Ein höherer Mindestlohn in den USA – nicht wie gefordert und geplant für die Millionen, aber für Hunderttausende, wenn sie für die Regierung arbeiten

Am 31. Januar 2021 wurde hier am Ende des Beitrags „Raise the Wage Act of 2021“: Und am Ende gibt es 15 Dollar Mindestlohn für alle in den USA. Wenn das Gesetz endlich verabschiedet wird geschrieben: »Man kann nur hoffen, dass es diesmal gelingt, die Gesetzgebung durch beide Häuser des Kongresses, also dem Repräsentantenhaus wie auch dem Senat, zu bekommen. In Deutschland kann man sich angesichts des hier vorhandenen, sicher an vielen Stellen zu kritisierenden, aber dennoch im Vergleich zu den USA auf einem deutlich höheren Niveau angesiedelten sozialen Sicherungssystems nur in Umrissen vorstellen, welche Bedeutung die geplante Anhebung der Lohnuntergrenze und deren Gültigkeit für alle Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten für Millionen Familien hat. Oder haben wird. Wie gesagt: Hoffentlich klappt es diesmal.«

Konkret bezog sich diese Hoffnung auf den Raise the Wage Act, der von den Demokraten auf den parlamentarischen Weg gebracht wurde und der den Versuch darstellt, eine zentrale Forderung von Unterstützern des am Ende dann auch erfolgreichen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden umzusetzen: Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf Bundesebene auf 15 Dollar pro Stunde. Im Kern beinhaltet der Gesetzentwurf eine schrittweise Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit $7,25 auf $15 im Jahr 2025. In den Jahren danach soll es eine automatische und regelgebundene Anpassung des Mindestlohns geben, die an das Wachstum des Median-Lohns in den USA gekoppelt wird, so dass es nicht wie in der Vergangenheit zu einer erheblichen Realwert-Erosion aufgrund einer Nicht-Dynamisierung der Lohnhöhe kommen kann.

Man kann der Abbildung entnehmen, dass der Mindestlohn auf Bundesebene seit der letzten Erhöhung 2009 unter Präsident George W. Bush nominal bei 7,25 US-Dollar pro Stunde einbetoniert ist, was natürlich angesichts der Inflation einen erheblichen Realwertverlust über die Jahre bedeutet. Man muss sich die Wucht des Realwertverlustes durch die fehlende Dynamisierung verdeutlichen: Wegen der Inflation lag die Kaufkraft des Mindestlohnes nach Berechnungen des gewerkschaftsnahen Economic Policy Instituts (EPI) 2018 effektiv um 28,6 Prozent niedriger als 1968. Wäre der Mindestlohn seit 1950 synchron mit der Produktivität gestiegen, würde er demnach aktuell knapp 21 Dollar betragen (vgl. zu den Berechnungen ausführlicher den Beitrag von Cooper 2019).

So »kommen Mindestlohnbezieher mit einer Vollzeitstelle gerade einmal auf 1.256 Dollar im Monat. Der Betrag ist so gering, dass demnach etwa mit zwei Kindern immer noch ein Anspruch auf Lebensmittelgutscheine im Wert von 482 Dollar besteht. Effektiv subventioniert der Staat also Hungerlöhne«, so am 22. Februar 2021 Jörg Wimalasena in seinem Artikel Für ein paar Dollar mehr. Der hat auch eine Menge Wasser in den Wein der Hoffnung auf eine ordentliche Anhebung des Mindestlohnes gegossen: »Die neue US-Regierung will den Mindestlohn drastisch erhöhen. Doch nicht nur von den Republikanern, sondern auch aus der eigenen Partei kommt Widerstand.«

Und mittlerweile wissen wir, dass der Versuch im Gesetzgebungsverfahren steckengeblieben ist. Konkret im Senat. Dort konnte man die erforderliche Stimmenmehrheit nicht organisieren, wegen des Widerstands der Republikaner, aber auch, weil es auch bei den Demokraten nicht nur Befürworter einer Anhebung des Mindestlohns gibt. In der Bevölkerung sieht das nach Umfragen schon seit Jahren ganz anders aus. So sind zwei Drittel der befragten US-Amerikaner für eine Anhebung des Mindestlohns und das schon seit Jahren. Vgl. dazu beispielsweise aus dem Jahr 2019 Two-thirds of Americans favor raising federal minimum wage to $15 an hour). Natürlich ist das Scheitern einer allgemeinen Erhöhung des Mindestlohns eine große Enttäuschung für den Teil der Biden-Unterstützer, die fest damit gerechnet haben, dass man diese Maßnahme in den ersten dynamischen 100 Tagen einer neuen Regierung durchsetzen kann.

Wenn es (noch?) nicht für alle klappt, dann wenigstens für einige der vielen, die von einem höheren Mindestlohn profitieren würden

Nun erreichen uns aus den USA solche Meldungen: Biden erhöht Mindestlohn für Hunderttausende: »US-Präsident Joe Biden will Vertragsarbeitern der Regierung mehr Geld zahlen. Ihr Mindestlohn soll von derzeit 10,95 auf 15 Dollar pro Stunde angehoben werden … Wer derzeit nur das Minimum bekommt, darf sich damit auf eine 37-prozentige Lohnerhöhung freuen. Allerdings soll die Anpassung schrittweise und nicht auf einen Schlag erfolgen.«

Die Originalmeldung aus dem Weißen Haus findet man hier:
➞ White House (2021): Fact Sheet: Biden-Harris Administration Issues an Executive Order to Raise the Minimum Wage to $15 for Federal Contractors, April 27, 2021

»Vorgesehen ist, dass sich der neue Mindestlohn in allen Neuverträgen ab dem 30. Januar 2021 wiederfindet. Bis Ende März des kommenden Jahres müssen auch alle bestehenden Verträge umgestellt werden. Ab 2023 sollen die Bezüge dann entsprechend der Inflationsrate angepasst werden. Das Dekret soll die Löhne außerdem für alle Vertragsarbeiter der Regierung vereinheitlichen. Denn bislang gab es auch deutlich geringere Stundensätze für diejenigen, die Trinkgeld bekommen und erst auf diese Weise den Mindestlohn erreichen.«

Natürlich stellt sich die Frage, um wie viele Menschen es denn geht, die von der Verfügung des Präsidenten profitieren würden. »Wie viele Personen genau von der Anhebung profitieren werden, konnte die Regierung zunächst nicht sagen. Vertreter des Weißen Hauses sagten, dadurch würden „Hunderttausende Arbeiter“ besser gestellt und müssten nicht mehr in Armut leben, obwohl sie einen Vollzeitjob haben.«

In der Meldung wird berichtet, dass »geschätzt fünf Millionen Mitarbeiter für Auftragnehmer der US-Regierung tätig (sind). Die Regelung betrifft vor allem Mitarbeiter von Firmen, die im Auftrag der Regierung Dienstleistungen erbringen. Dazu gehören zum Beispiel Reinigungskräfte, Wartungsmitarbeiter, Handwerker oder Kantinenangestellte.«

Eine genauere Schätzung die Größenordnung der von der mittlerweile vom Präsidenten auch unterzeichneten Verordnung hat das Economic Policy Institute (EPI) vorgelegt:

➔ Ben Zipperer and Heidi Shierholz (2021): Up to 390,000 federal contractors will see a raise under the Biden-Harris executive order, April 27, 2021

Die Autoren schätzen1, dass bis zu 390.000 Niedriglohn-Beschäftigte bei Auftragnehmern des Bundes von der Erhöhung profitieren werden.

1 Die Schätzung ist keineswegs trivial: »To arrive at these estimates, we first estimate the state- and industry-specific shares of federal contract employment using FY2020 federal contract obligations from USA Spending and input-output tables from 2019 Bureau of Labor Statistics employment requirements data. We then combined these results with the EPI Minimum Wage Simulation Model, assuming that the state- and industry-specific wage distributions for federal contractors are similar to the state- and industry-specific overall wage distributions.«

Die Autoren berichten von „bis zu“ 390.000, die von einem höheren Mindestlohn profitieren könnten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass einige Arbeitnehmer aufgrund des Davis-Bacon Act oder des Service Contract Act bereits einen höheren Lohn erhalten. Als absolute Untergrenze der von Biden’s Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer werden 226.000 genannt.