeit, die Abrechnungen unter die Lupe zu nehmen: Anbieter von Schnelltests müssen ihre Unterlagen bis Ende 2024 aufheben. Um sie zu prüfen, könnte man Mitarbeiter der Ordnungsämter abstellen, die sonst Bußgelder verhängen. Das ergäbe für viele Bürger eine schöne Nach-Corona-Friedensdividende.« Entspannt euch, Leute und genießt die geöffnete Außengastronomie.
So kann man das sehen (wenn es denn wirklich so einfach wäre mit den späteren Prüfungen) – und vor allem, wenn es um das Geld anderer Leute geht. Wir sprechen hier über richtig viel Geld: „Ich schätze, dass allein im Mai 50 bis 60 Millionen Bürgertests abgerechnet werden, also Kosten von rund einer Milliarde Euro entstehen … Am Ende wird man auf die Tests schauen wie auf die Masken: Die Politik brauchte ganz dringend große Mengen, es war Wildwest, viele Glücksritter und Betrüger drängten in den Markt und es gab keine vernünftige Kontrolle.“ (Aussage eines hochrangigen Funktionärs einer Kassenärztlichen Vereinigung).
Nur um einmal die Größenordnung des hier aufgerufenen Betrages deutlich zu machen: Seit langem wird eine bessere Vergütung der Altenpflegekräfte angemahnt. Die Pflegekräfte in der Altenpflege verdienen teilweise mehrere hundert Euro weniger als die Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Eigentlich wollte man seitens eines Teils der Bundesregierung einen flächendeckenden Tarifvertrag für die Altenpflege durchsetzen, das Ansinnen ist vor kurzem krachend gescheitert (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Was für ein unheiliges Desaster: Die katholische Caritas blockiert den Weg zu einem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag für die Altenpflege, die Verbände der privatgewerblichen Arbeitgeber freuen sich und die Pflegekräfte ganz unten bleiben unten vom 7. März 2021). Schon vor Jahren wurde ausgerechnet, dass man etwa 5,9 Mrd. Euro benötigt, nur um das Vergütungsgefälle zwischen den Pflegekräften in der Langzeitpflege und denen im Krankenhaus auszugleichen. Und diese Tage erfahren wir, dass die Bundesregierung plant, eine Pflegereform durch den Bundestag zu bringen, bei der u.a. vorgesehen ist, dass eine Milliarde Euro an Steuermitteln aufgebracht werden soll, um die Kostenanstiege in der Altenpflege in Verbindung mit einer Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung gegenzufinanzieren. Und sofort beginnt das Lamento, man könne sich diesen Betrag „nicht leisten“. Wohlgemerkt – eine Milliarde Euro pro Jahr für einen im wahrsten Sinne des Wortes existenziellen und seit langem unterfinanzierten Bereich.
In der bisherigen Berichterstattung wurde vor allem kritisiert, dass wir hinsichtlich der Abrechnung der zahlreichen Tests mit einem System der organisierten Unzuständigkeit konfrontiert werden: Keiner fühlt sich verantwortlich, keiner will den Hut aufziehen. Und betrügerischen Geschäftsmodellen sind die Scheunentore weit geöffnet, wenn man diesen Ausführungen folgt: Die Testzentren »müssen noch nicht mal nachweisen, dass sie überhaupt Antigentests eingekauft haben. Stattdessen reicht es, wenn sie den Kassenärztlichen Vereinigungen lediglich die nackte Zahl der Getesteten ohne jeglichen Beleg übermitteln – und schon bekommen sie kurze Zeit später das Geld überwiesen.«
Was wir am Beispiel der Corona-Testverfahren erleben, eignet sich für jedes Lehrbuch, was passiert, wenn man die Dinge laufen lässt, die eingebettet sind in lukrative Geschäftsmodelle:
Weder die Gesundheitsämter noch die Kassenärztlichen Vereinigungen oder das Bundesamt und schon gar nicht das Gesundheitsministerium fühlen sich zuständig, zu kontrollieren, ob bei der Abrechnung alles korrekt läuft.
Nachdem die Rechercheergebnisse derJournalisten bekannt wurden, ging hektische Betriebsamkeit im politischen Raum los. Dass wir schon mittendrin sind im Wahlkampf angesichts der Bundestagswahl im September 2021, kann man diesem Beispiel entnehmen: Aus den Reihen der SPD wurden Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgetragen: »Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Deutschen Presseagentur: „Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.“ Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. Der Thüringer SPD-Politiker sagte weiter, der Gesundheitsminister trage die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und müsse die „Selbstbedienung“ unverzüglich beenden«, so diese Meldung: SPD erhebt Vorwürfe nach mutmaßlichem Betrug in Corona-Testzentren. Der angesprochene Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte auf Twitter mit einer Botschaft, die durchaus Fragen aufwirft:
Man könnte an dieser Stelle durchaus in den Diskurs einsteigen, ob wirklich nur die „kriminelle“ Bereicherung ein Grund für (eine in diesem Kontext sowieso fragwürdige Kategorie) Scham ist – man könnte gute Argumente vortragen, dass auch eine legale, professionell durchgezogene private Bereicherung an öffentlichen Mitteln in einer Krisensituation, in der man auf schnelle Lieferung und Durchführung angewiesen ist, mehr als fragwürdig ist, denn hier wird die Not der Stunde ausgenutzt, um Geld zu verdienen, ohne dass derjenige, der zahlen muss, wirklich eine Alternative oder Zeit hätte. Und passend ist sicher auch der Hinweis des Ministers, dass es sich um „Einzelfälle“ handeln würde, so dass man zwar verärgert, aber doch irgendwie beruhigt die Decke wieder über die Angelegenheit ziehen kann, denn um die wenigen freilaufenden schwarzen Schafe wird sich – aufgepasst – die Staatsanwaltschaft kümmern. Ganz offensichtlich soll selbst die Diskussion über die Möglichkeit, dass wir hier mit einem Systemproblem konfrontiert sind, nicht zugelassen werden.
Dass wir es mit so einem zu tun haben könnten, lässt sich der folgenden Diskussion entnehmen: »Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht einen Bedarf an mehr Kontrollen bei Anbietern von Corona-Tests. „Gerade bei den privaten Dienstleistern“ brauche es offenkundig noch zusätzliche Kontrollen, so der CDU-Politiker in der ARD-Sendung Anne Will. Dabei will er auch die Finanzämter einschalten. Hierüber wolle er mit dem Finanzministerium reden«, so dieser Artikel: Spahn will mehr Kontrollen. Was heißt denn „mehr Kontrollen“? Bisher gab es schlichtweg keine. Auch und vor allem deshalb, weil sich keiner zuständig fühlt(e). Und auch die Testverordnung aus dem Hause Spahn eine solche schlichtweg nicht enthält. »Wie die zusätzlichen Kontrollen organisiert werden sollen, steht noch nicht fest. Aus Berlin heraus könne man die Testzentren nicht kontrollieren, so Spahn. Das sei nur durch die Gesundheitsämter vor Ort möglich.«
Darüber musste man erst einmal sprechen, was mittlerweile auch passiert ist: »Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen … die Regeln für Betreiber verschärfen«, kann man dieser Meldung entnehmen: Strengere Regeln für Testzentren geplant. Dafür soll die maßgebliche Verordnung reformiert werden, so ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Geht es konkreter? Aber sicher – und die Freunde des Konjunktivs werden beglückt sein:
»Konkret solle nun mit kommunalen Spitzenverbänden über mögliche Maßnahmen gesprochen werden, hieß es nach der Bund-Länder-Konferenz. Ansatzpunkte sollen demnach etwa sein, dass Sachkosten für gekaufte Tests von den Kassenärztlichen Vereinigungen mit den abgerechneten Tests abgeglichen werden. Teststellen könnten bei diesen auch ihre Steuer-Identifikationsnummer angeben müssen, damit Finanzämter die Zahl der abgerechneten Tests mit angegebenen Umsätzen abgleichen können. Außerdem könnten die Testzentren verpflichtet werden, eine schriftliche Bestätigung des Gesundheitsamtes vorzulegen, dass sie Tests ordnungsgemäß vornehmen. Eine Online-Registrierung reiche dafür nicht. Gesundheitsminister Spahn hatte zudem angekündigt, dass die Vergütung für Tests sinken solle.«
Bislang wird ein Schnelltest mit 18 Euro vergütet. Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums Kautz erläuterte, ein neuer Preis stehe noch nicht fest, aber es werde über einen Betrag von unter zehn Euro diskutiert. Als möglicher Kontrollweg soll laut Kautz den Kassenärztlichen Vereinigungen eventuell die Möglichkeit gegeben werden, Testzahlen mit den abgerechneten Sachkosten der Zentren für die Tests abzugleichen. Aber selbst dann muss man wissen: Testzentren-Betreiber dürfen für die Beschaffung der Tests bis zu sechs Euro einfordern – mittlerweile kosten die Tests im Einkauf allerdings teils nur noch 2,50 Euro.
Und munter geht es weiter, das Schwarze-Peter-Spiel, folgt man dieser Darstellung: Debatte um Kontrolle privater Testzentren: Der Städte- und Gemeindebund sieht den Bund als Auftraggeber in der Pflicht, selbst für die Kontrolle der Abrechnungen der Bürgertests zu sorgen, so deren Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg: „Die Gesundheitsämter der Kommunen können das nicht auch noch tun, die sind schon völlig überlastet.“ Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hingegen forderte gerade die Gesundheitsämter auf, die Abrechnungen der Bürgertests vor Ort zu kontrollieren. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat vorgeschlagen, die Kassenärztlichen Vereinigungen selbst bei den Kontrollen der Abrechnungen einzubeziehen. Er forderte zudem eine Deckelung der Vergütungen für die Corona-Tests. Die Preise seien zu hoch.« Aber der Mann ahnt, das hier kein Blumentopf zu gewinnen ist und wird entsprechend mit den Worten zitiert: »Man müsse nach vorne blicken.«
Weltärzteverbandschef Frank Ulrich Montgomery monierte, dass Gesundheitsminister Spahn die Kontrolle der Testzentren nun auf Gesundheitsämter und Kassen abschieben wolle. Die Testverordnung sei „schlampig“ gemacht und fordere zum Betrug auf.
Man kann das auf sich wirken lassen und zu dieser zusammenfassenden Bewertung greifen: Nach Betrugsvorwürfen gegen Corona-Teststellen soll es Konsequenzen und Kontrollen geben – unklar ist aber durch wen. Es steht zu befürchten, dass das nach zahlreichen Abstimmungsrunden hochrangiger Arbeitsgruppen ausgehen wird wie das Hornberger Schießen.
Und dann wird der Sack auch noch aufgemacht und um diese Dimension erweitert: »Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht als das größte Problem bei „kriminell organisierten“ Corona-Teststellen die mangelnde Qualität. Wo solche Strukturen herrschen, ist in der Regel auch die Qualität der Tests schlecht“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Wir sagen immer: Wenn man ohne leichten Würgereiz oder ohne eine Träne aus einem Test kommt, dann kann es kaum gut gewesen sein.“ Die Gesundheitsämter müssten die Qualität am Ort überprüfen. „Derzeit reicht ein einstündiger Kurs und schon ist die Lizenz zum Gelddrucken in der Tasche. Doch aussagekräftige Tests sind wichtig. Gerade bei Besuchen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern.“«
So bleibt am Ende eine bittere Bilanz. Um nochmals die Aussage eines hochrangigen Funktionärs einer Kassenärztlichen Vereinigung vom Anfang dieses Beitrags aufzurufen: »Am Ende wird man auf die Tests schauen wie auf die Masken: Die Politik brauchte ganz dringend große Mengen, es war Wildwest, viele Glücksritter und Betrüger drängten in den Markt und es gab keine vernünftige Kontrolle.«
Masken? Was war da noch mal?
Nachtrag am 05.06.2021:
In dem Beitrag wurde eine Schätzung aus den Reihen der Kassenärztlichen Vereinigungen zitiert, nach der man davon ausgeht, dass allein im Mai Ausgaben in Höhe von einer Milliarde Euro anfallen könnten. Für viele unvorstellbar. Nun berichtet Markus Grill unter der Überschrift Kostenexplosion bei „Bürgertests“: »Das Gesundheitsministerium kalkulierte ursprünglich mit Kosten von bis zu einer halben Milliarde Euro für die Corona-Bürgertests. Doch diese Summe wurde bereits im März und April erreicht … Erste Zahlen aus dem Bundesamt für Soziale Sicherung weisen bereits auf eine Kostenexplosion hin. Demnach überwies es im April und Mai rund 659 Millionen Euro für Schnelltests an die Kassenärztlichen Vereinigungen. Dabei sind in diesen Zahlen größtenteils die Schnelltests für die Monate März und April enthalten. Da die privaten Schnelltest-Betreiber die Kosten für die Tests laut der Testverordnung „quartalsweise oder monatlich“ abrechnen können, ist klar, dass in den aktuell verfügbaren Zahlen, die als Stichtag den 17. Mai haben, wahrscheinlich noch gar keine Mai-Tests abgerechnet wurden – und auch noch mit Nachmeldungen für vorangegangene Monate zu rechnen ist. Selbst das Gesundheitsministerium weist darauf hin, „dass zwischen Leistungserbringung und Abrechnung mehrere Monate liegen können, so dass die Daten nicht das aktuelle Leistungsgeschehen wiedergeben.“ Tatsächlich dürften aber gerade die Mai-Zahlen noch einmal deutlich höher liegen als die Zahlen für März und April. Denn erst im Mai erlebten die Schnelltests einen regelrechten Boom, als viele Bundesländer den Zugang zu Geschäften und zur Außengastronomie von einem negativen Schnelltest abhängig gemacht hatten. Intern hält man es bei der Kassenärztlichen Vereinigung für möglich, dass allein für den Monat Mai Kosten von insgesamt einer Milliarde Euro entstehen könnten.«