Am heutigen 22. März schalten sie sich wieder zusammen, die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin, zum nächsten Corona-Gipfel-Gespräch. Und erneut wird schon vor dem eigentlichen Treffen eifrig über das diskutiert, was dabei herauskommen soll/wird. »Das Kanzleramt setzt wegen der stark steigenden Corona-Infektionszahlen auf eine Verlängerung des Lockdowns bis zum 18. April. Das geht … aus einem Beschlussentwurf für die Bund-Länder-Runde am Montag hervor. Zudem müsse die Anfang März beschlossene Notbremseregelung „konsequent umgesetzt“ werden, heißt es darin … Zuvor hatten die SPD-geführten Länder Vorschläge veröffentlicht«, kann man beispielsweise hier lesen: Kanzleramt für Lockdown bis 18. April. Und während die einen fordern, dass der Lockdown nicht nur verlängert, sondern auch verschärft werden soll, rufen die anderen nach Lockerungen und angesichts der Flieger nach Mallorca auch für Öffnungen heimischer Destinationen für den Osterurlaub. Nicht unplausibel ist als ein Ergebnis der Bund-Länder-Gespräche heute, dass es einen „lockeren Lockdown“ geben wird, dessen Verästelungen den Normal-Bürger, der sich irgendwie trotz erheblicher Ermüdungserscheinungen an die Regeln zu halten versucht, einer weiteren Bewährungsprobe im Aushalten logischer und sonstiger Widersprüche abverlangen wird. Wie dem auch sei, während zahlreiche Fernsehteams auf der Suche nach Mallorca-Touristen sind, die dann in die Mikrofone ihre Begründungen für den Ausflug in das 17. Bundesland sprechen dürfen, ist seit einigen Wochen die Berichterstattung über die Situation in den Kliniken und darunter über die Lage auf den Intensivstationen zu einem Rinnsal verkümmert. Dabei ist ein Blick auf die Fallzahlentwicklung wie auch auf die Belastungssituation insgesamt (denn die COVID-19-Patienten sind ja nur ein Teil der zu versorgenden Patienten) aufschlussreich.
Dafür schauen wir auf die Daten des DIVI-Intensivregisters. Täglich erfasst das DIVI-Intensivregister die freien und belegten Behandlungskapazitäten in der Intensivmedizin von etwa 1.300 Akut-Krankenhäusern in Deutschland. Im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie werden zudem auch aktuelle Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Patienten aufgezeichnet. Betrachtet man die Fallzahlentwicklung seit dem Frühjahr 2020, dann kann man die wellenförmigen Auswirkungen der uns seit einem Jahr in Beschlag haltenden Corona-Krise erkennen:
Man erkennt die beiden ersten Corona-Wellen (wobei bislang die Zahl der intensivmedizinisch zu versorgenden COVID-19-Patienten zeitversetzt den Infektionszahlen gefolgt ist). Nun aber befinden wir uns bereits in der dritten Welle – und seit Jahresbeginn hat die Zahl der Intensivpatienten im Kontext von Corona stetig abgenommen. Bis vor ein paar Tagen. Seit Mitte März 2021 steigen die Fallzahlen wieder an und mittlerweile, seit dem 21. März, liegen wir wieder über 3.000 intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fällen. Damit ist das Niveau der Belegung der Intensivstationen in der Spitze der ersten Welle im Frühjahr 2020 nach der rückläufigen Bewegung in den ersten Wochen des Jahres 2021 erneut überschritten und man wird abwarten müssen, ob sich der Anstieg fortsetzt.
Bei der Bewertung dieser Zahlen sollte man wie immer berücksichtigen, dass es sich hierbei um den ganz großen Blick von oben handelt – für die Menschen in der Praxis wesentlich bedeutsamer ist natürlich die Tatsache, dass nicht nur das Infektionsgeschehen, sondern auch die Erkrankungen und darunter die Fallzahlen und die damit einhergehenden Belastungen der Intensivstationen eben nicht gleichverteilt sind über die Republik, sondern dass wir mit einer teilweise erheblichen Varianz zwischen Regionen und Kliniken konfrontiert sind.
Hinzu kommt, dass bei aller nachvollziehbaren Fixierung auf die Zahlen am aktuellen Rand der Entwicklung die seit nunmehr einem Jahr anhaltende, wellenförmige Belastung eines Teils der Kliniken (die durchaus einhergeht mit einer „Unterauslastung anderer Teile der Krankenhauslandschaft) von den dort arbeitenden Menschen als eine lang anhaltende Dauerbelastung wahrgenommen wird, man also eben nicht eine Reduktion auf die nur aktuelle Belastungssituation vornehmen sollte. Das DIVI-Intensivregister bietet als Annäherung an die hier angesprochene Problematik diese interessante Abbildung an:
„Wir starten jetzt auf den Intensivstationen in die dritte Welle und das auf einem sehr hohem Niveau. Davor hatten wir bereits Ende Februar gewarnt und das bereitet uns große Sorgen“, wird DIVI-Präsident Gernot Marx in diesem Artikel zitiert: Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen steigt auf über 3000. „Wir erwarten in den nächsten Wochen einen rasanten Anstieg der Patienten, da die Welle der Intensivpatienten immer zwei bis drei Wochen der Infektionswelle nachrollt“, ergänzte er.
Bei Inzidenzen um die 200 Infektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohner prognostizieren Notfallmediziner für Anfang Mai rund 5000 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen. Das wären fast so viele wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle Anfang Januar und könnte viele Kliniken erneut schwer belasten.
Die deutschen Intensivmediziner pochen deshalb vor den Beratungen der Länder mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einen strengeren Lockdown mit Verschärfungen des Kontaktverbots. Es sei entscheidend, dass alle Länder dieselben Maßnahmen umsetzen und diese leicht zu verstehen sind.
Aber es gibt auch positive Aussichten, also theoretisch: »Die gute Nachricht: Kommt keine neue gefährlichere Mutante hinzu und geht das Impfen weiter gut voran, könnte die Pandemie nach der aktuellen Prognose im August für die Notfall-Stationen der Kliniken so gut wie ausgestanden sein.«
Für die Klinikteams haben die (wieder) steigenden Zahlen Folgen. „Das ist keine fachliche Überforderung, sie ist physisch und psychisch“,so Felix Walcher vom DIVI. Die Erschöpfung des Personals sei bundesweit zu beobachten. Das Verantwortungsgefühl motiviere. „Aber auch das ist irgendwann erschöpft.“ Und weiter: „Es besteht die große Sorge, dass mit der chronischen Überlastung des Personals eine Abwanderung der Mitarbeiter aus der Pflege folgt.“
Das es bislang nicht zu einem Kollaps des Versorgungssystems gekommen ist, lässt sich neben den Lerneffekten aus der ersten Welle auch darauf zurückführen, dass es Fortschritte beim Vermeiden schwerer Krankheitsverläufe gegeben hat: »In Deutschland hat sich Ende 2020 der Anteil der Krankenhaus-Patienten mit Covid-19 auf Intensivstationen im Vergleich zu den ersten Pandemie-Monaten halbiert: nach einer Studie auf 14 Prozent im Dezember. Bei den Patienten, die invasiv beatmet werden, stehen die Überlebenschancen allerdings nicht besser als vor einem Jahr: Ungefähr die Hälfte von ihnen stirbt.«
Diesseits und jenseits der Corona-Wellen: Qualifikation muss sich lohnen – aktuelle Vorschläge zur Verbesserung der Situation in der Intensivpflege
Bereits vor einigen Tagen wurde aus den Reihen der Fachverbände eine Stellungnahme mit konkreten Forderungen veröffentlicht, um Verbesserungen in der Intensivpflege erreichen zu können und um das Berufsfeld attraktiver zu machen:
➔ Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) und Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) (2021): Stellungnahme zur Stärkung und Zukunft der Intensivpflege in Deutschland, März 2021
Dazu berichtet Anno Fricke unter der Überschrift Alarmruf: Der Mangel an Intensiv-Fachpflegepersonal ist dramatisch: Die Verbände mehr Attraktivität für den Beruf. Die Fachweiterbildung Intensivpflege und Anästhesie sei der Meisterausbildung im Handwerk gleichzusetzen. »In diesem Rahmen solle die Übertragung „heilkundlicher Tätigkeit“ für die Intensivpflege rechtlich abgesichert werden, zum Beispiel bei der Entwöhnung von der Beatmung (Weaning). Zudem solle der politische Einfluss der Pflege über stimmberechtigte Sitze im GBA gestärkt werden. Um dem Trend entgegenzuwirken fordern die Verbände mehr Grundgehalt für die Intensivpflege, steuerfreie Zuschläge für Sonn- und Feiertags- sowie Nachtarbeit, eine Finanzierung der Fachweiterbildungen und eine Intensivfachkraftquote für alle Bereiche der klinischen Intensivversorgung.«
Aus den sechs Kernforderungen der Verbände drei Beispiele:
»Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung müsse dringend nachgeschärft werden. Sie habe auch auf vielen Intensivstationen zu einem Abbau von Pflegepersonal geführt. Die Verbände warnen davor, in den Intensivstationen „Profitzentren“ zu sehen. Dafür müssten „kreative und moderne Arbeitszeitmodelle“ eingeführt werden, zum Beispiel bei belastenden Tätigkeiten 100 Prozent Entlohnung für 80 Prozent Arbeitszeit.«
»Ein Qualifikations- und Fähigkeitenmix auf Intensivstationen müsse definiert und implementiert werden. Dazu zählten die Bereiche Dokumentation, Patiententransporte, Materialbewirtschaftung, Bettenaufbereitung und mehr. Patienten- und pflegeferne Tätigkeiten sowie die Bürokratie sollten drastisch verringert werden.«
»Eine Definition von Fach-Intensivpflegekräften vorbehaltenen Aufgaben wie bei der Versorgung von Patienten mit Bauchaortenaneurysma wäre ein deutliches Signal dafür, dass sich Qualifizierung lohnt, finden die Verbände. Dafür müssten die Tarifpartner nachfolgend die Entgeltgruppen neu bewerten.«