Blicken wir zurück in das Jahr 2018, die Große Koalition hatte damals nach längeren Geburtswehen die Regierungsarbeit aufgenommen. Der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag unter der Überschrift „Umstände der Abweisung von Frauen an Frauenhäusern“ (Bundestags-Drucksache 19/1624 vom 12.04.2018) konnte man das hier entnehmen:
»Um von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern den gesicherten Zugang zu Schutz und Beratung in Frauenhäusern zu ermöglichen, plant die Bundesregierung in Umsetzung des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD die Einberufung eines Runden Tisches von Bund, Ländern und Kommunen. Ziel der Beratungen ist der bedarfsgerechte Ausbau und die adäquate finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und entsprechenden ambulanten Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen.
Der Frage, wie eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aussehen muss, geht auch das derzeit vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Modellprojekt Bedarfsanalyse und -planung zur Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt nach. In dem Modellprojekt geht es darum, gemeinsam mit den Ländern Instrumente zu entwickeln und in der Praxis zu erproben, mit denen die Länder ihr Hilfesystem künftig besser den Bedarfen der von Gewalt betroffenen Frauen anpassen können. In die Beratungen des Runden Tisches sollen die Ergebnisse aus dem Modellprojekt mit einfließen.«
Eine Einordnung dieser Ausführungen der Bundesregierung konnte man dem Beitrag Frauenhäuser. Ein weiteres Beispiel aus dem Mangel-Land Deutschland, der hier am 17. Juni 2018 veröffentlicht wurde, entnehmen: »Soll oder muss man das übersetzen? In dieser Legislaturperiode wird sich (wieder) nichts tun, denn das dauert so seine Zeit mit Modellprojekten und Runden Tischen. Dann kann man einer Verbesserung der Situation der Frauenhäuser und damit der betroffenen Frauen in die nächsten Wahlprogramme aufnehmen. Erneut werden wir Zeugen des leider sehr bekannten Mechanismus des „am ausgestreckten Arm verhungern“ lassen.«
Gerade in einer Zeit, in der wir atemlos von einem „neuen“ Thema zum nächsten springen (bzw. betrieben werden) und kaum noch jemand nachhält, was mal wann wie von wem versprochen wurde, ist ein Blick zurück und die Prüfung, ob die Vorhersage (nicht) eingetreten ist, von besonderer Bedeutung. Vor allem bei Themen, bei denen es wahrlich nicht um Luxusgüter oder Komfortzonen, sondern um existenzielle Belange geht. Wie beispielsweise dem Schutz von Frauen (oftmals mit Kindern) vor Gewalt.
Die eher pessimistisch daherkommende Einschätzung aus dem Juni des Jahres 2018 wird nun mit so einer Meldung aus dem Bundesfamilienministerium konfrontiert: Runder Tisch zieht positive Bilanz. Sollte es also doch anders gekommen sein?
Bereits die Botschaft direkt unter dem verheißungsvollen Titel lässt den Berufsskeptiker wieder wach werden: »Im Jahr 2018 hat das Bundesfrauenministerium den Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ eingerichtet. Nun präsentiert das Gremium seine Ergebnisse und ein erstes gemeinsames Votum für eine bundesweite Regelung zu Schutz und Beratung.«
Der vom Bundesfrauenministerium im September 2018 eingerichtete Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ hat am 27. Mai 2021 seine Bilanz der gemeinsamen Arbeit vorgelegt. Am Runden Tisch sind erstmalig Bund, Länder und Kommunen in einem eigens dafür eingerichteten Gremium zusammengekommen, um gemeinsam den Ausbau und die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen voranzubringen. Die Einberufung eines Runden Tisches gegen Gewalt an Frauen ist im Koalitionsvertrag verankert.
Die Spannung steigt. Was sind die Ergebnisse? Dazu die bis zu den Bundestagswahlen im September dieses Jahres nach dem Abgang der bisherigen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit der Betreuung des Ministeriums bestellte Ministerin Christine Lambrecht:
„Schutz und Unterstützung in Frauenhäusern muss in allen Regionen Deutschlands gleichermaßen gesichert sein. Wir sind am Runden Tisch mit Ländern und Kommunen zu einem klaren Ergebnis gekommen: Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode eine bundesgesetzliche Regelung schaffen für den Zugang zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Wir brauchen einen einheitlichen Rahmen für die Finanzierung der Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfsangeboten. Die Vorarbeiten hierzu treiben wir jetzt intensiv voran. Nur durch koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen können die Hilfestrukturen vor Ort langfristig gestärkt werden.“
Da ist es dann: „in der nächsten Legislaturperiode“. Die „Vorarbeiten“ würde man jetzt intensiv vorantreiben. Stefanie Drese, Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung in Mecklenburg-Vorpommern und amtierende Vorsitzende der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, freut sich darüber, „dass eine deutliche Mehrheit der Mitglieder des Runden Tisches sich für eine bundesgesetzliche Regelung ausspricht, um den Zugang zu Schutz und Beratung bei Gewalt sicherzustellen.“ Und Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn, kommt für die kommunale Seite zu Wort: „Es ist … gut, dass der Runde Tisch sich auf Eckpunkte verständigt hat, einen geeigneten Rechtsrahmen und eine nachhaltige, solide Finanzierung der Frauenhausplätze zu schaffen, die unabhängig von befristeten Förderprogrammen ist.“
Wie wichtig eine Neuordnung bzw. überhaupt eine Ordnung der Finanzierungsgrundlagen wäre, kann man der im Jahr 2012 vom Bundesfamilienministerium veröffentlichten sozial- und rechtswissenschaftliche Bestandsaufnahme zum Thema Frauenhäuser entnehmen: Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder. In ihrer Zusammenfassung der Studie beschreibt die Bundesregierung selbst das Finanzierungs-Wirrwarr der Frauenhäuser:
»In den meisten Bundesländern besteht für Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen eine Mischfinanzierung aus Tagessätzen und Zuwendungen aus Haushaltsmitteln des Landes und/oder der Kommune. Bei einer Tagessatzfinanzierung werden diese für die meisten Nutzerinnen auf der Basis individueller Leistungsansprüche nach SGB II, SGB XII oder AsylbLG von den jeweils zuständigen Verwaltungsebenen übernommen. Bestehen solche Ansprüche nicht, tragen die Nutzerinnen als Selbstzahlerinnen ganz oder teilweise ihre Kosten selbst. In manchen Bundesländern werden Frauenhäuser nahezu vollständig aus Zuwendungen der Länder oder Kommunen finanziert. Eine weitere Einnahmequelle sind in allen Bundesländern Spenden oder Eigenmittel der Einrichtungsträger. Die Ausgestaltung der Finanzierung im Einzelnen ist sehr heterogen.
Die Finanzierung durch verschiedene Kostenträger ist häufig mit divergierenden Förderzielen und Fördergestaltungen verbunden. Dies führt teilweise zu Inkonsistenzen bei der Zuwendungsgebung und macht die Beantragung und Rechnungslegung für die Zufluchtseinrichtungen unnötig komplex, besonders aufwendig und ressourcenintensiv.« (S. 18)
Und auch die Forderung nach einer einheitlichen Finanzierungsgrundlage für diese Schutzorte reicht schon viele Jahre zurück: Die Bundestagsfraktion der Linken legte bereits im Dezember 2009 einen Antrag vor, der die „bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“ wollte. Doch es sollten fast drei Jahre vergehen, bis dieser Antrag dem Bundestag überhaupt zur Abstimmung vorgelegt wurde. „Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“, so war der Antrag der Linken überschrieben (Drucksache 17/243 vom 15.12.2009). Parallel dazu meldeten sich die Grünen im Bundestag mit einem eigenen Antrag zu Wort: „Grundrechte schützen – Frauenhäuser sichern“ (Drucksache 17/259 vom 16.12.2009). Selbst die SPD zog einige Zeit später mit einem eigenen Antrag nach: „Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und deren Finanzierung sichern“ (Drucksache 17/1409 vom 20.04.2010). Die Anträge wurden „natürlich“ damals von der Regierungsmehrheit abgelehnt, Union und FDP verwiesen auf „verfassungsrechtliche Schwierigkeiten“. Frauenhäuser seien Sache der Kommunen. Was natürlich nicht in Stein gemeißelt ist, aber eine Änderung muss man erst einmal wollen. Wollte man aber nicht. Dabei gab es auch außerhalb der damaligen Oppositionsparteien fundierte Überlegungen über eine Neuregelung der Finanzierung, beispielsweise in diesem Diskussionspapier des Deutschen Vereins zur Finanzierung von Frauenhäusern vom 23. Juni 2010.
Man muss diese Forderung auch vor dem Hintergrund sehen, dass es nicht nur darum geht, die bestehenden Frauenhäuser halbwegs stabil zu finanzieren, sondern dass gleichzeitig zahlreiche Plätze fehlen (was dann sicher nicht förderlich wirkt für das Anliegen auf der Seite der Haushaltspolitiker): »Rund 7.000 Plätze in Frauenhäusern gibt es, rund 20.000 bräuchte es, wie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bestätigt«, so Patricia Hecht in ihrem Artikel Mehr Schutz vor Männergewalt.
Für das Soll in der kommenden Legislaturperiode gibt es jetzt ein „Positionspapier„
Mit dem nunmehr beschlossenen Positionspapier Schutz und Beratung bei Gewalt bundesweit sicherstellen – Gemeinsame Position für eine bundesgesetzliche Regelung sprechen sich der Bund, eine breite Mehrheit der Bundesländer sowie die drei Kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene für eine bundesgesetzliche Regelung zur Finanzierung des Aufenthalts im Frauenhaus aus. Damit soll künftig der Zugang zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt bundesweit gewährleistet werden. Außerdem soll ein einheitlicher Rahmen für die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen geschaffen werden. Das Positionspapier soll die Grundlage für einen Gesetzentwurf in der kommenden Legislaturperiode bilden.
Nochmals der Hinweis auf die Bewertung aus dem Beitrag Frauenhäuser. Ein weiteres Beispiel aus dem Mangel-Land Deutschland, der hier am 17. Juni 2018 veröffentlicht wurde: »In dieser Legislaturperiode wird sich (wieder) nichts tun, denn das dauert so seine Zeit mit Modellprojekten und Runden Tischen. Dann kann man einer Verbesserung der Situation der Frauenhäuser und damit der betroffenen Frauen in die nächsten Wahlprogramme aufnehmen. Erneut werden wir Zeugen des leider sehr bekannten Mechanismus des „am ausgestreckten Arm verhungern“ lassen.«
Mit der Positionierung von Bund, Ländern und Kommunen auf der Ebene der Absichtserklärungen hat man den Abstand des Armes verringert, aber man ist dem Mangel noch nicht wirklich und vor allem verbindlich entgegenzutreten. Es bleibt vor allem die Hoffnung (vor der Wahl – und selbst danach werden andere Themen erwartbar als dringlicher eingestuft werden. Wir werden uns wohl (noch und erneut) Zeit geben müssen. So auch diese Einschätzung der Geschäftsführerin des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Katja Grieger: Sie freue sich über das „Bekenntnis“ von Bund, Ländern und Kommunen zu den Standards der Istanbul-Konvention1. In den kommenden Jahren sei es Aufgabe aller Beteiligten, zu definieren, was genau eine Versorgung nach den Standards der Konvention für Deutschland bedeute. „Diese Arbeit fängt gerade erst an.“
1 Die Frage, wie viele Plätze man denn eigentlich zur Verfügung stellen und damit auch finanzieren müsste, kann man seriös beantworten, ohne mit irgendwelchen Wünsch-Dir-was-Zahlen zu hantieren. Und zwar auf der Grundlage einer internationalen Konvention, die auch die Bundesregierung unterschrieben hat und die seit kurzem auch rechtsverbindlich in Kraft getreten ist: Mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt), die am 2. Februar 2018 in Kraft tritt, hat sich Deutschland dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt besser zu schützen. Dies beinhaltet, „Maßnahmen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen“ (Istanbul-Konvention, Artikel 23, Bundestagsdrucksache 18/12037). Als angemessen erachtet der Europarat dabei einen Frauenhausplatz (Bett) pro 7.500 Einwohner/-innen (Gesamtbevölkerung) … oder einen Familienzimmer pro 10.000 Einwohner/-innen. Laut Bundesregierung halten die rund 350 Frauenhäuser und mindestens 40 Zufluchtswohnungen insgesamt mehr als 6.800 Plätze (Betten) zur Verfügung … Mit der sich daraus ergebenden Platzquote von rund 1:12.000 verfehlt Deutschland die Empfehlung des Europarates deutlich.